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›Solche Widersprüchlichkeiten würde wohl niemand mehr schlucken.‹

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Politikwissenschaftler Günther Pallaver über den verlorenen Kompass der einstigen Großmacht Volkspartei.

Wolfgang Mayr (für ): Weiß die SVP, was sie will?

Günther Pallaver: In der Regel schon, mitunter gibt es aber unterschiedliche Befindlichkeiten in den eigenen Reihen. Und immer öfter hat man den Eindruck, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte macht. Es gibt längst nicht mehr einen internen Konfliktregelungsmechanismus, der unter Silvius Magnago bestens funktioniert hat. Einmal, auch nach harten und kontroversen Debatten, ein Beschluss gefasst, haben sich alle daran gehalten und es war »a Rua«. Wer sich nicht daran gehalten hat, wurde ausgeschlossen. Siehe Hans Dietl oder Egmont Jenny.

Weiß die SVP, wo sie steht?

Auch hier gilt: in der Regel schon, aber auch da gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten. Nicht alle »stehen« auf einer Linie, die einen ziehen in die eine Richtung, die anderen in die andere. Allerdings diktiert vor allem die Wirtschaftslobby die Richtung, Bauernbund, HGV, Handelskammer, Industrielle. Die anderen Richtungen in der Partei sind nur noch ein Beiwagerl.

Die SVP wollte beispielsweise den Unterstaatssekretärsposten für Griessmair, sagte dieser. Also wollte sie?

Ein Teil der SVP-Führungsriege wollte dies sicherlich, andere wie der Landeshauptmann nicht. Aber auch da konnte man sehen: einzelne Gruppierungen, ja einzelne Personen in der Partei kochen ihr eigenes Süppchen. Die Partei wird lediglich als Steigbügelhalter benutzt. Früher wurde man aus der Partei ausgeschlossen, siehe das Beispiel Magnago. Heute ist’s umgekehrt. Die Leute verlassen die Partei, wenn sie nicht erhalten, was sie wollen.

Beim Bekanntwerden dieser möglichen Karriere wies Obmann Steger das Angebot aber heftig zurück. Also wollte sie, die SVP, doch nicht?

Die Reaktion des Obmanns war ein Reflex auf die Debatte innerhalb der Partei und in der Öffentlichkeit. Plötzlich sah er sich einer stark ablehnenden Phalanx gegenüber. Möglicherweise hat auch die Befürchtung mitgespielt, elektoralen Konsens gegenüber rechten Parteien zu verlieren.

Was hätte einen Unterstaatssekretär Griessmair ausgezeichnet?

Die Freundschaft mit Minister Lollobrigida.

Ein Unterstaatssekretär Griessmair, einst Bürgermeister von Bruneck, hätte bedeutet, dass die SVP Teil der rechtsrechten Regierung Meloni geworden wäre. Es wäre die konsequente Fortsetzung der Koalition in der Landesregierung, oder?

So gesehen wäre die SVP auf allen institutionellen Ebenen im Gleichschritt marschiert: Koalition mit den FdI (und anderen) auf kommunaler Ebene in Bozen, in der Landes- und Regionalregierung und auf Staatsebene in der römischen Regierung. Fehlt nur noch die EU, aber auch dort flirten die Volksparteien mit den Nachfolgern der Postfaschisten

Die SVP sozusagen als die Südtiroler Brüder der Fratelli d’Italia?

Aber nicht blutsverwandt, die SVP spricht immer nur von technischen Abkommen.

Es kam dann doch nicht zur Regierungsbeteiligung der SVP in Rom. Wurde dem Landeshauptmann der Boden zu heiß?

Nein, dem Landeshauptmann ist nichts zu heiß, wenn damit ein »Deal« möglich wird. Aber sein Kind, die Autonomiereform, will er selbst in trockene Tücher legen und sich den Erfolg nicht von einem plötzlichen Quereinsteiger wegschnappen lassen.

Manche in der SVP stehen den rechtsrechten Fratelli überraschend nahe, siehe Griessmair als Freund von Minister Lollobrigida oder der Sarner Bauernmandatar Franz Locher. Im Parlament sind es die Senatoren Renate Gebhard und Meinhard Durnwalder sowie der Kammerabgeordnete Dieter Steger, die mit den Rechten können. Nur institutionelles Können oder mehr?

Nein, da gibt es tatsächlich eine gewisse politische Affinität, bei einigen mehr, bei anderen weniger. Aber die Abneigung gegen die Linke ist in der Zwischenzeit weit größer als die antifaschistische Tradition der Partei. Nationalismus, Europaskepsis bis -feindlichkeit, neofaschistischer Bodensatz, den die hybride Partei Fratelli d’Italia verkörpert, das alles scheint für die SVP kein Problem mehr zu sein. Hauptsache, »es schaut etwas heraus«. Obmann Steger hat bei der Landesversammlung in diesem Jahr ja selbst gesagt: Wir sind nicht links und nicht rechts, wir sind pragmatisch. Statt pragmatisch könnte man auch »gewinnorientiert« sagen, und zwar unabhängig von Werten.

Vor einigen Monaten ergab eine Umfrage, dass die Südtiroler:innen mehrheitlich Ministerpräsidentin Meloni »gut finden«. Ist die SVP also konsequent, der Meloni nahe sein zu wollen?

Wenn die Regierungen immer allen Stimmungen ihres Volkes nachrennen würden, hätten wir die Todesstrafe, totale Steuerfreiheit und kein Tempolimit auf den Autobahnen.

Umfragen sind Momentaufnahmen, wie Wahlen wahrscheinlich auch. In Meran setzte sich die ehemalige Vizebürgermeisterin Katharina Zeller von der SVP bei den Stichwahlen siegreich durch. Auch im losen Bündnis mit Mittelinks. Ticken die Wählenden der SVP anders als die Parteigranden?

Zum Teil ticken sie tatsächlich anders, zum Teil sind die SVP-Wähler:innen aber auch desorientiert. In Meran mit Mittelinks, Zeller gibt eine Wahlempfehlung für den Bozner Mittelinks-Bürgermeisterkandidaten Juri Andriollo ab, die SVP von Bozen geht eine Koalition mit den Rechten ein. Da kennen sich viele SVP-Wähler:innen nicht mehr aus.

Beispiel Bozen, dort stimmten die SVP-Wähler:innen bei der Stichwahl für den mittelinken Bürgermeisterkandidaten, der verlor. Die SVP sitzt jetzt in einer Koalition mit den rechtsrechten italienischen Parteien in der Stadtregierung. Als Juniorpartner. Tut das der SVP gut?

Sicherlich nicht. Denn die SVP-Wähler:innen sind nicht nur an neuen Kompetenzen interessiert, sondern wollen eine klare politische Linie, eine Wertorientierung. Welchen Reim sollen sich aber die SVP-Wähler:innen machen, wenn in Meran eine Koalition mit linken Kräften eingegangen worden ist, in Bozen hingegen mit rechten Kräften?

Bei den letzten Landtagswahlen rutschte die SVP wieder ab, von den 13 Mandataren zählen mehr als die Hälfte zum sozialliberalen »Lager«. Trotzdem setzte Spitzenkandidat Kompatscher nach Scheinverhandlungen, sagten die Grünen und das Team K, auf eine Koalition mit rechts. Weiß die SVP noch, wo sie steht?

Kompatscher hat seinem Autonomiereformprojekt alles untergeordnet. Damit hofft er auch, der SVP wieder zu neuem Glanz zu verhelfen und verlorenen politischen Konsens zurückzugewinnen. Da bin ich aber sehr skeptisch. Kommt die Autonomiereform überhaupt bei den Menschen an? Ist das ein Hit? Die Leute interessieren sich heute eher für Jannik Sinner und regen sich über den Guest Pass auf. Die Autonomiereform ist halt verdammt abstrakt.

Sie, die SVP — der Landeshauptmann und der Obmann — will die Autonomiereform. Kompatscher betont immer wieder, es geht dabei um Sachpolitik, also um die Autonomie, nicht um Ideologie. Der Zweck heiligt die Mittel?

Mit dem Begriff der Sachpolitik wird eine Nebelbombe gezündet. Hinter jeder »Sache« steht eine Weltanschauung, von der man sich bei Entscheidungen leiten lässt. Auch Autonomie ist nicht wertneutral. Statt der Konkordanzdemokratie hätten wir im Autonomiestatut auch die Mehrheitsdemokratie verankern können. Wir haben es aber nicht getan, weil die Mehrheitsdemokratie die jeweilige Minderheit an den Rand drängt. Reine Sachpolitik?

Derweil tanzt LH-Vize Marco Galateo ständig aus der Reihe, überschreitet rote Linien; hetzt der in Vicenza gewählte Alessandro Urzì (FdI) immer wieder gegen die Meraner Bürgermeisterin Zeller; postete ein inzwischen zurückgetretener FdI-Gemeinderat in Bozen einen Goebbels-Spruch. Überraschenderweise hält sich die SVP zurück. Hat Meloni die SVP an die kurze Leine gelegt, kuscht die SVP, um von den Fratelli die Autonomiereform zu erhalten? Die SVP, auf dem Weg in den Konkurs?

Nicht in den Konkurs, aber in den Ausgleich, wenn wir einen Vergleich aus dem Insolvenzrecht anstellen wollen. Ausgleiche können teuer zu stehen kommen.

Wird es für die SVP schwer werden, ihren ständig schrumpfenden Wahlanhang vor der italienischen Gefahr zu mobilisieren, besonders nach dieser Koalition? 

Die ethnische Karte sticht mit wenigen Ausnahmen schon lange nicht mehr wie früher. Wie ließe sich aber das Argument der italienischen Gefahr glaubwürdig vermitteln, wenn man genau mit dieser Gefahr in einer Koalition zusammenarbeitet? Das würden nicht einmal mehr die wenigen Stammwähler:innen der SVP verstehen. Solche Widersprüchlichkeiten würde wohl niemand mehr schlucken.

Cëla enghe: 01 02


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