Die Südtiroler Volkspartei (SVP) feierte ausgiebig ihren 80. Geburtstag. Kritische Fragen wurden erfolgreich verdrängt.
Wie beispielsweise der seit Jahren anhaltende Wählerschwund und die sinkende Wahlbeteiligung. Bei den Landtagswahlen vor zwei Jahren (2023) kreuzten nur mehr 34,5 Prozent der Wählenden das Edelweiß an. Vor zehn Jahren, 2013, waren es noch 45,7 Prozent, 2003 56,5 Prozent.
An den Landtagswahlen 2023 beteiligten sich mehr als 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Ein hinkender Vergleich: bei den Gemeindewahlen in diesem Jahr rutschte die Wahlbeteiligung auf 60 Prozent ab. Eine stetig fallende Teilnahme.
All das scheint der Feierlaune keinen Abbruch getan zu haben. 80 Jahre SVP stehen für Geschichte, Verantwortung und Zukunft. Die Botschaft der SVP an die Öffentlichkeit: »Wir sind stolz auf unsere Geschichte.«
Keine Frage, die Volkspartei war erfolgreich mit ihrer Politik. Autonomie, Minderheitenschutz, wenn inzwischen auch löchrig wie ein Schweizer Käse, Wohlstand und im Spitzenfeld der italienischen und auch der EU-Regionen.
Während patriotische Parteien und Gruppierungen der SVP Verrat an Südtirol vorwerfen, finden Kritiker wie Günther Pallaver oder Hans Heiss überraschenderweise immer wieder lobende Worte. Heiss sieht in der SVP trotz all ihrer Irrungen und Wirrungen noch immer einen Garanten für Stabilität und Auskommen.
Alte Menschen verdrängen gerne kritische Fragen, besonders wenn es um die Gesundheit geht. So handelt auch die 80-jährige SVP. Sie sonnt sich im Glanz ihrer Vergangenheit, ihrer Geschichte, ihrer Erfolge, verdrängt aber erfolgreich — vielleicht passiert dies parteiintern, abseits der Öffentlichkeit — das Wähler:innenschrumpfen.
Selbstbetrug auf hohem Niveau?
Athesia-Journalist Arnold Sorg erinnerte in seinem Interview »80 Jahre SVP: Macht, Autonomie und Kritik« Obmann Dieter Steger an seine Aussage, wenn es keinen Aufwärtstrend gebe, werde die SVP 2028 nicht mehr die Landesregierung stellen. Im dem Stol-Gespräch mimt Steger den Optimisten, er sei zuversichtlich, weil die Landesregierung einen guten Job mache, er hege die Hoffnung, dass es wieder aufwärts geht.
Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ist das nicht eine Form der Selbsttäuschung? Gab es wegen des Schrumpfens der Wählerinnenschaft eine selbstkritische parteiinterne Auseinandersetzung zum Wählerverlust? Die SVP tut noch immer so, als wäre sie alternativlos, um Arnold Sorg zu zitieren. Selbstbetrug auf hohem Niveau.
Zurecht sieht Steger in seiner Sammelpartei ein Zukunftsmodell. Eine Partei, die sich gesellschaftlich breit aufstellt, um eine Polarisierung zu verhindern, die viele einbindet. Obmann Silvius Magnago gelang das zweifelsohne. Er sorgte dafür, dass auch die Arbeitnehmenden — der Großteil der Bevölkerung — einen Platz in der Sammelpartei erhalten. Das ist aber inzwischen Geschichte.
Bei 34,5 Prozent SVP-Wählenden kann wohl kaum von einer breiten Aufstellung gesprochen werden. Viele strebten weg von der Sammelpartei, hin zum Team K, aber auch zur Süd-Tiroler Freiheit und der inzwischen dezimierten JWA-Liste. Die einst starken SVP-Arbeitnehmer sind nur mehr ein Schatten ihrer selbst, in der Partei dominieren die Eliten, die Oligarchen der Wirtschaftsverbände. Volkspartei, ein Etikettenschwindel.
Das sieht Obmann Steger im Gespräch mit Stol halb so schlimm. Es gebe interne Diskussionen, mal gehe es in diese und dann wieder in die andere Richtung, versucht Steger die dominierende Wirtschaftslastigkeit seiner Partei kleinzureden. In seiner Partei würden Kompromisse angestrebt, um die verschiedenen Seelen zusammenzuführen, bekräftigt Steger seine angeblich auf Gemeinwohl getrimmte Partei.
Aus dem SVP-Blickfeld
Der Eiertanz um die Gehälter der Lehrerinnen und um die Kollektivverträge für die öffentlichen Bediensteten sprechen eindeutig eine andere Sprache. Wertschätzung geht anders.
Wie Steger eine Rückgewinnung von »verloren« gegangenen Wählerinnen bewerkstelligen will, bleibt auch offen. Im Stol-Interview mit Arnold Sorg sagt Steger, es »allen recht machen, geht nicht«. Deshalb empfiehlt er seiner Partei und der Landesregierung, einmal Beschlossenes durchzuziehen. Auch wenn Teile der Bevölkerung dagegen sind. Eine solche klare Haltung ist im schärfer werdenden Verteilungskampf notwendig.
Wer wird dabei den Kürzeren ziehen? Laut dem Arbeitsförderungsinstitut AFI »deckten« die Löhne zwischen 2018 und 2023 in der Privatwirtschaft die Steigerung der Lebenshaltungskosten nur zu 60 Prozent ab. Das AFI errechnete, dass die Löhne in besagtem Zeitraum um 12 Prozent gestiegen sind, die Lebenshaltungskosten aber um über 20 Prozent. Dies kommentierte AFI-Direktor Stefan Perini in der Wochenzeitung ff folgendermaßen: »Mit italienischen Löhnen und Schweizer Preisen lässt es sich nicht gut leben.« Die Arbeitnehmenden sind die Verlierer im Verteilungskampf.
Und »nur noch etwa zwanzig Prozent der Südtiroler geben an, dass sie mit den Wohnkosten problemlos zurechtkommen«, beschreibt UnserTirol24 eine weitere Form des Verteilungskampfes.
Dürftige Löhne, saftige Mieten, Gründe für 1.000 junge Südtiroler:innen, jährlich abzuwandern. Südtirol zählt zur Region mit der höchsten Auswanderungsrate staatsweit. Dabei handelt es sich meist um Akademiker und Fachkräfte.
Die SVP auf Abwegen
Da müssten die Alarmglocken schrillen und die Sirenen heulen. Tun sie aber nicht. Stattdessen schwadroniert Steger vom »Glauben an das große Ganze«. Deshalb tat sich die SVP nicht schwer, mit den Nachfahren des neofaschistischen MSI, den Fratelli d’Italia (FdI), eine Landesregierung zu bilden. Weil angeblich die stärkste Kraft der italienischen Wählenden Südtirols.
Ein Seitenblick: Steger plädierte vor Jahren schon für eine Zusammenarbeit der SVP in Bozen mit der italienischen Rechten. Mit dieser wagte sich Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) an eine Autonomiereform, die der Trentiner Universitätsprofessor Roberto Toniatti auf Salto als das »Ende der dynamischen Autonomie« abkanzelte. Toniatti prophezeit eine »statische Autonomie«. Wenn das zutrifft, hat die SVP mit ihrer rechtsrechten Koalition völlig ohne Not eine rote Linie überschritten.
Steger verteidigte auf Stol diese Zusammenarbeit und erinnerte an die Gründungsväter seiner Partei. Auch sie strebten den Ausgleich damals an, zwischen Anti-Nazis und Ex-Nazis, zugunsten Südtirols. Ähnlich kann man die Koalition mit den Fratelli sehen. Oder wie es der ehemalige grüne Kammerabgeordnete Florian Kronbichler (er sah es mal anders) formulierte: Kompatscher gewann die italienische Rechte für die Autonomie. Echt?
Im Februar 2025 gab Steger die Losung »weniger Ideologie, mehr Südtirol« aus. Zusatz: Gemeinsam stark für Südtirol. Um Simon zu zitieren, deshalb knickt die Landesregierung bei der Kurzzeitvermietung, Airbnb, ein und zieht das eigene Gesetz wegen der Anfechtung der italienischen Regierung zurück, »das Land zieht den Schwanz ein«. Mehr Südtirol, weniger Ideologie?
Ohne SVP-Widerspruch erklärte Alessandro Urzì (FdI), Kammerabgeordneter der Fratelli im Wahlkreis Vicenza und Präsident der Sechserkommission, die »absolute Souveränität des nationalen Parlaments« über die Südtiroler Autonomie. Das heißt, Rom kann jederzeit die Autonomie abändern. Usw, usf.
Mit dem »Glauben an das große Ganze« will SVP-Obmann Steger seine Partei wieder auf die Überholschiene bringen, hin zum Aufwärtstrend. Nach den Fällen Florian Zerzer, Virna Bussadori, Kochhütte von Landesrat Peter Brunner (SVP) und noch vielem mehr darf daran gezweifelt werden. Möglicherweise trifft Stegers Prophezeiung zu, dass 2028 eine Landesregierung ohne SVP gebildet wird. Weil die 80-jährige Dame ins politische Altersheim verschickt wird.
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