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Wer ist Daniele Ganser?
Antisemit, Corona-Widerstandskämpfer und Putinversteher

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Südtirol scheint ein gutes Pflaster für Neonazis und Putinisten zu sein. Die Deutsche Burschenschaft, traditionell antisemitisch und rechtsradikal, wollte sich im September in Algund versammeln.

Im September will der Schweizer Historiker Daniele Ganser im traditionsreichen Meraner Kursaal seine schwindligen Thesen vortragen. Lisa Maria Gasser sezierte auf Salto Ganser und seine Thesen.

Für ihn ist die Anti-Corona-Politik der europäischen Staaten mit dem Völkermord an den Juden, der Shoah des Dritten Reiches vergleichbar. Jüdische Gemeinden weisen diese Gleichstellung entrüstet zurück. Ganser, so der Vorwurf von Rebecca Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde von Hannover, hantiere mit antisemitischen Sprachbildern.

Ganser schürt Ängste und bietet gleichzeitig Antworten und Lösungen an, das ist sein Geschäftsmodell. Die österreichische Tageszeitung Der Standard wirft dem Schweizer Historiker vor, unappetitlich zu argumentieren. Das Dokumentationsarchiv österreichischer Widerstand ordnet Ganser in die Reihe neurechter Intellektueller ein.

USA, EU, NATO – die Feinde

Ein besonderes Verhältnis pflegt Ganser zur EU, zu den USA und zur NATO. Für den Historiker war der Krieg im zerfallenden Jugoslawien in den 1990er Jahren von den USA gewollt, die Kriegsverbrechen der regulären jugoslawischen Armee und ihrer serbischen Hilfsmilizen waren nur Fakes. Laut Ganser fanden die »ethnischen Säuberungen«, also die Vertreibungen, die Massenvergewaltigungen und -morde nicht statt. Nur Pentagon-Propaganda. Ganser scherte sich wenig um die Opfer der serbischen Aggression, weil sie in seinem Weltbild nicht vorgesehen sind, weil sie es stören würden.

Ganser, ein Historiker mit dicken Scheuklappen, der sich die Welt zurechtlügt. Die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington ließ Ganser von amerikanischen und israelischen Geheimdiensten ausführen. Er pflegt die These der jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung. Kritikern wirft er vor, ihn mundtot machen zu wollen. Ganser und seine Szene vertragen keineswegs das Hinterfragen.

In vielen EU-Ländern wuchs in der Corona-Zeit eine neue Szene heran, ein Mix aus rechts- und linksradikalen Systemgegnern mit alternativen Sprengseln dazwischen. No-Vax, EU-, USA- und NATO-Gegner, Russland-Versteher, ganz rote und braune »Pazifisten« übernahmen die Kreml-Erzählungen zum Ukraine-Krieg. In Italien die Lega und Forza Italia, Teile von Fratelli d’Italia, die Linke im PD sowieso, in Österreich formte Parteichef Herbert Kickl seine rechtsradikalen Freiheitlichen in eine Kreml-Filiale um, in Deutschland gibt es eine unerklärte Allianz zwischen Sahra-Wagenknecht-Linken und der rechtsradikalen AfD. National-sozialistisch.

Dieser gruselige Chor singt, die NATO sei schuld am Ukraine-Krieg der Russen. Eine doch schräge Note. Man darf an der Zurechnungsfähigkeit dieses pro-russischen Lagers zweifeln.

»Krieg in der Ukraine: Warum hören wir nur die halbe Geschichte?«

Bei Ganser klingt das folgendermaßen: »Krieg in der Ukraine: Warum hören wir nur die halbe Geschichte?«, »Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht«, »Können wir den Medien vertrauen?« oder »Wie hilft Achtsamkeit gegen Kriegspropaganda?«.

Die Antworten auf diese Fragen liefert Ganser auch gleich mit. Zusammengefasst, die USA und die Medien manipulieren, verschweigen, die USA und die NATO führen Krieg.

Ganser wiederholt auf seinen Vorträgen, die regelrecht gestürmt werden, die Kreml-Erzählungen zur Ukraine. Angebliche Neonazis verübten Kriegsverbrechen an »den Russen« in der Ostukraine und auf der Krim, diese Neonazis stürzten die legitime Regierung des Putin-Alliierten Janukowitsch. Unterstützt wurden und werden die ukrainischen Neonazis — die Vorfahren von Präsident Selenskyj wurden von den Nazis ermordet — von den USA und der NATO. Warum? Wegen der Osterweiterung der NATO, die von den ehemaligen osteuropäischen Warschauer-Pakt-Staaten demokratisch gewollt wurde. Kein Thema für Ganser.

Genauso wenig der Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs Nummer 17. Laut Ganser trägt die ukrainische Armee dafür die Verantwortung. Tatsächlich schossen russische Milizionäre das Flugzeug ab. Aber warum sich bei Fakten aufhalten, wird sich Ganser denken. Die Schüsse serbischer Sniper auf Menschen in Sarajewo in den 1990er Jahren fanden laut Ganser gar nicht statt, sie waren inszeniert. Ganser, wohl ein Fall für …

Ganser dementiert Butscha

Die von der russischen Invasionsarmee verübten Verbrechen in der Ukraine streitet Ganser strikt ab. Ein Beispiel von vielen Kriegsverbrechen ist Butscha, in der Nähe der Hauptstadt Kyjiw. Ganser bezweifelt, dass dafür russische Soldaten verantwortlich sind. Damit will er sagen, es waren ukrainische Soldaten. Der Applaus vieler Westler ist Ganser sicher. Damit wird aber ein Fake trotzdem nicht real.

Ganser, Bürger der angeblich ach so neutralen Schweiz, spricht übereinstimmend mit dem Kreml der Ukraine ihre Existenz ab. Nach dem Motto: Ukrainer gibt es keine, Ukrainisch ist keine Sprache. Ganser und sein Anhang nehmen nicht zur Kenntnis, dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer und gegen die Ukrainerinnen führen. Gezielt, vehement, flächendeckend, radikal.

Ganser blendet aus, dass die mit einem Referendum 1991 unabhängig gewordene Ukraine die im Land gelagerten ehemaligen sowjetischen Atomwaffen an Russland abgab. 1994 verpflichteten sich die USA, Russland und Großbritannien im Budapester Memorandum dazu, die Souveränität der Ukraine anzuerkennen.

Der russische Staat, weltweit größter Mafia-Staat, der von einem toxischen Mix aus großrussischen Nationalisten, orthodoxen Monarchisten, korrupten Oligarchen und Ex-Kommunisten »regiert« wird, verdrängte seine Verpflichtung. Über seine fünfte Kolonne mischte sich der Kreml in die ukrainische Politik ein, 2014 annektiert Russland die angeblich russische Krim — eigentlich die Heimat der Krim-Tataren — und überfiel in Zusammenspiel mit der organisierten Kriminalität die Ostukraine. Seit 2014 führt Russland Krieg gegen die Ukraine, seit 2022 einen totalen.

Bei Ganser darüber kein Wort. Der Schweizer Historiker schreibt sich die Welt zurecht. Hier die friedlichen Russen, dort die gewalttätigen US-Amerikaner, die mit ihren Geheimdiensten die Welt aufmischen, eine der steilen Thesen in Gansers Promotionsbuch. Ein verschwörungstheoretisches Märchenbuch, kanzelt es Peer Henrik Hansen ab, ausgewiesener Experte für Geheimdienstaktivitäten während des Kalten Krieges.

Meinungsfreiheit?

Ganser lässt Kritik an seinen »Thesen« nicht gelten, pocht auf die Meinungsfreiheit. Das Verbreiten von Antisemitismus hat mit dem Recht auf abweichende Meinung nichts zu tun, sondern ist eine Straftat.

Seine uneingeschränkte Solidarität mit dem russischen Kriegspräsidenten Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine ist pure antiukrainische Hetze. Meinungsfreiheit?

Ganser, der »Freiheitskämpfer« gegen die angebliche US-Hegemonie, ist laut den Faktencheckern des Webblogs Volksverpetzer die Einstiegsdroge in die rechte Szene: »Den besten Beweis liefert uns dafür unabsichtlicher Weise niemand anderes als ‚Der Ketzer der Neuzeit‘. Ein junger rechter Youtuber, der durch üble Queerfeindlichkeit und Nähe zu ‚Querdenken‘ und rechtsextremen Reichsbürgern auffällt«, recherchierten die Volksverpetzer. Der »Ketzer« erklärte in einem Interview, von seinen Eltern an ein Video von Ganser herangeführt worden zu sein. »Also war Daniele Ganser sozusagen deine Einstiegsdroge, von deinen Eltern sogar verabreicht?«, fragt die ihn interviewende Verschwörungsverbreiterin. »Das kann man auf jeden Fall so sagen«, erwidert er.

Es wird deshalb schon kein Zufall sein, dass Ganser gern gesehener und geladener Gast von rechtsrechten Organisatoren ist.

Der Salto-Bericht von Lisa-Maria Gasser sorgte für heftige Reaktionen. Besonders schräg die Wortmeldung von Markus Lobis, der Ganser hochlobt: »Ganser kommt mit seiner hochwertigen Stänkerei ganz nahe an einige zentrale Lebenslügen unseres großkapitalistisch und US-hegemonial beherrschten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems heran«. Für Lobis, wahrscheinlich stellvertretend für diese eigenartig verflochtene rot-braune Szene, ist Ganser für die Machthabenden gefährlich und unberechenbar.

Laut Lobis bringt Ganser viele offene Fragen auf den Punkt und holt damit Menschen ab, die sich diese vielen Fragen immer öfter stellen. Seine »Argumentationslinien mit offenen Schlüssen« reichten zumindest teilweise nahe an die Plausibilität heran.

Markus Lobis kann sich seine Sympathie für Ganser nicht verkneifen, demaskiert er doch die »US-Hegemonie«, deren europäischen Handlanger die »Medien kaufen« und deren transatlantische Freundesnetzwerke »unsere Eliten« ausbilden. Das schmeckt nach US-Ostküste, der Begriff steht für das angeblich von Juden dominierte internationale Finanzsystem. Ach Markus Lobis.


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Comentârs

2 responses to “Wer ist Daniele Ganser?
Antisemit, Corona-Widerstandskämpfer und Putinversteher

  1. Markus Lobis avatar
    Markus Lobis

    Wolfi Mayr versteigt sich in seinem Gastbeitrag auf Brennerbasisdemokratie gehörig. Zwangshaft nach jemanden zum Bashen suchend, soll ich diesmal dem Berufskritikrax als Blitzableiter dienen.

    Aber: Wer – so wie Mayr – gut schreiben kann, sollte auch zumindest gleich gut lesen können. Vielleicht holt der wackere Wolfi das noch nach und liest meinen Beitrag ohne vorauseilende Schnappatmung.

    Ich habe eine ziemlich nüchterne Analyse des Phänomens Ganser geschrieben und bin auf Distanz zur eloquenten Plaudertasche aus der Schweiz gegangen, wo ich auch verbleibe. Es stimmt allerdings, dass einige seiner Positionen mit einigen meiner Positionen übereinstimmen: Dieses Schicksal dürfte Ganser allerdings mit einem guten Teil der Weltbevölkerung teilen.

    Und, ja: Ich bekenne mich offen und ohne Umschweife zu meiner kritischen Haltung gegenüber dem mörderischen Großkapital und dem dadurch angetriebenen US-Imperialismus. Seit ich denken kann, bevorzuge ich den europäisch geprägten Humanismus, ethisches Handeln jenseits materieller Interessen, Gemeingut- und Gemeinwohlorientierung, genuin solidarisches Handeln und einen starken und demokratischen und partizipativ organisierten Sozialstaat.

    Für Mayr schmeckt meine Kritik an den transatlantischen Freundesnetzwerken “nach Ostküste” und für ihn ist klar: “der Begriff steht für das angeblich von Juden dominierte internationale Finanzsystem”.

    Abgesehen davon, dass es mir herzlich egal ist, welchen Glaubensbekenntnisses die alten weisen Gurus der zerstörerischen Finanzwelt sind und die Gefahr für die Welt – wennschon – von den US-amerikanischen evangelikalen Kunst- und Kapitaldienstreligionen ausgeht, beziehe ich mich mit dem Begriff vor allem auf Kaderschmieden wie die Atlantikbrücke, die Europas politische Eliten ausbilden und fördern, sofern die jungen und meist männlichen Emporkömminge à la Guttenberg, Merz & Co. in die neoliberale Traumwelt passen.

    Es steht mir natürlich nicht zu, dem großen Journalisten Tipps zu geben, aber vielleicht wäre es trotzdem nicht schlecht, im wohlverdienten Ruhestand ein wenig Hektik aus dem Leben zu nehmen und Texte, die man aufzuspießen gedenkt zuerst zu lesen, dann zwei-drei Mal Luft zu holen, sie noch einmal zu lesen und dann die spitze Feder zu schwingen.

    1. Harald Knoflach avatar
      Harald Knoflach

      Du hast mit deiner Kritik an dem Artikel nicht ganz unrecht, finde ich. Das was Mayr schreibt, kann ich aus deinem Kommentar auf Salto auch nicht herauslesen.

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