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Der Bauernbund regiert trotz Wahlschlappe.

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Der Südtiroler Bauernbund (SBB) ist mächtig. Mit eigenen Vorwahlen stellt er seine Landtagskandidatinnen und Kandidaten auf, für die SVP. Ein Wirtschaftsverband drückt der SVP seine Leute auf. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Herbst lief es aber gar nicht prächtig für den Bauernbund. Die Landesrätin Maria Hochgruber-Kuenzer sowie der Abgeordnete und Regionalassessor Manfred Vallazza wurden nicht mehr gewählt, der Sarner Franz Locher und der Vinschger Josef Noggler verloren empfindlich an Stimmen. Nur der ehemalige Bozner Vizebürgermeister Luis Walcher konnte die Wahlschlappe für das bäuerliche Team etwas ausgleichen.

Die Zahlen belegen, dass das bäuerliche Lager in der SVP an Zustimmung verloren hat. Trotzdem kein Grund für den Bauernbund, leise zu treten. Im Gegenteil, »der Bauernbund will Arno Kompatscher in die Ecke drängen und Luis Walcher zum Landesrat machen«, schreibt weissagend Salto. Der Bauernbund verhinderte erfolgreich, dass Arnold Schuler — auch er büßte schmerzhafte viele Vorzugsstimmen ein — wieder Landesrat für Landwirtschaft wurde. Schuler war, behutsam formuliert, nie der Vollzugsbeamte und nicht der Mann des Bauernbundes.

Laut Salto wollte der vom Landtag wiedergewählte Landeshauptmann Arno Kompatscher nicht nach der Pfeife des Bauernbundes tanzen. Das Tanzen nahm ihm Schuler ab. Er verzichtete angeblich freiwillig auf die Bestätigung als Landesrat für Landwirtschaft.

Taktgeber Bauernbund

Der Bauernbund hat trotz Wahlschlappe nachträglich ordentlich gesiegt. Dieser Wirtschaftsverband agiert wie eine Partei, heißt es im »Heimatroman« der Wochenzeitung ff. Bei der Bildung der Bozner Stadtregierung, frotzelte der Autor vor einigen Monaten, koaliert der Bauernbund mit der SVP. Ein gar nicht so falsches Bild. Und, heißt es im Heimatroman weiter, die SBB-Partei holt sich noch italienische Parteien als Partner hinzu. Die von der ff ironisch formulierte Blaupause wurde bei der Bildung der Landesregierung bittere Realität.

Die SVP holte sich gleich drei rechte Parteien an die Seite, die Freiheitlichen, die Lega und Fratelli d’Italia, offensichtlich die Wunschpartner des Bauernbundes. Dieser stellte schon frühzeitig die politischen Weichen für die SVP, hin zu Fratelli d’Italia. Bauernbund-Größen scharwenzelten hinter Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida (FdI) her. Der Schwager von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI) kündigte drastische Maßnahmen gegen Wolf und Bär an. Dafür wurde er vom Bauernbund umarmt. Die Allianz zwischen SBB, Fratelli und deren Verlautbarungsorgan in Südtirol, dem Athesia-Konzern, war hergestellt.

Zehn zu null für den Bauernbund, Kompatscher durfte umsetzen, was andere vorbereitet hatten. Südtirol, fest in der Hand des Bauernbundes. Davon können die protestierenden deutschen Bäuerinnen und Bauern nur träumen. Diese lehnen sich gegen die rot-grün-gelbe Bundesregierung auf, gegen deren Klima- und Landwirtschaftspolitik, gegen deren Sparpolitik. Inzwischen motzen auch die französischen Bäuerinnen und Bauern gegen die eigene Regierung und besonders gegen die EU-Kommission. Sie lehnen die ständig wachsende Bürokratie ab, die direkt an die Subventionen gekoppelt ist, genauso die Umweltauflagen aus Brüssel, denn »Landwirtschaft ist Umweltschutz«, wie Pkw-Aufkleber verkünden.

Bauernaufstand gegen die EU

In Deutschland und in Frankreich legen die Landwirt:innen ihre Länder lahm, wehren sich gegen die angeblich zu ihren Ungunsten ungerechte Sparpolitik. Die von der Öffentlichkeit angefeindeten Klimakleber könnten von den aufgebrachten Bauern lernen, die erhalten kräftigen Applaus von jenen, die die Klimakleber als Terroristen oder gar als organisierte Kriminelle verteufeln.

Manche bäuerliche Kritik wird zweifelsohne angebracht und begründet sein. Genauso der Vorwurf an die EU, dass sie die Wünsche der Agrarkonzerne umsetze. Fakt ist, dass in Brüssel tausende Lobbyisten der Chemie-, der Lebensmittel- und der Agrarindustrie gekonnt ihre Interessen durchsetzen. Interessen, die wenig mit Kleinbauern und mittelständischen Bauernhöfen zu tun haben. Deren positives Image wird von den Agrarkonzernen missbraucht. Sie dominieren den Markt, diktieren die Regeln, die in Brüssel nicht von einer anonymen Bürokratie umgesetzt werden, sondern von den Politiker:innen aus den EU-Mitgliedsstaaten. Ihre Politik — von den Lobbyisten herbeiantichambriert — führt zum Bauernsterben

Diese Politik wird auch möglich, weil die verschiedenen Bauernverbände in der EU sie auch mitgetragen haben. Die »Großkopfeten« in den Verbänden missbrauchen ungeniert den wirtschaftlichen Überlebenskampf der kleinstrukturierten Landwirtschaft. Auch Südtirol spielt in diesem Theater mit. Der Südtiroler Europaparlamentarier Herbert Dorfmann (SVP), eigentlich Sprachrohr der kleinstrukturierten Landwirtschaft und Mann des Bauernbundes, sucht meist die Nähe zu den Konzern-Lobbyisten, kritisierte die niederländische NGO Corporate Europe Observatory. Sprecherin Nina Holland warf Dorfmann 2021 in der ff und auf Rai Südtirol vor, Fürsprecher der Agrarlobby zu sein — der industrialisierten Landwirtschaft. Nina Holland führt Buch, Dorfmann trifft sich öfters mit den Lobbyisten der Agrarlobby, so ihre Kritik, aber höchst selten mit den NGOs.

Die von den Lobbyisten gestützte Agrarpolitik sorgt für einen regelrechten Subventionsregen, davon profitieren meist — beispielsweise in Deutschland — Agrar– und Lebensmittelkonzerne, das Ranking der Subventionsempfänger ist überraschend. Offensichtlich skandalisiert berichtete auch das konservative Magazin Focus darüber.

Modell Südtirol

Südtirol verstand es in der Vergangenheit, sich im europäischen Verbund in der Agrarpolitik einzurichten. Stichwort Milchkontigentierung: diese Quotenregelung verschaffte der Berglandwirtschaft in Südtirol ein hohes Maß an wirtschaftlicher Sicherheit. Besonders die Südtiroler Landwirtschaftspolitik, die Förderung des »Obenbleibens« der Bergbauern, Straßen, Strom, Wasser, Produktionsgenossenschaften, garantierte lange Sicherheit. Das hatte zweifelsohne mit der Herstellung von Chancengleichheit zu tun, mit der Stützung des ländlichen Raums. Während sich die Wein- und Obstwirtschaft aber auch auf dem internationalen Markt behaupten, bleiben die Produkte der Berglandwirtschaft Nischenprodukte. Nicht markttauglich.

Die Landesregierungen steuerten und steuern dagegen. Inzwischen gibt es den Urlaub auf dem Bauernhof, nicht zum Wohlgefallen des HGV, bauliche Ausnahmebestimmungen, wo andere sich wundern, eine ganze Reihe von Sonderregelungen, wie Thomas Benedikter anmerkte. Laut seinen Berechnungen stammt ein Drittel des Einkommens bäuerlicher Familien aus öffentlichen Subventionen. Die öffentliche Hand betreut laut Benedikter die Landwirtschaft. Die Südtiroler Wirtschaftszeitung präzisiert diese Aussage, für die Landwirtschaft gelten günstige Steuerregeln. Während die Südtiroler Steuerzahler:innen zwei Milliarden Euro an Einkommenssteuern entrichten, entfällt nur ein geringer Teil auf die Bauern, rechnete die SWZ nach. Sie bezahlen weit weniger, als ihr Anteil am BIP (4,1 Prozent) ausmacht.

Und trotzdem in Krise

Trotzdem stellten in den vergangenen zehn Jahren 1.000 Milchbauern ihre Betriebe ein. Tendenz fallend. Unvorstellbar, kommentierte auf kommentierte auf Salto Astrid Tötsch, unvorstellbar deshalb, weil die Milchbauern pro Hektar mehr als 5.000 Euro brutto kassieren. Gleichzeitig empfinden sich viele der milchproduzierenden Höfe am wirtschaftlichen Limit. Am Limit auch, weil diese Bäuerinnen und Bauern nur mehr im Nebenerwerb landwirtschaften, ihren Lebensunterhalt anderswo verdienen. Die Berglandwirtschaft steckt in einer tiefen Krise, gar in einer Sackgasse?

Die Folge der vom vom Bauernbund diktierten Südtiroler Landwirtschaftspolitik? Nicht nur, Bauerbund-Vertreter gestalteten die gesamte Südtirolpolitik. 1967 wird Luis Durnwalder SBB-Direktor, 1973 in den Landtag gewählt, 1989 bis 2014 Landeshauptmann. Vom Bauernbunddirektor zum allmächtigen und erfolgreichen Landeshauptmann, eine Art Personalunion, die aus dem Bauernbund mehr macht als nur ein Vorzimmer zur Macht im Land. Thomas Widmann wird 1991 Bauernbunddirektor. Die Direktion wird zum Sprungbrett in die SVP. Widmann wird SVP-Landessekretär, dann Landesrat, dazwischen Landtags- und Regionalratspräsident. 1997 folgt auf Widmann Herbert Dorfmann als SBB-Direktor, der sich dank der vielköpfigen Kraft des Bauernbundes und seines Umfelds 2009 bei der SVP-Basiswahl um die Europaparlamentskandidatur gegen seinen Konkurrenten Christoph Perathoner durchsetzen kann und seitdem Europaparlamentarier ist. In einer Listenverbindung mit Forza Italia.

Der Bauernbund richtet also nicht nur die Landwirtschaftspolitik aus. Es verwundert deshalb umso mehr, wenn sich Bauernmandatar Franz Locher auch bäuerliche Proteste in Südtirol vorstellen kann. Gegen die eigene Landesregierung, die unter der Fuchtel des Bauernbundes steht? Gegen die italienische Regierung, in der doch die neuen Freunde des Bauernbundes den Ton angeben? Gegen die EU, die jährlich 100 Millionen Euro nach Südtirol schickt? Im Visier der europäischen Bauernbündler ist der Green Deal der EU-Kommission, die Förderung der naturnahen Landwirtschaft, die damit verbundenen Auflagen und Kontrollen, die Renaturierung aufgelassener landwirtschaftlicher Flächen. Angeblich ärgern sich Bäuer:innen über Bürokraten, die sich in ihre Arbeit einmischen. Wollen sie also Subventionen ohne Kontrollen?

Und der Großhandel?

Eigenartig ist, dass nicht gegen den Großhandel protestiert wird, der Preisdrücker landwirtschaftlicher Produkte. Die großen Ketten verscherbeln regelrecht die landwirtschaftlichen Lebensmittel oder kassieren satte Aufschläge, von denen die Bäuer:innen nur träumen können. Südtirols Milchbäuer:innen kritisierten diesen Zustand, warfen ihren Milchhöfen vor, auf die eigenen Kassen zu schauen, nicht auf ihre bäuerlichen Mitglieder. Im vergangenen Jahr versuchten Nebenerwerbsbäuer:innen einen Aufstand, der offensichtlich erfolgreich ausgesessen wurde.

Warum gelingt es der organisierten Bauernschaft, obwohl sie politischer Taktgeber ist, »die Politik« für ihre missliche Lage verantwortlich zu machen? Warum sperrt sich »die Landwirtschaft« gegen Umweltauflagen? Das Schweizer Online-Magazin Infosperber, ein rechtes Alternativmedium, wirft der Landwirtschaft vor, mit ihrem »grossräumigen Glyphosat- und Pestizideinsatz« Wildpflanzen und damit die Insektenvielfalt zu vernichten. Der Einsatz von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln zerstöre das reichhaltige Bodenleben, töte seine Bewohner, wirft Infosperber der Landwirtschaft radikale Umweltverschmutzung vor. 

»Es scheint den Bauernverbänden auch normal, dass Nitratdünger an vielen Orten ins Grundwasser gelangen und es verschmutzen. 304 der insgesamt 1178 Grundwasserkörper weisen eine Nitratbelastung von über 50 Milligramm pro Liter auf. Doch verschärfte Eintragsrichtlinien stießen auf massive Bauernproteste. Die Stickstoffemissionen durch die Landwirtschaft tragen dazu bei, dass auf jedem Hektar Land in Deutschland 50 Kilogramm Stickstoff landen und damit Magerböden und deren großen Artenreichtum gefährden oder vernichten«, kommentiert Infosperber. »Nach den fossilen Brennstoffen ist die traditionelle Landwirtschaft mit 7,5 Prozent ein ebenso großer Emittent von Treibhausgasen wie die gesamte Industrie. Zur Bruttowertschöpfung tragen die Bauern aber nur ein Prozent bei, die verarbeitende Industrie über 20 Prozent.«

Solche Zahlen liegen für Südtirol nicht vor. Ob sie aber sehr viel anders sind? In Mals wehrten sich Bürgerinnen und Bürger gegen die landwirtschaftliche Giftspritzerei. Das nach einer Volksbefragung verfügte Pestizidverbot ist Geschichte, es wurde von Landespolitik und Justiz weggefegt. Landwirtschaft ist Umweltschutz?

Wahlsieger Bauernbund

Landwirtschaft ist in jedem Fall knallharte Politik. Schon 2018 gelang es dem Bauernbund und seinen Verbündeten, Arno Kompatscher eine Koalition mit der rechten Lega aufzudrücken. Die Blaupause für die neue Landesregierung — Kompatscher unterwarf sich schon frühzeitig dem Bauernbund-Diktat, mit den rechtsrechten Fratelli d’Italia eine Allianz zu bilden. Die Rechten und SBB-nahe Gefolgsleute in der SVP gaben auf der historischen Sitzung des Parteiausschusses die Richtung vor, 41 Mitglieder entschieden sich dafür, ihre Partei und Südtirol den Fratelli auszuliefern. Obwohl die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich Liberale für die SVP in den Landtag gewählt und obwohl die italienischen Wählenden gleich viel für rechts und für links gestimmt hatten. Die Machtkartelle haben Kompatscher in die Schranken gewiesen, geschwächt startet er in seine letzte Amtsperiode als Landeshauptmann. Die Wahl des Landtagspräsidenten war ein weiterer Beleg dafür, dass ein Teil des eigenen Teams nicht hinter Kompatscher steht.

Auf einer SVP-Landesversammlung rief Obmann Philipp Achammer die Interessengruppen und Verbände dazu auf, nicht egoistisch die eigenen Ziele durchzudrücken. Genau das ist aber passiert. Die »Freunde im Edelweiß« und ihr potentes Netzwerk mit dem Bauernbund an der Spitze haben sich durchgesetzt. Trotz satter Wahlverluste blieb Kompatscher Vorzugsstimmen-Erster, einige seiner Vertrauten konnten genauso punkten. Ihr Gewicht aber ist in der SVP vernachlässigbar. Nicht der Hund wedelt mit dem Schwanz, der Schwanz wedelt mit dem Hund.


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