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Die Auferstehung der Zentralisten.

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Sie wollen die Regionen und die Autonomien abschaffen

Im Parlament wird die zwischen Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI) ausgehandelte Autonomiereform behandelt. Sie soll die vom Verfassungsgericht beschädigte Autonomie sanieren.

Das Verfassungsgericht kümmert sich wenig um dieses Bemühen, im Gegenteil. In ihrem jüngsten Urteil verbieten die Hüter der italienischen Verfassung dem Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti (Lega) eine dritte Amtszeit. Der Consiglio provinciale des Trentino hatte diese genehmigt.

Das Verfassungsgericht verweist auf die staatsweit geltende Mandatsbeschränkung für Regionalratspräsident:innen. Diese entspricht dem allgemeinen Prinzip der republikanischen Rechtsordnung, argumentierten die Höchstrichter und setzen sich damit über die primären Kompetenzen der autonomen Provinz Trient hinweg. Anders formuliert, wegen allgemeiner republikanischer Prinzipien kann die Autonomie ausgehebelt werden.

Im Kampf gegen die Regionen

Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Senator Carlo Calenda von der Partei Azione, der sich irrlichternd in der Parteienlandschaft bewegt. Einst in der linken Mitte unterwegs, heute gilt er als möglicher Partner von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den rechtsrechten Fratelli d’Italia.

In einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera rechnet Calenda mit dem Regionalstaat ab. Er findet es unerträglich, dass Regionen Außenpolitik betreiben wollen und sich Statute gegeben haben, die nicht begründet und verteidigt werden können. Calenda ist für einen drastischen Rück- und Abbau regionaler Autonomien.

Calenda plädiert für die buchenstabengetreue Umsetzung des Artikels 120 der Verfassung, vereinfacht formuliert, die Regionen haben sich der »nationalen Einheit« vollinhaltlich zu unterwerfen.

Calenda nennt die Regionen parasitär, korrupt, klientelistisch. In den Regionen herrsche ein neuer Feudalismus, gesponsert mit Steuergeldern. Diese angebliche Degeneration müsse gestoppt werden. Wohl eine Attacke gegen die autonomia differenziata von Regionenminister Roberto Calderoli (Lega), der damit bereits beim Verfassungsgericht gescheitert ist.

Feindbild »autonomia differenziata«

Calenda ist nicht allein in seinem Kampf gegen den Regionalstaat. In ihrem Buch Servono ancora le regioni? kommen Isaia Sales und Pietro Spirito zum Schluss, dass die Regionen nicht mehr gebraucht werden. Das regionale System habe versagt, der Zentralismus brachte Fortschritt und Wohlstand. Sie empfehlen die Abschaffung der Regionen. Offensichtlich bezog Calenda seine Überlegungen aus diesem Buch.

Sales disqualifiziert die »differenzierte Autonomie« als eine verkappte »Sezession der Reichen«, als »einen hinterhältigen Separatismus«. Er spricht von einer »kalten Sezession« und sieht im Calerdoli-Gesetz den schwerwiegenden Versuch, die Nation zu zerstören. Die von Calderoli angepeilte Autonomie würde die katalanische Selbstverwaltung und die Hoheit der deutschen Bundesländer weit übertreffen. Eine maßlose Übertreibung, keine nüchterne Analyse der Fakten.

Sales und Spirito gehen aber noch weiter, die autonomia differenziata ist für sie gleichbedeutend mit der »Konstitutionalisierung territorialer Unterschiede und sozialer Ungleichheiten«.

Diese angebliche gefährliche Entwicklung für die nationale Einheit ist die Folge einer Zusammenschau der Lega mit der Linken. Die beiden Autoren werfen der Linken vor, mit ihren Autonomieplänen der »Sezession« Tür und Tor geöffnet zu haben. Lobend erwähnen Sales und Spirito PD-Chefin Elly Schlein, die auf Zentralismus setzt, sich gegen die Autonomie wendet.

Eine besondere Verantwortung für diesen hyperregionalistischen Drive — Zitat Sales und Spirito — trage der ehemalige Vorsitzende des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano, Giorgio Almirante. Er versuchte 1970 mit einer zehnstündigen Rede im Parlament das Gesetz zur Regionalisierung zu verhindern und wurde damit aber ein regionalistischer Brandbeschleuniger. Für Almirante waren die Regionen gleichbedeutend mit Klientelismus und »dauerhaft eine Gefahr für die Einheit der Nation«.

Hyperregionalistisch mutet mehr als seltsam an. Der strikte Zentralstaat hegt nämlich mit seinem Instrument »nationales Interesse« den angeblichen Regionalstaat drastisch ein.

Sales und Spirito als Verfechter des reinen Zentralstaates erinnern Ministerpräsidentin Meloni daran, dass sie 2014 die Abschaffung des Verfassungsartikels 116 empfahl. Dieser ermöglicht die ach so gefährliche autonomia differenziata. Im gleichen Jahr warben die Fratelli d’Italia für die Abschaffung der Regionen. 2015 stellten die Rechtsrechten fest, dass der Regionalismus gescheitert sei, weil er nur Korruption und Bürokratie fördere. 2017 wandten sich die Fratelli gegen ein Referendum für mehr Autonomie für die Lombardei.

Verfassungsauftrag Regionalstaat

Italienische Politiker — rechte wie linke — gebärden sich immer als Kostitutionalisten, als kompromisslose Verteidiger der Verfassung. In diesem Fall kümmert es sie aber kaum, dass Artikel 5 der Verfassung aus dem Jahr 1948 die Regionen vorsieht. Die Regionen mit Normalstatut — erst 1970 realisiert — wurden 2001 mit einer Verfassungsreform gehörig aufgewertet, für Sales und Spirito ein großer Fehler.

Diesen angeblichen Fehler wollte 2016 Ministerpräsident Matteo Renzi aufheben. Mit seiner Reform der Verfassung plante er die Entregionalisierung des italienischen Regionalstaates. Die Bürger:innen lehnten die Zentralisierung aber ab, Renzi trat zurück. Ironischerweise stimmte in Südtirol eine Mehrheit der Wähler:innenschaft für die Zerschlagung des Regionalstaates.

Zehn Jahre zuvor scheiterte eine von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi initiierte Verfassungsreform, die aber — das Gegenstück zu Renzi — die Regionen aufwerten und stärken sollte. Die angestrebte Spaltung des Landes sei gescheitert, kommentierten die Reformgegner euphorisch die Abstimmung. Es lebe der Zentralstaat!

Weg mit den Sonderautonomien!

Der Corriere della Sera hatte in seiner Berichterstattung nicht nur die Regionen mit Normalstatut im Visier. Auch die Regionen mit Sonderstatuten, also die autonomen Regionen und Provinzen. Ob diese im italienischen System noch sinnvoll sind, fragte der Corriere den Verfassungsrechtler Francesco Clementi. Wie nicht anders zu erwarten, sagte dieser klar und deutlich: »Die internationalen Gründe für ihre Gründung sind längst gefallen, das ganze System muss neu diskutiert werden.«

Clementi wird wohl den österreich-italienischen Pariser Vertrag von 1946 meinen, also das Gruber-De Gasperi-Abkommen, die internationale Grundlage der Südtirolautonomie. Oder den jugoslawisch-italienischen Vertrag von Osimo 1975, mit dem endgültig der Grenzverlauf um Triest definiert wurde. Festgeschrieben wurden darin auch die Rechte der italienischen Minderheit des 1945 jugoslawisch gewordenen Istrien und der slowenischen Minderheit in Italien.

Der Vertrag von Osimo bestätigte das 1954 unterzeichnete Londoner Memorandum zwischen den USA, Großbritannien, Italien und Jugoslawien. 1963 erhielt Friaul-Julisch-Venetien — mit dem Memorandum im Hintergrund — die regionale Autonomie.

Gleich drei Verträge, die keine Gültigkeit mehr haben? Clementi agiert wie US-Präsident Donald Trump, was kümmern mich bilaterale und international vereinbarte Abkommen von gestern.

Mit Verfassungsgesetzen erhielten Südtirol und Trentino, Friaul-Julisch-Venetien, Aosta, Sardinien und Sizilien ihre regionalen Autonomien. Die Regionen mit Sonderstatuten gibt es auf Grundlage internationaler Verträge und entsprechender Verfassungsgesetze. Egal, meint Verfassungsrechtler Clementi, das ganze System muss neu diskutiert werden. Heißt das, er empfiehlt der Regierung Meloni, diese Verträge einseitig aufzukündigen? Der Pariser Vertrag, das Memorandum von London und der Vertrag von Osimo, nicht mehr als drei Stücke Papier?

Gute Nacht Autonomie

Realistisch ist die Abschaffung der Regionen nicht. Sales, Spirito und Clementi fordern stattdessen eine Reform der verschiedenen Regionalreformen. Als einen ersten Schritt nennen sie die Entregionalisierung des Gesundheitswesens, das wieder ausschließlich staatlich werden müsste. Ihre Begründung, Covid verdeutlichte unmissverständlich, dass eine Pandemie nur zentral erfolgreich bekämpft werden könne.

Spirito ergänzt, viele weitere Funktionen müssten an den Zentralstaat zurückgegeben werden. Zum Beispiel die berufliche Ausbildung. Das regionenfeindliche Trio Clementi, Sales und Spirito gibt sich bedeckt, Senator Calenda bekennt sich hingegen im Corriere-Interview zum »staatlichen Autoritarismus«. Halte sich eine Region nicht an staatliche Vorgaben, solle sie unter kommissarische Verwaltung gestellt werden. Ironisch fügt er an, einer ordentlich verwalteten Region bleibt der Kommissar erspart. Das sei eine besondere Form der autonomia differenziata. Calenda bekennt sich zur Suprematie des nationalen Interesses.

Der Senator ist so »stuff« vom regionalen Klientelismus, dass seine Liste an keinen regionalen Wahlen mehr teilnimmt. Eine leichte Entscheidung, die Wahlergebnisse für Azione in den Regionen sind mehr als bescheiden. Möglicherweise lehnt Calenda auch deshalb den Regionalstaat ab.

Das mag nach Sturm im Wasserglas klingen, ist es aber nicht. Wenn sich die Verfassungsrichter in die regionale Wahlordnung — immerhin primäre Kompetenz — einmischen und sie wegen fehlenden Einklangs mit Staatsgesetzen aussetzen können, ja »dann gute Nacht Autonomie«, warnte Ex-Senator Karl Zeller (SVP) in der Neuen Südtiroler Tageszeitung.


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