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Q&A mit Thomas Benedikter.
POLITiS-Interview

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Thomas Benedikter hat mich anlässlich des Südtirolkonvents im Rahmen eines Projekts über die Themen »Autonomieausbau« und »Selbstbestimmung« interviewt. Da ich den Fragenkatalog sehr interessant finde und er die Gelegenheit bietet, wichtige Teile der -Position auf eine grundsätzliche Weise auszuformulieren, möchte ich hier einiges davon wiedergeben.

  1. [Thomas Benedikter:] Du hast 2008 auf geschrieben: »Nicht nur sehe ich im Ausbau der Autonomie eine Wegbereitung für die Loslösung von Italien, sondern auch im anzubahnenden sprachgruppenübergreifenden Prozess, der zum ‘vorläufgen’ Ziel führen soll, ein enormes einendes Potenzial.« Ist somit der Ausbau der Autonomie ein ganz unvermeidlicher Zwischenschritt, bevor über weitergehende Schritte überhaupt real politisch diskutiert wird? Siehe Beispiel Katalonien.

    Der Autonomieausbau ist ein wichtiger, aber trotzdem kein zwingender Zwischenschritt. Auch das zeigt Katalonien: Dort hatte das Landesparlament 2006 einen wesentlichen Ausbau der Befugnisse gefordert, doch der Zentralstaat hat diesen legitimen Wunsch in zentralen Punkten abgelehnt. Der jetzige Unabhängigkeitsprozess — oder zumindest seine Beschleunigung — lässt sich großteils mit einem nicht erfolgten Autonomieausbau erklären.

  2. Wie beurteilst du den Boykott des Südtirolkonvents durch die »deutsche Opposition«? Das Thema Selbstbestimmung steht im Konvent nicht zur Debatte, doch Grundrechte der Minderheiten und viele andere Politikfelder müssen ja möglichst gerecht geregelt werden. Riskiert der Konvent von vornherein von diesem Teil der Südtiroler Wählerschaft abgelehnt zu werden?

    Jene Parteien, die den Konvent boykottieren, tragen eine große Verantwortung, denn der Konvent wird eine wichtige Möglichkeit der Mitsprache und somit der Willensbekundung sein. Es ist meines Erachtens ein Missverständnis, dass die regierenden Parteien wesentliche Forderungen einfach vom Tisch wischen können. Sie können zwar möglicherweise verhindern, dass sie Eingang in den Entwurf für ein neues Autonomiestatut finden, aber nicht, dass sie eine politische Wirkung entfachen. Die Oppositionsparteien sollten sich einbringen und ihren Widerstand sinnvollerweise auf einen möglichen Autonomieentwurf konzentrieren, der dem Konvent nicht angemessen Rechnung trägt. Andernfalls werden ihre Forderungen unter den Tisch fallen.

  3. Wesentlich für Fortschritte im Ausbau der Autonomie ist die Zustimmung der Mehrheit der italienischen Sprachgruppe und ihrer politischen Vertreter: Wie kann es gelingen einen wesentlichen Anteil der italienischen Sprachgruppe heute für einen Autonomieausbau zu gewinnen?

    Ich weiß nicht, ob die Zustimmung der Mehrheit einer jeden Sprachgruppe tatsächlich erforderlich ist — aus rechtlicher Sicht ja nicht. Wichtig wird aber sein, den Konsens zu suchen und dass ein etwaiger Autonomieausbau deutlich macht, dass er zum Wohle aller hier lebenden Menschen angestrebt und umgesetzt wird. Zumindest in der POLITiS-Umfrage haben sich auch die Teilnehmer italienischer Muttersprache für einen dezidierten Ausbau der Zuständigkeiten ausgesprochen — und repräsentative Astat-Umfragen zeigen immerhin eine hohe Zufriedenheit mit der Landesverwaltung.

  4. Soll in einem zukünftigen Statut die Möglichkeit einer Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirol verankert werden? Beim Stand der Dinge wäre sie verfassungswidrig. Wie ist das lösbar?

    Änderungen der Rechtslage gehen stets politische Forderungen voran. Meiner Meinung nach gehört die demokratische Selbstbestimmung unbedingt in ein modernes Autonomiestatut, es wird also drauf ankommen, dass Südtirol (BürgerInnen, Konvent, politische Vertreter…) diese Forderung artikuliert und mit Rom in politische Verhandlungen darüber eintritt.

  5. Zweisprachige Schule und Immersionsunterricht (CLIL): In einer differenzierten Auseinandersetzung 2008 plädierst du für eine »asymmetrische Gesamtlösung nach katalanischem Vorbild«. Was bedeutet dies konkret? Soll der Artikel 19 so abgeändert werden, dass mehrsprachige Schulen ermöglicht werden? Wenn nicht, warum nicht?

    Für eine solche Lösung wäre die Abänderung von Artikel 19 erforderlich, jedoch nicht hinreichend, denn die asymmetrische Gesamtlösung bedarf, wie die Bezeichnung schon sagt, einer ganzen Reihe gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen. Aufgrund der nicht gerade positiven Erfahrungen mit dem Zentralstaat bei der Umsetzung des Autonomiestatuts, etwa in Hinblick auf die Zweisprachigkeit, bin ich jedoch zunehmend skeptisch, ob ein derart umfassendes Projekt in Italien umsetzbar wäre.

  6. Wo gibt es die größten Mängel in der Umsetzung der Pflicht zur Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst? In der POLITiS-Umfrage von 2014 werden vor allem Gericht, Krankenhaus Bozen, Gemeinde Bozen, öffentlicher Nahverkehr und alle Telefonanbieter genannt. Wo kann hier im Autonomiestatut oder bei den Durchführungsbestimmungen angesetzt werden? Wie steht es mit der Erfüllung der im Statut festgehaltenen Pflicht zur Zweisprachigkeit?

    Die Zweisprachigkeitspflicht wurde bis heute, über 40 Jahre nach Verabschiedung des zweiten Autonomiestatuts, nicht zufriedenstellend umgesetzt und erfüllt. Das Astat-Sprachbarometer von 2014 zeigt sogar eine besorgniserregende Verschlechterung im Vergleich zu 2004, ohne dass die Landesregierung bislang einen Handlungsbedarf angemeldet hätte. Zusätzlich zu den bereits von POLITIS ermittelten Bereichen hakt es meines Wissens vor allem bei Post und Polizei.

  7. Beipackzettel für Pharmaka: In der Schweiz sind sie dreisprachig. In Südtirol nach wie vor meist einsprachig, doch auf Verlangen wird ein Infoblatt vom Apotheker ausgedruckt. Haben hier Politik und Justiz in ihren Aufsichtsfunktionen versagt?

    Hier hat die Politik vor den Pharmakonzernen kapituliert und einen Teil unserer Autonomie »verkauft«. Dass die Schweiz für die 350.000 Einwohner zählende italienische Schweiz und Finnland für die 250.000 zählende schwedische Minderheit imstande sind, dieses Recht zu garantieren, macht das Versagen unserer Autonomie offensichtlich. Sogar in der Ukraine sind Packungsbeilagen in der Regel zweisprachig.

  8. Toponomastik: Welche kulturpolitisch überzeugende, bessere Lösung als die heutige Regelung der Pflicht zur Zweisprachigkeit der Ortsnamen?

    Es gibt viele Lösungsmöglichkeiten: die historisch-wissenschaftliche, die Prozentlösung, die basisdemokratische. Ich persönlich würde es befürworten, die Zuständigkeit wie in Graubünden an die Gemeinden zu übertragen, gerne auch mit Schutzklauseln zugunsten der jeweils kleineren Sprachgemeinschaften auf kommunaler Ebene.
    Entscheidend ist für mich aber, dass der Südtiroler Landtag bereits eine Lösung gefunden hat. Sie ist für mich zwar nicht ganz befriedigend, doch es ist bislang die einzige demokratisch legitimierte. Dass der Zentralstaat dieses Gesetz angefochten hat, obschon die primäre Gesetzgebungsbefugnis beim Land liegt und das Thema unzweifelhaft nur Südtirol betrifft, ist ein Affront und spricht m.E. Bände über das restriktive Autonomieverständnis des Staates. Vergessen wir nicht, dass nach heutiger Rechtslage nur die Namensliste von Ettore Tolomei offiziell ist.

  9. Produktetiketten: Wie könnte die Pflicht für Privatunternehmen eingeführt werden, dreisprachige Etiketten auf den Produkten zu platzieren? Zweisprachigkeit ist in der privaten Wirtschaft in Südtirol bislang keine Pflicht.

    Das ist ein massives Versäumnis unserer Autonomie bzw. des Landtags; die Handelskammer ist der Meinung, dass in Anbetracht von Artikel 99 Autonomiestatut nur ein Landesgesetz nötig wäre, das die Gleichberechtigung von Deutsch und Italienisch im Konsumentenschutz ausdrücklich festhält. Obwohl der HK-Präsident dies in einem Brief an alle Landtagsabgeordneten deutlich gemacht hat, wurde dies bis heute nicht umgesetzt. In einem überarbeiteten Autonomiestatut müsste das unbedingt Platz finden; für die Etikettierung auf Ladinisch könnte ich mir zudem die Gewährung von Förderungen vorstellen.

  10. In welchen Bereichen könnten deiner Meinung nach die autonomen Zuständigkeiten des Landes erweitert werden? Gerichtsbarkeit, öffentlicher Rundfunk/TV und Transportwesen sowie Post… auch Polizei?

    Nachdem ich die Schaffung eines unabhängigen Staates befürworte, glaube ich auch, dass Südtirol bereit wäre für die Übernahme möglichst vieler Zuständigkeiten im Rahmen der Autonomie.

  11. hat 2006 eine Kampagne für eine selbstständige und funktionierende Landespost lanciert. Was ist daraus geworden? Hat die Landesregierung formell Anspruch auf eine autonome Südtiroler Post erhoben?

    Ob dies mit etwas zu tun hat, weiß ich nicht — aber schon Alt-Landeshauptmann Durnwalder hatte während seiner Amtszeit diese Forderung erhoben. Geworden ist daraus nichts, nicht einmal unbefriedigende Kompromisse wie die Übernahme des Personals oder die Finanzierung des Postdienstes in Südtirol konnten bislang umgesetzt werden.

  12. Privatrecht und Zivilrecht ist in Italien Staatssache. Katalonien hat allerdings auch in diesem Bereich Zuständigkeiten. Könntest du dir eine solche Aufteilung der Zuständigkeiten auch für Italien und Südtirol vorstellen?

    Alles, was die Gesetzgebung und die Verwaltung näher an die Menschen in Südtirol bringt, ist meiner Meinung nach vorstellbar und wünschenswert. Ich denke, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel auch bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen, eigene Akzente setzen könnten. In Südtirol ist die Debatte zu solchen Themen derzeit großteils »ausgeschaltet«, weil wir wissen, dass wir kaum mitreden können, wenn das auf staatlicher Ebene geregelt wird. So gesehen ist mehr Autonomie auch für die gesellschaftliche Diskussion und somit für deren Fortentwicklung förderlich.

  13. Soll eine Autonome Region Südtirol oder das Land mit verstärkter Autonomie auch zuständig für die Kontrolle der Migration werden, wie es die deutsche Opposition fordert? Wie kann eine derartige Kontrolle mit dem EU-Recht auf Freizügigkeit vereinbar sein?

    Ich glaube, dass bei derart wichtigen Themen von globaler Bedeutung eine europäische Lösung gefunden werden muss, die dann auf lokaler Ebene einer praktikablen Umsetzung bedarf. Somit plädiere ich in solchen und ähnlichen Bereichen für einen »euroregionalen« Ansatz: Die Grundregeln werden auf EU-Ebene definiert, die Details der Umsetzung in den Regionen geregelt.

  14. Macht eine autonome Landespolizei nach dem Muster der »Mossos d’Esquadra« (Katalonien) oder der »Ertzaintza« (Baskenland) in Spanien Sinn?

    Eine Autonomie ohne Polizei hat meiner Meinung nach diesen Namen gar nicht verdient. Weltweit gehören Polizeiaufgaben, selbst in vielen nicht autonomen Gebieten, in die regionale Befugnis. Hierzulande kommt dazu, dass Südtirol im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet Besonderheiten aufweist, die einer Berücksichtigung bedürfen — vor allem, aber nicht nur die Mehrsprachigkeit.

  15. Im Sport ist Südtirol in die nationalen Sportverbände, meist bei Carabinieri oder sonstige Heereseinheiten, eingeordnet. Kann Südtirol nach dem Muster von Katalonien, Baskenland und Galizien, Wales, Schottland usw. auch hier eine eigenständige Vertretung erhalten? Das heißt: Soll das gefordert werden?

    Südtirol hat in Vergangenheit viel zu wenig getan, um in diesem Bereich mehr Autonomie zu erhalten. Die erwähnten Beispiele, aber auch die Färöer-Inseln oder Gibraltar zeigen, dass man nicht notwendigerweise ein unabhängiger Staat sein muss, um eigene Sportverbände und -mannschaften zu gründen. Das wäre nicht nur eine Möglichkeit, um Staatlichkeit weniger attraktiv zu machen, als sie noch heute ist, sondern für Südtirol eine Chance, im Sport mehr Unabhängigkeit von nationalstaatlichen Loyalitäten und somit die Förderung von gesellschaftlicher Kohäsion zu erreichen.

  16. In welchen weiteren Bereichen könnten die autonomen Zuständigkeiten des Landes sofort erweitert werden?

    Ich bin der Meinung, dass eine zeitgemäße Autonomie auf eine Definition weniger Kernkompetenzen hinauslaufen sollte, die dem Staat zu überlassen sind. Die Außenpolitik sollte dabei wenigstens zu einer konkurrierenden Zuständigkeit werden. Zudem ist an eine Demilitarisierung Südtirols zu denken.

  17. Vermutlich will eine Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung den Proporz beibehalten. Wenn man als Hauptkriterium Sprachkenntnis und Fachqualifikation betrachtet, könnte man ein anderes System zum Zugang zum öffentlichen Dienst einführen?

    Eine strenge Verpflichtung zur Mehrsprachigkeit sowie eine periodische Überprüfung der Sprachkenntnisse könnten den Proporz überflüssig machen.

  18. Wenn der Proporz entfällt, würde auch die Sprachgruppenerklärung definitiv entfallen? Südtirol würde demnach wie Katalonien auf eine persönliche Erfassung zu einer Sprachgruppe verzichten: Wozu führt dies im Gesamtkonzept zum Schutz der Minderheiten?

    Auch in Katalonien werden Muttersprache und Sprachkenntnisse statistisch erhoben, dann allerdings anonym, so wie hierzulande im Rahmen des »Sprachbarometers«. Eine effiziente Sprachpolitik in einem mehrsprachigen Land kann darauf nicht verzichten. Die heutige Sprachgruppenerklärung wirkt hingegen eher verzerrend, da die Zuordnung zu einer Gruppe noch nicht viel über die tatsächlichen Sprachkenntnisse aussagt.

  19. Welchen Sinn macht die doppelte Staatsbürgerschaft?

    Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eine Lösung, die sich noch innerhalb der nationalstaatlichen Logik bewegt. Natürlich wäre eher eine europäische Staatsbürgerschaft erstrebenswert, doch darauf haben wir zu wenig Einfluss. Ich glaube, dass die österreichische Staatsbürgerschaft weder eine endgültige Lösung, noch ein allzu großes Problem darstellen würde. Wer sie mit der Befürchtung einer zweiten Option verknüpft, hat wohl die Tragweite der Option nicht verstanden.

  20. Wie soll sich die Institution Region ändern? Abschaffen, weiter aushöhlen, aufwerten, so wie es die Trentiner gerne hätten?

    Die meisten SüdtirolerInnen können sich mit der Region wohl nicht identifizieren, und die TrentinerInnen sehen darin vielmehr den Rettungsanker ihrer Autonomie. Ich glaube, dass unsere südlichen Nachbarn für eine Abnabelung bereit wären und die Region durch die Europaregion ersetzt werden sollte.

  21. Eine Schaltstelle der Umsetzung jeder Autonomiereform sind die Paritätischen Kommissionen. Die 6er-Kommission wird immer von der Mehrheitspartei in Bozen und Rom nominiert, sie ist also demokratisch nicht repräsentativ.

    Diese Kommissionen sind völlig anachronistisch und sollten meiner Meinung nach abgeschafft bzw. durch demokratisch legitimierte Gremien ersetzt werden. Bezüglich Umsetzung ist zu sagen, dass nach einer etwaigen Autonomiereform so lange Umsetzungszeiten wie beim Statut von 1972 inakzeptabel wären.

  22. Demokratische Beteiligung: Wie kann der Landtag im Rahmen des Autonomiestatuts gestärkt werden? Wie die ethnische Konkordanzdemokratie, also die Vertretungsrechte der stärksten politischen Gruppen aller Sprachgruppen in der Landesregierung?

    Einem vielfältigen Land wie dem unseren steht ein starker Parlamentarismus gut. Dies kann, muss aber nicht notwendigerweise direkt in der Landesverfassung geregelt werden. Wichtiger wäre meines Erachtens ein neues Wahlgesetz, das die Identifikation der Wahlbevölkerung mit den Gewählten verbessert, etwa mit der Möglichkeit des Panaschierens und Kumulierens. Damit der Landtag wieder mehr eigene Gesetze verabschiedet und nicht nur die der Landesregierung abnickt, muss die Infrastruktur — einschließlich geeigneten Personals — vorhanden sein. Und nicht zuletzt muss die Verantwortung der Landesregierung gegenüber dem Parlament verstärkt werden.
    Die Konkordanzdemokratie ist ein gutes Modell, dem ich viel abgewinnen kann — doch letztendlich geht es dabei um eine Frage der politischen Kultur. In der Schweiz, der Heimat der Konkordanz, ist diese Regierungsform nicht gesetzlich geregelt. Vielleicht sollte man sich aber für die Einführung des Kollegialitätsprinzips starkmachen.

  23. Bei welchen Rechten siehst du heute die Ladiner im Rahmen des Autonomiestatuts diskriminiert? Siehst du Möglichkeiten, die Buchensteiner Gemeinden, die sich für eine Angliederung an Südtirol ausgesprochen haben, im Rahmen des Autonomiestatuts zu berücksichtigen?

    Die Ladiner werden im Autonomiestatut nur als Anhängsel der deutschen Minderheit behandelt, was auch damit zusammenhängt, dass sie im Pariser Vertrag gar nicht erwähnt wurden. Ein neues oder überarbeitetes Statut muss die Ladiner als die kleinste und schutzbedürftigste Sprachgemeinschaft anerkennen und jegliche Diskriminierung beseitigen. Dass ein Ladiner aufgrund seiner Sprachgruppenzugehörigkeit gewisse Ämter gar nicht bekleiden darf, ist inakzeptabel — Minderheitenschutz darf niemals zu einer Benachteiligung werden.
    Dem demokratischen Wunsch der LadinerInnen von Souramont sollte meiner Meinung nach im neuen Autonomiestatut schon Rechnung getragen werden.

  24. Finanzregelung und Sicherheitspakt von 2014: Südtirol muss auf Dauer zur Sanierung der Staatsfinanzen beitragen. Derzeit beträgt die Beteiligung des Landes am lokalen Steueraufkommen von rund 8/10. Ist das ausreichend?

    Über Zahlen möchte ich nicht sprechen. Für mich ist das Prinzip der Solidarität, aber auch der Steuerhoheit ausschlaggebend, wobei ein Finanzausgleich klaren Regeln zu unterliegen hat. Diese Voraussetzungen sind heute in Italien nicht gegeben: Der Zentralstaat mischt sich ein, wo und wie wir in Südtirol sparen müssen. Das muss uns aber selbst überlassen werden. Darüberhinaus macht Rom keine ernstzunehmenden Anstrengungen, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Unser Beitrag ist also nicht zielführend. Deshalb plädiere ich für einen europaweiten regionalen Finanzausgleich mit klaren Zielen und Verantwortlichkeiten.

  25. Welche Form der Finanzhoheit schwebt dir vor? Auch autonome Regionen müssen zur Staatsfinanzierung beitragen, in Bundesländern genauso wie in Spanien. Ist Südtirol nicht als finanziell gleich verpflichteter Teil Italiens zu betrachten?

    Südtirol muss seine Einnahmen und Ausgaben völlig unabhängig vom restlichen Staat regeln können. Im Rahmen einer Autonomie wären ein angemessener Beitrag zu den Ausgaben des Staates sowie ein Beitrag zum Finanzausgleich akzeptabel. Letzteres aber nur mit klaren Regeln und einem periodischen Mitspracherecht auf Augenhöhe, um Verschwendungen zu vermeiden. Interregionale und internationale Solidarität sind unbedingt erforderlich, aber ohne Zielvorgaben kann sich ihre Wirkung ins Gegenteil verkehren.

  26. Die interregionale Zusammenarbeit im Rahmen der Euregio: Die Hälfte der Teilnehmer bei der Umfrage von POLITiS 2014 sprach sich für die Euregio als Ersatz für die Region aus. Doch wie wäre sowas verfassungsrechtlich zu bewerkstelligen?

    Dafür wären innovative Lösungen vonnöten, etwa eine teilweise Abtretung von Souveränität. Bei Italien, das derzeit wieder eine drastische Zentralisierungswelle erlebt, bin ich diesbezüglich ziemlich pessimistisch. Bislang konnte sich der Staat nicht einmal zur Ratifizierung der Zusatzprotokolle zum Madrider Abkommen durchringen, die wenigstens eine Vertiefung der Zusammenarbeit in der Euregio gestatten würden.



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Comentârs

10 responses to “Q&A mit Thomas Benedikter.
POLITiS-Interview

  1. Tirola Bua avatar
    Tirola Bua

    Mir gefällt immer sehr gut, wie selbsternannte “Linke” immer die Verantwortung und den Handlungsbedarf bei “Europa” suchen wollen.

    Was “Europa” in den letzten Jahren angerichtet hat, sucht seines Gleichen.

    Und als Folge wollen dann die “Linken” noch mehr Zuständigkeiten “Europa” geben, in der Hoffnung, dass sich etwas ändert.

    1. hunter avatar
      hunter

      da schau her. ich hab “seines gleichen” gefunden. und zwar das, was europa vor beginn der europäischen integration angerichtet hat: zwei weltkriege (ausgehend von “deutschen landen”) mit rund 90 millionen toten, kolonialisierung mit ungefähr ebensovielen toten.

      ich glaube, das lässt die eine oder andere aberwitzige eu-verordnung und (nicht)-entscheidung in einem etwas anderen licht erscheinen.

      wie sagte bruno kreisky einst so schön: “lernen sie geschichte!”

      1. Tirola Bua avatar
        Tirola Bua

        Dann gibt es also ohne EU wieder Krieg in Europa?

        Bist Du vielleicht Hellseher?

      2. ProEuregio avatar
        ProEuregio

        … heute würde Kreisky noch ergänzen: … lernen sie deutsch! Und zwar an uns alle gewandt, – an uns deutsch-Muttersprachliche die wir uns mit Übersetzungen begnügen ohne den Wortsinn zu erkennen und an unsere italienischen Mitbürger (lingua franca) … , – die Ladiner werden einmal was Sprachfertigkeit anbelangt, “die Ersten sein” (ganz nebenbei bemerkt).
        Mit “Selbstbestimmung” ist nichts anderes gemeint als das gerade modisch oft gebrauchte Wort “selbstbestimmt” zu leben u. Ä. … auch anzuwenden!
        Nach bald hundert Jahren ist es wohl an der Zeit, in einem Gemeinwesen Land-Südtirol laut darüber nachzudenken wie seine Zukunft aussehen und gestaltet werden soll (!) ?
        Mit Gemeinwesen meine ich ALLE die guten Willens sind und bereit sind, im Miteinander Verantwortung dafür zu übernehmen – ohne (!) Bevormundung irgendeiner Nation!
        Und bei EUROPA bitte auseinander halten: – die Idee, oder – die Summe aller Nationalen Egoismen (von gerade derzeit) ! !

      3. hunter avatar
        hunter

        nicht notwendigerweise. wenngleich ich schon glaube, dass der integrationsprozess in europa vor allem auch eine leistung für den frieden auf dem kontinent war und ist.

        wenn wir wieder in unser nationalistisches kleindenken zurückfallen ist zumindest ein größere chance auf konflikt (muss nicht gleich krieg sein) gegeben, wie wenn wir unsere geschicke gemeinsam in die hand nehmen. vor allem auch angesichts der globalen konkurrenz und entwicklungen.

      4. Tirola Bua avatar
        Tirola Bua

        @ProEuregio

        Und was ist, wenn die Mehrheit die Idee ablehnt und den Egoismus bevorzugt?

      5. hunter avatar
        hunter

        Und bei EUROPA bitte auseinander halten: – die Idee, oder – die Summe aller Nationalen Egoismen (von gerade derzeit) ! !

        genau euregio. das ist der kernsatz.
        die vertreter der nationalstaaten und mitunter auch ein beachtlicher teil der wählerschaft unternehmen alles, damit die europäische idee nicht in die gänge kommt. und sind dann die ersten, die sich darüber echauffieren, dass die europäische union nicht so funktioniert, wie es sein sollte. ein metzger ist ja auch selten vorsitzender eines veganervereins.

      6. Steffl avatar
        Steffl

        Ich habe den Eindruck, dass in der EU-Frage sowohl die “Linken” wie auch die “Rechten” (zum Glück kann man nicht jeden in ein Korsett zwingen, dann kann er sich aussuchen wer wann etwas gutes bringt) etwas falsch verstehen. Es wird doch der größte EU-Optimist verstanden haben, dass die EU eben nicht das vielzitierte “Europa der Regionen” sein soll. Das würden wir hier sicher alle ausnahmslos befürworten. Wenn man sich die politische Realität in Europa anschaut, kann man aber auch nicht behaupten, dass die sog. Nationalstaaten die Schuld an der derzeitigen Misere tragen. Die Hauptverantwortung für diese Krise tragen die Finanzinstitute und das Geldsystem, das spätestens seit dem Nixon-Schock von 1971 außer Kontrolle ist und mit dem “Geld-aus-dem-Nichts” Staatsschulden in Billionenhöhe möglich gemacht hat.
        Weiters passiert mit der EU das komplette Gegenteil von dem, was die meisten Südtiroler ja schon lange anstreben. Anstatt alles in noch kleinere Einheiten aufzuteilen (eben die Regionen) und dem Staat (Rom im Südtiroler Beispiel) den Zentralismus abzuringen, wird alles in eine größere Einheit (Brüssel und der EU-Moloch) verwandelt, die komplett von den USA abhängt und praktisch nur dem Regeln des sog. freien Marktes folgt. Mit Lobbyismus, Abbau von Demokratie und Machtentfaltung für Großkonzerne. Wenn das die EU sein soll die wir alle wollten, dann Gute Nacht Südtirol und Europa.

  2. @schierhangl avatar
    @schierhangl

    Die Toponomastikfrage auf Gemeindeebene zu lösen ist eine geniale Idee.
    Pläne für eine Umsetzung könnten im Südtirol Konvent einen vorderen Platz in einer Forderungsliste an die Politik erreichen.

  3. Steffl avatar
    Steffl

    Ein sehr interessantes Interview, das fast alle relevanten Themen bez. Autonomie/Unabhängigkeit anschneidet. Wenn man sieht, mit welchen Scheuklappen der Autonomiekonvent von seinen Initiatoren (das scheint im Grunde eine SVP/PD Veranstaltung zu sein) gesehen wird, dann tut so eine offene Diskussion schon gut. Es wird das Thema Selbstbestimmung entweder von vornherein ausgeschlossen (so in etwa “ist eh nicht möglich, hat keinen Sinn darüber zu diskutieren”) oder in die rechte Ecke gestellt. Ich frage mich so langsam, was das alles noch mit “Demokratie” (Herrschaft des Staatsvolks) im wahrsten Sinne des Wortes zu tun haben soll, wenn viele für die Menschen relevanten Dinge sowieso unmöglich sind.

    http://salto.bz/article/24012016/ideensammlung-mit-rechtsdrall

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