Autorinnen und Gastbeiträge →

  • Dezentralisierung, Chance in der Krise?

    Die Finanzkrise steuert langsam auf ihren Höhepunkt zu, von Politikern und Ökonomen werden täglich neue Lösungsvorschläge vorgestellt, wobei der Durchschnittsbürger schon lange den Durchblick verloren hat und die täglichen Schreckensmeldungen stoisch hinnimmt. Wahrscheinlich ist den wenigsten bewusst, welche Gefahr für Europa droht, denn die schleichende Entmündigung und Verarmung der Bürger nimmt immer größere Ausmaße an. Die bisherigen Maßnahmen waren fast wirkungslos, der große Befreiungsschlag durch die EZB steht noch aus.

    Auch Südtirol gerät immer mehr in den Sog der Finanzkrise; obwohl hier die wirtschaftlichen Eckdaten stimmen, droht durch immer neue Sparvorgaben aus Rom auch hier die Wirtschaft abgewürgt zu werden. Es stellt sich die Frage, ob die derzeitige politische und wirtschaftliche Ordnung auch zukunftsfähig ist, denn die exorbitante Verschuldung, die mangelnde Produktivität und das unfähige politische Establishment in Italien drohen auch bisher erfolgreich arbeitende Regionen in einen Abwärtssog zu ziehen. Eine interessante Analyse haben jüngst zwei Ökonomen auf der Internetseite “Ökonomenstimme” veröffentlicht. Sie schlagen eine politische und institutionelle Reform vor, welche auf eine stärkere Dezentralisierung in Europa abzielt.

    Es gilt, den Hauptpunkt der Modernen Politischen Ökonomie ernst zu nehmen: Wirtschaftliche Erfolge sind das Ergebnis guter Wirtschafts- und Finanzpolitik, die wiederum ist das Ergebnis der Anreize der relevanten politischen Entscheidungsträger. Diese Anreize werden durch die politischen Institutionen geprägt. Entsprechend ist die Krise Griechenlands das Resultat der griechischen politischen Institutionen. Folglich gilt es, diese Institutionen zu verbessern, um die Anreize der politischen Entscheidungsträger für gute Politik zu stärken.

    Illustrativ dafür ist die Schweiz. Sie ist ein wirtschaftlich und gesellschaftlich besonders erfolgreiches Land mit zufriedenen Einwohnern, weil sie besonders gute politische Institutionen hat, insbesondere kleinräumigen Föderalismus und direkte Demokratie. Auch den Deutschen, den US-Amerikanern oder den Skandinaviern geht es dank ihren relativ funktionsfähigen politischen Institutionen gut. In all diesen Fällen spielt Dezentralisierung und der mit ihr einhergehende offene politische Wettbewerb zwischen Gemeinden, Gliedstaaten und unabhängigen Ländern im selben Kultur- und Sprachraum eine entscheidende Rolle.
    Auch aus Sicht der modernen Ökonomik schafft Dezentralisierung durch föderalistischen Wettbewerb und echte regionale und lokale Eigenverantwortung Wohlstand und Wachstum. Sie fördert den sparsamen Umgang mit den knappen öffentlichen Mitteln, erhöht die Steuermoral der Bürger, verhindert übermäßiges Staatswachstum und gibt den politischen Entscheidungsträgern Anreize, die Wirtschaft vernünftig zu regulieren. Zudem fördert Dezentralisierung auch eine gute Politik auf zentraler Ebene. Sie entlastet die Zentralregierung, die sich auf ihre wirklichen Aufgaben konzentrieren kann, nämlich die Erstellung nationaler öffentliche Güter. Dezentralisierung begünstigt auch die Entstehung neuer fruchtbarer Institutionen; so wurden in der Schweiz die Schuldenbremse oder der neue finanzkraftorientierte Finanzausgleich zuerst auf kantonaler Ebene entwickelt und erst dann auf Bundesebene übertragen. Schließlich macht Dezentralisierung den politischen Wettbewerb um die nationalen Ämter erst funktionsfähig. In föderalistischen Staaten gibt es viel mehr Politiker mit einem einigermaßen sicht- und kontrollierbaren Leistungsausweis. Deshalb sind dann auch die Wahlkämpfe und der politische Diskurs auf nationaler Ebene viel problemorientierter und weniger von hohlen Versprechungen geprägt.

    Griechenland stellt für die Autoren das Gegenteil dar, denn es ist zusammen mit Portugal das am stärksten zentralisierte Land der Eurozone. Die Ergebnisse sprechen für sich, vor allem mangelt es an einem direkten Rückkopplungsmechanismus zwischen Ausgaben und Einnahmen, denn wenn das Geld aus Athen, Rom, Lissabon kommt, ist quasi jede Ausgabe eine gute Ausgabe.

    Das lokale Steueraufkommen hat praktisch nichts mit den Einnahmen der lokalen Körperschaften zu tun, weil zuerst alles Geld nach Athen fließt. Deshalb sind weder die Lokalpolitiker noch die Bürger an effizienter Mittelverwendung, hoher Standortattraktivität und Steuerehrlichkeit interessiert. Vielmehr betätigen sich die Politiker verständlicherweise vor allem als Beutejäger in Athen, um sich einen möglichst großen Teil des zu verteilenden Kuchens zu sichern. Aber niemand hat Anreize, sich ernsthaft dafür einzusetzen, den Kuchen durch gute Politik für die Zukunft zu vergrößern. Da die Transfers aus Athen in die Regionen unabhängig vom lokalen Steueraufkommen fließen, gibt es keinen sozialen Druck, die Steuern gesetzeskonform zu bezahlen. Wer Steuern bezahlt, schadet seinen Nachbarn. Denn dann fließt das Geld nach Athen, statt in den lokalen Wirtschaftskreislauf.

    Als Lösung bietet sich die Dezentralisierung an, Voraussetzung ist die Existenz regionaler und lokaler Gebietskörperschaften, denen mehr Kompetenzen aber auch Verantwortung übertragen werden muss. Ein Finanzausgleich, der Effizienz belohnt, nicht bestraft und vor allem nicht die Schulden der Gebietskörperschaften übernimmt, kann ein weiteres Instrument für den Erfolg regionaler Politik und Verantwortung sein. Die Autoren betonen, dass Griechenland bereits gute Erfahrungen mit der Dezentralisierung gemacht hat: Das antike Griechenland war total dezentralisiert.

    Was bedeutet das für Südtirol?

    Die jüngste Entwicklung mit den von Rom diktierten Einsparungen und Kompetenzbeschneidungen sind für die wirtschaftliche Entwicklung in Südtirol eine große Gefahr, die bisher kaum in Mitleidenschaft gezogene Konjunktur würde durch zentralistische Sparvorgaben abgewürgt, mit all den negativen Konsequenzen wie zunehmende (!) Verschuldung, Arbeitslosigkeit usw.
    Südtirol hat bewiesen, dass es im Vergleich zu Sizilien sehr wohl zu Eigenverantwortung und finanzpolitischer Stabilität fähig ist. Die von manchen Seiten geforderte “Solidarität” mit dem Zentralstaat ist zu 100% konträr zu den gemachten Erfahrungen und belohnt all jene, die eine weitere schleichende Entdemokratisierung Europas vorantreiben wollen. Eine Dezentralisierung ist somit ein wichtiger Baustein für eine Reform der EU, wenn wir eine demokratischere, erfolgreichere und bürgernähere Zukunft wünschen!



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  • Sonntagsautonomie.
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    26 Comentârs → on Sonntagsautonomie.
    Quotation

    Interessant an den letzten Wochen ist die abrupte Verschiebung der Eigenwahrnehmung. Südtirol erkennt auf einmal, dass seine Autonomie eine Sonntagsautonomie ist. Im grauen Alltag der Schuldenkrise gibt es für Italien Wichtigeres als die Frage, ob ein paar Bergler selber über ihre Angelegenheiten entscheiden wollen.
    In den letzten Wochen ist eine Art subkutaner Loslösungsprozess in Gang gekommen. Südtirol und Südtirols Politiker erkennen, dass es mit dem heutigen Italien nicht mehr weitergeht. Noch sagt es von den Machtträgern keiner so richtig laut, aber viele spüren unter der Haut, dass Rom nicht mehr der Partner der Zukunft ist.

    Radikale Ideen hatten immer nur dann eine Chance, wenn sie von gemäßigten Politikern übernommen wurden. Das Projekt eines selbstständigen Staates Israel wurde zuerst auch nur von Extremisten vertreten. Machbar wurde es erst, als sich die maßvollen Kreise die Idee zu eigen machten. Genauso war es in der Slowakei, im Kosovo und im Südsudan. Solange hier nur die nationalistische Rechte die völlige Unabhängigkeit forderte, war die Sache chancenlos. Erst als gemäßigte Parteien die Idee übernahmen, wurde die Staatengründung realistisch.

    Aus dem Leitartikel von Kurt W. Zimmermann (Verantwortlicher Direktor) in der dieswöchigen ff.

    Siehe auch: 01



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  • Holzeisen: Südtirolfrage existiert nicht.

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    8 Comentârs → on Holzeisen: Südtirolfrage existiert nicht.

    Die grünennahe Rechtsanwältin Renate Holzeisen hat sich dem Rai Sender Bozen gegenüber zur derzeitigen Beschneidung des Autonomiestatuts geäußert. Ihre Vorwürfe richten sich leider einmal mehr ausschließlich gegen die Südtiroler Politik — auch Frau Holzeisen nimmt das Vorgehen Roms als gottgegeben hin. Im einzelnen behauptet die Juristin:

    Es habe keinen Sinn, den Internationalen Gerichtshof wegen der Autonomieverletzungen anzurufen, da die internationalen Sparvorgaben auch für Südtirol bindend seien. Das stimmt so nicht, denn es steht nirgendwo ausdrücklich geschrieben, dass Italien in Südtirol zu sparen habe. Soll dies trotzdem geschehen, und gegen diesen Grundsatz wehrt sich ja niemand, legitimiert dies aber noch lange nicht die Verletzung geltenden Rechts. Südtirol muss sich gegen Vertragsbruch wehren.

    Südtirol habe finanziell von Italien profitiert und habe deshalb eine moralische bzw. politische Verpflichtung, sich an den Sparmaßnahmen zu beteiligen. Wie bereits angedeutet, impliziert die Beteiligung Südtirols an der italienischen Haushaltssanierung jedoch nicht, dass Vertragsbrüche geduldet werden müssen. Ob Südtirol tatsächlich (wirtschaftlich) von Italien profitiert hat, ist unklar, da nie ein vollständiger Kassensturz gemacht wurde. Vergleichen wir unsere Situation mit jener Nordtirols, zeigt sich, dass wir wohl auch ohne Zugehörigkeit zu Italien einen großen Wohlstand hätten — der dann übrigens nicht unmittelbar durch die Haushaltssituation Italiens gefährdet wäre.
    Ferner beruht die finanzielle Ausstattung unserer Autonomie nicht auf reinem Wohlwollen, für das wir uns jetzt dankbar zu zeigen hätten, sondern auf klaren Vereinbarungen, die überhaupt erst dazu geführt haben, dass Südtirol bei Italien geblieben ist. Genau diese Tatsache wurde ja umgekehrt immer betont, um eine Loslösung Südtirols zu verhindern, solange sich Italien an die Abmachungen hielt.

    Die Südtiroler Vertreter in Rom hätten sich während der letzten Jahre — als sie im Parlament das Zünglein an der Waage waren — zwischen Prostitution und Erpressung bewegt und deshalb völlig verlernt, professionell zu verhandeln. Das müssten sie jetzt wieder lernen, anstatt rechtliche Maßnahmen anzudrohen. Es ist zwar richtig, dass verabsäumt wurde, Errungenschaften und neue Zuständigkeiten rechtlich einwandfrei abzusichern.1was jedoch nicht vor einer Regierung schützen würde, die offene Vetragsverletzungen nicht scheut Genauso richtig ist jedoch, dass Minderheiten allein aufgrund ihrer zahlenmäßigen Schwäche einen gewissen Opportunismus an den Tag legen müssen, wenn sie etwas in ihrem Sinne erreichen wollen. Das ist fast überall so, und dazu gehört auch die vielgescholtene Blockfreiheit. Im Übrigen zeigt sich Regierungschef Monti allen Sonderautonomien, aber auch normalen Regionen und Gemeinden gegenüber nicht gesprächs- und verhandlungsbereit. Ja, er nimmt ihre verbrieften Rechte nicht einmal ernst. Hier der Volkspartei Versagen und mangelnden Verhandlungswillen vorzuwerfen ist müßig und geradezu lächerlich.

    Die Landesregierung bringe die Schutzmacht Österreich mit ihrem Selbstmitleid in Verlegenheit. Diese werde irgendwann nicht mehr umhin kommen zu erklären, dass die Südtirolfrage nicht mehr existiert. Wir lernen also: Gegenüber wirtschaftlichen Sachzwängen hören kulturelle und gesellschaftliche Probleme auf, zu bestehen. Nicht nur das, auch die gesamte Rechtsordnung wird außer Kraft gesetzt.

    Eine grobe Verletzung des Autonomiestatuts könne sie ohnehin nicht erkennen, so Holzeisen abschließend.

    • 1
      was jedoch nicht vor einer Regierung schützen würde, die offene Vetragsverletzungen nicht scheut


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  • Ballett der Zukunftsvisionen.

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    2 Comentârs → on Ballett der Zukunftsvisionen.

    Die Tageszeitung hat führende Südtiroler Politiker (alle männlich) zu ihrer Zukunftsvision für das Land befragt. Viel Neues ist nicht dabei, doch die Aneinanderreihung so vieler Positionen in nur einem Artikel verdeutlicht: von einer klaren Linie keine Spur. Landesrat Thomas Widmann (SVP) spricht sich für die Übernahme unseres Anteils an den Staatsschulden (rund 12 Mrd. Euro) aus, hält aber die Gründung eines unabhängigen Staates für unmöglich; lediglich die Steuerhoheit sollen wir im Gegenzug bekommen. Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) kann dem Vorschlag nichts abgewinnen, er möchte viel lieber so weiterwurschteln wie bisher (dynamische Autonomie) und gibt zu, dass der Begriff Vollautonomie nichts anderes beschreibt, als dies. Landesrat Bizzo (PD) weiß mit den Begriffen Voll- und Finanzautonomie nichts anzufangen und befürwortet stattdessen ein Abkommen mit dem Staat, wonach Südtirol nach klaren Regeln für die dem Staat verbleibenden Zuständigkeiten zahlt. Der Kammerabgeordnete Karl Zeller (SVP) ist für die Vollautonomie, kann sich — (nur) falls die Verhandlungen mit Rom nicht fruchtbar sind — aber auch den Freistaat vorstellen. Im selben Atemzug warnt er jedoch einmal mehr davor, dass Südtirol dann die EU verlassen müsse [was jedoch völlig umstritten ist]. Bozens Bürgermeister, Luigi Spagnolli (PD), ist ebenfalls für die Vollautonomie, zählt aber nicht einmal die Zuständigkeit für die Polizei dazu. Bei so viel Einigkeit wundere sich jemand, dass Rom keine Schwierigkeiten hat, Südtirol über den Tisch zu ziehen.



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  • Von Leitartikeln.

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    13 Comentârs → on Von Leitartikeln.

    Leitartikel haben die Funktion eine Meinung oder einen Standpunkt zu erläutern. Gerade in Krisenzeiten zeichnet sich ein Leitartikel häufig durch seine kämpferischen und spannungsgeladenen Worte und Formulierungen aus — so zumindest laut Wikipedia.

    Der Leitartikel der ff vom 26. Juli 2012 zeichnet sich neben schwergewichtigen Formulierungen vor allem durch eine wenig mit Fakten unterfütterte These aus. Der Leitartikel beginnt mit einem starken Zitat, das angeblich von Michail Gorbatschow stammen soll: “Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte”. Dass dieser häufig zitierte Satz in dieser Art und Weise öffentlich von Gorbatschow nie gesagt wurde, macht Leitartikler Dall’Ò nichts aus. Eine gediegene Recherche kostet Zeit, anscheinend zu viel Zeit für (diesen) ff-Leitartikel.

    Der Aufhänger des Artikels ist das System der Konzessionsvergabe im Bereich der Wasserkraft. Das Land Südtirol spielt hier über die landeseigene SEL AG und die direkte Vergabe der Konzessionen bekanntlich Schiedsrichter und Spieler gleichzeitig, eine häufig kritisierte und rechtlich problematische Vorgangsweise. Dall’Ò nimmt den Fall SEL zum Anlass, das Land Südtirol als Krake zu bezeichnen:

    Das Land Südtirol nahm sich alles, was es kriegen konnte – und wurde im Verlauf weniger Jahre zu einer Art Krake, die ihre Tentakel auf alle Bereiche der Gesellschaft ausbreitete. […] Es gibt in Südtirol wenig, das (noch) nicht von der Krake Land gefressen worden ist. Unglaublich, was es anscheinend so alles braucht, um den Schutz einer Minderheit zu gewährleisten: Fahrsicherheitszentrum, Flugplatz, Südtirol Marketinggesellschaft, Therme Meran, Sel AG und und und.

    Kernpunkt seiner These ist, dass es versäumt wurde, das “glorreiche Autonomiestatut” den Erfordernissen einer Gesellschaft anzupassen, die heute eine ganz andere ist als damals, Anno 1972. Was diese neuen Erfordernisse sein könnten, darüber schweigt sich der Autor des Leitartikels aus, um den Leitartikel mit der Aussage zu krönen

    Regierungschef Mario Monti mag im Umgang mit der Südtirolautonomie ungehobelt vorgehen. Aber er zeigt mit seinen Maßnahmen plötzlich auf, dass die Landes AG historisch überholt ist.

    Dass die “ungehobelte Vorgangsweise” in Wirklichheit einen klaren Rechtsbruch darstellt, scheint Dall’Ò ebenso wenig zu interessieren, wie eine argumentative Unterfütterung seiner pauschalen Behauptungen. Dazu einige Feststellungen:

    1. Die gesamte Konstellation der Konzessionsvergabe im Bereich der Wasserkraft ist mehr als unglücklich. Schiedsrichter und Spieler gleichzeitig zu spielen geht in der Tat nicht und das Konstrukt Sel AG ist wohl eine der größten Niederlagen für den LH Durnwalder, auch wenn zuletzt Laimer seinen Stuhl räumen musste. Nichtsdestotrotz ist das Ziel, soviel wie möglich der Wertschöpfung aus der Wasserkraft dem Lande Südtirol zugute kommen zu lassen, nachdem römische Konzerne jahrzehntelang mehr oder weniger zum Nulltarif das Land plünderten, nicht nur als Wiedergutmachung zu verstehen, sondern auch volkswirtschaftlich von imminenter Bedeutung. Monti dürfte beides wenig interessieren. Aber über neoliberale Weltanschauungen, wem das Wasser gehört und dass der Energiebereich ein besonders sensibler Bereich ist, könnte man nächtelang diskutieren.
    2. Flughafen Bozen, Fahrsicherheitszentrum, Therme Meran und Sel AG — klassische Fehlentscheidungen und Beispiele einer unfähigen Verwaltung. Bei der von Dall’Ò angeführten SMG sieht die Sache schon anders aus. Volkswirtschaftlich ist der Tourismus ein Rückgrat der Südtiroler Wirtschaft. Eine professionelle Vermarktung gehört dazu. Über neue Finanzierungsmöglichkeiten wird gerade diskutiert.
      Doch kommen wir zu den im Leitartikel angeführten, kostenintensiven Fehlentscheidungen des Landes Südtirols. Diese müssen thematisiert werden und in Zukunft vermieden werden. Aber diese Fehlentscheidungen gibt es auch in anderen Regionen und Ländern und im Gegensatz zu Sizilien, zu Griechenland und zu dem Staat, der uns nun anscheinend mit seinen Hau-Ruck-Methoden vor der “Krake Land” rettet, sind diese Fehlentscheidungen nicht systemrelevant (vgl. Spiegel Online vom 30.07.2012).
    3. Die sogenannten Reformen von Mario Monti sind vielfach wenig durchdacht und vor allem in der Umsetzung entpuppen sie sich häufig als Stückwerk, das weder Rechtssicherheit noch ein klares Ziel erreicht. Der Gemeindenverband weiß heute noch nicht, wie die zweite IMU-Rate aussehen wird. Gut möglich, dass diese weit höher ausfällt, als ursprünglich angekündigt. Wenn es aus allen Löchern pfeift sind alle Mittel recht, mittelalterliche Raubrittermethoden eingeschlossen.
      Die teils neoliberalen Maßnahmen entwickeln dann eine Melange mit gefährlicher Sprengkraft, wenn die hohe Steuerbelastung auf der Gegenseite keine funktionierenden, staatlichen Dienstleistungen aufzuweisen hat. Südtirol, das über einen ausgeglichenen Landeshaushalt verfügt und derzeit zu denselben Maßnahmen gezwungen wird, wie das überschuldete Italien, dürfte in den nächsten Jahren aufgrund Stabilitätspakt und sonstiger Vorgaben einige funktionierende und sinnvolle Dienste nicht mehr anbieten können. Ein ökonomischer Umgang mit öffentlichen Ressourcen ist immer angesagt, aber mittlerweile wird dem Land Südtirol eine neue, neoliberal beeinflusste Ideologie aufgezwungen. Es gibt durchaus Kreise, die damit sympathisieren und deshalb auf das Land Südtirol eindreschen und an den Hau-Ruck-Maßnahmen von Mario Monti Gefallen finden.
      Über viele öffentliche Leistungen kann diskutiert werden. Wenn die Eckpfeiler der Südtiroler Gesellschaft, ohne eigenes Verschulden, angegriffen werden, wird es aber kritisch. Ein gut funktionierendes und durchlässiges Schulsystem, ein für alle BürgerInnen finanzierbares Gesundheitswesen und ein öffentliches Verkehrsnetz sind Beispiele für vorzeigbare und notwendige öffentliche Dienstleistungen.
    4. Dall’Ò dürfte in seiner Abhandlung entgangen sein, dass das Land Südtirol, trotz einiger haarsträubender Fehlentscheidungen über einen ausgeglichenen Landeshaushalt verfügt und die meisten Bereiche weit besser verwaltet als der Staat.
      Zudem dürfte Dall’Ò entgangen sein, dass das Land Südtirol in sehr vielen Bereichen über keinerlei Einfluss verfügt. Es wird zwar letzthin häufig so getan, als ob Südtirol über eine weitgehende Selbstverwaltung verfügt. Dies ist falsch. Südtirol verfügt unter anderem nicht über die Steuerhoheit, hat keine Landespolizei, kein eigenes Gerichtswesen oder keine Möglichkeit, die wesentlichen Eckpunkte der Wirtschaftsordnung oder Arbeitsgesetzgebung selbst festzulegen. Die von Mario Monti beschlossenen Reformen zeigen, dass die Dialektik “Staat-Land” nicht funktioniert. Nicht mehr zentralstaatlicher Einfluss ist die Lösung des Problems, sondern eine wirkliche, weitgehende Selbstverwaltung. Ein System der weitgehenden Selbstverwaltung reagiert auch weit weniger tolerant gegenüber Fehlentscheidungen und Geldverschwendung der Verwaltung.
      In diesem Sinne kann ja jeder selbst den im Leitartikel falsch zitierten Satz “Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte” interpretieren und daraus für Südtirol wirklich zukunftsweisende Schlüsse ziehen.


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  • Zweifaches Kontrastprogramm.

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    13 Comentârs → on Zweifaches Kontrastprogramm.
    Der olympische Geist:

    Citius, altius, fortius! oder doch eher pecunia non olet? Jedenfalls sind die 30. Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet und somit steht einmal mehr der Wettstreit der Nationen für gut einen Monat im Mittelpunkt des Weltinteresses. Und immer wenn ich dann im Fernsehen oder im Internet den Medaillenspiegel präsentiert bekomme – und das ist ziemlich oft – fällt mir Terje Håkonsen ein:

    I just think our generation is more about individual performance than about your country getting a medal. When you look at the newspapers during the Olympics, it’s hardly ever about the individuals. It’s about how many medals every country has. And then we can go out to the bar and talk about how great our countries are. I think nationalism, with people traveling and having friends all over the world, in different generations, I think it’s a really old school format by now.1Vollständiges Interview im Snowboarder Magazine

    Terje wer? … Terje Håkonsen ist eine Ikone des Snowboardsports. In den 1990er-Jahren galt er in der Königsdisziplin Halfpipe als unbesiegbar, da er tatsächlich nahezu jeden Bewerb gewann, an dem er teilnahm (Weltmeister 1993, 1995 und 1997, Europameister 1991, 1992, 1993, 1994, 19972Snowboard-Europameisterschaften wurden jährlich, Weltmeisterschaften alle zwei Jahre ausgetragen.). 1998 in Nagano wurde Snowboarden erstmals olympisch. Terje hätte sich das Gold – und damit Ruhm und in der Folge auch einiges an Geld – wohl nur abzuholen brauchen. Doch der Norweger verzichtete – aus rein idealistischen Gründen. Erstens gefalle ihm der nationalistische Charakter der Spiele nicht und zum Snowboardsport passe dieser schon gar nicht. Zweitens weigere er sich, an den Qualifikationsbewerben teilzunehmen, da diese von der FIS (Anm.: Internationaler Skiverband) und nicht von einer Snowboarderorganisation ausgetragen würden. “Snowboarding is about fresh tracks and carving powder and being yourself, and not being judged by others. It’s not about nationalism and politics and big money. Snowboarding is everything the Olympics isn’t.” Einige andere – vor allem amerikanische – Snowboardgrößen folgten Terjes Beispiel und so kam es, dass der damals völlig unbekannte Schweizer Gian Simmen erster Halfpipe-Olympiasieger wurde. Ob Håkonsen seinen damaligen Entschluss jemals bereut hätte? “No. Hell no!”

    Szenenwechsel. In den heutigen Medien wird Markus Rogan, österreichischer Weltklasseschwimmer und Fahnenträger der rot-weiß-roten Mannschaft wie folgt zitiert: “Ich war noch nie so stolz, Österreicher zu sein!” Wenngleich man sich beim bekannten Spaßvogel Rogan nie hundertprozentig sicher sein kann, ob seine Aussagen nicht ironisch verstanden sein wollen, dürfte er diesen Sager wohl ernst gemeint haben, denn er schoss nach: “Es war noch viel schöner als erwartet!” Keine Frage, es ist bestimmt beeindruckend und bewegend, unter dem Jubel Zehntausender, eine Mannschaft ins Stadion zu führen. Jedoch bestätigt Rogans Aussage genau jene Kritikpunkte, die Håkonsen als Argumente für seinen Boykott ins Treffen führte. Wieso sollte man auf ein Merkmal, zu dem man meist nichts beigetragen hat, da hineingeboren, stolz sein? Man mag froh, glücklich oder zufrieden sein, dass man in einem wohlhabenden, schönen oder friedlichen Flecken Erde wohnt bzw. geboren ist. Aber stolz? Stolz impliziert Wertigkeit und Hierarchie. Wenn dann jedoch alle – zurecht? – stolz auf ihre Nation, auf ein recht schwammiges Kollektiv, sind, was dann? Dieser Stolz hat nämlich zur Folge, dass Sportarten – und damit Sportlerinnen und Sportler – die sonst kaum beachtet werden (ich denke da an Sportschützen oder Synchronschwimmer), plötzlich zu Nationalhelden werden; jedoch nicht wegen ihrer Leistungen, sondern weil sie einer bestimmten Nation angehören. Ich gönne jedem von Herzen seine “15 Minutes of Fame”, aber würde es tatsächlich um die individuelle Leistung gehen, die diese Sportler ja auch abseits der Olympischen Spiele erbringen, dürften sie vor und nach den Spielen sowohl in medialer als auch in finanzieller Hinsicht nicht so ein Schattendasein fristen.

    Der demokratische Geist:

    Dass die (Neu!)-Benennung einer Straße nach einer militärischen Einheit, die sich nie für Kriegsverbrechen entschuldigt oder von faschistischen Angriffskriegen distanziert hat, für ein demokratisches Gremium wie den Brixner Gemeinderat absolut anachronistisch und unverständlich ist, will ich gar nicht länger ausführen. Auch dass “martialische” Benennungen für überzeugte Pazifisten und Grüne generell tabu sein sollten, ist mir an dieser Stelle keine weiteren Worte mehr wert. Vielmehr möchte ich die Brixner Entscheidung für eine “Alois-Pupp-Anlage” mit einer Episode vergleichen, die sich unlängst in Wien zugetragen hat.

    Dr. Karl Lueger war Wiener Bürgermeister um die Jahrhundertwende. Während seiner Zeit erlebte die österreichische Hauptstadt einen ungemeinen Modernisierungsschub. Straßenbahnen wurden gebaut, die Wasserversorgung wurde erneuert, die Stadt großflächig elektrifiziert. Dementsprechend allgegenwärtig ist Karl Lueger noch heute. Es gibt einen Dr.-Karl-Lueger-Platz, eine Dr.-Karl-Lueger-Statue, eine Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche und es gab den Dr.-Karl-Lueger-Ring. Dieser war Teil der Wiener Ringstraße, an der so prominente Gebäude wie das Burgtheater und die Universität gelegen sind. Neben seinem verwalterischen Geschick zeichnete Lueger aber auch noch eine andere Eigenschaft aus: er war überzeugter und aggressiver Antisemit. Daher kämpften Intellektuelle, Künstler, Universitätsbedienstete sowie grüne und sozialdemokratische Politiker schon seit Jahren für eine Umbennenung dieses Teils der Wiener Prachtstraße. Universität und Burgtheater wollten nicht länger mit einem Antisemiten in Verbindung gebracht werden, indem sie unter “Dr.-Karl-Lueger-Ring” firmierten. Umbenennungen sind im Gegensatz zu Neubenennungen meist schwieriger zu bewerkstelligen, da ersteren oft der Nimbus des “Auslöschens” und “Färbens” anhaftet. Der zuständige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny betonte sogar, dass die Umbenennung eine Ausnahme bleiben würde: “Ich habe grundsätzlich nicht vor, Umbenennungen in der Stadt vorzunehmen”, betonte er. Denn schließlich solle Wiens Straßenkarte nicht “ausgeweißelt” werden. Namensgebungen spiegelten immer auch die Geschichte einer Stadt wider – und “man soll nicht so tun, als ob es keine dunklen Seiten gegeben hätte”.3Quelle: Der Standard Dennoch gab der Gemeinderatsausschuss dem Druck der Gegner des Dr.-Karl-Lueger-Rings nach und beschloss die Umbenennung in “Universitätsring”, um Wiens Vorzeigeadressen eine “würdigere” Anschrift zu geben.

    Das Argument Mailath-Pokornys, wonach Namensgebungen immer auch die Geschichte einer Stadt widerspiegelten, würde vielleicht (!) für die Beibehaltung einer “Alois-Pupp-Anlage” sprechen, wenn es diese schon seit Jahrzehnten gäbe. In solch einem Fall wäre eine entsprechende Erklärung zur Person (wie sie zum Beispiel auf Innsbrucks Straßenschildern üblich ist) zielführender als eine Umbenennung. Denn würde man alle “dunklen Seiten” beseitigen wollen, müsste wohl ein Gutteil der Straßen, die Monarchen, Schlachten oder Heeresführern gewidmet sind, umbenannt werden. Die Botschaft einer Neubenennung, wie sie kürzlich in Brixen passiert ist, hat jedoch eine ganz andere Dimension. Hier wird Pupp trotz des Wissens um seine (freiwillige) NSDAP-Mitgliedschaft nun nach Jahrzehnten mit einer Straßenbenennung geehrt (wiederum mit den Stimmen der grünen Bürgerliste wohlgemerkt). Eine derartige Würdigung kann nicht mehr aus dem “geschichtlichen Kontext” heraus erklärt oder gerechtfertigt werden. Der Unterschied zwischen der Wiener und der Brixner Entscheidung könnte größer nicht sein.

    • 1
      Vollständiges Interview im Snowboarder Magazine
    • 2
      Snowboard-Europameisterschaften wurden jährlich, Weltmeisterschaften alle zwei Jahre ausgetragen.
    • 3
      Quelle: Der Standard


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  • »Post festum«, die neue Zauberformel.

    Autor:a

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    |

    1 Comentâr → on »Post festum«, die neue Zauberformel.

    SVP-Senator Oskar Peterlini ist es gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen gelungen, in die römische Verordnung über die Ausgabenkontrolle einen Fallschirm für die Autonomien einzubauen — post festum wie er sagt. Anders ausgedrückt handelt es sich um einen Fallschirm, der sich öffnet, nachdem man bereits ungebremst in den Boden geschnellt ist.

    Die ersten Artikel desselben Maßnahmenpakets beinhalten nämlich Einsparungen, die eindeutig gegen die Autonomiestatute verstoßen und den betroffenen Gebieten enorme Einschnitte bescheren werden: Obwohl sie insgesamt nur rund 10 Millionen Einwohner zählen, müssen die autonomen Regionen ab 2013 mehr einsparen, als alle Regionen mit Normalstatut (rund 50 Millionen Einwohner) zusammen.

    Im letzten Artikel der Verordnung steht nun drinnen, was man in einem Rechtsstaat eigentlich gar nicht gesondert anführen müsste: die Autonomiestatute werden respektiert und eingehalten. Dass das keinerlei Auswirkungen haben wird, gibt Senator Peterlini selbst zu: Wir müssen trotzdem zahlen.

    Na also — leere Worte: Post festum kann man festschreiben, was man will. Und die Vertragssicherheit lässt freundlichst grüßen.



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