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  • Fortschritt.
    Quotation

    Fortschritt ist nur möglich, wenn man intelligent gegen die Regeln verstößt.

    — Boleslaw Barlog

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  • CasaPound im Bozner Rathaus.

    eine Außensicht von Heiko Koch1Heiko Koch lebt und arbeitet in NRW, ist Mitbegründer und Autor diverser antifaschistischer Zeitungen, Verfasser von Internetrecherchen, Teamer und Dozent gegen »Rechtsextremismus« (Quelle: Unrast-Verlag)., Autor des Buches »Casa Pound Italia«.

    Am 10. Mai fanden die Gemeinderatswahlen in Südtirol statt und in 109 von 116 Gemeinden wurden die politischen Vertreter für die nächste Legislaturperiode gewählt. In der Landeshauptstadt Bozen schaffte es Andrea Bonazza, der Kandidat der offen faschistisch auftretenden CasaPound Italia (CPI), auf Anhieb in das Stadtparlament. Somit verfügt die seit 12 Jahren existierende und seit rund zwei Jahren auch als Partei auftretende Bewegung über ihren ersten Repräsentanten in einem Kommunalparlament.

    Schon bei ihrem ersten Antritt zu den Parlamentswahlen im Februar 2013 hatte CasaPound Italia ihr bestens Wahlergebnis in Bozen erzielt. Damals konnte ihr Kandidat, der 52jährige Immobilienmakler Maurizio Puglisi Ghizzi, 1,7 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Diesmal wurde der 34jährige Andrea Bonazza mit 2,4 Prozent in das Parlament der größten Gemeinde Südtirols gewählt. Umgehend erhielt er vom CasaPound-Präsidenten Gianluca Ianonne ein großes Lob aus Rom. Dieser sprach von einem »historischen Resultat«:

    La vittoria di Bolzano – … – ci conferma che siamo sulla strada giusta e ci dà  la certezza che cambiare si può, basta non indietreggiare mai.

    Der Sieg von Bozen – … – bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und gibt uns die Gewissheit, dass die Veränderung möglich ist, sofern man nie zurückweicht.

    Andrea Bonazza – der erste Stadtabgeordnete CasaPound Italias

    Andrea Bonazza ist bei weitem kein Unbekannter in Bozen. Der Werdegang des gebürtigen Bozners ähnelt sehr dem seines römischen Parteichefs. Seit seiner frühesten Jugend war Bonazza in faschistischen Organisationen aktiv. Zunächst in der Fronte della Gioventù, der Jugendorganisation der 1946 gegründeten faschistischen Traditionspartei Movimento Sociale Italiano (MSI). 1995 machte Bonazza die Um-Etikettierung der MSI in Alleanza Nazionale unter Gianfranco Fini nicht mit und folgte dem Rechtsterroristen Pino Rauti zur Fiamma Tricolore. Spätestens seit 2008, als Gianluca Ianonne zur Einweihung des CasaPound-Sitzes nach Bozen kam verschrieb er sich voll und ganz CasaPound Italia und ist seitdem maßgeblicher Organisator, Koordinator und Agitator der »Faschisten des 3. Jahrtausends« in Südtirol. Als Mitglied der rechten Skinhead-Szene, akzeptiertes Mitglied in der Ultraszene des Hockeyclub Bozen und des FC Bolzano, Sänger in der faschistischen Hardcore Band »No Prisoner«, langjähriger Betreiber der rechtsradikalen Kneipe »Bar 8«, Organisator im CasaPound-Sitz »RockaForte« und eloquenter Selbstdarsteller in den Medien verfügt er in der ca. 100.000 Einwohner zählenden Stadt und der autonomen Provinz Bozen-Südtirol über einen breiten Zugang zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen.

    Sein Hang zur Provokation und Gewalt und daraus resultierende Gerichtsprozesse scheinen seiner Polit-Karriere dabei in Bozen keinen Stein in den Weg zu legen. Öffentlich bekannt wurden unter anderem folgende Umstände: Im November 2002 war Bonazza in eine Schlägerei verwickelt, bei der der 26 jährige Fabio Tomaselli in einer Bozner Bar von Faschisten brutal zusammengeschlagen wurde. Schwerverletzt schleppte sich dieser zu seinem Auto und verunglückte einige Kilometer weiter kurz vor Frangart, als er mit seinem Wagen von der Straße abkam. Die Autopsie ergab als Todesursache die schweren Misshandlungen aus der Kneipe. Bonazza und drei weitere Faschisten wurden zwar angeklagt, schlussendlich aber freigesprochen. 2009 zeigten Andrea Bonazza, sein Parteikollege Mirko Gasperi und zwei weitere Kameraden öffentlich den auch in Italien verbotenen »römischen Gruß«. Während ihre Kameraden einem Vergleich zustimmten, kamen bei Gasperi und Bonanza das Gesetz Nr. 645, das so genannte Scelba-Gesetz aus dem Jahr 1952, zur Anwendung.

    Gasperi wurde zu einer Geldstrafe und Bonazza zu einer zweimonatigen Haftstrafe wegen der Verherrlichung des Faschismus verurteilt. Im letzten September widersprach das Kassationsgericht in Rom explizit dem Einspruch von Bonazzas Anwalt und bestätigte somit nicht nur die Verurteilungen, sondern auch die Aktualität des Scelba-Gesetzes — ein Gesetz das in Italien kaum zur Anwendung kommt.

    Vielleicht wird Bonazza ein weiteres Mal wegen eines aktuellen Vorfalls nach dem Scelba-Gesetz verurteilt werden: Zugetragen hatte sich der Vorfall während des laufenden Wahlkampfs im Mai auf dem Matteotti-Platz. Am 5. Mai war der Parteisekretär der Lega Nord, Matteo Salvini, auf dem nach dem 1924 von Faschisten ermordeten Sozialisten Giacomo Matteotti benannten Platz in Bozen aufgetreten. Auf dem Matteotti-Platz erwarteten ihn neben vielen Lega-Anhängern auch CasaPound-Mitglieder. Sie waren zu Salvinis Unterstützung erschienen. Ein Umstand der nicht verwundert, koalieren doch die Lega Nord und CasaPound schon seit rund einem halben Jahr in dem Bündnis »Sovranità  – prima gli italiani« – »Souveränität, Italiener zuerst« und treten in gemeinsamen Wahllisten zu den kommenden Wahlen Ende Mai an. Allein in Bozen verbündete sich CasaPound mit dem ehemaligen Bozner Kurzzeit-Bürgermeister Giovanni Ivan Benussi zur »Liste Benussi«. Ein Bündnis mit der Lega schien hier nicht zustande zu kommen. Nichtsdestotrotz begeisterten sich die Faschisten von CasaPound für die rassistische Hetze Salvinis gegen die Einwanderung von Migranten, Aufnahme von Flüchtlingen, Zuwendungen für Roma, die Adoption durch Homosexuelle, usw. usf.. Als eine Gruppe Linker den menschenfeindlichen und antidemokratischen Äußerungen Salvinis Paroli boten provozierten die Faschisten und versuchten auf die Oppositionellen loszugehen. Bonazza tat sich dabei besonders hervor, er griff die Protestierenden an, zeigte den römischen Gruß und musste schließlich von Sicherheitskräften überwältigt werden.

    Ein Interview, das er kurz nach seiner Wahl in den Gemeinderat dem Radiosender 24 gab, brachte ihm weitere Anzeigen ein. Hierin lobte er Adolf Hitler für seine Verdienste um Deutschland, negierte die Verbrechen Mussolinis und befand

    Ich bin Faschist, warum nicht? Es ist nichts Schlimmes dabei.« und »mit Mussolini würde in Italien alles besser funktionieren.

    Bozner Zustände

    Mittlerweile schlagen die Wellen der Empörung in Südtirol hoch. Vertreter öffentlicher Einrichtungen, aus Kultur und Politik distanzieren sich vehement von CasaPound und sprechen von einer Schande für die Landeshauptstadt. Auch der am Pfingstsonntag in einer Stichwahl wiedergewählte Bürgermeister Luigi Spagnolli (PD) beteiligt sich an den öffentlichen Bekundungen der Abscheu und der Distanzierung.

    Dabei ließ er es in seiner letzten Amtsperiode an einer eindeutigen demokratischen und antifaschistischen Haltung missen. Er weigerte sich Straßen mit faschistischer Namensgebung umbenennen zu lassen — fand, dass Bozen (70 Jahre nach Kriegsende) dafür »nicht bereit« sei. Er ließ ein äußerst umstrittenes, weil revisionistisches Denkmal für die 1943 ermordete Norma Cossetto errichten. Und in diesem Jahr wollte er auf seine Bürgerliste Robert Oberrauch setzen, der vor fünf Jahren noch auf das Bürgermeisteramt kandidierte und sich dabei von der in der faschistischen Tradition stehende Partei Unitalia unterstützen ließ. Am 5. Mai aber lieferte Spagnolli die wohl symptomatischsten Bilder für die politische Kultur und die lokalen Eliten Bozens. Nach der Wahlkampfveranstaltung des Legisten-Chefs Salvini und den Angriffen der CasaPound-Faschisten auf die protestierenden Demokraten traf er sich auf einen Umtrunk mit CasaPound-Mitgliedern in einer Bar. Dort ließ er sich ungehemmt mit den Squadristen fotografieren — wie sie um ihn standen und den römischen Gruß entrichteten. Ein weiteres Foto zeigt den lachenden Faschistenführer Andrea Bonazza wie er den Sozialdemokraten und Bürgermeister der Landeshauptstadt umarmt und fest an sich drückt.

    Bozner Zustände — die Faschisten bespielen die Stadtgesellschaft. Hier einige Beispiele: CasaPound verfügt über diverse Treffpunkte und Organisationen in Bozen. Mit seiner »Bar 8« konnte Bonazza vor einigen Jahren auf dem »Christkindlmarkt der Solidarität« teilnehmen — bis ihm das verwehrt wurde. Vertreter des Blocco Studentesco, der Schüler- und Studentenorganisation CasaPounds, wurden 2011 zusammen mit anderen Studenten in einer Delegation bei dem Mitglied der Landesregierung und Landesrat für italienische Schule und Kultur Christian Tommasini vom Partito Democratico empfangen. Ebenfalls 2011 wollte der Viertelrat des Stadtteils Don Bosco, bestehend aus Partito Democratico und Südtiroler Volkspartei (SVP) die faschistische Buchhandlung »CasaItalia« bei einer Freilichtausstellung unterstützen — bis ihm die Kommune dies untersagte. Die CasaPound-Buchhandlung »CasaItalia« erhielt als Kulturorganisation öffentliche Gelder — bis die grüne Kulturassessorin Patrizia Trincanato insistierte und der faschistischen Buchhandlung der Status einer förderwürdigen kulturellen Organisation aberkannt wurde. (Eine ermäßigte Miete zahlen die Faschisten weiterhin an das landeseigene WOBI). Aus Protest über diese Entscheidung verließen die Rechtsparteien den Sitzungssaal. Aber auch die Vertreter der »Lista Civica Beppo Grillo«. Die selbsternannten Dissidenten und Anhänger Beppe Grillos sahen die Meinungsfreiheit in Bozen in Gefahr. Zu den Wahlkandidaten der Grillo-Liste gehörte 2010 auch Andreas Perugini, der Präsident des Bozner CineForum. Ganz im Zeichen der Meinungsfreiheit organisierte dieser im Frühjahr 2012 die Aufführung der Dokumentation »Fuori dalle fogne« über die rechtsradikale Szene Roms. Mit eingeladen war der örtliche Faschistenführer Andrea Bonazza und als Moderator für die Veranstaltung fand sich niemand anderes als Alberto Faustini, der Direktor der »Alto Adige«, der meistgelesenen italienischsprachigen Zeitung Südtirols. Soweit ein kurzer Einblick zu Bozner Zuständen.

    Südtiroler Meinungsfreiheit

    Wie weit die Meinungsfreiheit Kulturschaffender in Südtirol geht demonstrierte Andreas Perugini, seines Zeichens Präsident des mit Fördergeldern unterstützten CineForum und Vertreter von »Alto Adige in MoVimento«. 2012/2013 drehte er nicht nur für die »Movimento Cinque Stelle« Werbespots, sondern auch für zwei faschistische Hardcore-Bands aus Bozen Videoclips. Im Mai 2012 produzierte er für die Firma »ZEMstudio« den Clip »Watch at my Face« für die Band »Green Arrows«. Aufnahmen für den Clip wurden im CasaPound eigenen »MAS 250 Bolzano« gemacht, der Ton im gleichgesinnten Bozener Tonstudio »U Boot – 37« abgemischt und das Ganze von dem faschistischen Label »Black Shirt Records« online gestellt. Für die Band »Green Arrows« drehte er weiterhin den Clip »Paper Bullets«. Bei diesem Dreh ging ihm ein Marco Caruso zu Hand. Dabei dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den bisherigen Bezirksvertreter des Stadtteils Don Bosco, Jugendvertreter der Partei und neugewählten Stadtabgeordneten von Unitalia Marco Caruso handeln, den Bonazza in der Onlinezeitung CasaPounds »Il primato nazionale« als engen Freund bezeichnete. Auch bei dem Video-Clip »Crisi« für die faschistische Bozner Hardcoreband »No Prisoner« arbeiteten Perugini und dieser Caruso zusammen. Die Aufnahmen entstanden in Verona und im Tonstudio »U Boot – 37«. Sänger der Band »No Prisoner« ist niemand anderes als Andrea Bonazza, der in den letzten Jahren sein Outfit vom Nazi-Skinhead zum Ultra- und Hardcore-Stil gewechselt hat. Im März 2013 scheint Perugini sein letztes Promo-Video für das Label »Black Shirts Records« gedreht zu haben. Hierin bewarb er fünf Hardcore-Bands aus der Produktpalette der Schwarzhemden — Blind Justice, Drizzatorti, Still burnin’ Youth, Green Arrows und No Prisoner.

    Auf den Internet-Sites von »Black Shirts Records« findet man übrigens alles, was das Naziherz begehrt. Angefangen von aktuellen italienischen Rechtsrock-Bands über LPs mit dem Titel »Adolf Hitler lebt!« von »Gigi und die braunen Stadtmusikanten«, die mit dem Lied »Döner Killer« die Morde der rechtsterroristischen NSU besingen, bis zu Neupressungen von Platten der Bands »No Remorse«, »Weisse Wölfe« und »Oidoxie«, auf deren CD-cover offen für die Terrorstruktur »Combat 18« geworben wird. Dazu werden historische Bilder der terroristischen »Ordine nero« aus den 70er Jahren auf den »Black Shirts«-Sites gepostet. Ein interessanter Umstand, soll doch im März 2009 der wegen Unterstützung des NSU angeklagte Ralf Wohlleben von dieser 20.000 Euro zur Unterstützung lokaler Nazi-Strukturen nach Südtirol überbracht haben.

    Bozner Ein-mal-eins

    Die maßgeblichen Medien in Südtirol und Sprecher diverser Parteien und Verbände thematisieren den Einzug Bonazzas in den Stadtrat Bozens als außergewöhnlich und als singuläres Ereignis. Dabei setzt sich genau die Verharmlosung und Toleranz gegenüber rechtsradikalen und rassistischen Positionen fort, die die italienische und Südtiroler Politik seit Jahrzehnten auszeichnet und den Anstieg antidemokratischer und rechtsradikaler Strömungen und Parteien erst ermöglicht/e.

    Eine genauere Betrachtung ist notwendig.

    In dem schon erwähnten Artikel in der faschistischen »Il Primato Nazionale« vom 11. Mai erwähnte Bonazza nicht nur Marco Caruso, sondern auch Luigi Schiatti als Mann der CasaPound im Stadtrat. Dieser sitzt als einer von zwei Repräsentanten für die »Liste Benussi« im Rat, die mit der CasaPound eine Koalition zu diesen Wahlen einging. Somit wären es nicht nur ein, sondern gleich drei Brüder im Geiste Pounds im Stadtrat. Gianluca Iannone, der Führer CasaPounds, spricht sogar von drei bis fünf CasaPound-Mitgliedern im neugewählten Stadtrat. So gesehen ist der Wirbel um Bonazza eine mediale Augenwischerei und beleuchtet nicht das ganze Problem, das Bozen nun mit Anhängern und Aktiven des gewalttätigen Squadrismus Mussolinis in den Reihen seiner Ratsherren hat.

    Aber auch diese Rechnung ist mehr als oberflächlich. Zieht man die Wahlergebnisse der »Liste Benussi«, »CasaPound Italia«, »Lega Nord«, »Unitalia«, »Fratelli di Italia«, »Alto Adige nel Cuore« und »Forza Italia« zusammen — und das muss man Angesichts ihrer historischen Wurzeln, ihrer Verbindungen untereinander und ihrer ideologischen Ausrichtung — so haben in Bozen 31,4 Prozent der Wähler am 10. Mai 2015 in unterschiedlicher Schattierung rechtsradikal gewählt und es entfallen 15 von 45, ein Drittel aller Sitze im Gemeinderat Bozen auf Anti-Demokraten.

    So ähnelt das Wahlverhalten der Bürger Bozens dem der 80er Jahre, als die faschistische MSI 1987 bei den Parlamentswahlen 27,3 Prozent und 1985 bei den Kommunalwahlen 22,5 Prozent erzielten. Die Zeitung »Alto Adige« verpasste damals der Stadt den zweifelhaften Ruf »die faschistischste Europas« zu sein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Zwar schwelt in dem historisch und sozial zerrissenen Südtirol noch der Streit um nationale Zugehörigkeit und kollektive Identität. Er wird aber nicht mehr wie in den 70er/80er Jahre mit Hass und Mord, Bomben und Terrorismus ausgetragen. In den letzten dreißig, vierzig Jahren hat sich in Südtirol einiges verändert. Was aber ist passiert, dass sich so viele Menschen von der etablierten Politik abwenden und nicht mehr wählen gehen? In Bozen gingen nur 58,8 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. An der Stichwahl zum Bürgermeisteramt waren es am 24. Mai nur noch 40,7 Prozent. D.h. die größte Partei in Bozen sind »die Nicht-Wähler«. Das Repräsentationssystem befindet sich eindeutig in einer Krise. Was sind die Ursachen? Was heißt das für die Gesellschaft? Und warum wählen von den Wahlberechtigten ein Drittel rechtsradikal und bekunden ihren Willen, sich autoritären, rassistischen und antidemokratischen Gesellschaftsentwürfen anzuschließen?

    In den letzten Monaten häuften sich Überfälle auf linke und unpolitische Jugendliche in der autonomen Region Trentino-Südtirol. In St. Leonhard, Bozen, aber auch in Trient wurden junge Erwachsene von Rechtsradikalen angegriffen und zusammengeschlagen. Einige der Übergriffe werden den Squadristen von CasaPound angelastet. Bozen/Südtirol hat nicht nur auf parlamentarischer Ebene ein massives Problem mit rechtsradikaler Raumnahme und Apologeten autoritärer Lebensentwürfe. Und so drängen sich weitere Fragen auf. Was wird die lokale und staatliche Administration zum Schutz des parlamentarisch-demokratisch strukturierten Gemeinwesens unternehmen? Wie werden die demokratischen Bürger Südtirols mit den erklärten Feinden von Freiheit und Gleichheit und deren Strukturen in Zukunft umgehen? Was wird die radikale Linke machen? Wie lässt sich der rechtsradikale Trend in Tirol stoppen und die Entwicklung umkehren?

    Linksetzung:

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      Heiko Koch lebt und arbeitet in NRW, ist Mitbegründer und Autor diverser antifaschistischer Zeitungen, Verfasser von Internetrecherchen, Teamer und Dozent gegen »Rechtsextremismus« (Quelle: Unrast-Verlag).


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  • Warum keine Landespolizei?

    Die Carabinieri haben einen Wettbewerb für 25 Stellen ausgeschrieben. Voraussetzung ist der Zweisprachigkeitsnachweis C oder schon als Freiwilliger bei den Streitkräften gedient zu haben. Sonderlich wichtig scheint das Kriterium der Zweisprachigkeit also nicht zu sein, auch wenn General Georg Baron di Pauli das Ziel formulierte, dass in jeder Carabinieri-Station zumindest eine Person in der Lage sein sollte ein Protokoll auf Deutsch zu verfassen.

    Wie würde die Öffentlichkeit reagieren, wenn man in Südtirols Gemeinden das Ziel formulieren müsste, dass in jeder Gemeinde zumindest eine Person in der Lage sein muss, eine E-Mail auf Italienisch zu schreiben?

    Akzeptable Kenntnisse der Landessprachen sollten für Angehörige der Polizeikräfte nicht zuviel verlangt sein. Michael Eschgfäller sieht dies augenscheinlich anders. In Vorausgeschickt der Dolomiten vom 15.04.2015 macht er sich über einen Beschlussantrag der STF im Südtiroler Landtag lustig.

    Natürlich perfekt zweisprachig und mit den kulturellen und historischen Gegebenheiten Südtirols vertraut müssen die uniformierten Landesbeamten sein. Dies ist bei der Verbrecherjagd garantiert das Um und Auf. Und natürlich sollen diese Landespolizisten über jede ihrer Emittlungen der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen. Zusammen mit Staatspolizei, Forstpolizei, Gefängnispolizei, Carabinieri und Finanzwache würde diese Landespolizei bei den Sicherheitskräften das halbe Dutzend voll machen.

    – Michael Eschgfäller

    An und für sich sollte es ja selbstverständlich sein, dass die Landesprachen beherrscht werden und Polizeieinheiten im Kontext des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung einem Organ des Landes Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen müssen.
    Nicht in Südtirol. Die politische Mehrheit gibt sich damit zufrieden, dass der »Quästor« als verlängerter Arm des Zentralstaates über die Sicherheit wacht. Die gewählten Organe des Landes haben diesbezüglich wenig Kompetenzen.

    Auf die Idee, dass eine Landespolizei etliche Korps ersetzen könnte, kommt Eschgfäller nicht.

    Laut Rai Südtirol vom 16.04.2015 ist für Landeshauptmann Kompatscher die Landespolizei ein langfristiges Ziel im Rahmen der Vollautonomie. Die Betonung liegt auf »langfristig« im Sinne des Ökonomen John Maynard Keynes: In the long run we are all dead. — »Langfristig gesehen sind wir alle tot.«

    In der Formulierung abstrakter Ziele, die keinerlei Bezug mit den aktuellen politischen Prämissen haben, verfügt die SVP über große Erfahrung. Das Selbstbestimmungsrecht ist Teil der Statuten, ebenso wie die Vollautonomie immer wieder zum Ziel ausgerufen wird und neuerdings die europäische Ebene der Autonomie im Rahmen der Europaregion beschworen wird. Konkrete politische Ergebnisse ergeben sich aus diesen Floskeln keine.

    Während die SVP zumindest verbal am Ziel einer Landespolizei festhält, spricht sich Hans Heiss laut Landespresseamt (15.04.2015) dagegen aus:

    In Südtirol sei die Polizeipräsenz sehr hoch, höher als im italienischen Schnitt. Eine Landespolizei sei keine besonders gute Lösung, es käme ein weiteres Polizeikorps dazu und die Landespräsenz würde sich auf einen weiteren Lebensbereich ausdehnen. Auch eine zu große Vertrautheit mit den Verhältnissen vor Ort sei zu bedenken. Stattdessen sei bei der Zweisprachigkeit nachzubessern und auch bei der Koordination.

    Abermals zeigt ein Vertreter der Grünen was er von neuen Zuständigkeiten hält: Nichts! Laut dem Politologen Pallaver, der aufgrund wohl nur ihm nachvollziehbarer Kriterien die Parteien in autonomiefreundlich und autonomiefeindlich einordnet, zählen die Grünen, die gegen diesen Antrag gestimmt haben als autonomiefreundlich, die STF, die den Antrag eingebracht hat, als autonomiefeindlich.
    Nun, für unsere Autonomiefreunde von den Grünen wäre es also schlimm, wenn die Landespräsenz auf einen weiteren Lebensbereich ausgedehnt würde. Lieber lässt man sich von Rom verwalten. Sollte die große Vertrautheit vor Ort tatsächlich ein Problem darstellen, dann wären Länder wie Island, Malta, Zypern, Luxemburg, Estland, mit einer Bevölkerung zwischen 300.000 und 1,3 Millionen EinwohnerInnen allesamt nicht in der Lage, eine seriöse Polizei aufzubauen.
    Mit denselben Argumenten könnte man auch den Landtag in Frage stellen. Warum nicht auch diese Kompetenzen nach Rom verlagern, da ja auch hier die »Gefahr« einer zu großen Nähe zwischen Landesverwaltung und Bevölkerung besteht?

    Von einem konsequenten und engagierten Ausbau unserer sogenannten Vorzeigeautonomie sind wir jedenfalls weit entfernt. Wirklich wichtige Zuständigkeiten stehen nicht auf der Agenda und die Autonomiepartei SVP handelt völlig losgelöst von belastbaren Zeitplänen. Jeder Geschäftsplan müsste verworfen oder hinterfragt werden, wenn er nicht klare Fristen zur Umsetzung gesetzter Ziele enthält.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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  • Hausärztinnen gegen nationale Bevormundung.

    In einem Schreiben der Vinschger Hausärztinnen an Landesregierung und Südtiroler Patientinnen wird eine Bestreikung der Wochenenddienste ab 01.06.2015 angekündigt. Neben der ausufernden Bürokratie und einem Mangel an Jungärztinnen (»70% der Kollegen nähern sich dem Pensionsalter«) wird vor allem die einseitige Aufkündigung des Landesvertrages für die Hausärztinnen und die Anwendung des nationalen Kollektivvertrags bemängelt.

    Die Einführung des italienischen Betreuungsmodells bringt unmögliche bürokratische Hürden, eine Schwächung des Territoriums und eine totale Zentralisierung der Betreuung mit sich. Vor allem verlieren Jungärzte Interesse in die Allgemeinmedizin in Südtirol einzusteigen. Der große Verlierer ist aber das Land, welches ein weiteres Stück seiner Autonomie aufgibt.

    Zudem wird die gesamtstaatliche Vernetzung kritisiert:

    Durch die Vernetzung, welche seit Jahren als das alle Probleme lösende Allheilmittel an die große Glocke gehängt wird (nur weil es dafür eine Finanzierung aus Brüssel gibt), will man alle Praxen mit einem zentralen Server verbinden, über welchen alle Daten der Patienten nach Rom weitergeleitet werden. Ist der Südtiroler überhaupt darüber informiert, dass schon bald, alles was sein Vertrauensarzt von ihm weiß, an einen staatlichen Server gesendet wird?
    Das neue italienisch Gesetz, die Legge Balduzzi, ist eine juristische Fehlgeburt, die sich mit der Südtiroler Realität nicht vereinbaren lässt. Es wird unser gut funktionierendes und spesenschonendes System in Südtirol innerhalb kurzer Zeit zerstören.

    Ich frage mich, welche Totgeburt das wieder einmal wird. Wie schaut es mit dem Datenschutz aus? Wo bleibt wieder einmal unsere vielgerühmte Vorzeigeautonomie?



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  • Italiani, innanzitutto.

    Qualche giorno fa il Presidente sudtirolese Arno Kompatscher (SVP) decideva di non genuflettersi dinnanzi all’imposizione del «governo amico» di festeggiare l’ingresso in guerra dell’Italia, cent’anni or sono, contro l’impero austro-ungarico. Una guerra nel corso della quale lasciarono la vita milioni di giovani e alla cui fine il Tirolo venne spaccato in tre parti senza tenere minimamente conto della volontà delle sue abitanti. Se festeggiare l’inizio di una guerra — issando una bandiera o in qualsiasi altro modo — è di per sé un’idiozia, lo è a maggior ragione in una terra come la nostra, indipendentemente da chi vinse e chi perse o da chi fu o meno nel giusto e nel torto.

    Se la bandiera è un simbolo carico di significati, anche le reazioni seguite al rifiuto — saggio, circostanziato e «autonomo» — del Landeshauptmann ci aiutano a comprendere simbolicamente qual è il grado di sensibilità  con cui dopo un secolo di appartenenza allo stato italiano siamo confrontati. Non solo in tanti decenni nessuno ha sentito il dovere di rivolgere una parola di rammarico agli abitanti di questa terra, ma ogni qualvolta la nostra sensibilità  si discosta da quella «nazionale» veniamo prontamente redarguiti.

    Questa volta a dare inizio ai festeggiamenti è stato Bruno Vespa — presentatore televisivo nonché vecchia conoscenza di Arno Kompatscher — criticando duramente la scelta del Landeshauptmann e aggiungendo che in cent’anni, se avessero voluto, i sudtirolesi avrebbero potuto passare «dall’altra parte» [del confine]. Affermazioni fatte nel corso di una trasmissione ospitata da quella stessa televisione pubblica che avrebbe il compito di informare e concorrere alla formazione dei cittadini, educandoli al reciproco rispetto, alla tolleranza e quindi anche alla conoscenza delle molteplici anime e identità che lo stato (volente o nolente) contiene. La ministra della difesa presente in studio non solo non trovava nulla da eccepire, ma esprimeva, anch’essa, la sua irritazione e incomprensione per la decisione di Kompatscher. Non paga, ed evidentemente incapace di comprendere le ragioni dei sudtirolesi, successivamente tornava sulla questione, invitando il Presidente a rivedere la sua posizione. Nel frattempo un’altra ministra del governo Renzi, Maria Elena Boschi, si associava affermando che «prima di tutto siamo italiani».

    Giorgia Meloni, leader del movimento Fratelli d’Italia, è giunta addirittura a invitare Arno Kompatscher ed il suo collega trentino a dimettersi dalle loro cariche e a lasciare l’Italia. Mentre è di poche ore fa l’annuncio dell’ex ministro Maurizio Gasparri di voler chiedere al ministro degli interni Angelino Alfano quali misure [punitive] intenda addottare nei confronti dei due governatori.

    Ve ne fosse stato bisogno, l’elenco di quest’incredibile escalation, degna forse di una dittatura ma certamente non di una moderna democrazia europea, ci dimostra — sul versante simbolico — quanto stretti (se non inesistenti) sono gli spazi di «distinzione» e di «autodefinizione» che lo stato-nazione ci concede. Prima di tutto siamo italiani. C’è poco da meravigliarsi in una «nazione» che nel XXI secolo ha bisogno di festeggiare la morte di milioni di individui perché hanno portato a compimento l’unità nazionale.

    E qui purtroppo ci stiamo riferendo a un’élite politica e giornalistica, trasversale alle ideologie e agli schieramenti politici, per cui invocare l’attenuante secondo cui «non conoscono le particolarità sudtirolesi» sarebbe veramente ozioso.

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  • Stichwahlen in Bozen, Meran und Leifers.

    Gestern haben in den drei Städten Bozen, Meran und Leifers die Bürgermeister-Stichwahlen stattgefunden. Die Kandidaten, die sich durchsetzen konnten, müssen nun im Gemeinderat tragfähige Mehrheiten schmieden.

    • In Meran gelang dem grün-bürgerlichen Paul Rösch eine Sensation, indem er sich mit über 60% haushoch gegen Gerhard Gruber von der bislang regierenden SVP durchsetzen konnte. Dies, obschon Gruber in der Stichwahl von PD, Alleanza per Merano und Lista Balzarini unterstützt wurde. Mit Röschs Sieg wurde, sofern er im Gemeinderat eine Mehrheit findet, wohl die Gefahr einer Regierung unter Beteiligung neofaschistischer Kräfte gebannt.
    • In Bozen konnte sich der bisherige Bürgermeister Luigi Spagnolli (mit 57,7%) ebenfalls eindeutig gegen den Postfaschisten Alessandro Urzì und seine rechte bis rechtsextremistische Koalition durchsetzen. Allerdings legte Urzì im Vergleich zum ersten Wahlgang von 12% auf über 40% der Präferenzen zu. Es bleibt abzuwarten, ob Spagnolli der Versuchung widersteht, bei der Suche nach einem Koalitionspartner auf eine Zusammenarbeit mit der Lega oder gar Teilen des Wahlbündnisses von Urzì zurückzugreifen. Die zu Spagnollis Wahlbündnis gehörende SVP möchte keine Zusammenarbeit mit den linken und ökosozialen Kräften (Kommunisten, SEL, Grüne) mehr.
    • In Leifers konnte sich mit Christian Bianchi der Kandidat der Rechtskoalition knapp gegen die scheidende Bürgermeisterin Liliana Di Fede (PD) durchsetzen. Die SVP hat Bianchi bereits durch ihre Neutralität bei der Stichwahl signalisiert, dass sie auch mit ihm koalieren würde. Zu Bianchis Parteienbündnis zählt unter anderem die ausländerfeindliche Lega Nord, die unter Matteo Salvini italienweit Wahlbündnisse mit der neofaschistischen und gewaltbereiten CasaPound eingeht.

    Festzustellen ist, dass sowohl in Bozen, als auch in Leifers für Antifaschistinnen und -nationalistinnen keine eindeutige Wahl bestand, da sowohl Spagnolli, als auch Di Fede diesbezüglich nicht unbedenklich und somit nur das geringere Übel waren.



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  • Keine Beziehungen…
    Quotation

    Wir haben mit CasaPound keine Beziehung, wir wollen diese Beziehungen nicht haben. Ich bin sehr traurig, weil diese Aussagen [von Andrea Bonazza] sind sehr schlecht. […]  Ich denke aber, wir sollten an die Zukunft denken und für die Zukunft arbeiten und immer weniger an die Vergangenheit denken.

    Alessandro Urzì, Bozner Bürgermeisterkandidat von AAnC, Forza Italia und Unitalia im Stol-Interview.

    Aggiungo che per la prima volta ci siamo presentati staccati da Unitalia, che ha fatto altre scelte, ma uno dei loro eletti è un nostro caro amico, un ragazzo che è cresciuto con noi e che viene dalla scuola politica di CasaPound, quindi gli facciamo gli auguri.

    Andrea Bonazza (CasaPound) im Interview mit »Il Primato Nazionale«.



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  • Selbstbestimmung in Europa.

    Dreizehnminütiges Kurzreferat von Prof. Nico Krisch während einer Tagung zum Thema Selbstbestimmung in Europa (»Better together or happy apart?«) die am 19. November letzten Jahres — in Zusammenarbeit mit Diplocat — an der renommierten Hertie School of Governance in Berlin stattgefunden hat:

    Krisch argumentiert, dass Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa sich heute nicht auf schwere Diskriminierungen oder auf den Kampf gegen Unterwerfung berufen, sondern auf den Wunsch nach Selbstverwaltung in einem angemessenen Rahmen. Das Völkerrecht beinhalte zwar nur wenig, was solche Bestrebungen stützen könnte, doch das Recht sei nicht das Ende der Geschichte, da Recht stets das Ergebnis von Politik sei. London etwa habe im Umgang mit Schottland stets auf Politik und Dialog statt auf die strikte Einhaltung von Gesetzen gesetzt. Im Übrigen beinhalte doch die Demokratie letztendlich das Versprechen, über alles demokratisch entscheiden zu dürfen, und es sei eben nicht besonders demokratisch, den Bevölkerungswillen einfach zu ignorieren.

    Laut Krisch stellt Europa im internationalen Kontext einen Sonderfall dar, da Sezessionen sich im Rahmen der EU kaum destabilisierend auswirken würden. Man könnte hier also nicht nur weit mehr vom bereits genannten demokratischen Versprechen umsetzen, die EU biete sogar vielfach erst den Anreiz für Unabhängigkeitsbestrebungen, da sie als übergeordnete politische Einheit die Zugehörigkeit zu einem größeren Staat entbehrlich mache. In diesem Sinne sei die EU auch keine herkömmliche internationale Organisation, sondern eine Art föderale Struktur — und föderal organisierte Staaten hätten gewöhnlich Regeln, wie sie mit internen Erweiterungen umgehen. Laut Krisch wäre es wichtig, dass sich auch die EU derartige Regeln gibt, anstatt die Frage der Unabhängigkeit nur den einzelnen Mitgliedsstaaten zu überlassen und etwa ein unabhängiges Schottland als gewöhnlichen Beitrittskandidaten zu betrachten.

    Wer die heutigen Sezessionsbestrebungen in Europa als neuen Tribalismus oder der europäischen Einigung entgegengesetzt betrachte, lasse außer Acht, dass es sich hierbei nicht — wie im frühen 20. Jahrhundert — um ethnisch motivierte, sondern um inklusivistische Projekte handelt, meist fortgeschrittener, als die Staaten, von denen sie sich loslösen möchten. Selbstverständlich könnte man sich, so Krisch, alternative und hybride (»postmoderne oder neo-medievale«) Modelle zur Überwindung von Staaten als solche vorstellen, doch heute seien Staaten nach wie vor eine der wichtigsten und somit attraktivsten politischen Organisationsformen. Welches Modell man auch immer bevorzuge, sei es jedoch kaum möglich, demokratische Bestrebungen weiterhin einfach zu ignorieren, wie es die europäische Kommission bis dato mache. Die heutigen Bewegungen seien politisch zu stark, um ignoriert zu werden, und dies habe viel mit dem sehr europäischen Versprechen von mehr Demokratie zu tun.

    Cëla enghe: 01 02 03 04



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