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  • 5.817,18 Euro – ein populistischer Vergleich.

    Vor einiger Zeit brachte ich 5.817,18 Euro, die ich mir in drei Jahren hart vom Mund abgespart hatte, auf die Bank. Heute wollte ich das Geld abheben, da meinte der Schalterbeamte ganz unverfroren: “Wir können Ihnen das Geld nicht mehr geben. Das brauchen wir selber.” Ich wusste nicht, wie mir geschah: “Wie bitte?” “Sie haben schon richtig gehört.” “Aber in den Vertragsbedingungen steht doch, dass ich über das Geld verfügen könnte”. Der Beamte zuckte nur mit den Schultern. “Sie hören von meinem Anwalt”, brachte ich noch hervor. Wütend verließ ich die Bank. Mein Anwalt und Wirtschaftsberater, Karl Z., der im Jahr 368.299 Euro verdient, beruhigte mich und meinte lapidar: “Keine Panik. Das überrascht mich nicht. Das ist immer dasselbe. Ich bin eines von 315 Mitgliedern im Bankenausschuss. Wenn’s hart auf hart kommt, werde ich bei der nächsten Abstimmung über die Vertragsbedingungen einfach dagegen stimmen”. Fast hätte ich gesagt: “Boah, da werden sie sich aber fürchten” – ich verkniff mir aber den Sager, denn ich wollte ihn nicht vergraulen. “Und was ist mit meinem Geld?” “Ach, für die paar Euro werden wir schon eine Lösung finden. Wichtig ist nur, dass Sie den Vertrag einhalten und pünktlich die Kontoführungsspesen begleichen.” Einige Wochen später erhielt ich einen Anruf: “Hallo, hier Karl Z. Ich habe tolle Neuigkeiten. Es sieht so aus, als ob uns die Bank doch tatsächlich 1.939,06 Euro ausbezahlen will. Was sagen Sie jetzt? Ich hab doch gesagt, dass alles gut wird.” “Aber ich hab doch fünftaus…” “Übrigens, die Bank hat jetzt ein neues tolles Angebot. Wie wär’s wenn ich die 1.939,06 Euro gleich wieder für Sie anlege?” “Ich weiß nicht so recht. Die Vertrauensbasis ist irgendwie nicht mehr gegeben. Ich würde doch lieber die Bank wechs…” “Wunderbar. Sie hören dann wieder von mir. Mein Honorar können Sie an die übliche Kontonummer überweisen. Wiederhör’n”. Klack. Piep piep piep.

    Hintergrund der Geschichte

    Der Staat hat in den letzten Jahren vertragswidrig 3.000.000.000 Euro zu viel an Südtiroler Steuergeldern einbehalten. Das sind pro Person und Nase in unserem Land – vom Säugling bis zum Greis, vom pakistanischen Gemüsegeschäftsbesitzer in Bozen bis zum Hotelier im Hochpustertal – 5.817,18 Euro. Natürlich bekämen wir nicht alle 5.817,18 Euro ausbezahlt, aber das Land könnte mit dem Geld viele wichtige Projekte finanzieren.

    Erschreckend ist, wie fatalistisch die Südtiroler Politik derartige Vertragsbrüche hinnimmt. Zellers “Es ist immer dasselbe” suggeriert, dass derartiges Verhalten von Seiten des Staates irgendwie normal sei und dass Kenner der römischen Politik, wie er einer ist, sich über diese Dinge gar nicht mehr wunderten, geschweige denn empörten. Aber das Verhalten des Staates ist nicht normal. Es ist empörend. Ständige einseitige (!) Vertragsbrüche sind keine Basis, auf der man zusammenarbeiten kann. Die Akzeptanz der Vergehen und das Eingehen auf “Kompromisse” ermuntert und ermutigt den Staat doch nur, weiterhin so vorzugehen. Er hat ja nichts zu befürchten, selbst wenn ein Höchstgericht am Ende Südtirol Recht gibt. Jedenfalls, wenn mich meine Bank um 5817,18 Euro betrügt, wechsle ich die Bank. Und wenn ich nach dem dritten oder vierten Betrug durch die Bank einen Bankwechsel nicht einmal in Erwägung ziehe, dann bin ich ein Trottel.

    Bezeichnend ist auch, wie lapidar mit solchen Milliardensummen umgegangen wird. Persönlich mögen für Karl Zeller 5.817,18 Euro nicht viel Geld sein. Für viele Südtiroler sind 5.817,18 mehr oder weniger in der Haushaltskasse jedoch bisweilen existenzentscheidend. Und wenn dann am Ende der Staat – wider Erwarten – 2.910.000.000 Euro an Südtirol rücküberweisen würde, würde uns das bestimmt als Erfolg verkauft. Wir erinnern uns: Wegen 90 Millionen Euro, die nach heutigem Wissensstand mit keinem Rechtsbruch einhergingen und die uns im Endeffekt langfristig eine billigere Pensionslösung sicherten, wurde das Land in seinen Grundfesten erschüttert und alles in Frage gestellt, was nur in Frage gestellt werden konnte. Morddrohungen inklusive.



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  • Entgleisung: Schwere Vorwürfe.

    Im Jahr 2012 war am Bahnhof Brixen ein Güterzug der Rail Traction Company (RTC) entgleist, wobei die beiden Zugführer verletzt wurden. Dass die Folgen nicht deutlich dramatischer wurden, war darauf zurückzuführen, dass der Zug — anders als der, der im Jahr 2009 bei Viareggio entgleiste und explodierte — kein Gefahrengut transportierte und dass sich zum Unfallzeitpunkt fast keine Menschen auf den Bahnsteigen aufhielten.

    Die beiden Gutachter, die den Vorfall im Auftrag des italienischen Transportministeriums untersucht haben, erheben nun laut Fatto Quotidiano schwere Vorwürfe: Nicht nur gegen ÖBB Technische Services GmbH und gegen die slowakische ZOS-Werkstatt, die bewusst an der Instandhaltung gespart haben sollen, sondern auch gegen den zuständigen Beamten im Transportministerium, Marco Pittaluga. Er soll die Arbeit der Gutachter aktiv behindert und bei der Veröffentlichung des Schlussberichtes wesentliche Teile davon geschwärzt haben.



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  • Relationen: Keine Panik!

    Relationen Staat-Land.

    Drei Milliarden Euro schuldet der italienische Staat dem Land Südtirol. Es handelt sich dabei um vertragswidrig zurückbehaltene und/oder gestrichene Gelder über den Beitrag (500 Millionen jährlich) hinaus, den Staat und Land im Mailänder Abkommen einvernehmlich festgelegt hatten. Die römische Regierung hat nun von Südtirol und dem ebenfalls betroffenen Trentino gefordert, endgültig auf dieses Geld zu verzichten und entsprechende Verfassungsklagen zurückzuziehen.

    Vergleichswerte in violetter Farbe.

    Cëla enghe: 01 02 03 04



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  • POLITiS Autonomieumfrage.

    Die Sozialgenossenschaft POLITiS und das Südtiroler Bildungszentrum haben während der letzten Monate ein Bildungsprojekt unter dem Titel »Die Reform der Südtirol-Autonomie — Bürgerinnen und Bürger reden mit« umgesetzt, in dessen Rahmen das Anliegen untersucht wurde, »mit mehr Beteiligung und ethnischer Konkordanz zu einer vollständigen Autonomie mit mehr demokratischen Rechten« zu gelangen. Parallel dazu wurde in Zusammenarbeit mit dem Sozialforschungsinstitut Apollis über die Plattform Salto.bz zwischen Dezember 2013 und Februar 2014 eine Online-Umfrage zu den Präferenzen in der Autonomiereform durchgeführt. Obschon die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, ist es interessant, die Positionen von immerhin 356 Teilnehmern näher unter die Lupe zu nehmen, gestatten sie doch recht erstaunliche Erkenntnisse. Vorauszuschicken ist, dass sich 86% der Teilnehmerinnen als deutschsprachig, 10% als italienischer Muttersprache und 2% als Ladinerinnen bezeichneten. 81% sind Männer und 19% Frauen, der Bildungsgrad der Teilnehmerinnen ist im Durchschnitt hoch — 51% haben einen Hochschulabschluss, 28% die Matura und 18% ein Fachdiplom.

    Schon die erste Frage (Nr. 1.1) ist sehr aufschlussreich: Zum Ausbau der Südtirol-Autonomie gibt es verschiedene Einstellungen. Welche der folgenden Aussagen entspricht am ehesten Ihrer Meinung?

    1. Ich wünsche mir einen möglichst weitgehenden Ausbau der Autonomie.
    2. Ein Ausbau ist sinnvoll, aber es braucht nur partielle Verbesserungen.
    3. Ein Ausbau ist nicht nötig, es reicht der heutige Stand.
    4. Eigentlich hat das Land Südtirol schon zu viel Autonomie.
    5. Ein Ausbau ist sinnlos, weil nur Selbstbestimmung die Lösung bringen kann.

    Die relative Mehrheit (46%) sprach sich für die Selbstbestimmung (die hier nicht ganz korrekt synonym zur Unabhängigkeit gesetzt wurde) aus, 41% für einen möglichst weitgehenden Ausbau der Autonomie, womit fast 90% der Teilnehmerinnen de facto die Unabhängigkeit vom Staat wünschen. Die starke — wenngleich, man muss es wiederholen, nicht repräsentativ erhobene — Unterstützung für die »Selbstbestimmung« (Antwortmöglichkeit Nr. 5) ist aus mehreren Gründen erstaunlich:

    • Zielgruppe der Umfrage waren schon aufgrund des Titels eher die Verfechterinnen der Autonomie, denn genuine Selbstbestimmungsbefürworterinnen.
    • Die Plattform Salto.bz, die als wichtigster Ausgangspunkt für die Umfrage diente, ist nicht als Hort von Selbstbestimmungsbefürworterinnen bekannt.
    • Die Reihung kann als suggestiv betrachtet werden, da die Antwortmöglichkeiten zunächst von der weitestmöglichen zur geringsten Form des Autonomieausbaus gereiht wurden und erst an letzter Stelle (wider die Logik der restlichen Reihung) die Selbstbestimmung »angeboten« wurde.
    • Durch die Formulierung bestand nicht die (legitime) Möglichkeit, die Selbstbestimmung und den Autonomieausbau zu befürworten. Wer sich für die Selbstbestimmung aussprechen wollte, musste gleichzeitig die Sinnlosigkeit des Autonomieausbaus bestätigen.

    Die zweite Frage (Nr. 1.2) lautet: Wie kann eine umfassende Autonomiereform (3. Autonomiestatut) Ihrer Meinung nach am besten erreicht werden?

    1. Mit der bisherigen Strategie der kleinen Schritte mit Vereinbarungen zwischen den Regierungsparteien in Rom und Bozen.
    2. Durch ein breites Parteienbündnis aller wichtigen politischen Kräfte in Südtirol.
    3. Durch verstärkten internationalen Druck (Österreich).
    4. Durch verstärkten Druck von unten (Öffentlichkeit, Bevölkerung, selbstverwaltete Aktionen).
    5. Anderes …

    Auch hier sind die Antworten erstaunlich eindeutig ausgefallen: Fast die Hälfte (48%) der Befragten glaubt, dass der Ausbau der Autonomie (und in Anlehnung an Frage 1 auch die Selbstbestimmung?) durch Druck von unten erreicht werden muss. An zweiter Stelle steht das breite Parteienbündnis (27%), während die »bisherige Strategie« der SVP (10%) nur knapp mehr Zustimmung erntete, als der internationale Druck (9%).

    Ganz klar bringen also die Befragten zum Ausdruck, dass eine Stärkung der Eigenregierung von Südtirol selbst und hier wiederum von der Bevölkerung ausgehen muss — und nicht sosehr von den Parteien. Deshalb ist es wohl auch unzulässig, den Wunsch nach mehr Autonomie (oder nach Unabhängigkeit) unmittelbar von den Wahlergebnissen ablesen zu wollen. Falls jedoch die etablierte Politik an der Ausarbeitung der neuen Landesverfassung beteiligt werden soll, so ist klar, dass dies überparteilich geschehen muss und nicht den Regierungsparteien in Rom und Bozen vorbehalten sein darf.

    Die dritte Frage (Nr. 1.3) ist inhaltlicher Natur: Wo sehen Sie die Schwerpunkte, bei denen die heutige Autonomie Südtirols am stärksten zu verbessern ist? (Mehrfachnennungen waren erlaubt)

    1. Bei der möglichst eigenständigen Gestaltung möglichst vieler Kompetenzen.
    2. Beim möglichst konfliktfreien, harmonischen Zusammenwirken der Sprachgruppen.
    3. Bei den demokratischen Mitbestimmungsrechten der Bürger und der Autonomie der Gemeinden.
    4. Bei der Position Südtirols gegenüber der Region und gegenüber dem Zentralstaat.
    5. Bei den Steuern und Finanzen.
    6. Anderes.

    Die höchste Zustimmung (von 58% der Teilnehmerinnen) erhielt Antwortmöglichkeit Nr. 1, wodurch ein weiteres Mal ein sehr hoher Selbstregierungsanspruch unterstrichen wird. Gleich dahinter (55%) rangiert Antwortmöglichkeit Nr. 3; das heißt, dass die möglichst vielen Zuständigkeiten auch möglichst bürgernahe bzw. durch die Bürgerinnen selbst ausgeübt werden sollen. An dritter Stelle (48%) wurden die »Steuern und Finanzen« genannt. Das Verhältnis zwischen Land und Region/Staat (40%) sowie die Harmonie zwischen den Sprachgruppen (37%) wurden etwas seltener genannt. Ersteres kann darauf zurückzuführen sein, dass Antwortmöglichkeit Nr. 1 bereits eine weitgehende (wenn nicht vollständige) Entflechtung der problematischen Beziehungen zur Folge hätte.

    Die vierte Frage (2.1) geht auf das Autonomiekonzept der SVP ein: Die SVP verlangt [die] Vollautonomie und versteht darunter den Übergang aller Kompetenzen, außer den wesentlichen staatlichen Funktionen wie Verteidigung, Außenpolitik, Geldpolitik, Straf- und Zivilrecht. Stimmen Sie dieser Zielsetzung zu?

    1. ja
    2. nein, das geht zu weit
    3. nein, das reicht nicht

    Erneut bekräftigten die Teilnehmerinnen ihre großen Erwartungen an ein drittes Autonomiestatut (bzw. an die Unabhängigkeit): An erster Stelle (48%) wurde Antwortmöglichkeit Nr. 3 genannt, nämlich, dass die hier beschriebene, doch sehr weitgehende »Vollautonomie« nicht ausreiche. Eine etwas geringere Zustimmung (44%) erhielt die von der SVP vorgeschlagene Vollautonomie mit Restkompetenzen für den Staat (44%). Nur 8% der Befragten glaubten hingegen, dass die Vollautonomie zu weit gehe. Man kann also behaupten, dass die Vollautonomie (nur) das »Minimum« darstellt, mit dem sich die Umfrageteilnehmerinnen begnügen würden.

    Bei den Fragen zum Fortbestand der Region Südtirol-Trentino sprachen sich 61% für eine vollständige Abschaffung der Institution und ihre Ersetzung durch zwei autonome Regionen aus. Immerhin 20% befürworteten eine Aufwertung der heutigen Region, während 17% glauben, sie sollte durch eine »weniger aufwändige gemeinsame Institution« ersetzt werden.

    Falls die Region abgeschafft würde, glauben 50%, dass die Zusammenarbeit zwischen Trient und Bozen unter dem Dach der Euregio fortgeführt werden sollte. Nur rund ein Fünftel (21%) war dafür, dass sich Südtirol und das Trentino dann »nur fallweise und bezogen auf einzelne Aufgaben oder Politikfelder« koordinieren sollten, während sich 30% institutionalisierte Koordinierungsorgane mit regelmäßigen Sitzungen vorstellen könnten.

    Mit 90% sprachen sich fast alle Teilnehmer dafür aus, dass den Bürgerinnen mehr direkte Mitsprache bei Statutsänderungen eingeräumt werden sollte. In diese Richtung äußerten sie sich auch bezüglich des geplanten Autonomiekonvents, indem sie großmehrheitlich (79%) angaben, dass die Mitglieder des Konvents direkt gewählt werden sollten. Nur 16% befürworteten eine Nominierung durch den Landtag, wie sie derzeit von der SVP bevorzugt wird.

    Eine sehr deutliche Mehrheit (76%) der Umfrageteilnehmerinnen war außerdem der Auffassung, dass ein neues Autonomiestatut auch »die Möglichkeit einer Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols« enthalten sollte.

    Betrachtet man die Ergebnisse der Erhebung zusammenfassend, muss man zum Schluss gelangen, dass die TeilnehmerInnen einen sehr hohen Anspruch auf Selbstverwaltung erheben und diese Selbstverwaltung so nahe wie möglich bei den Bürgerinnen selbst angesiedelt wissen möchten. Außerdem sprechen sie sich für eine deutliche Stärkung der Mitbestimmungsmöglichkeiten aus, von denen sie ganz ausdrücklich auch die Bestimmung des institutionellen Rahmens bis hin zur Staatsbildung nicht ausnehmen.


    Die Publikation »Mit mehr Demokratie zu mehr Autonomie« mit sämtlichen Ergebnissen der Umfrage — aus denen hier vor allem die Aspekte über die Fortentwicklung des institutionellen Rahmens herausgegriffen wurden — ist direkt über die Sozialgenossenschaft POLITiS erhältlich.



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  • Voraussetzungen.
    Quotation

    Und was viel zu selten gesagt wird: Die Voraussetzungen für eine Abtrennung Südtirols, nämlich eine kulturelle Unterdrückung sowie Verletzungen der Menschenrechte, sind trotz Unzufriedenheit mit dem italienischen Staat, die auch ich teile, einfach nicht gegeben.

    Brigitte Foppa (Grüne), TAZ, 31. Juli 2014.

    Wäre interessant, wenn uns Frau Foppa über die Menschenrechtsverletzungen in Schottland (aber gerne auch in Montenegro, Tschechien, Slowakei…) berichten könnte.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Wo sind die Hinterwäldlerinnen?

    Intolerant, bäuerlich (sic), bigott, konservativ, rückständig — kurzum: hinterwäldlerisch — seien die (Süd-)Tirolerinnen, ist eine immer wieder implizit oder explizit zu vernehmende Auffassung sich für besonders aufgeklärt haltender Südtirolerinnen über ihre Landsleute. Im heutigen A. Adige stellt Daniele Marini, wissenschaftlicher Leiter des Community Media Research an der Uni Padua eine Studie seines Departements vor, die mit diesem Mythos aufräumt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Erhebung wurden in den Regionen Venetien, Friaul-Julien (FJ) und Südtirol-Trentino insgesamt 3.888 Interviews geführt, um die Akzeptanz gesellschaftlicher Verhaltensweisen zu analysieren.

    Dabei erwiesen sich Südtiroler- und Trentinerinnen in (fast) allen relevanten Bereichen als die Tolerantesten im Vergleich mit den anderen untersuchten Regionen — und auch toleranter, als der staatliche Durchschnitt:

    • So halten in Südtirol-Trentino 95,2% der Befragten Lebenspartnerschaften ohne Heirat für »zulässig«, in Venetien nur 89,2% und in FJ 85,7%. (Italien gesamt: 90,2%)
    • Der Griff zur künstlichen Befruchtung wird (so gut wie) von allen hierzulande Befragten (100%) akzeptiert, in Venetien nur von 84,4% und in FJ von 83,1%. (Italien: 84,8%)
    • Auch die Sterbehilfe scheint in unserer Region kein Schreckgespenst zu sein, halten sie doch erstaunliche 90% für vertretbar, während sie in Venetien (77,6%) und in FJ (61,8%) deutlich weniger Zustimmung findet. (Italien: 75,9%)
    • Gegen gleichgeschlechtliche Sexualität haben in Südtirol-Trentino 90,5% der Befragten nichts einzuwenden; in FJ (81,6%) und Venetien (77,4%) ist die Akzeptanz wesentlich geringer. (Italien: 75,2%)
    • Schwangerschaftsabbrüche halten 76,2% der Südtiroler- und Trentinerinnen für vertretbar, in Venetien nur 67,6% und in Friaul-Julien gar nur 53,8%. (Italien: 61%)
    • Bei der Zustimmung zum Konsum leichter Drogen liegt Südtirol-Trentino (45%) knapp hinter Friaul-Julien (46,7%), aber deutlich vor Venetien (39,8%). (Italien: 44,1%)
    • Dass Südtirol und Trentino (23,8%) gerade bei der Akzeptanz von Prostitution hinter Venetien (25,9%) und FJ (26,9%) bleiben, halte ich persönlich für einen positiven Aspekt. (Italien: 27,4%)

    Auch was die Toleranzprofile anlangt, schneidet Südtirol-Trentino besser ab, als Venetien und Friaul-Julien (FJ):

    • In die Gruppe der Intoleranten, die alle abgefragten Verhaltensweisen für unzulässig hielten, fallen hierzulande keine der Befragten (0%), in Venetien 11,2% und in FJ 13,9%. (Italien: 9,6%)
    • Dem Profil der ‘Strengen’ entsprachen 4,8% der Befragten in Südtirol-Trentino, 5,9% in Venetien und 9,7% in FJ. (Italien: 12,4%)
    • Als tolerant stufte Community Media Research satte 57,1% der Südtiroler- und Trentinerinnen, 55,2% der Veneterinnen und 44,4% der Befragten in FJ ein. (Italien: 49,2%)
    • In die Gruppe der Liberalen, die jede der genannten Verhaltensformen akzeptieren, fallen in unserer Region 38,1%, in FJ 31,9% und in Venetien 27,6%. (Italien: 28,8%)

    Da werden sich einige wohl von liebgewonnenen Vorurteilen über die (Süd-)Tirolerinnen verabschieden müssen, jedenfalls was den Vergleich mit Italien betrifft. Interessant wäre es freilich, ein Gesamtbild der Euregio einschließlich Nord-/Osttirol — und ähnliche Daten auch über die Toleranz gegenüber Migrantinnen — zu erhalten.

    Cëla enghe: 01 02 || 01 02 03



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  • Ungesunde Relationen.

    Knapp 180.000 Euro kostete das Land im Jahr 2013 jene Ambulanz, die den sans papiers in Südtirol (offizielle Diktion: »Temporär Anwesende Ausländer«, TAA) eine medizinische Grundversorgung sichert, wie eine Anfrage der Freiheitlichen jüngst zutage förderte.

    g-relationenWer diese Ausgabe infrage stellt, setzt nicht nur die öffentliche Gesundheit aufs Spiel, sondern will diesen Entrechteten auch noch ein Menschenrecht — sowie, wenn man will, christliche Nächstenliebe – vorenthalten. Das ist gerade für eine Partei, die die Einhaltung des Menschenrechts auf Selbstbestimmung der Völker einfordert, ziemlich sonderbar, denn Menschenrechte gelten immer. Oder sie gelten nie.

    Wie sich nun zeigt, haben die Blauen aber mit ihrer Stimmungsmache gegen Ausländer das eigentliche Ziel deutlich verfehlt: Während nämlich die sans papiers mit nicht ganz 0,2 Millionen im Jahr ’zu Buche schlagen’, schuldet der Staat dem Land seit dem Jahr 2000 Geld aus der internationalen Patientenmobilität, das sich inzwischen auf 36,2 Millionen summierte. Seit 2010 hat Rom außerdem auch für die inneritalienische Patientenmobilität keinen Cent mehr an das Land überwiesen, womit uns noch einmal 29,3 Millionen fehlen, die uns vertraglich zustünden. Allein mit diesen fehlenden Mitteln könnten wir die äußerst sinnvolle Ambulanz für Papierlose über 360 Jahre lang finanzieren.



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  • Habermas.
    Quotation

    Sie haben, meine Frage zielt genauso auf den Ukraine-Komplex wie auf die schottischen und flämischen Abspaltungstendenzen, wiederholt Separatismus kritisiert. Warum eigentlich? Das Beispiel von Tschechien und der Slowakei zeigt doch, dass auf prozedural einwandfreier Grundlage eine solche Teilung relativ problemlos vonstatten gehen kann. Historisch gesehen repräsentiert die Sezession nicht mehr und nicht weniger als einen Typus der Nationalstaatsbildung. Muss man ihn unbedingt mit einem normativen Kainsmal versehen?

    Das sogenannte Nationalitätenprinzip ist nach dem Ersten Weltkrieg bei den Verträgen von Versailles zugrundelegt worden – und hat, statt Frieden zu stiften, nur neue Konflikte geschürt. Der Grund liegt auf der Hand: Es gibt keine ethnisch homogenen Völker. Jede neue Grenzziehung erzeugt bestenfalls die Umkehrung des bestehenden Verhältnisses zwischen Mehrheiten und Minderheiten. Genschers Vorpreschen bei der völkerrechtlichen Anerkennung Kroatiens als eines souveränen Staates und die darauf folgende Zerschlagung Jugoslawiens hat zu den blutigsten Schlächtereien auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geführt – ein Fehler, der mit der internationalen Anerkennung des Kosovo noch einmal wiederholt worden ist. Das war der einstweilen letzte Schatten, den das nationalistische 19. Jahrhundert über das 20. geworfen hat. Und nun rumoren diese nationalistischen Gespenster sogar im Herzen einer Europäischen Union, die nicht einmal den politischen Willen aufbringt, gegen den weichen Autoritarismus der Orban-Regierung einzuschreiten.

    Aus dem Interview der Frankfurter Rundschau mit dem Philosophen Jürgen Habermas anlässlich seines 85. Geburtstags, 13. Juni 2014.

    Es ist bedauerlich, dass auch dieser große linke Vordenker der europäischen Einigung offenbar nicht inhaltlich zwischen den unterschiedlichen Separationsbewegungen unterscheiden kann. Schottland und Flandern sind — um erst gar nicht von der Krim zu sprechen — zwei völlig unterschiedliche Realitäten. Was etwa hat der inklusivistische Prozess in Schottland mit der Schaffung ethnisch homogener Nationalstaaten zu tun? Wenn eine Staatsgründung nicht entlang national(istisch)er Definitionsmuster verläuft, ist auch keine Umkehrung des bestehenden Verhältnisses zwischen Mehrheiten und Minderheiten zu befürchten — einen Vorwurf den sich jedoch hierzulande etwa die Freiheitlichen mit ihrem Verfassungsentwurf gefallen lassen müssen.

    Schaut man etwas genauer hin, muss man Prozesse wie jenen in Schottland (oder den von vorgeschlagenen) als einen Beitrag zur Überwindung des nationalstaatlichen Prinzips verstehen. Andere Vordenker, wie Robert Menasse, tun dies. Eine Erklärung, warum denn das Festhalten an althergebrachten Nationalstaaten besser sein soll als deren »physische« Dekonstruktion, bleibt Habermas in seiner Antwort zudem schuldig.



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