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  • Alles ändern…
    Quotation

    Bliebe der ethnische Proporz in Ihrem Freistaat beibehalten?

    Der Proporz würde sicherlich beibehalten werden, da auch innerhalb des Freistaats drei Sprachgruppen miteinander leben. Demnach muss jede davon die Gewissheit haben, dass sie nicht benachteiligt wird.

    Pius Leitner (F) im heutigen TAZ-Interview.

    Es bestätigt sich also, dass die Freiheitlichen alles ändern möchten, damit alles gleich bleibt. Fast alles.



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  • Antwort aus Großbritannien.

    Perfektes Timing: Unmittelbar vor der Landtagswahl wollen die Dolomiten den Südtirolern mit ihrer heutigen Titelstory »die Wahl nehmen«, ob sie die Loslösung von Italien möchten. Dazu dient ein Interview mit dem deutschen Botschafter in Rom, Reinhard Schäfers, der davor warnt, er »sehe da niemanden, der euch dabei unterstützen würde«. Hatten wir schon. Auch das abgedroschene Argument, Europa bedeute »Grenzen überwinden und nicht neue aufbauen«, darf nicht fehlen. Der Herr stellt aber selbstverständlich klar, dass das keine Einmischung sei — aber nein! Natürlich nicht.

    Auch perfektes Dolomiten-Timing lässt sich aber noch toppen, und da sind einmal mehr die Katalanen behilflich. Genau heute — ein denkbar günstiger Zufall — veröffentlichte die Nachrichtenagentur ACN (die schon manch erleuchtendes Interview 01 02 03 zum Thema Selbstbestimmung geführt hat) ein Gespräch mit Michael Moore, ehemaligem Minister für schottische Angelegenheiten der Regierung Cameron. Von Moore stammt der Satz:

    Ich nehme an, wir könnten die verfassungsrechtliche Frage aufwerfen, wer die Zuständigkeit [ein Referendum einzuberufen] hat und wer nicht, doch ich glaube, das wäre kein sinnvoller Zeitvertreib. Wenn das aktuelle Thema die Zukunft Schottlands innerhalb des Vereinigten Königsreichs ist, dann ist es wichtiger, diese Debatte zu führen, als darüber zu diskutieren, ob wir die Debatte führen dürfen.

    Auch Cameron selbst, obwohl ein Konservativer und Unabhängigkeitsgegner, hat übrigens schon mehrmals bewiesen, dass der Bürgerwille im Vereinigten Königsreich höher bewertet wird, als die pure Juristerei. So erteilte er seinem spanischen Amtskollegen Rajoy auch schon mal eine Nachhilfestunde in Demokratie.

    Die Kernaussage von Michael Moore im heutigen ACN-Interview ist, dass Katalonien seiner Meinung nach, wenn es ein unabhängiges Land werden sollte, von den anderen Staaten anerkannt werden würde.

    Sie haben auch die Herangehensweise anerkannt, die das Vereinigte Königsreich und andere Länder im Laufe der Zeit gewählt haben. Was niemand tun wird, ist, ’das Spiel vorwegzunehmen’ [jump ahead of the game, Anm.].

    Das heißt, dass wir uns keine Unterstützung zu erhoffen brauchen, bevor wir den ersten Spielzug gemacht haben. So gesehen sind die Aussagen des deutschen Botschafters keine Überraschung: Nicht er oder jemand anderes wird uns ermutigen, die Unabhängigkeit anzustreben, wir müssen das selbst wollen. Was wäre das sonst auch für eine Selbstbestimmung? Erst wenn wir den Prozess starten (würden), käme es zu entsprechenden Äußerungen und Stellungnahmen — wie ja auch der katalanische Fall zeigt, wo eine ernsthafte Diskussion erst durch die »Aktion« ins Rollen gebracht wurde.

    Das müssen Staaten und Teile von Staaten selbst entscheiden, dann wird sich die internationale Gemeinschaft dazu äußern.

    Falls die Menschen in Katalonien letztendlich beschließen würden, dass sie ein unabhängiges Land werden wollen, wäre ich sehr überrascht, wenn das international nicht anerkannt würde. Doch es wäre für Außenstehende verfrüht und unangemessen, darüber zu spekulieren, wie [die Katalanen] dann behandelt werden würden.

    Ich denke, schlussendlich müssen Politik und Legalität in Einklang gebracht werden. Eine Situation, wo es für ein legitimes Ergebnis eine juristische Hürde gibt, ist inakzeptabel. Schwierig ist auch eine politische Situation, wo die Legalität den Willen der Menschen aufhält. Es ist nicht meine Aufgabe, meinen Freunden in Katalonien und Spanien zu sagen, wie sie diesen Weg gehen sollen, doch es freut mich, zu sehen, dass die Menschen miteinander sprechen und eine politische Lösung finden wollen.

    Wir wussten, dass es in Schottland [Unabhängigkeits-]Bestrebungen gibt und als Demokraten wollten wir das am Ende anerkennen. Wir wollten keine Auseinandersetzung, keine Ungewissheit und Illegitimität, [wir wollten nicht,] dass eine Abstimmung stattfindet und niemand weiß, was dann passiert. Ich denke wir haben für die Politik und für die Juristen ein gutes Ergebnis erreicht. Zudem haben wir bewiesen, dass wir ein verfassungsrechtlich sehr schwieriges Problem friedlich und politisch gut zu lösen imstande waren. Und schließlich haben wir es erreicht, dass die Menschen entscheiden können. Mein Argument […] war immer, dass die Stimmberechtigten über die nächsten Jahre mit den Politikern beider Seiten sehr verärgert gewesen wären, wenn wir den Prozess und die Entscheidung vermischt hätten. Jetzt haben wir aber den Prozess geklärt und in einem Jahr können wir entscheiden.

    In jedem Land herrschen andere Voraussetzungen. Natürlich werden Menschen sich an einem Weg orientieren, den wir jetzt hier im Vereinigten Königsreich etabliert haben. Wir haben vielleicht einen Vorteil: Dass die ’Natur’ des Vereinigten Königsreiches anders ist, als die von Katalonien und Spanien. Wir haben auch eine andere verfassungsrechtliche Grundlage, im dem Sinn, dass das Gesetz anders gegliedert ist. Also ist es für andere Menschen vielleicht interessant — ich hoffe das ist es — auf Schottland als ein Beispiel zu blicken, aber ich wäre sehr vorsichtig zu sagen, dass das ein Modell ist, das andere einfach kopieren können.

    Als Demokrat glaube ich sehr an die Macht von Politik. […] Letztendlich geht es um die Lösung von konkurrierenden Interessen und um den Respekt für den Willen der Menschen. Ich glaube, da müssen wir uns — auf unterschiedliche Weise — durcharbeiten. Die Menschen sind sehr geduldig, sie müssen das sein, in Katalonien und Spanien wird ein Weg eingeschlagen werden, auch wenn noch nicht klar ist, welcher. Vor eineinhalb-zwei Jahren war nicht klar, wie wir das im Vereinigten Königsreich lösen würden. Wir haben einen Weg vorbereitet, der bislang funktioniert hat — und das belohnt meinen grundsätzlichen Optimismus, dass politische Prozesse funktionieren können, auch wenn sich sehr unterschiedliche Positionen begegnen.

    Ich habe keinen Grund zu glauben, dass irgendein Land in Europa einen grundsätzlichen Einwand hätte, wenn sich ein neues Mitgliedsland anschließen will. Und ich meine nicht Schottland, sondern irgendwo in der EU. Wir haben einen stolzen Rekord in der EU, Menschen zu inkludieren — in den Siebzigern, als das Vereinigte Königsreich hinzukam, dann als in den Achtzigern Spanien und Portugal in die Union eintraten bis zum ’Big Bang’ der Osterweiterung 2004. Für kein Land sollte das Prinzip, dass Schottland, Katalonien oder welches Land auch immer in Zukunft entstehen sollte, der EU beitritt, ein Problem sein.

    Das sagt der ehemalige Minister einer britischen Regierung, die gegen die Unabhängigkeit Schottlands ist — die aber gleichzeitig so demokratisch ist, nicht selbst darüber zu entscheiden, sondern den Betroffenen das Wort zu geben.

    Übersetzung und Hervorhebungen:
    Das vollständige Interview als Video (in englischer Sprache).

    Cëla enghe: 01 02 03



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  • Demokratie-Botschafter.
    Quotation

    In Südtirol steht ein Landeshauptmannwechsel an. Kennen Sie Arno Kompatscher?

    […] Der Wechsel kommt zur richtigen Zeit. Ich freue mich, dass ein Junger das Ruder übernimmt.

    Der deutsche Botschafter in Italien, Reinhard Schäfers, im heutigen Dolomiten-Interview.

    Der Herr sagt nicht nur, Deutschland würde den demokratischen Willen der Südtirolerinnen missachten, falls sie die Loslösung von Italien wünschten. Er wartet auch gar nicht die Wahlen ab, um Herrn Kompatscher zum Südtiroler Landeshauptmann zu ernennen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07



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  • Wirtschaftsrückgang verdreifacht!

    Das Landesstatistikinstitut (Astat) hat seine Prognose für den Wirtschaftsrückgang in Südtirol für das laufende Jahr drastisch korrigiert: Statt einem Wert (-0,2%), der noch als Stagnation hätte bezeichnet werden können, musste nun mit -0,6% auch hierzulande eine klare Rezession in Rechnung gestellt werden. Südtirols Wirtschaft schrumpft.

    Trotzdem werden die Wahlkämpfer der Regierungsparteien, insbesondere der SVP, nicht müde zu wiederholen, unserem Land gehe es nach wie vor besser, als den umliegenden Regionen. Doch weder Österreich, noch Deutschland und die Schweiz befinden sich in Rezession. Dasselbe gilt für die Bundesländer und Kantone in unmittelbarer Nähe: Salzburg, das restliche Tirol, Vorarlberg, Bayern und Graubünden wachsen. Auch die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen, besonders bei Jugendlichen, ist in den genannten Regionen besser, als hierzulande.

    Das Astat begründet seine Korrektur übrigens mit der engen wirtschaftlichen Verflechtung Südtirols mit Italien.



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  • Leitfaden zur Landtagswahl.

    Wie schon zur Parlamentswahl will auch zur Landtagswahl keine Wahlempfehlung geben, sondern durch ein Medley die nach unserer Auffassung wichtigen Aspekte zu jeder Partei zusammenfassen.

    A. Adige nel Cuore:

    • Die Partei des Ex-MSI-, AN-, PDL- und FLI-Politikers Alessandro Urzì spricht sich gegen die Selbstbestimmung aus. Für A. Adige nel Cuore ist die in der Verfassung verankerte »Einheit Italiens« vorrangig.
    • Auch das »neue Grenzen im vereinten Europa«-Argument wird strapaziert.
    • Die vollständige Gleichstellung der deutschen Sprache, etwa im Konsumentenschutz, kommt nicht in Frage.
    • Mehrsprachigkeit ist aber dort wichtig, wo es um die Betonung nationalstaatlicher Identität geht: zum Beispiel bei den Ortsnamen, wo Tolomeis Prontuario das Maß aller Dinge bleiben soll.

    Bündnis Südtirol (Ladins Dolomites / BürgerUnion / Wir Südtiroler):

    • Thomas Egger, Chef von Wir Südtiroler, hat sich — aus angeblichem »Realismus« — gegen die Selbstbestimmung ausgesprochen. Dies, obschon das Bündnis als Ganzes die gegenteilige Position eingenommen hatte.

    Freiheitliche:

    • Obschon sie dem Thema etwas Zentralität genommen haben, sind die Freiheitlichen nach wie vor eine grundsätzlich ausländerfeindliche Partei. Dies ist nicht nur mit den Grundwerten von unvereinbar, sondern läuft auch einer tatsächlichen Integration der neuen Mitbürgerinnen zuwider.
    • Sie vertreten außerdem homophobe und deutschnationale Positionen.
    • Ihr Konzept des »Freistaates« stellt eine reine Umkehr der Istsituation unter Beibehaltung der »nationalstaatlichen Logik« dar — Italiener- und Ladinerinnen werden dabei zu nationalen Minderheiten und benötigen abermals Schutz: Alles ändern, damit alles gleich bleibt. (01 02)

    Grüne:

    • Zum Thema Selbstbestimmung und Unabhängigkeit hat sich bei den Grünen eine Vielfalt der Positionen durchgesetzt, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schien: Listenführerin Brigitte Foppa hat sich in einem Interview mit positiv zur Möglichkeit einer Abstimmung geäußert, Sigmund Kripp (der jedoch nicht kandidiert) spricht sich sogar aktiv für die Unabhängigkeit (01 02 03) aus. Leider hat sich die Partei als Ganzes offiziell (programmatisch) gegen die Selbstbestimmung ausgesprochen.
    • Die Grünen haben zudem im Landtag gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung gestimmt.
    • Mit Riccardo Dello Sbarba waren die Grünen maßgeblich an der Aufdeckung des SEL-Skandals beteiligt.

    Fünfsternebewegung:

    • Die sogenannte Grillo-Partei spricht sich für die Abhaltung eines Selbstbestimmungsreferendums aus.
    • Allerdings befürwortet sie die Abschaffung des Proporzes und die Einführung der mehrsprachigen Schule ohne geeignete Gegenmaßnahmen, die für eine Minderheit in einem Nationalstaat erforderlich sind.

    Partito Democratico:

    • Keine Partei ist derzeit ein größerer Garant für die Bindung Südtirols an Rom, als die PD. Er profitiert von der Zersplitterung der italienischen Rechtsparteien und nutzt seine Stärke auf Staatsebene, um der SVP Bedingungen für die Mitregierung auf Landesebene zu diktieren.
    • Ein Selbstbestimmungsreferendum lehnt die PD selbstverständlich ab, er hat im Landtag sogar das entsprechende Menschenrecht abgelehnt.
    • Die Partei steht für Postenschacher und Freunderlwirtschaft wie keine zweite in diesem Land; gemessen an der politischen Repräsentation (Wahlergebnis) ist sie dabei sogar wesentlich erfolgreicher und skrupelloser, als die SVP.
    • Bei ethnischen Themen unterscheidet sich die PD kaum von den italienischen Rechtsparteien: So wird dem Militär gehuldigt, die zweinamige Toponomastik bis zum letzten Hof gefordert und (dem sonst gerne vorgeschobenen Thema Mehrsprachigkeit zum Trotz) sogar die Gleichstellung der deutschen Sprache — etwa in der Produktetikettierung — abgelehnt.
    • Obschon sie angeblich für Autonomie und Mehrsprachigkeit stehen will, hat die Partei ihre privilegierte Rolle als Ableger einer römischen Regierungspartei noch nie dafür genutzt, diese Ziele gegenüber dem Nationalstaat durchzusetzen. Auf staatlicher Ebene fällt die PD sogar immer wieder unangenehm als minderheitenfeindliche Partei auf (01).

    Süd-Tiroler Freiheit:

    • Die STF ist die einzige Partei, die auch im Wahlkampf aktiv mit dem Thema Unabhängigkeit wirbt. Wie sie dies angeht, ist leider fragwürdig, auch eine tatsächliche Einbindung der italienischen Sprachgemeinschaft wird nicht in Angriff genommen. Konkrete Aussagen zum Ziel der Abspaltung von Italien werden nicht gemacht.
    • Bedenklich ist die Vereinnahmung der Selbstbestimmung für den Wahlkampf. Dies könnte dazu führen, dass sie von einem gesellschaftlichen wieder zu einem parteipolitischen Thema wird.

    Südtiroler Volkspartei:

    • Die Volkspartei ist der Garant für den Verbleib beim Status Quo mit all seinen Vor- und Nachteilen. Sie lehnt es ab, die Bürgerinnen über den institutionellen Status unseres Landes frei und demokratisch befinden zu lassen. Wie Grüne und PD hat sie im Landtag sogar das entsprechende Menschenrecht abgelehnt.
    • Sie hat nicht nur zum Boykott der selbstverwalteten Befragung der Süd-Tiroler Freiheit aufgerufen, sondern während der zu Ende gehenden Legislatur zweimal ganz massiv den Mitbestimmungsrechten der Südtiroler Bürgerinnen geschadet: Einmal durch den Boykottaufruf im Rahmen der Landesreferenda 2009, die schlussendlich knapp am Quorum scheiterten, und kürzlich erneut durch die Verabschiedung eines Bürgerbeteiligungs-Verhinderungsgesetzes, gegen das nun das Referendum ergriffen wird.
    • Die beschleunigte Einbürgerung der schwedischen Kandidaten Marie Måwe war ein unwürdiges Beispiel von Freunderlwirtschaft in und mit Rom. Zudem wurde Wahlwerbung teils als institutionelle Information getarnt und mit Steuermitteln finanziert.
    • Die Partei lässt sich in Bozen bei zentralen Themen (Ortsnamensgebung, mehrsprachige Schule, Gleichstellung der Sprachen) vom kleinen Koalitionspartner PD vor sich hertreiben.
    • Der Unabhängigkeit setzt sie — angeblich aus »Realismus« — die sogenannte Vollautonomie entgegen. Das Konzept ist jedoch unausgegoren und mit keinem konkreten Zeitplan versehen. Gleichzeitig erweckt die Partei den Anschein von akuter Realitätsverweigerung, wenn es darum geht, die Istsituation zu beurteilen.
    • Ungeachtet der Tatsache, dass diese Autonomie in noch nie da gewesenem Ausmaß ausgehöhlt wurde, präsentiert sich die SVP als ihre Garantin und Behüterin. Selbstverständlichkeiten, wie die Einhaltung von Vereinbarungen durch Rom, werden regelmäßig als »Erfolge« gefeiert.

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  • Schade ums Papier.

    Plakat STF.

    Neulich waren Sven Knoll und Eva Klotz bei mir zu Hause auf einen gemütlichen Ratscher. Wir sprachen über Gott und die Welt. Und wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, wollte ich meinen Gästen zur Marende ein paar Köstlichkeiten kredenzen. Ich holte also eine Packung vakuumverpackter Wurst vom Eurospin und eine Schwarte feinsten selbergeselchten Speck aus dem Keller. Knoll und Klotz stürzten sich sofort auf den Speck. Gerade rechtzeitig konnte ich ihnen das gute Stück noch entreißen und machte ihnen klar: “Dieser Speck ist viel zu schade für euch!” Komischerweise fühlten sie sich vor den Kopf gestoßen und verließen beleidigt mein Haus.

    Plakat Freiheitliche.

    Nach dieser Episode entschied ich, dass es wohl besser wäre, mich eine Zeitlang nicht in Südtirol blicken zu lassen. Womöglich kommen ja ein paar Halbstarke auf die Idee, mich zu verdreschen. Also nahm ich eine Einladung von Ulli Mair und Pius Leitner an, sie auf einer Reise nach Dreizehnlinden in Brasilien zu begleiten. Im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina, in dem Dreizehnlinden gelegen ist, herrscht gerade Wahlkampf. Wenige Kilometer vor unserem Ziel entdecken wir am Straßenrand ein riesiges Wahlplakat der Partido Liberal. “Idioten” murmelt plötzlich Pius Leitner, der offensichtlich des Portugiesischen mächtig ist, vor sich hin. Ich frage ihn, was denn da geschrieben stehe? “Samba tanzen statt jodeln, saufen und schanzen”, übersetzt Leitner den Wahlkampfspruch. Der restliche Trip wurde zum Albtraum. Leitner war die ganze Zeit über stocksauer und vermieste uns allen die Stimmung. Nicht einmal die Geranien auf den Holzbalkonen unter den Giebeldächern und der spontan organisierte Tiroler Abend, der um 23 Uhr von der Polizei in Folge einer Anzeige der Nachbarn wegen Lärmbelästigung mit der Begründung, es handle sich um eine unangemeldete politische Demonstration, aufgelöst wurde, konnten ihn besänftigen.

    Plakat La Destra.

    Genervt von dem ganzen Theater in Brasilien, flog ich nicht nach Europa zurück. Ich hatte genug von dem Stress, den Polemiken, den Streitereien um Sezession, Toponomastik und Migration. Ich brauchte eine Auszeit. Also weg von der “Zivilisation”. Als ich in Kundiawa, der Hauptstadt (die diese Bezeichnung nicht verdient) der Provinz Chimbu in Papua Neuguinea ankam, fühlte ich eine große Erleichterung. Alles war so originär und unverfälscht. So verdammt ehrlich. In mir wuchs das unwiderstehliche Bedürfnis, den Berg, der sich weit hinten am Horizont erhob, zu besteigen und diese wunderschöne Landschaft in mich aufzusaugen. Mein Simbu war ein wenig eingerostet, aber ich schaffte es dennoch, einen Einheimischen nach dem Namen diese Berges zu fragen. “Mount Wilhelm” bekam ich in perfektem Deutsch zur Antwort. “Benannt nach Wilhelm von Bismarck, Sohn des ehemaligen deutschen Reichskanzlers.” Wieso um alles in der Welt sie einen Berg in Neu-Guinea nach einem Deutschen benennen, wollte ich dann noch von dem netten Mittdreißiger wissen. Er aber deutete nur still auf eine uns gegenüberliegende Plakatwand, wo ein grimmig dreinschauender blonder Mann gerade ein selbstgebasteltes Transparent mit der Aufschrift “Das ist Deutschland” anbrachte. Na toll. Ich strich die Besteigung des 4509 Meter hohen Mt. Wilhelm von meiner Agenda und flog schnurstracks zurück nach Südtirol, denn blöder kann’s dort auch nicht sein.

    Plakat FA-LN.

    Saumüde von der 48-stündigen Reise knalle ich mich zwecks Überwindung des Jetlags noch ein paar Stunden vor den Fernseher. Da höre ich von jener unglaublichen Geschichte, die sich während meiner Abwesenheit zugetragen und die Südtirol nun offenbar schon seit Wochen in Atem gehalten hatte. “Die Dankesfeierlichkeiten zu Ehren von Severin Krautwedler gehen morgen weiter. Wie berichtet war der wegen zwanzigfachen Diebstahls zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilte Krautwedler auf Bewährung, als er in einem kleinen Lebensmittelgeschäft in Unsere Liebe Frau im Walde einen Lutscher entwendete. Drei Stunden nach der Tat brachte Krautwedler den Lutscher unter den “Heilsbringer, Heilsbringer”-Rufen der Bevölkerung ins Geschäft zurück. Krautwedler wird von Historikern mittlerweile nach Andreas Hofer und noch vor Silvius Magnago als größter Wohltäter Südtirols eingestuft. Für den RAI Sender Bozen live aus Unsere Liebe Frau im Walde, Jimmy Nussbaumer.”



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  • Konsequenz.

    G.LOKAL



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  • Voll konzeptlos.

    In der Diskussion um das Dauerthema Selbstbestimmung wird vielfach der Einwand vorgebracht, was denn danach, nach der Loslösung von Italien passieren würde, also konkret über welches Zukunftsmodell abgestimmt würde.

    Dieser Einwand ist einerseits berechtigt — und wurde übrigens von auch immer betont — andererseits greift er aber zu kurz, da es in Südtirol bisher viele Kräfte gibt, die eine breite, konstruktiv von der gesamten Gesellschaft und Medienlandschaft getragene Diskussion über Südtirols Zukunft, blockieren. Aus einer solchen ergebnisoffenen Diskussion würde sich sehr wahrscheinlich ein tragfähiges Modell über Südtirols Zukunft (ohne Italien) herausschälen.

    Eine ergebnisoffene Diskussion über Südtirols Zukunft wird maßgeblich von der stärksten Partei Südtirols, der SVP, blockiert. Als Gegenmodell zu den stärker werdenden Forderungen nach Selbstbestimmung präsentiert die SVP ihr Modell der sogenannten »Vollautonomie«. Dies ist legitim.
    Da vor allem SVP-Exponenten den Selbstbestimmungsbefürwortern vorwerfen, es fehle das Modell für danach, möchte man davon ausgehen die SVP verfüge über ein halbwegs professionelles Konzeptpapier zum Thema Vollautonomie. Doch weit gefehlt.

    All das, was auf der SVP-Webseite zum Thema Vollautonomie vorliegt, ist ein vierseitiges Papier, das politologisch und autonomiepolitisch einigermaßen versierte Personen in einem abendlichen Brainstorming von der inhaltlichen Qualität leicht überbieten würden. Das SVP-Papier listet nicht die Kompetenzen der so genannten Vollautonomie vollständig auf, vertieft diese nicht und enthält keinerlei Angaben über die zeitliche Umsetzung.
    Da ist ganz lapidar davon die Rede, Südtirol solle alle Kompetenzen außer Währung, Verteidigung, Außenpolitik und Gerichtsbarkeit übernehmen, wobei zu diskutieren wäre, ob es sinnvoll ist, von vornherein auf bestimmte außenpolitische Zuständigkeiten oder die Gerichtsbarkeit zu verzichten. Über die Kompetenzen, die wir in Folge dieser Zielvorgabe übernehmen sollten, schweigt man sich inhaltlich weitgehend aus. Um die Fülle an Kompetenzen zu verdeutlichen, die es in Rom zu verhandeln gilt, sollen hier einige der dicksten Brocken aufgelistet werden:

    • Umformung der Autonomen Provinz Bozen in eine Autonome Region Südtirol
    • Finanzhoheit, einschließlich eines Schuldenschnittes mit Italien
    • Landespensionssystem mit der Möglichkeit in Südtirol ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen
    • Landespolizei
    • Sportautonomie
    • Möglichkeit eigene Kollektivverträge abzuschließen
    • Zivilrecht, Strafrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht
    • Volle Zuständigkeit in den Bereichen Wirtschaft und Handel
    • Volle Zuständigkeiten im Bereich Gesundheit, Bildung und Schule
    • Volle Zuständigkeit im Bereich der Einwanderung
    • Volle Zuständigkeit im Bereich Umwelt
    • Materielles Eigentum aller Eisenbahninfrastrukturen und Straßen, einschließlich der Autobahn
    • Landespost
    • Abschaffung des Regierungskommissärs
    • Volle Zuständigkeit im Bereich Staatsimmobilien und Grundverkehrsrecht
    • Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
    • Volle Zuständigkeit im Bereich Konsumentenschutz
    • Abzug der Militäreinheiten aus Südtirol
    • usw.

    Über die Umsetzung der Vollautonomie hört man ebenfalls nichts. Das Vierseitenpapier enthält keine Roadmap mit Zeitrahmen über die Umsetzung der einzelnen Kompetenzen und, besonders wichtig, die Konsequenzen, wenn der Zeitplan nicht respektiert wird.
    Karl Zeller hat letzthin verlauten lassen, er könne sich die Umsetzung der Vollautonomie in 20 Jahren vorstellen. Klingt fast nach John Maynard Keynes: »Auf lange Sicht sind wir alle tot.«

    Bis dato verhandelt die SVP mit Rom gar nicht über das Thema Vollautonomie, was etwas verwundert, da dort laut Mehrheitspartei ja derzeit so autonomiefreundliche Kräfte sitzen.
    Man folgt weiterhin der aus den letzten Jahren gewohnten “Blumenpflück-Philosophie”: Wenn am Wegesrand grad was blüht wird es mitgenommen. Professionellen Plan für die Vollautonomie, der über das Tagesgeschäft hinausreicht, ja auch nur zur signifikanten Erweiterung der derzeitigen Autonomie, hat man keinen.

    Übrigens, wenn in diesem Artikel der gängigen Kritik am fehlenden Zukunftsmodell für ein Südtirol ohne Italien eine Kritik am mangelhaften Vollautonomie-Konzept gegenübergestellt wird, wurde noch nicht einmal thematisiert, dass für beide Modelle völlig unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung stehen: Während sich mit dem Thema Selbstbestimmung einige Oppositionsparteien mit sehr begrenzten Ressourcen beschäftigen, steht der SVP als Langzeit-Regierungspartei der gesamte Beamten- und Verwaltungsapparat zur Verfügung. Warum hat man dort noch nichts Professionelles zum Thema Vollautonomie in Auftrag gegeben oder ein Kompetenzzentrum eingerichtet, das dieses Thema betreut?

    Vielleicht würde man bei einer professionellen Auseinandersetzung mit dem Thema Vollautonomie zur Erkenntnis gelangen, dass es einfacher und realistischer (!) wäre, die Unabhängigkeit anzupeilen, als auf einem überholten Betriebsystem (zentralistisch verwalteter Nationalstaat) eine neue Software (Vollautonomie) zu installieren, die mit dem Betriebssystem in vielen Bereichen unkompatibel ist oder auf diesem nicht korrekt funktionieren kann.



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