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  • Da stockt einem der Atem, wobei manchen der Atem stockt.

    Es kann gut sein, dass ich mich jetzt bis auf die Knochen blamiere und morgen auf der Deppenseite lande, weil ich Satire nicht als solche erkannt habe, aber ich riskier’s:

    In den Dolomiten ist heute ein “Vorausgeschickt” von Benno Zöggeler erschienen, bei dem mir der Atem stockte. Da echauffiert man sich auf der Titelseite des Tagblattes der Südtiroler doch tatsächlich darüber, dass RAI Südtirol in einer Heimatsendung einen Trentiner Senner vom Nonsberg* über die Käseherstellung interviewte.

    Kürzlich stockte mir der Atem, als ich minutenlang einen Senner aus Rumo im Trentino (!) über die Geheimnisse der Erzeugung von Hartkäse (Grana Padano) erzählen hörte. Was hat das mit Südtirol zu tun?

    RAI Südtirol hören ist also gar nicht mal so ungefährlich und kann minutenlange Atemstillstände verursachen. Zwar nicht — wie bisher vermutet — aus Langeweile, sondern wegen der ungeheuerlichen Auswahl der Interviewpartner. Zöggeler hat es glücklicherweise überlebt, um uns darüber berichten zu können.

    Wohin soll das aber alles noch führen? Aus gesicherter Quelle im Brüsseler Euregio-Büro habe ich gehört, dass die ORF-Sendung (Nord-)Tirol Heute demnächst ein Feature über die erfolgreichen BBT-Proteste in Wiesen/Pfitsch machen möchte. Dabei liegt Wiesen noch viel weiter hinter der Brennergrenze als Rumo von Proveis und Laurein entfernt ist.

    Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch, dass das MIT (Massachusetts Institute of Technology) in einer großangelegten Studie unlängst nachgewiesen hat, dass in zwei Laibern des Grana Padano aus Rumo Spuren original Südtiroler Genmaterials gefunden wurden, da sich eine Trentiner Kuh einmal auf den Deutschnonsberg verirrt und dort original Südtiroler Gras gefressen hat. Bei seiner Rückkehr verabsäumte es das Tier jedoch, die ursprungsbezeichnungswidrige Nahrungsaufnahme ordnungsgemäß den Behörden zu melden, wodurch die mit Südtiroler Genmaterial kontaminierte Milch in den Trentiner Käse gelangte.

    Doch damit nicht genug. Südtirol im Allgemeinen und RAI Südtirol im Speziellen wird nämlich nicht bloß vom Süden her bedroht, sondern auch von den Germanen aus dem Norden unterwandert.

    Statt mit einem Südtiroler Experten über moslemisches Schlachten zu reden, wurde endlos nur ein bundesdeutscher Referent befragt – von einer bundesdeutschen Rai-Redakteurin.

    Völlig unverständlich, warum man nicht auf einen der zahllosen Südtiroler Schächtexperten — zum Beispiel aus Graun im Oberen Vinschgau — zurückgegriffen hat.

    Einen Hinweis, wer hinter diesen perfiden Attacken auf die Südtiroler Filterblase steckt, liefert Zöggeler selbst. Und es sind nicht russische Hacker!

    Die angebliche Südtiroler Stimme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klang einmal mehr “piefchinesisch”.

    Die Chinesen reißen sich also unser Land unter den Nagel. So wie die Deutschen in Felix Mitterers “Piefche Saga”.

    *) Ja, genau jener walsche Nonsberg, wo Andreas Hofer dereinst Italienisch lernte. Was hatte er dort überhaupt zu suchen? Was hat der Nonsberg mit Südtirol zu tun?



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  • Abgrenzungspolitik.

    Vor einiger Zeit habe ich mich über die Tendenz echauffiert, dass umkämpfte Wahlentscheidungen oder knappe Referendumsausgänge in den Medien vielfach mit Schlagwörtern wie “gespaltene Gesellschaft” oder “zerrissenes Land” betitelt werden. Zwar kommt es in jüngster Zeit immer wieder vor, dass anstatt zweier Kandidaten/Optionen, die knapp rechts und links der Mitte angesiedelt sind, tatsächlich extremere Alternativen zur Auswahl stehen, jedoch scheint in der Bevölkerung das Verabsolutieren der eigenen bei gleichzeitiger Dämonisierung der anderen Meinung generell zuzunehmen, während die gegenseitige Akzeptanz für demokratisch und friedlich zustande gekommene Machtwechsel abnimmt. Einen Hauptgrund für diese Entwicklung sehe ich im politischen Diskurs, wie er von der Gesellschaft, den Medien aber hauptsächlich auch von vielen Politikern selbst geführt wird.

    Für jede wahlwerbende Partei ist ein klares Profil, am besten ein Alleinstellungsmerkmal, essentiell. Doch erfolgt diese Profilierung meiner Ansicht nach immer seltener durch eine aktive Positionierung, sondern vielmehr durch Abgrenzung (negative campaigning). Der eigene Standpunkt wird nicht mehr dadurch markiert, indem man klar Stellung bezieht, sondern indem man den politischen Gegner von sich wegschiebt. Man sagt nicht mehr, wer man ist und wofür man steht, sondern wer oder was man nicht ist und was an der Position des Gegners falsch bis katastrophal ist. Und damit diese Abgrenzung auch deutlich wird, wird das was man nicht ist, diabolisiert. Aus der linken Ecke wird jeder mit der Nazikeule erschlagen, der auch nur einen Zentimeter von der Katalogmeinung abweicht, während für die Rechten sowieso alle Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen volksverräterische Gutmenschen-Willkommensklatscher sind. Sämtliche Graustufen dazwischen werden ignoriert. Abstufungen gehen verloren. Nuancierungen und Differenzierungen finden nicht statt. Indem man aber Meinungen und Anschauungen anderer, die sich eindeutig innerhalb des demokratischen Grundkonsenses bewegen, mit Extremismus gleichsetzt, werden tatsächliche Extremismen verharmlost. Gleichzeitig wird der eigene Standpunkt immer enger und starrer sowie die Ansicht über den politischen Gegner immer konsensunfähiger und ablehnender.

    Vier kurze Geschichten dazu

    1. Die österreichischen Grünen haben vor Kurzem die Europaparlamentarierin Ulrike Lunacek als ihre Spitzenkandidatin für die bevorstehenden vorgezogenen Nationalratswahlen vorgestellt. Im Moment scheint Lunaceks Wahlkampfstrategie ausschließlich darauf ausgelegt zu sein, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern zu wollen. Anstatt die eigenen Standpunkte offensiv zu kommunizieren, hat man sich für eine Abgrenzungskampagne entschieden, die mit der Angst der Bevölkerung vor einer weiteren schwarz-blauen (oder rot-blauen) Koalition spielt. Im ZIB2-Interview ließ Lunacek verlauten, dass der Neo-ÖVP-Chef Sebastian Kurz für die “Orbanisierung” Österreichs stünde und auch die SPÖ immer weiter nach rechts abdriften würde, sodass die Grünen die einzige Partei links der Mitte seien. Freilich ist es einfacher, die eigene Position zu verdeutlichen, indem man die Gegner weit von sich wegschiebt, anstatt sich um ein klares eigenes Profil zu bemühen. Es besteht aber auch die Gefahr, dass man mit allzu gewagten Vergleichen und Anschuldigungen an Glaubwürdigkeit verliert.
    2. Die Vorgeschichte zur Kür Lunaceks war der Rücktritt der Bundesparteivorsitzenden Eva Glawischnig vor wenigen Wochen. Glawischnig ist wegen gesundheitlicher Probleme, ausgelöst durch den enormen Druck, der auf Spitzenpolitikern lastet und die Anfeindungen, denen sie sich tagtäglich ausgesetzt sehen, von all ihren Ämtern und Funktionen zurückgetreten. Viele Kommentare zu ihrer Entscheidung in Online-Foren bestätigten Glawischnigs Diagnose, dass sich der Umgangston massiv verschlechtert habe. Sie wurde von politisch Andersdenkenden aufs Wüsteste beschimpft, viele machten sich über ihre gesundheitlichen Probleme lustig oder taten ihren Unmut über die ehemalige Grünenchefin mit ad-personam-Argumenten und Hasskommentaren kund. Der politische Gegner als Dämon, den man geradezu entmenschlicht. Paradoxerweise findet sich in solchen Kommentaren keine Spur jenes Anstandes, den die Verfasser nicht selten für sich beanspruchen und von anderen einfordern.
    3. Ende des vergangenen Jahres wurde Glawischnigs Vorgänger bei den Grünen, Alexander van der Bellen, endgültig zum 12. Bundespräsidenten der Republik Österreich gewählt. Diese Wahl stellte für viele Anhänger Norbert Hofers eine Art Apokalypse dar (vielfach war vom “Untergang Österreichs” die Rede und in den sozialen Medien häuften sich die “Not my president”-Profilbilder), wie sie wohl nur in der Wahrnehmung der van der Bellen-Fans überboten worden wäre, wenn Hofer gewonnen hätte. Van der Bellen ließ überdies immer wieder damit aufhorchen, dass er eine Regierung unter der Leitung von FPÖ-Chef H.C. Strache eventuell nicht angeloben würde. Und zwar nicht etwa, weil Exponenten dieser Partei mitunter offen rassistisch sind oder Kontakte zu neonazistischen Kreisen pflegen, sondern weil die FPÖ ein Referendum über den Austritt aus der EU anstreben könnte. Van der Bellen, dessen damalige grüne Partei 1994 noch massiv gegen Österreichs Beitritt zur EU aufgetreten war, verabsolutiert also die EU-Mitgliedschaft und setzt eine Gegenposition mit Extremismus gleich, sodass er sich gezwungen sieht, im Falle des Falles zum wohl stärksten Mittel zu greifen, das ihm die Verfassung in die Hand gegeben hat. Dabei ist ein Austritt aus der EU — den ich persönlich überhaupt nicht befürworte — eine völlig legitime demokratische Forderung, die keine Menschenrechte verletzt oder sonst irgendwie rassistisch, antidemokratisch oder extremistisch wäre. Van der Bellens Ankündigung ist gerade auch angesichts der Tatsache, dass es einwandfrei demokratische und wirtschaftlich florierende Länder außerhalb der EU gibt (Schweiz, Norwegen usw.) völlig abstrus und Beleg für das Verabsolutieren der eigenen und die Dämonisierung der anderen Meinung. Für den gesunden demokratischen Diskurs ist solches Verhalten Gift.
    4. Zuletzt wechseln wir noch zu den Südtiroler Grünen. Riccardo Dello Sbarba, Landtagsabgeordneter und Mitglied im Südtirolkonvent, trat in jüngster Zeit vehement gegen einen Selbstbestimmungspassus im Abschlussdokument des K33 auf. Abgesehen davon, dass es sonderbar anmutet, dass sich ein grüner Politiker gegen ein basisdemokratisches Instrument einsetzt und nationalistischen Denkmustern folgt, ist Dello Sbarbas Verhalten auch aus einem anderen Blickwinkel heraus interessant. Er bedient sich einer weiteren gängigen Abgrenzungsstrategie: Völlig ungeachtet dessen, was der ideologische Unterbau einer Forderung bzw. eines politischen Konzeptes ist, nehme ich einfach grundsätzlich die gegensätzliche Meinung des politischen Gegners ein und verquicke dessen Forderung respektive Konzept mit seiner Ideologie. Weil besagter Passus von Konventsmitgliedern, die rechten Gruppierungen zumindest nahe stehen, vorgeschlagen wurde, ist für Dello Sbarba die Forderung nach sowie das Konzept der Selbstbestimmung rechts und der Gewerkschafter Tony Tschenett ebenfalls, weil er sich für den Selbstbestimmungspassus ausgesprochen hat. Die Absurdität solcher “Abgrenzungen” wird durch die Tatsache untermauert, dass es in vielen Gegenden Europas dezidiert linke — zumal grüne —Parteien sind, die sich für Selbstbestimmung und Sezession stark machen. Anstatt sich ein politisch an und für sich neutrales Instrument wie die demokratische Selbstbestimmung zu eigen zu machen und im eigenen Sinne zu interpretieren, geht Dello Sbarba in Fundamentalopposition und nimmt in Kauf, dass er dabei paradoxerweise in tatsächlich rechte Argumentationsmuster verfallen muss, um die Stigmatisierung des Selbstbestimmungskonzepts als rechte Idee rechtfertigen zu können.

    Cëla enghe: 01 02 || 01



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  • Moutier hat entschieden.
    Selbstbestimmung in der Schweiz

    Ende 2013 hatten die Bürgerinnen im schweizerischen Jura über eine mögliche Kantonsneugründung abgestimmt. Der 1978 durch Abspaltung von Bern entstandene Kanton Jura (Nordjura) und die bei Bern verbliebenen jurassischen Gemeinden hätten, bei einem positiven Entscheid, Verhandlungen über die Schaffung eines neuen, gemeinsamen Kantons begonnen. Am Ende hätte die Bevölkerung in einer zweiten Abstimmung erneut ihr Placet geben müssen, um das Ergebnis rechtswirksam zu machen.

    Doch dazu kam es nicht: Während 2013 im Kanton Jura eine Mehrheit für die Einleitung des zweistufigen Verfahrens stimmte, entschied die Mehrheit der Jurassiserinnen im Kanton Bern dagegen.

    Damit ist in einem Land, das konsequent auf direkte Demokratie setzt, aber noch lange nicht Schluss: Mehrere Gemeinden des bernischen Jura kündigten damals an, den Kantonswechsel auf kommunaler Ebene in Angriff nehmen zu wollen. Darunter die größte Ortschaft des Jura bernois, Moutier.

    Gestern nun votierten die Bürgerinnen von Moutier tatsächlich dafür, Bern nach rund 200 Jahren zu verlassen und sich dem jungen jurassischen Kanton anzuschließen. Auch das Angstargument, dass die künftige Hauptstadt Delsberg das Krankenhaus von Moutier schließen könnte, da es vom nächsten Spital des Kantons nicht weit entfernt liegt, griff schlussendlich nicht.

    Weitere Kommunen des bernischen Jura, die den Ausgang des gestrigen Entscheids ausdrücklich abgewartet hatten, könnten dem Beispiel von Moutier nun folgen und Bern den Rücken kehren.

    Im zehnten Jahr nach der Abstimmung von Cortina, Col und Fodom, die der Angliederung an Südtirol 2007 breit zustimmten, zeigt uns die Schweiz, wie man es macht. Aussitzen ist dort sicher keine Lösung.

    Nachtrag vom 5. September 2020: Die Abstimmung wurde wegen Mängeln im August 2019 nachträglich vom Berner Verwaltungsgericht für ungültig erklärt. Statt für einen Einspruch beim Bundesgericht entschieden sich die Kommunalbehörden im Oktober 2019 für die Abhaltung einer weiteren Abstimmung.

    Cëla enghe: 01 02 03



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  • Da più di cento anni.
    Quotation

    Ma il triste episodio* (cantato da alcuni come vittoria della democrazia) rivela anche un riflesso condizionato, un pregiudizio che aleggia ancor oggi in campo nazionale contro la autonomia regionale o provinciale. Diffuso sia nella pubblica opinione che nel “non detto” di molti parlamentari italiani, che nutrono nascoste riserve contro le “specialità” regionali. […] Volente o nolente, questa corrente ha percorso la vita politica e parlamentare italiana da più di cento anni, da Tolomei ai giovani centristi del dopoguerra, e questo sentimento di ostilità permane ancor oggi. Talvolta con più acceso ed esplicito tenore nazionale e nazionalistico, a destra; ma spesso anche in modo trasversale, come richiamo all’unità repubblicana e alla centralità statale, a valori di uguaglianza o, meglio, di uniformità. Una visione antifederalista, nemica delle autonomie, ostile anche al decentramento e al regionalismo.

    Carlo Bertorelle in «Quell’antica diffidenza che c’è a Roma» apparso oggi sul quotidiano A. Adige

    *) nota: l’accoglimento dell’emendamento Biancofiore-Fraccaro e il contestuale affossamento della legge elettorale



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  • Ich habe Probleme…

    Heute wird in der Sitzung des K33 wohl endgültig über die Präambel zum Autonomiestatut befunden. Wir haben ja bereits gemeinsam mit Christian Mair und Benno Kusstatscher einen Alternativentwurf publiziert. Im folgenden Beitrag liefere ich noch die Begründung nach, warum wir uns dazu genötigt fühlten. Mit dem vorliegenden Vorschlag habe nicht nur ich so meine Probleme.

    Wir, die deutsche, italienische und ladinische Sprachgruppe in Südtirol

    Gleich im ersten Satz wird das Trennende betont, eine “ethnische Logik” perpetuiert, die Muttersprache zum wichtigsten und alleinigen Identitätsmerkmal hochstilisiert und ein großer Teil der Bewohner diese Landes von vornherein ausgeschlossen. Zum einen fordern wir Integration, zum anderen formulieren wir unsere gemeinsamen Regeln so, dass die neuen Südtiroler zu Recht sagen können: “Wir stehen da nicht drin. Wir sind da nicht gemeint. Diese Regeln gehen uns also nichts an.”

    im Bewusstsein unserer Geschichte, die dieses Grenzland geprägt hat

    Im zweiten Satz zementieren wir die Brennergrenze und definieren uns selbst als Grenzland. In einem vereinten Europa. Wir sind nicht Bindeglied oder Brückenbauer. Wir sind nicht offen nach Nord und Süd. Nein. Wir sind Grenzland. Das ist die totale Kapitulation vor einem Denken aus dem 19. Jahrhundert und vor historischem Unrecht.

    und der gemeinsamen Wurzeln mit dem Trentino, dem Bundesland Tirol und den ladinischen Gemeinden Fodom/Buchenstein, Col/Colle Santa Lucia und Anpezo/Cortina d`Ampezzo

    Warum wird einmal das deutsche und einmal das italienische Exonym verwendet. Wozu braucht es überhaupt Exonyme. Die Orte heißen Col, Fodom und Ampëz bzw. Anpezo.

    in Durchführung des am 5. September 1946 in Paris zwischen der Republik Italien und der Republik Österreich abgeschlossenen, völkerrechtlich bindenden Minderheitenschutzvertrages, welcher die Anlage IV des Friedensvertrages zwischen Italien und den Alliieren (sic!) und Assoziierten (sic!) Mächten vom 10. Februar 1947 bildet;

    bestärkt durch die im Jahre 1992 bei den Vereinten Nation [sowie dem Internationalen Gerichtshof, der Europäischen Union, dem Europarat, der OSZE] abgegebenen Erklärungen der Beendigung des Streites, der zwischen der Republik Italien und der Republik Österreich hinsichtlich der Umsetzung des Pariser Vertrages vom 5. September 1946 entstanden war;

    Das sperrige Juristendeutsch mit dem Charme eines Mikrowellenfertiggerichts – wie auch die ganzen expliziten Hinweise auf diese Verträge und Institutionen – wirken für einen Text aus dem 21. Jahrhundert völlig deplatziert. Eine Präambel soll Emotion erzeugen. Sie sollte Gemeinschaft schaffen und Visionen zeichnen. Sie sollte zukunftsorientiert sein. Sie sollte berühren. Nicht zuletzt sollte sie auch sprachlich etwas Besonderes sein. Ein schöner Text, wo um die Formulierungen gerungen wurde und nicht einfach Allgemeinplätze, Floskeln sowie historische und juridische Bezüge aneinandergereiht wurden. Inspiration statt Rückwärtsgewandtheit.

    P.S. Die OSZE gibt es erst seit 1995 und die Europäische Union erst seit 1993. Wie kann dann dort 1992 eine Erklärung abgegeben worden sein? 1992 hießen die Organisationen KSZE und EG (Europäische Gemeinschaft). Zudem ist Österreich erst seit 1995 Mitglied der EU.

    verpflichtet durch die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Italien und Österreich und in der Verantwortung ein Bindeglied zwischen diesen beiden Staaten zu sein, auch als Begegnungsland zweier großer Sprach- und Kulturräume

    Ich denke nicht, dass wir unsere Interessen um jeden Preis den guten Beziehungen zwischen Österreich und Italien unterordnen müssen.

    im Bekenntnis zur Europäischen Union, deren Zielen und Grundwerten wir verpflichtet sind, und im Bewusstsein der Verantwortung der Regionen aktiv am europäischen Integrationsprozesses teilzuhaben unter Beachtung des vertikal wie horizontal wirkenden Subsidiaritätsprinzips [bekennen und verpflichten uns zu diesem Autonomiestatut]

    “Im Bekenntnis … bekennen wir uns”. Wie gesagt – es sollte eine schöne Sprache sein, die auch Sinn ergibt.

    im Respekt vor allen internationalen Verpflichtungen und Völkerrechtsquellen

    Politik hat nicht nur eine juridische Komponente. Es gibt auch die politische. Diese dominante Verjudizierung der Demokratie und des Politischen halte ich für ein großes Problem heutzutage. Ganz nach einem Motto der katalanischen Grünen: “Die Legalität ist nicht unveränderlich und muss sich dem demokratischen Willen anpassen — und nicht umgekehrt.”

    die den Frieden, die Sicherheit, die Freiheit und die Gerechtigkeit unter den Nationen , Sprachgruppen und Menschen schützen und die Würde des Menschen, aber auch den Wert der menschlichen Persönlichkeit in seiner individuellen wie sozialen und kollektiven Entfaltung, fördern

    Das Ziel der Europäischen Union, welches im Absatz davor zitiert wird, ist die Überwindung der Nationen, da diese ein von Beginn an zum Scheitern verurteiltes Konstrukt sind, welches gerade Südtirol sehr großes Leid beschert hat. In der Präambel zu einem Autonomiestatut, das uns vor den Ungerechtigkeiten des Nationalismus schützen soll, stehen die Nationen in einer Aufstellung an erster Stelle – noch vor den Menschen. Ein Bekenntnis zu den Nationen, aus einem Land, in dem uns die Unzulänglichkeiten des Nationalismus tagtäglich vor Augen geführt werden, weil wir eben nicht in diese nationale Logik passen, ist völlig absurd.

    bei Gleichheit, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter und der Generationen

    Gleichheit der Geschlechter und Generationen? Mann und Frau, Alt und Jung ist nicht das gleiche. Die Geschlechter können gleichwertig, gleichgestellt, gleichberechtigt, gleichbehandelt usw. sein. Aber gleich sind sie nicht. Zumindest nicht nach meinem Verständnis von Sprache.

    bei Wahrung und Achtung der geschriebenen wie ungeschriebenen, individuellen und kollektiven Menschenrechte, zu denen das Selbstbestimmungsrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Charta der Vereinten Nationen und des Art. 1 des [von Italien ratifizierten] Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und Art. 1 des [von Italien ratifizierten] Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gehört

    Das ist ein nutzloser Bezug auf das – von Italien ohnehin ratifizierte und somit gültige – völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht. Es steht nämlich nicht, dass uns “Südtirolern” dieses Recht zusteht, da wohl sehr umstritten ist, ob wir

    1. ein Volk (Was ist das überhaupt? Wie ist das definiert?) sind (Was wäre mit den Ladinern?) und

    2. ob wir die Voraussetzung für die Ausübung erfüllen.

    Die einzige Form der Selbstbestimmung, die uns weiter hilft und die wir uns selber zuerkennen können, ist die demokratische, wie wir sie auf immer zeichnen und fordern.

    bei Wahrung und Achtung aller vom Völker-, Europa- und Verfassungsrecht anerkannten Minderheitenrechte und den damit verbundenen Selbstverwaltungs- und Autonomierechten

    Wie gesagt: es gibt auch noch eine – in diesem Text völlig absente – politische und nicht nur eine rechtliche Dimension. Für Juristen oft schwer vorstellbar.

    mit dem Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts aller Sprachgruppen und der Verantwortung zum angemessenen sozialen Ausgleich in der Gesellschaft

    Wiederum geht es nicht um die Menschen im Land – schon gar nicht alle, sondern um Gruppen. Das ist alles so rückwärtsgewandt. Da war die UNO 1948 bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schon wesentlich weiter.

    im unerschütterlichen Willen zur Förderung des harmonischen Zusammenlebens der drei autochthonen Sprachgruppen in Südtirol

    Und mit allen anderen Menschen im Land wollen wir nicht harmonisch zusammenleben?

    bei Gleichheit der Rechte und Würde

    Pflichten gibt es keine?

    sowie unter Wahrung der historischen, ethnischen, kulturellen und sprachlichen Eigenheiten

    Was sind “historische Eigenheiten” und wie bitte kann man diese wahren? Und was zum Teufel sind “ethnische Eigenheiten”? Das erinnert sehr an die Diktion der Nationalsozialisten: Der Jude ist geldgierig. Der Italiener ist faul. Der Neger ist primitiv. usw. Oder was ist sonst mit “ethnischen Eigenheiten” gemeint?

    mit dem Auftrag an diese drei Sprachgruppen gemeinsam das Land Südtirol im wechselseitigen Respekt selbst zu regieren

    Und wieder: Was ist mit den anderen? Die können tun und lassen, was sie wollen?

    ständig an der gemeinsamen Weiterentwicklung der Autonomie und des Minderheitenschutzes zu arbeiten und dabei die Umwelt, die Natur, die Ressourcen und die Landschaft zu schützen

    Die Autonomie ist die beste Reaktion auf das falsche System (den Nationalstaat). Aber ist Symptombekämpfung das Ende der Fahnenstange? Wir sollen Autonomie und Minderheitenschutz ausbauen – ja. Aber Ziel muss es sein, das System, das uns zum Minderheitenschutz zwingt, zu überwinden.

    bei Förderung, innerhalb der eigenen Zuständigkeiten und Möglichkeiten

    Wichtig: Sich ja immer schön Grenzen auferlegen. Alles Recht ist in Stein gemeißelt. Optimale Voraussetzungen für visionäre Zukunftsideen.

    der Zusammenarbeit mit anderen internationalen, nationalen und regionalen Körperschaften

    Wie gesagt: das Wort national gefällt mir in einem Dokument, das die Unzulänglichkeiten, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten des Prinzips der Nation abschwächen soll, nicht wirklich.

    bekennen und verpflichten uns zu diesem Autonomiestatut, das nach Vorschlag durch die politisch gewählte Vertretung unseres Landes Südtirol und nach Zustimmung durch den Südtiroler Landtag und Regionalrat vom italienischen Parlament, einschließlich dieser Präambel, wie folgt verabschiedet wurde

    Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis des Konvents, welcher diese Präambel in sein Enddokument aufnehmen möchte, dass dieser sich selbst ausblendet, wenn jene Gremien aufgezählt werden, die zum Zustandekommen des Autonomiestatuts beigetragen haben.

    Cëla enghe: 01



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