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  • Alles ändern, damit alles gleich bleibt.

    Die Freiheitlichen haben vor wenigen Tagen einen Verfassungsentwurf für einen unabhängigen Südtiroler Staat vorgestellt, den in ihrem Auftrag em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler ausgearbeitet hat. Vom Inhalt kann man halten was man will, man muss den Blauen jedoch anrechnen, dass sie als erste Partei einen konkreten Vorschlag unterbreitet haben, wie sie sich die Zukunft dieses Landes vorstellen. SVP (Vollautonomie) und Süd-Tiroler Freiheit (keine Aussage) lassen ein ähnliches Papier bislang vermissen.

    Darüberhinaus muss man anerkennen, dass der Verfassungsvorschlag der Freiheitlichen nicht auf Revanchismus, sondern auf Partnerschaft zwischen den Sprachgruppen basiert, auf den ersten Blick keine ausländerfeindlichen oder egoistischen Züge aufweist und auch ausdrücklich die Unabhängigkeit von Staat und Religionen garantiert. Lediglich in der Präambel ist von Gott (nicht aber von christlichen Wurzeln o.ä.) die Rede. Das sind für die Blauen durchaus Fortschritte, im Vergleich zur gegenwärtigen Situation ergeben sich dadurch jedoch keine wesentlichen Verbesserungen. Im großen und ganzen beschränken sich die Vorteile gegenüber dem status quo auf die — nicht unerhebliche — Übernahme sämtlicher Zuständigkeiten von Italien, die mit einer Staatsgründung selbstverständlich einhergeht.

    Der neue Spielraum wird jedoch nicht genutzt, um ein neues Miteinander zu versuchen, vielmehr werden alte Rezepte bestätigt, die sich bereits heute überlebt haben — allerdings im Rahmen eines Nationalstaats nur unter großem Risiko beseitigt oder reformiert werden können. Einen postethnischen Ansatz vermisst man: Nach wie vor ist von Sprachgruppen (oder Sprachgemeinschaften) die Rede, die das Staatsvolk bilden, deren Mitglieder gezählt werden müssen und die über gewisse Rechte verfügen. Noch schlimmer, der ethnische Proporz soll erhalten bleiben und über die Vergabe öffentlicher Stellen und die Zusammensetzung der Staatsregierung entscheiden. Die Ladiner bleiben benachteiligt: Prozesse in ihrer Muttersprache finden nicht statt, den Parlamentspräsidenten können sie nur stellen, wenn ein Deutscher oder ein Italiener ausdrücklich zu ihren Gunsten verzichtet. Bloß um eine Volksabstimmung zu beantragen, sind weniger Unterschriften von Ladinern erforderlich, als von Deutschen oder Italienern. Wobei unklar bleibt, wie es mit dem Datenschutz vereinbar sein soll, dass offensichtlich jeder Unterzeichner seine Sprachgruppenzugehörigkeit offenlegen muss.

    Selbst an nach Sprachgruppen getrennten Schulen (in denen Kinder unter anderem zur »Heimatliebe« erzogen werden sollen) wollen die Freiheitlichen festhalten; der Zweitsprachunterricht soll erst ab der zweiten oder dritten Grundschulklasse beginnen. In den ladinischen Ortschaften wird die rätoromanische Muttersprache zwar (nur in der Grundschule!) in gleichem Ausmaß und mit gleichem Enderfolg wie die anderen Sprachen unterrichtet, zu einer richtigen scola ladina wie in Graubünden konnte man sich aber nicht durchringen. Von Ladinisch in nichtladinischen Ortschaften ist nicht die Rede.

    Es ist völlig unverständlich, warum ein unabhängiges Südtirol an Maßnahmen festhalten sollte, die für eine Minderheit in einem Nationalstaat ersonnen wurden. Dem freiheitlichen Projekt fehlt jede Vision, wie mit den neu erlangten Spielräumen von einer dreigeteilten zu einer gemeinsamen, mehrsprachigen und gleichberechtigten Südtiroler Gesellschaft übergegangen werden soll, welche der Ethnie die untergeordnete Rolle zurückgibt, die ihr gebührt.

    Dass grenzüberschreitende Beziehungen der Sprachgruppen zu ihrem »Muttervolk« [sic] gefördert werden sollen und Italien als Schutzmacht für die italienischen Mitbürger dienen soll, verdeutlicht, dass auch den Nationalstaaten nicht grundsätzlich eine Absage erteilt wird.

    Darüberhinaus enthält der Verfassungsentwurf noch weitere Punkte, die kritisch zu hinterfragen sind: So ist etwa eine weitreichende parlamentarische Immunität geplant, die heute nicht mehr zeitgemäß erscheint. Der Landtag nimmt die Wahlprüfung vor und entscheidet, ob ein Abgeordneter sein Mandat verliert — eine schon heute bestehende, nicht nachvollziehbare politische Einmischung in eine juristische Frage. Und nicht zuletzt sind Steuern und Gehälter — anders als etwa in der Schweiz — grundsätzlich von Volksabstimmungen ausgeschlossen.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Das gute alte Autonomiestatut.

    Unter dem Titel »das gute alte Autonomiestatut« hat Georg Mair für die dieswöchige ff einen Leitartikel verfasst, dem zu widersprechen kein Leichtes ist. Dies ist nicht etwa auf die Güte der darin enthaltenen Argumente zurückzuführen, sondern vielmehr auf deren fast vollständige Abwesenheit. Mit einem unheimlichen Drunter und Drüber an Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen und Unwahrheiten wird eine sachliche Auseinandersetzung ad absurdum geführt. Trotzdem: Ein Versuch.

    Proporz, Bequemlichkeit, beschränkte Mehrsprachigkeit, Trennung, gehemmte Entwicklung — zunächst zählt Mair gleich selbst ein halbes Dutzend Gründe auf, die gegen die Gesellschaftsordnung sprechen, welche aus der Autonomie hervorgegangen ist. Eigentlich das halbe Argumentarium jener, die sich die Überwindung dieser Autonomie wünschen. Ein hilfloser Versuch, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen? Die angebliche »Tatsache«, die Loslösung vom Nationalstaat sei eine Illusion, untermauert Mair jedenfalls (wie gewohnt) mit keinem einzigen Argument. Es geht nicht, weil’s nicht geht. Und außerdem: Wir leben nicht in einer Diktatur.

    Die Schotten, die demnächst über ihren Verbleib im Vereinigten Königsreich abstimmen dürfen, werden meines Wissens auch nicht von einem Despoten aus London unterdrückt — und andersrum leben die Tibeter zwar in einer Diktatur, verlangen aber nichts mehr als eine Südtirolautonomie.

    Für Mair zählt: Südtirol ist wohlhabend. Das ist selbstlos. Wer dem vielen Geld die Eigenverantwortung vorzieht, wird von ihm dafür pauschal als Egoist und Fremdenfeind bezeichnet:

    Wollen wir etwa in einem Freistaat ärmer werden – eifersüchtig unser kleines Nest gegen Einwanderer und Bettler verteidigend?

    – Georg Mair

    Und schließlich: Die Autonomie wird zwar beschnitten. Aber zum Glück nicht aus Minderheitenfeindlichkeit, sondern weil die Regierung Monti neoliberal und zentralistisch eingestellt ist. Na dann! Lehnen wir uns doch einfach zurück und genießen es… es kann nur besser werden.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Zur Messe nach Bolzano.

    Mit diesem toponomastischen Gustostück lädt die öffentliche Messe Bozen — auch über deutschsprachige Medien — zur Kunstschau nach Bozen Bolzano.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Freud’scher.
    Quotation

    Die übergroße Mehrheit der Minderheit wähnt sich heute rechtlich und politisch sicher.

    Günther Pallaver zum Thema »Sichere Autonomie«, ff 11 vom 15.03.2012

    Wähnen bedeutet laut Duden »irrigerweise annehmen, dass es sich mit jemandem, einer Sache in bestimmter Weise verhält«.



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  • Sprachencharta: Doch nicht.

    Die italienische Regierung um Mario Monti rudert in Sachen Sprachencharta vorerst doch wieder zurück. Dafür wurde sogar eine Pressemitteilung nachträglich geändert, wie sardische und katalanische Medien mittels Bildschirmausschnitten bewiesen haben.

    Der ursprüngliche Text

    Il Consiglio dei Ministri […] ha ratificato la Carta europea delle lingue regionali o minoritarie

    wurde durch folgenden ersetzt:

    Il Consiglio dei Ministri […] ha approvato il disegno di legge di ratifica della Carta europea delle lingue regionali o minoritarie.

    Diese Änderung verdeutlicht, dass die Ratifizierung erst durch die beiden Parlamentskammern abgesegnet werden muss, wo die Rechtsparteien nach wie vor eine beherrschende Rolle einnehmen.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Alpini, prova di convivenza?

    Sull’A.Adige di oggi è apparso, in prima pagina, un commento del sindaco di Bolzano, Luigi Spagnolli (PD), nel quale esprime il proprio compiacimento per l’imminente adunata nazionale [sic] degli Alpini. Non solo: L’esponente di centrosinistra giunge a definire la presa della capitale sudtirolese da parte di decine di migliaia di (ex) militari nientemeno che una «prova di maturità per la convivenza».

    Secondo il sindaco gli Alpini con il nazionalismo non c’entrerebbero nulla. Mi si permetta di obiettare, anche a rischio di sembrare ripetitivo: Ma gli Alpini hanno mai almeno riconosciuto — in qualsiasi forma — che l’annessione del Sudtirolo (di cui si sono resi materialmente corresponsabili) fu un’ingiustizia storica? Hanno mai riflettuto sul proprio ruolo durante la dittatura fascista? Hanno mai, nei fatti, rispettato il plurilinguismo di questa nostra terra? E infine: hanno mai smesso di deporre corone davanti ai monumenti del fascismo? No? E allora di quale convivenza stiamo parlando?

    Gentile sindaco Spagnolli, a mio avviso la convivenza sarà matura quando (tutti!) sapremo rinunciare a qualsiasi tipo di simbologia marziale.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Dio, patria, famiglia.
    Quotation

    Dio, Italia e famiglia
    Restano questi i valori più importanti

    È l’esito di una ricerca realizzata dal Censis nell’ambito delle celebrazioni del 150° anniversario dell’Unità d’Italia: il primo gradino è occupato dal nucleo familiare, anche se con ‘format’ diversi dal matrimonio. In calo il desiderio di consumare

    Al primo posto, la famiglia. Poi il luogo – l’Italia – dove più si è affinata la qualità della vita e il culto della bellezza (sic). A seguire la fede anche nelle vesti della tradizione religiosa. È questa, secondo un’indagine realizzata dal Censis nell’ambito delle celebrazioni del 150° anniversario dell’Unità d’Italia, la ‘scala’ dei valori in cui credono gli italiani.

    Il gusto per la qualità della vita resta “una forza che genera coesione nell’individualismo italiano”, osserva il Censis nella sua ricerca sui valori degli italiani, che dimostrano di sentire l’orgoglio di appartenere al Paese del buon vivere. Il 56% dei cittadini è infatti convinto che l’Italia sia il Paese al mondo dove si vive complessivamente meglio. E anche se in futuro avessero la possibilità di andarsene via dal Paese d’origine, due terzi dei cittadini (66%) non lo farebbero in nessun caso.

    Fonte: la Repubblica online

    Cëla enghe: 01 02



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  • Sprachencharta ratifiziert!

    Nachtrag: Sprachencharta: Doch nicht.

    Inmitten einer nicht enden wollenden Reihe von autonomie- und minderheitenfeindlichen Beschlüssen hat die technische Regierung um Professor Mario Monti jetzt unerwartet die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats* ratifiziert. Wie das zusammenpasst, ist nicht ganz nachvollziehbar. Trotzdem handelt es sich um einen sehr wichtigen Schritt, den bisher weder Rechts- noch Linksregierungen gewagt hatten — schließlich lag der Vertrag bereits seit 1992 auf. Ganze 20 Jahre hat das Italien, das sich gern selbst einen vorbildlichen Umgang mit seinen Minderheiten bescheinigt, zur Ratifizierung benötigt, und war somit mit Griechenland und Frankreich eines der letzten säumigen EU-Mitgliedsstaaten.

    Die Charta beinhaltet einen gestaffelten Minderheitenschutz: Der allgemeinere Teil II des Vertrages ist auf alle Sprachgemeinschaften anzuwenden, die sich auf dem Staatsgebiet befinden. Der wesentlich verbindlichere Teil III gilt hingegen nur für ausgewählte Minderheiten, deren Liste jeder Staat bei Hinterlegung der Ratifizierung beim Europarat nennen muss**. Diese »Ungleichbehandlung« sollte dazu dienen, Staaten nicht grundsätzlich von einer Ratifizierung abzuschrecken. Somit bleibt aber noch abzuwarten, ob und welchen Minderheiten Italien den Schutz von Teil III angedeihen lassen möchte.

    Die Charta ist selbst nach ihrer Ratifizierung rechtlich nicht verbindlich, ein vor einer internationalen Instanz einklagbarer Anspruch erwächst den Minderheiten dadurch nicht. Dieses erste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz von Minderheitensprachen setzt vor allem auf sanften Druck und Überzeugungsarbeit: In regelmäßigen Abständen müssen die Mitgliedsstaaten über die Umsetzung der Maßnahmen Rechenschaft ablegen, darüberhinaus reisen Beobachter des Europarats in die jeweiligen Gebiete und sammeln eventuelle Gegendarstellungen oder Beanstandungen von Regionalregierungen, Minderheitenvertretern und Nichtregierungsorganisationen (NROs). Daraus entstehen dann Berichte mit Empfehlungen und Rügen, die den Minderheiten als politisches Argumentarium dienen.

    Am meisten werden in Italien selbstverständlich die bislang weniger gut geschützten Minderheiten von der Charta profitieren — jedenfalls, wenn sie in den Genuss der Maßnahmen von Teil III kommen. Aber auch für Südtirol sind noch wesentliche Verbesserungen möglich, wenn wir den internationalen Beobachtern nicht die gewohnte Mär von der Modellautonomie auftischen: Katalanen und Basken (Spanien hat das Abkommen vor 11 Jahren genehmigt) konnten ihre Rechte dank Charta in einigen Punkten wesentlich verbessern.

    Wichtig ist außerdem, dass sich Italien mit diesem Vertrag offiziell zu einer international anerkannten Definition von Sprachminderheiten bekennt. Im Wortlaut:

    »Regional- oder Minderheitensprachen« [sind] Sprachen, i) die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates, und ii) die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden; er umfasst weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprache von Zuwanderern.

    Damit wird dem Versuch einiger italienischen Rechtsparteien in Südtirol, die Italiener als Minderheit zu definieren, um den Minderheitenschutz auszuhöhlen, ein Riegel vorgeschoben. Noch ausdrücklicher wird die Charta in folgendem Abschnitt:

    Das Ergreifen besonderer Maßnahmen zugunsten der Regional- oder Minderheitensprachen, welche die Gleichstellung zwischen den Sprechern dieser Sprachen und der übrigen Bevölkerung fördern sollen oder welche ihre besondere Lage gebührend berücksichtigen, gilt nicht als diskriminierende Handlung gegenüber den Sprechern weiter verbreiteter Sprachen.

    Speziell für die Ladiner könnte folgender Passus interessant werden, der in Teil II enthalten ist und somit allen Minderheiten zugute kommt:

    b) die Achtung des geographischen Gebiets jeder Regional- oder Minderheitensprache, um sicherzustellen, daß bestehende oder neue Verwaltungsgliederungen die Förderung der betreffenden Regional- und Minderheitensprache nicht behindern.

    Dies könnte einerseits dazu beitragen, den Übergang der ladinischen Gemeinschaften in Souramont von Venetien zu Südtirol durchzusetzen, andererseits aber auch die Schaffung einer ladinischen Bezirksgemeinschaft in Südtirol zu ermöglichen, die das Land bisher stets behindert hat.

    *) nicht mit der EU zu verwechseln
    **) doch auch hier müssen die Staaten unter 98 aufgezählten Schutzmaßnahmen »nur« 35 aussuchen, die sie ihren Minderheiten auch tatsächlich zubilligen



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