Nur aus einer privilegierten Position heraus kann man den Faschismus, der [Giorgia] Meloni und ihre Partei [FdI] umgibt, verharmlosen, kleinreden und als unbedeutend ansehen. Nur wer die Gefahr noch nie aus der Nähe gespürt hat, die von der Normalisierung dieser kriminellen Ideologie ausgeht, kann sie unterschätzen.
Auszug aus Meloni y la normalización del fascismo von Alba Sidera, ctxt (30. September 2022). Sidera, Journalistin und Expertin für Rechtsextremismus, lebt seit 2007 in Rom, wo sie unter anderem als Korrespondentin der katalanischen Tageszeitung El Punt Avui arbeitet. Übersetzung von mir.
Heute vor genau hundert Jahren fand der Marsch auf Bozen statt, in dessen Rahmen faschistische Schlägertrupps unter anderem für die Absetzung des gewählten Bürgermeisters Julius Perathoner sorgten und eine deutsche Schule besetzten, um ihre Umwandlung in eine italienische Schule zu erzwingen. Beides wurde niemals rückgängig gemacht.
Weniger als einen Monat später, am 27. Oktober 1922, fand der Marsch auf Rom statt.
Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) fordert, die damaligen Geschehnisse sollen uns eine Lehre sein. Wir müssten stets wachsam sein und unsere demokratischen Werte und Grundregeln verteidigen. Das ist nach dem Ergebnis der jüngsten Parlamentswahl wohl mehr denn je nötig. Die rechtsradikale Lega, Koalitionspartnerin der SVP in Südtirol, wird voraussichtlich bald eine Regierung unter Führung der Postfaschistin Giorgia Meloni (FdI) unterstützen.
SVP-Obmann Philipp Achammer erinnert daran, dass nur ein Jahr nach dem Marsch auf Bozen die deutschsprachige Schule in Südtirol abgeschafft wurde. Es sei unsere Verantwortung, dass nie wieder passiert, was unsere Vorfahren erleiden mussten. Diesbezüglich regt er auch die Umbenennung der Amba-Alagi-Straße in Bozen an, wo die deutsche Bildungsdirektion ihren Sitz hat.
Seit den Wahlen vom letzten Sonntag steht fest, dass die postfaschistische FdI stärkste Kraft im neuen — von der rechtsrechten Koalition um Giorgia Meloni, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi dominierten — italienischen Parlament sein wird. Meloni kann daher Anspruch auf das Amt der Ministerpräsidentin erheben.
Mit im Bunde auch das in Vicenza gewählte rechtsradikale Urgestein aus Südtirol, Alessandro Urzì (FdI). Der hat sich jetzt in einem langen Facebook–Eintrag öffentlich über Rai Südtirol beschwert, dessen Berichterstattung nicht nach seinem Geschmack ausfällt. So stößt er sich zum Beispiel daran, dass der öffentlich-rechtliche Sender seine postfaschistische Partei — wie es auch andere Medien tun — korrekt als postfaschistisch bezeichnet. Chefredakteurin Heidy Kessler habe sogar von einer nationalistischen, zentralistischen und egoistischen italienischen Rechten gesprochen.
Dass ihn Rai Südtirol als »Kammerabgeordneter von Fratelli d’Italia in Vicenza« bezeichnete, missfällt Urzì ebenfalls. Er wittert eine Verletzung des Überparteilichkeitsgebots und droht offen mit Konsequenzen.
Die deutschsprachige Rai fördere »ideologischen Terrorismus«. Hinter der Betonung, dass er nicht in Südtirol gewählt wurde, vermutet er eine Vorgabe der SVP, weshalb Urzì zudem von einem »Propagandasystem« nach DDR-Muster und gar von einem »Einschüchterungsversuch« der Rai faselt, die ihm nichts weniger als den Wohnsitz streitig mache. Dabei habe FdI doch nur »großzügigerweise« eine italienische Vertretung für Südtirol im Parlament gewährleisten wollen — über die aber, einem sonderbaren Demokratieverständnis folgend, die Wählerinnen in Venetien und nicht jene in Südtirol zu befinden hatten.
Wenn die Stellungnahme von Urzì ein Vorgeschmack auf die kommende Regierungszeit ist, die ja noch gar nicht begonnen hat, können wir uns auf einiges gefasst machen.
Seit Juli bieten die Live Station genannten neuen Tankautomaten des italienischen Energiekonzerns Eni neben mehreren europäischen Sprachen auch die Möglichkeit, die jeweilige »Ortssprache« zu wählen:
Den Angaben des Konzerns zufolge ist die Funktion an über 1.700 Standorten für Sprachen und Dialekte von über 100 Provinzen verfügbar.
Die Option betrifft aber lediglich die Sprachausgabe des Geräts, während die Bildschirmanweisungen — anders als bei Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch — weiterhin auf Italienisch angezeigt werden. Auch in Südtirol, wo zum Tiroler Dialekt zweifellos besser die Bildschirmsprache Deutsch gepasst hätte.
Selbst die im Dialekt aufgenommenen Sprachmitteilungen werden aber immer wieder durch Anweisungen in italienischer Sprache unterbrochen, da man sich den Aufwand nicht angetan hat, sorgfältig alles zu übersetzen.
Somit ist das Ganze nicht mehr als ein netter (Marketing-)Gag.
In Italien, einschließlich Südtirol, gibt es im Unterschied zu Minderheitenregionen in anderen Ländern keinerlei gesetzliche Vorgaben, die vorschreiben würden, die jeweiligen Sprachen im Konsumentenschutz und insbesondere an Tankstellen vollwertig zu berücksichtigen.
Die von Eni eingeführte Funktion ist einerseits ein kleiner Beitrag zur Vergegenwärtigung der sprachlichen Vielfalt, andererseits werden so Minderheitensprachen und Dialekte aber auch weiter folklorisiert. Dies ist besonders dann so, wenn die Aufnahmen — wie in einigen Provinzen — bewusst lustig (um nicht zu sagen: verarschend) gestaltet wurden. Bei »etablierten« Sprachen würde man sich das wohl kaum erlauben.
Italien hat gestern eine breite Parlamentsmehrheit gewählt, die ideologisch und kulturell so nah am Faschismus gebaut ist, wie keine andere seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die hohe Enthaltung ist kein mildernder, sondern ein erschwerender Umstand. Extrem viele Menschen in Italien ließen sich nicht einmal durch die von sämtlichen Umfragen prognostizierte Gefahr einer Regierung unter rechtsradikaler Führung aus ihrer Lethargie holen. Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte, das Schicksal von Minderheiten jeder Art waren und sind ihnen bestenfalls egal.
Eine kleine Erleichterung ist lediglich, dass die rechtsrechte Koalition nicht zwei Drittel der Sitze errungen hat, womit sie im Alleingang noch weiterreichende Änderungen am Rechtsgefüge hätte umsetzen können als ohnehin.
Wenigstens konnten sich FdI & Co. in Südtirol nicht durchsetzen. Selbst im Senatswahlkreis Süd, wo einige wegen der eigenständigen Kandidatur der SVP einen Sieg des rechten Kandidaten befürchtet hatten, kam Bosatra (Lega) nur auf Platz drei.
Jetzt da in Italien am 25. September Parlamentswahlen stattfinden werden und die Postfaschistin Giorgia Meloni die Umfragen anführt, beginnt die restliche Welt offenbar ernstzunehmen, dass das Land ein riesengroßes Problem mit der extremen Rechten und der Normalisierung des Faschismus hat.
Die extreme Rechte schickt sich an, an den Urnen abzuräumen und Mittelinks hat beschlossen, ihren Ton, ihre Sprache und ihr Framing zu kopieren. Was könnte da schon schiefgehen? PD-Chef Enrico Letta eröffnete den Wahlkampf mit einem Tweet, der ein Bild von [Mario] Draghi mit erhobener Hand und in Großbuchstaben die Botschaft »Italien wurde verraten. Die Demokratische Partei verteidigt es. Und du, bist du mit uns?« zeigt. Um das ganze einzuordnen nur ein Hashtag: »verratenes Italien«. Diese patriotische Botschaft sieht nicht nur wie ein Ruf zu den Waffen aus, sondern verdeutlicht die triste Realität: Die italienischen Sozialdemokraten haben ihr ideologisches Vakuum mit einem Poster ihres derzeitigen Idols Supermario verdeckt.
Es ist so, dass die Koalition aus Rechten und Rechtsradikalen in allen Umfragen seit über drei Jahren ohne Unterbrechung auf mindestens 45% kommt und mitunter sogar 51% erreichen konnte, wie im Juli 2019. Das ist schrecklich. Was haben die anderen politischen Kräfte in dieser Zeit unternommen, um die Rechtsradikalen zu stoppen, außer die Wahlen zu verzögern? Sie haben ihnen vielmehr den Weg geebnet.
Enrico Letta hat einen viel sanfteren Charakter als sein ehemaliger Parteikollege [Matteo Renzi] — der ihm öffentlich in den Rücken fiel, um ihm das Amt des Premierministers abzunehmen. Vielleicht zu sanft. Niemand hat mehr dazu beigetragen, die Person Giorgia Meloni reinzuwaschen, als er. Letta und Meloni haben gemeinsam, lachend und komplizenhaft, revisionistische Bücher über den Faschismus vorgestellt. Letta nahm letzten Dezember mit Renzi, Conte und der Wirtschafts- und Medienelite des Landes am jährlichen Parteifest der Fratelli d’Italia teil. Letta und Meloni verstehen sich derart gut, dass der Demokrat scherzhaft daran erinnern musste, dass er und die Vox-Verbündete politische Gegnerinnen sind.
Wenn die extreme Rechte in Italien dort angekommen ist, wo sie jetzt steht, dann dank all derer, die sie reingewaschen haben. Von den Medien, die sich darauf versteifen, Salvini und Meloni als Mitterechts zu bezeichnen, bis zu Berlusconi und den Grillini, die sie an die Macht gebracht haben über ein Mittelinksbündnis, das sie — desorientiert — unterschätzt und legitimiert hat. Meloni kommt nicht aus dem Nichts. Sie bereitet sich seit Jahren darauf vor, Premierministerin zu werden — sie wäre die erste Frau in der Geschichte Italiens [die dieses Amt übernimmt] — und sowohl die Medien als auch Mittelinks haben sie auf diesem Weg mit absoluter Normalität und Hand in Hand begleitet.
Auszüge aus Meloni no sale de la nada von Alba Sidera, ctxt (24. Juli 2022). Sidera, Journalistin und Expertin für Rechtsextremismus, lebt seit 2007 in Rom, wo sie unter anderem als Korrespondentin der katalanischen Tageszeitung El Punt Avui arbeitet. Übersetzung und Linksetzung:
Die russischen Truppen hätten in einer Woche Kyjiw erreichen, die von Wolodymyr Selenskyj mit einer aus »anständigen Personen« bestehenden Regierung austauschen und in einer weiteren Woche nach Russland zurückkehren sollen. Er verstehe nicht, warum sich die russischen Truppen jetzt in der Ukraine ausgebreitet haben, denn seiner Meinung nach hätten sie rund um Kyjiw (und nicht etwa schon vor der ukrainischen Grenze) stehen bleiben sollen.
Das hat der ehemalige Regierungschef und diesjährige Kandidat zum Amt des Staatspräsidenten Silvio Berlusconi (FI) — persönlicher Freund von Wladimir Putin — gestern Abend im ersten Programm der Rai im Rahmen der Sendung Porta a Porta gesagt.
Wenn ich so unfassbare Aussagen höre, frage ich mich noch mehr als sonst, warum sich so viele Südtirolerinnen eine Loslösung von diesem Staat nicht vorstellen können. Berlusconi beeinflusst das politische und gesellschaftliche Geschehen in Italien seit Jahrzehnten massiv, brüstet sich offen damit, die Faschistinnen legitimiert und an die Regierung geführt zu haben und hat den kulturellen Nährboden für eine hoffentlich noch abzuwendende Regierung Meloni geschaffen — in deren Koalition er sogar noch gemäßigt aussieht. Und trotzdem gibt es in Südtirol keine breite Debatte darüber, wie wir unsere Zukunft eigenständig gestalten könnten — unabhängig von Regierungen, die wir nicht gewählt haben.
Ich bin stinksauer, und zwar wegen der Sache an sich, aber auch wegen der völlig übertriebenen Art und Weise, wie mit diesem Gruß umgegangen wird, den sich ein Toter gewünscht hat. Auch Meloni ist über den Wirbel wegen des Vorfalls erstaunt.
— Ignazio La Russa, Vizepräsident des italienischen Senats, Mitbegründer von FdI und Bruder von Romano La Russa, einem ehemaligen Europaparlamentarier, der den “römischen Gruß” gezeigt hat laut orf.at
Es wäre halt gut, wenn sich die STF von diesen einzelnen Mitgliedern, die den Sellner verehren, distanzieren würde.
Martin Sellner wurde von Wirth Anderlan nach Bozen eingeladen, hier kann man wohl von Verehrung sprechen. Wo hat aber bitte…
Wirth Anderlan hat ganz klar Volksverhetzung betrieben , in dem Moment wo er sich seine Gegner in den Steinbruch wünscht,…
Von JWA und seinem Schlagwortgeber Andergassen hat man sich eigentlich nichts anderes erwarten können außer einer derart absurden Rede. Was…
Dazu kann ich ein rund dreiminütiges und ein knapp siebenminütiges Video empfehlen.
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