Autorinnen und Gastbeiträge →

  • Tiroler wollen mehr Zusammenarbeit.

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    1 Comentâr → on Tiroler wollen mehr Zusammenarbeit.

    Noch immer nicht bei allen Bürgerinnen bekannt, geschweige denn von allen gespürt — das ist die Tiroler Euregio, wie sie aus einer Studie der Innsbrucker Professoren Christian Traweger (Ass.) und Günther Pallaver hervorgeht, die am Dienstag dem Südtiroler Landtag vorgestellt wurde.

    Ganzen 28,1% der Südtirolerinnen, 32,6% der Trentinerinnen und 47,6% der Nord-/Osttirolerinnen ist die Existenz der Euregio völlig unbekannt. Das ist über 15 Jahre seit Gründung 1998 ein Debakel und ein Armutszeugnis für Politikerinnen, denen die regionale Zusammenarbeit viele Sonntagsreden wert war. Bei den Jugendlichen erfreut sich die Institution einer noch größeren Unbekanntheit. Und dennoch: Lichtblick der auf repräsentativen Daten basierenden Arbeit ist der großmehrheitliche Wunsch in allen Landesteilen, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Dafür stehen 84,9% der Trentiner-, 84% der Südtiroler- und 78,1% der Nord-/Osttirolerinnen.

    Interessant ist, dass sich die Nord-/Osttiroler eine Zusammenarbeit vor allem im Bereich Verkehr (26,5% der Nennungen) wünschen, während dies nur 10,4% der Südtirolerinnen und gar 1,9% der Trentinerinnen wichtig ist. Im Tourismusbereich bestätigen sich die Südtiroler- als Eigenbrötlerinnen, denn nur 2,3% wünschen sich diesbezüglich eine engere Kooperation. Trentinerinnen (7,7%) und vor allem Nord-/Osttirolerinnen (17,6%) wäre dies ein weit wichtigeres Anliegen. Weniger als 10% der Nennungen erreicht in allen Landesteilen auch der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit im kulturellen Bereich, was besonders in einem Minderheitengebiet wie Südtirol erstaunlich ist. Lediglich eine Stärkung der wirtschaftlichen Kooperationen findet nördlich und südlich des Brenners gleichermaßen hohen Zuspruch: Dem Rang nach wurde sie von den Nord-/Osttirolerinnen (nach dem Verkehr) am zweithäufigsten genannt, bei Südtiroler- und Trentinerinnen rangiert sie gar an erster Stelle.

    Bezüglich der Mobilität zwischen den Landesteilen wurde erhoben, dass etwas mehr als ein Drittel der Trentinerinnen im Laufe des letzten Jahres (vor Durchführung der Erhebung) mindestens einmal in Nord-/Osttirol waren, etwas wenigere Nord-/Osttirolerinnen waren im gleichen Zeitraum im südlichsten Landesteil. Rund doppelt so hoch ist die Reisefreudigkeit zwischen Südtirol und seinen benachbarten Gebieten in der Euregio, was auch auf Südtirols zentrale geographische Lage zurückzuführen sein dürfte. Kurios ist, dass etwas mehr Trentinerinnen nach Südtirol reisten als umgekehrt — und dass (knapp) mehr Südtirolerinnen in Nord-/Osttirol waren als im Trentino.

    Unumstritten ist bei den Tirolerinnen die Zusammenarbeit beim Brennerbasistunnel, die in sämtlichen Landesteilen von über 97% der Bevölkerung geteilt wird. Etwas weniger einhellig, aber dennoch sehr hoch, fällt die Bewertung der »Volksgruppen (sic) als Bereicherung« aus: Nur 16,6% der Südtiroler- und 17% der Nord-/Osttirolerinnen glauben, dass die kulturelle und sprachliche Heterogenität die Zusammenarbeit erschwert, etwas höher ist dieser Wert (mit 19%) bei den Trentinerinnen.

    Aufschlussreich ist schließlich, dass rund 30% der Nord-/Osttirolerinnen glauben, die gemeinsame Geschichte habe keinen Einfluss auf die Zusammenarbeit in der Euregio. Mit je über 23% nicht ganz so stark vertreten ist diese Einschätzung auch in den beiden Landesteilen südlich des Brenners. Die große Mehrheit der Bürgerinnen in der Euregio Tirol glaubt jedoch, dass sich die gemeinsame Geschichte positiv auf die Kooperation auswirke.

    In ihren Schlussfolgerungen bemängeln die Autoren der Studie neben der noch zu geringen Bekanntheit der Euregio auch ihre »schwach ausgeprägte demokratische Legitimation durch die Bevölkerung«, womit dieses grenzüberschreitende Subjekt mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen hat, wie die Mutterinstitution EU. Durchaus ermutigend ist, dass den Bürgerinnen in der Studie abschließend eine positive und pragmatische Einstellung zur Euregio bescheinigt wird. Vielleicht kommt diese Erkenntnis irgendwann auch in der Realpolitik an.

    Erschienen im studia-Verlag unter dem Titel Kommunikation Kooperation Integration in der Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino.



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  • Riesenglück: Fast gerettet!

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    16 Comentârs → on Riesenglück: Fast gerettet!

    Glück und: Verhandlungsgeschick, muss man fairerweise hinzufügen. Denn wie er heute via Tageszeitung mitteilt, verdanken wir Senator Zeller (SVP) und den Tempelrittern, dass Südtirol als solches noch existiert. Und nicht nur Südtirol:

    Die Sizilianer und Sarden können sich heute bei uns und den Kollegen aus Aosta und Friaul-Julisch Venetien bedanken, dass ihre Sonderautonomie nicht schon Geschichte ist.

    Ein Anruf Karl Zellers bei Unterstaatssekretär Graziano Delrio sei ausschlaggebend gewesen, um das doppelte Einvernehmen in letzter Sekunde in die Verfassungsreform zu packen — die allerdings noch nicht genehmigt wurde. Die heldenhafte Tat aus dem Mund des Helden:

    Das war eine wilde Geschichte: Am Ende fiel die Abstimmung mit elf zu neun Stimmen äußerst knapp zu unseren Gunsten aus.

    All die Südtirolfreunde und die verbrieften Rechte sind eben nichts wert, wenn man nicht bis zuletzt gegen den römischen Drachen kämpft. Nun haben wir es, das — keine Ironie! — wahrlich revolutionäre Einvernehmen, womit der Staat das Autonomiestatut nur mit Zustimmung des Landtags ändern kann. Jedenfalls, wenn die Verfassungsreform ohne Änderungen angenommen und auch später nicht mehr abgeändert wird. Denn eins ist klar: Der Staat kann diese Regel mit hinreichender Mehrheit jederzeit wieder einseitig streichen oder — wie letzthin häufig passiert — sich einfach über alle Regeln hinwegsetzen.

    Ach ja: Und dann ist da noch dieses kleine Detail, dass diese Klausel in eine Reform gegossen wird, die an Zentralismus kaum zu überbieten ist — wie die Landtagsopposition… ähm… Brennerbasisdemokratie… Karl Zellers Parteikollege Oskar Peterlini scharf kritisiert. Doch Zeller lässt Kritik nicht zu:

    Es gibt Leute, die bequem auf ihrem Stuhl sitzen, gescheit reden und immer alles besser wissen.

    Das zeugt von einem äußerst ausgeprägten Demokratieverständnis, von echter Diskussionskultur. Schon oft haben wir darauf hingewiesen, dass es nicht die ureigenste Aufgabe von Südtiroler Parlamentariern sein könne, Italien vor dem demokratischen Willen seiner eigenen BürgerInnen (und VolksvertreterInnen) zu »retten«. Die aktive Zustimmung zu dieser Reform ist aber wohl insgesamt auch ein Schuss ins eigene Knie.

    Was hätte ich da noch besser machen sollen? Ja gut, wir können die Selbstbestimmung ausrufen (sic) — aber damit würden wir uns in Rom nur lächerlich machen.

    Das wollen wir natürlich nicht. Man sieht ja, wie in Rom schon über Schottland und Katalonien gelacht wird.

    Sämtliche Zitate aus dem heutigen TAZ-Interview mit Sen. Karl Zeller.



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  • Renzi e l’indipendenza.
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    4 Comentârs → on Renzi e l’indipendenza.
    Quotation

    Ho presentato al Parlamento Europeo […] il semestre di presidenza italiano. Non lo ha considerato quasi nessuno, ma si è alzato un catalano e ha detto: «Scusi, qual’è la posizione dell’Italia sul referendum del 9 novembre in Catalogna?» E forse qualcuno si sarebbe potuto alzare dalla Scozia, e forse qualcuno si sarebbe potuto alzare da altre parti […] della nostra Europa. Perché? Perché paradossalmente nel momento in cui si allarga l’Europa, e l’Europa si sta allargando — e abbiamo accolto la domanda di status di candidato della Romania (sic)… se pensiamo dov’eravamo 15 anni fa con i barconi che arrivavano a Brindisi e oggi abbiamo l’Albania che è formalmente candidata a entrare nell’Unione Europea, un fatto molto positivo e molto bello — mentre si allarga l’Europa, si rafforza in alcune zone il bisogno di indipendenza, di autonomia. E mi sono domandato: Ma come può oggi un’Europa degna di questo nome non fare i conti con questo strano rapporto tra bisogno di un governo continentale e contemporaneamente il bisogno di affermare l’autonomia?

    dal discorso di Matteo Renzi (PD), premier italiano, Prösels, 05.07.2014

    Vedi anche:
    01 02 03 04 05 06 07



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  • Faymanns »Kreativität«.

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    1 Comentâr → on Faymanns »Kreativität«.

    Am letzten Wochenende hat der österreichische Bundeskanzler, Werner Faymann, auf Schloss Prösels eine vielbeachtete Rede gehalten. Wie er unter anderem sinngemäß sagte, sei zur Überwindung der Finanzkrise viel »Kreativität« aufgebracht worden. Ebenso viel Kreativität wünsche er sich nun jedoch auch bei der Lösung der sozialen Probleme Europas, eine Aussage, für die der Kanzler die uneingeschränkte Zustimmung seines italienischen Amtskollegen Matteo Renzi erntete.

    Es bedarf keiner interpretatorischen Meisterleistung, um zu verstehen, was Faymann mit dem Begriff der »Kreativität« meint — nämlich die Fähigkeit, einen politischen Willen trotz und auch abseits starrer Verträge durchzusetzen. Das Bailout-Verbot etwa wurde während der noch nicht beendeten Finanzkrise geschickt umschifft, weil die Notwendigkeit und der politische Wille vorhanden waren. Dieselbe Flexibilität soll nun auch in anderen Bereichen zum Tragen kommen.

    Unabhängigkeitsbefürwortern (egal ob nun in Schottland, Katalonien oder Südtirol) wird währenddessen mit Verweis auf angeblich unveränderliche Rahmenbedingungen (»Verträge«) die Aussichtslosigkeit ihrer Bestrebungen prophezeit, im Falle Schottlands immerhin noch mit dem EU-Ausschluss gedroht. Bewusst unerwähnt bleibt dabei stets, dass es eben sehr wohl auch einen Faktor »Kreativität«, also den Vorrang des politischen Willens, gibt. Und wer verkörpert in einem demokratischen System diesen Willen besser, als die BürgerInnen selbst?

    Siehe auch: 01 02 03



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  • Kleberitis-Epidemie.

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    11 Comentârs → on Kleberitis-Epidemie.

    Südtirol wird nun schon seit Längerem von einer Epidemie heimgesucht, die komplett aus den Fugen zu geraten droht. Das in Fachkreisen als “Kleberitis-Syndrom” bekannte Aufkleben aller nur möglichen und unmöglichen Hinweise mittels Klebestreifen grassiert mit zunehmender Intensität – allen Gegenmaßnahmen zum Trotz.

    Beispielsweise installierte die Landesverwaltung mit einem Millionenaufwand mittlerweile fast flächendeckend schmucke Wartehäuschen inklusive Glasschaukästen an den Bushaltestellen. Dennoch werden Fahrpläne und dergleichen nach wie vor mittels Klebestreifen außen (!) an die Scheibe geklebt. “Derartige Aktionen zeugen von einem bereits sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsbild”, bestätigt ein Sachbearbeiter des Amtes für Mobilität, der anynoym bleiben möchte.

    bushaltestelle

    Auf einen besonders schwerer Fall von Kleberitis wurden die Behörden erst unlängst aufmerksam. Am Parkplatz “Priel” in Brixen steht ein Parkscheinautomat, der kaum mehr als solcher zu erkennen ist. Die für die Krankheit typischen geschwürartigen Fresszettel haben sich nämlich bereits über die gesamte Oberfläche ausgebreitet. Besorgniserregend sei, dass sich solche Fälle von Kleberitis im Endstadium seit mittlerweile fast zwei Jahren häufen würden, ergänzt der anonyme Sachbearbeiter auf Nachfrage von . Probleme bereitet den Behörden auch, dass nicht immer sofort zu erkennen ist, um welche Ausprägung von Kleberitis es sich handelt. “Es ist eine heimtückische Krankheit. Vom relativ harmlosen Tixo-Band bis zum gefürchteten Duct Tape ist alles dabei. Auch der Gebrauch unterschiedlichster Schriftarten auf den Fresszetteln erschwert die Diagnose. Bei Comic Sans ist der Fall natürlich klar. Aber es gibt mittlerweile sogar schon Kleberitis-Stämme, die Myriad Pro verwenden. Diese bislang eher seltene Hässlichkeitsresistenz bereitet uns zunehmend Sorge”, bestätigt auch Landeshauptmann Arno Kompatscher, der die Kleberitis-Epidemie zur Chefsache erklärt hat.

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    Nachtrag:
    Der aufgeklebte Fahrplan wurde mittlerweile in die Vitrine verfrachtet. Ganz leicht dürfte das nicht gewesen sein. Der Fahrplan hat sich ganz offensichtlich heftig gewehrt. Doch alles Drehen und Wenden nützte nichts. Zurück blieben nur hübsche Klebestreifenreste, die noch von dem Gemetzel zeugen.

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  • Zwei Monate für zehn Minuten.

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    13 Comentârs → on Zwei Monate für zehn Minuten.

    Es ist eine Kleinigkeit, aber doch irgendwie symptomatisch für das Maß an Bürokratie, Professionalität und Kundenservice, das bisweilen in Südtirol herrscht.

    Anfang Mai machte ich mich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf den Weg zum Busbahnhof in Brixen. Die Uhr auf dem Infopanel neben der Abfahrtsrampe zeigte 18.16 Uhr. Also hatte ich gut 10 Minuten bis zur Abfahrt meines Busses nach Feldthurns. Schnell noch für kleine Jungs.

    Als ich von der Toilette zurück kam, sah ich gerade noch, wie mein Bus in die Dantestraße einbog und in Richtung Zugbahnhof davon fuhr. Wie konnte das sein? Ich war doch nur zwei drei Minuten weg. Ich ging zum Bildschirm, auf dem die An- und Abfahrzeiten angezeigt werden und stellte fest, dass es 18.27 Uhr war. Die Uhr am Eingang zum Busbahnhof ging also um 10 Minuten nach. Pech gehabt.

    Per E-Mail verständigte ich die SAD über den Missstand und erhielt prompt eine Antwort vom “Info Point mobile”:

    Guten Abend,

    vielen Dank für die Info. Im Namen der SAD entschuldigen uns (sic!) für den Vorfall und veranlassen umgehend die Richtigstellung.

    Lg

    Walter Zingerle

    Rund einen Monat später kam ich neuerlich an besagtem Infopanel vorbei und sah, dass die Uhr nach wie vor 10 Minuten hinterherhinkte. Da der “Info Point” gleich gegenüber geöffnet hatte, brachte ich meine Geschichte ein zweites Mal vor: “Ich weiß inzwischen, dass die Uhr nachgeht. Aber damit es nicht auch anderen Leuten wie mir damals ergeht und sie den Bus versäumen, wäre es gut, wenn Sie die Uhr richtig stellen könnten!” Sie werde das selbstverständlich umgehend veranlassen, versicherte mir die Frau vom Informationsschalter.

    Gestern kam ich wieder einmal an der ominösen Infosäule vorbei. Und siehe da: die Uhr läuft immer noch falsch. Mehr als zwei Monate nachdem ich meine Beschwerde vorgebracht hatte.



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  • Menasse im Morgentelefon.

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    3 Comentârs → on Menasse im Morgentelefon.

    Aus dem Morgentelefon von Rai Südtirol am 5. Juli 2014 mit Robert Menasse im Vorfeld seiner Teilnahme am Euregio-Gipfel in Prösels:

    Das Europa der Regionen, ist das tatsächlich das Modell der Zukunft?
    Die Regionen sind zweifellos das Zukunftsmodell der politischen Organisation des europäischen Kontinents, aus einem einfachen Grund: Wir haben die Erfahrung gemacht, die geschichtliche Erfahrung, dass Nationen nicht funktionieren. Sie funktionieren nicht in sich, denn würden sie funktionieren, würden die Nationalstaaten heute nicht alle am Rande des Zusammenbrechens sich befinden — und des Auseinanderbrechens. Denken Sie an England, an Spanien, Italien… hundert Jahre (sic) nachdem Garibaldi geritten ist, ist noch immer nicht möglich eine italienische Nation wirklich gerecht für alle italienischen Bürger zu gestalten, Norditalien ist ganz was anderes als Süditalien, das ist nicht vereinheitlichbar und nicht gemeinsam politisch organisierbar. Das Wichtigste ist, dass wir mit Nationalstaaten die Erfahrung gemacht haben, dass sie zu Kriegen führen, durch die nationalen Konflikte, durch die nationalen Interessensgegensätze, bis hin zu den größten Menschheitsverbrechen, die durch Nationalismus und Rassismus entstehen, also bis hin zu Auschwitz. Deswegen war es die Idee, einen friedlichen Kontinent dadurch zu schaffen, dass man den Nationalismus überwindet.

    Also Europa funktioniert durchaus, sagen Sie, wir müssen deshalb nicht verschmelzen zu einem großen Kuchen.
    Nein, im Gegenteil, ein Europa der Regionen wäre die Anerkennung der wirklichen Identitäten der Menschen, weil die Identität des Menschen liegt ja an seinem Lebensort, in der Region in der er aufgewachsen und sozialisiert wurde oder wo er lebt, wo er politische Partizipationsmöglichkeiten hat, wo er den Überblick hat. Regionen sind außerdem von ihrer Größe her eine ideale Verwaltungseinheit, Regionen untereinander in ihrem Austausch respektieren viel mehr und viel selbstverständlicher die Mentalitätseigenheiten der anderen, als es Nationalstaaten jeweils in der Geschichte getan haben. Deswegen ist es ganz klar: Wenn die Vergemeinschaftung Europas gemäß der Grundidee von Jean Monnet und der Gründergeneration des europäischen Einigungsprojekts… wenn es diesem Projekt gelingt, den Nationalismus an der Wurzel zu überwinden, das heißt im Nationalstaat, dann muss es irgendwie andere politische Verwaltungseinheiten geben und das können dann nur die Regionen sein, weil dort haben die Menschen ihre Identität, ihre Kultur, ihre Mentalität und vor allem auch das Interesse an einer Vernetzung, an einem Austausch mit anderen.

    Wir sehen das in aktuellen wirtschaftlichen Tendenzen, dass der Ruf nach Dezentralität immer lauter wird, es muss wieder menschlicher werden. Wie kann man aber jetzt dieses Konstrukt Europa dann doch als Dachvereinigung am besten führen?
    Man muss sich nur erinnern an die Grundidee des europäischen Projekts. Die Grundidee lautet: Wir schaffen mit der Europäischen Union einen gemeinsamen Rechtszustand auf der Basis der Menschenrechte, geben mit einer gesamteuropäischen Demokratie, also in Zukunft mit einem entfalteten Europäischen Parlament dem Kontinent gemeinsame, gleiche Rahmenbedingungen, die in Gesetzen festgeschrieben werden und innerhalb dieser Rahmenbedingungen kann dann in subsidiärer Demokratie jeder an seinem Lebensort, in seiner Region, sein Glück suchen. Aber er kann sich drauf verlassen, dass er die gleichen Chancen und die gleichen Rahmenbedingungen hat, wie alle anderen auf diesem Kontinent, was im Moment durch die Nationalstaaten nicht gegeben ist. Ganz, ganz wichtig für Demokratie ist ja der Gleichheitsgrundsatz — und der Gleichheitsgrundsatz ist zum Beispiel so lange nicht eingelöst, solange große und mächtige Nationen ihren Bürgern mehr Chancen geben können, als kleine oder einflusslose oder ökonomisch noch rückständige oder strukturschwache Nationen. Es ist ein Unterschied, ob ich in Deutschland oder in Malta zur Welt komme und das kann nicht der Sinn einer gesamteuropäischen Demokratie sein.

    Ist Ihrer Ansicht nach die Europapolitik, die die deutsche Bundeskanzlerin Merkel betreibt, der richtige Weg oder genau das, was man nicht tun sollte?
    Ich glaub’, dass die Angela Merkel Europa nie verstanden hat. Und ein großteil der Krise, die wir heute in der Europäischen Union erleiden und beobachten, geht darauf zurück, dass Merkel massive nationale Interessenspolitik betreibt — und das führe ich darauf zurück, dass sie Europa aus einem einfachen Grund nicht verstanden hat. Nämlich: Für die Generation Merkel und für ihre Herkunft und ihre Sozialisation war die Befreiung aus dem Kerker der DDR und die deutsche Wiedervereinigung, also praktisch die Wiedergeburt der deutschen Nation, das große prägende Ereignis und sie kann sich danach eigentlich nichts mehr vorstellen. Sie hat als DDR-Bürgerin keine Reisefreiheit gehabt… jetzt hat sie einen Pass, mit dem sie reisen kann; und sie sieht nicht ein, wozu man mehr braucht als einen gemeinsamen Markt und die Reisefreiheit die sie als Deutsche [hat]. Aber die europäische Idee geht ja viel weiter und viel tiefer und das versteht sie nicht. Nur alle politischen Beobachter, denen an der Weiterentwicklung der europäischen Union als Gemeinschaftsprojekt liegt, sind sich alle darüber einig, dass Angela Merkel im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Kohl — der von derselben Partei war, aber noch wusste, was das europäische Projekt ist, weil er ja noch vor den Trümmern gestanden ist, aus denen heraus das neue Europa aufgebaut werden musste — das einfach nicht mehr versteht. Und das Interessante ist, dass man an diesem Beispiel sieht, dass Sozialisation und Mentalität eigentlich politisch wirksamer ist, als Ideologie in vielen Fällen. Weil man könnte ja sagen, das ist dieselbe Partei wie Kohl, hat dasselbe Parteiprogramm zu vertreten, hat also daher auch dieselben politischen Gestaltungsinteressen… aber es stimmt nicht. Die Sozialisation, die Herkunft, der Lebensort waren viel prägender, als das Parteiprogramm.

    Das heißt, Angela Merkel unterstützt eine Sache, die Sie kritisieren und zwar eine hierarchische Politik innerhalb Europas, die ja auch zu diesem permanenten Armdrücken, diesen Debatten auf der wirtschaftlichen Ebene führt. Matteo Renzi hat wiederum gesagt, wir lassen uns nicht alles diktieren, wir müssen nicht nur sparen, wir müssen auch investieren… hat er damit Recht?
    Ja, damit hat er natürlich recht, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm gegeben sind als einem nationalen Regierungspolitiker. Aber die Politik, die ausgeht von der Verteidigung nationaler Interessen, so wie es bei Angela Merkel offensichtlich der Fall ist, die produziert ja Konflikte — automatisch. Der Konflikt wird zum Beispiel [geführt] zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern, zwischen reichem Norden und armem Süden, so als wären alle im Süden arm und alle im Norden reich… das ist ja alles ein Unsinn, es geht ja hier um Fiktionen, aber diese Fiktionen, diese nationalen Fiktionen produzieren reale Konflikte… was nicht der Fall wäre, wenn wir es nicht zu tun hätten mit einem Europa wo mächtige nationale Eliten in großen Nationalstaaten diktieren können, was in kleinen Nationalstaaten für Sparmaßnahmen ergriffen werden müssen.

    Wie sieht Ihr Europa von morgen denn aus? Welche politischen Impulse braucht es denn, damit das Miteinander der Regionen, also auch das menschlichere Europa, umsetzbar ist?
    Das Ganze steht und fällt mit der Entwicklung der europäischen Demokratie. Wir müssen uns eines vor Augen halten: Auch der größte und mächtigste Nationalstaat kann heute alleine gegen alle diese globalen Phänomene, wie transnationale Finanzströme, die transnationalen ökologischen Probleme, Überwachung… das macht ja alles nicht mehr an nationalen Grenzen halt oder ist innerhalb von nationalen Grenzen regelbar. Aber auch der mächtigste, der größte Nationalstaat kann das alleine nicht mehr regeln. Jeder einzelne Nationalstaat ist zum Beispiel durch einen multinationalen Konzern erpressbar, das erleben wir ja heute. Die einzige Chance, auf der Basis von Menschenrechten und Demokratie zu gewährleisten, dass eine Politik nach den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gemacht wird, ist nur durch die Vereinigung denkbar. Aber innerhalb der Vereinigung darf es nicht auch wieder diese Hierarchien geben, weil sonst haben wir es wieder nicht mit demokratischen Verhältnissen zu tun. Das heißt wir müssen das Europäische Parlament stärken, es muss einen voll entfalteten europäischen Parlamentarismus geben und das Europäische Parlament muss gleiche gemeinsame Rahmenbedingungen für alle herstellen, wo es dann unerheblich ist, ob man aus einem großen oder kleinen Land kommt. Weil wenn man sich überlegt, dass man in Wirklichkeit aus einer Region kommt, dann sind die eh ungefähr alle gleich groß und gleich stark, haben den gemeinsamen Rechtszustand und Chancengleichheit.

    Müsste es also so einen Europatag wie jetzt hier am Wochenende in Völs, auf Schloss Prösels, permanent an verschiedenen Orten in ganz Europa geben, damit Kooperationen gefördert werden?
    Na, ich glaube, dass die Kraft der faktischen Entwicklung das in diese Richtung treiben wird. Es geht gar nicht anders. Es wird einfach der Druck der konkreten und realen Probleme, die auf der Basis der gegenwärtigen unbefriedigenden Situation entstehen, so stark werden, dass zwar immer nur in kleinen Schritten, aber doch immer wieder nachgegeben wird — vor drei oder vier Jahren hat Merkel eine gesamteuropäische Bankenaufsicht [ausgeschlossen], jetzt kriegen wir sie. Sie hat damals geglaubt, sie muss den Finanzmarkt Frankfurt schützen. Sie ist nach vier Jahren [draufgekommen], der Schutz des Finanzmarkts Frankfurt bedroht den Finanzmarkt Frankfurt… weil einfach sie alleine das nicht mehr für ihre Nation retten kann. Das heißt: Es wird schrittweise immer mehr Vergemeinschaftung geben, in dem Maß wie die Vergemeinschaftung fortschreitet und das Europäische Parlament mächtiger wird, werden die nationalen Parlamente schwächer — irgendwann sterben sie ab. Und irgendwann wird man zu dem Punkt kommen, dass man sagt, man kann den Europäischen Rat, also den Gipfel der Staats- und Regierungschefs, abschaffen und es genügt einfach eine europäische Regierung, deren Nukleus heute die Kommission ist… die verschiedenen Ressorts, kontrolliert durch ein Europäisches Parlament, das in europäischen Wahlen die demokratische Legitimation organisiert und die gemeinsamen Rahmenbedingungen beschließt. Und dann irgendwann wird man feststellen, die nationalen Grenzen sind weg, das was an nationalen Interessen existiert [hat], hat sich als Fiktion erwiesen, wir können eigentlich die nationalen Pässe wegwerfen und uns mit einem europäischen Pass begnügen und glücklich und froh sein, dass wir frei und erhobenen Hauptes an unserem Lebensort auf der Basis von Rechtszustand leben und unser Glück suchen können.

    Werden wir beide das noch erleben?
    Das kommt drauf an, ob ich zu rauchen aufhöre oder nicht (lacht).

    Transkription:



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