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  • Sprache: Das Fass läuft über.

    In Südtirol scheinen Polizeiorgane mit besonderer Akribie vorzugehen, wenn es darum geht, die Verbreitung der deutschen Sprache einzudämmen. Laut staatlichem Konsumentenschutzgesetz müssen Verbraucherinformationen, Inhaltsangaben, Handbücher und vieles mehr stets in italienischer Sprache verfügbar sein. Anstatt diese Pflicht in Südtirol im Lichte der realen Sprachsituation und des Autonomiestatuts, welches die deutsche der italienischen Sprache gleichsetzt, pragmatisch anzuwenden, werden regelmäßig hohe Strafen verhängt und Produkte beschlagnahmt. Ähnliche Genauigkeit vermisst man etwa bei der (noch immer nicht erfolgten) Durchsetzung der vorgeschriebenen zweisprachigen Packungsbeilagen von Medikamenten.

    hatte auf das Sprach- und Konsumentenschutzproblem bereits vor etlichen Jahren hingewiesen und eine Lösung nach katalanischem Muster gefordert — vergeblich.

    Doch nun wird es auch der Handelskammer zuviel: Nachdem sogar der Verkauf eines Monopoly-Spiels in deutscher Sprache (bei Athesia Toys?) bestraft wurde, sah sich HK-Präsident Michl Ebner veranlasst, alle Landtagsabgeordneten anzuschreiben, um ihnen die Verabschiedung eines Konsumentenschutzgesetzes nahezulegen, welches Art. 99 des Autonomiestatuts (Gleichstellung der Sprachen) ausdrücklich auch in diesem Bereich umsetzt. Einen (etwas holprig formulierten) Vorschlag, der vorliegt, legte er gleich bei:

    Umsetzung von Art. 99 des Autonomiestatutes zur Gleichstellung der Sprachen, im italienischen Rechtssystem

    1. Jedes innerhalb der Autonomen Provinz Bozen gegenüber dem Endverbraucher oder Anwender vertriebene oder bereitgestellte Produkt, kann, in Umsetzung von Art. 99 des mit Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 670 vom 31. August 1972 erlassenen Autonomiestatutes der Region Trentino-Südtirol, Auskünfte, Warnhinweise oder andere verpflichtend anzubringende Angaben zum Inhalt und zur Verwendung desselben, ausschließlich in italienischer oder in deutscher oder in beiden Sprachen anführen.

    2. Von den in Absatz 1 angeführten Produkten sind die Medikamente und Galenika ausgenommen, deren Etiketten und Begleitinformationen nach den Vorgaben von Art. 14 des Gesetzesvertretenden Dekretes Nr. 283 vom 29. Mai 2001 sowohl in italienischer wie in deutscher Sprache angeführt werden müssen.

    3. Von den in Absatz 1 angeführten Produkten sind Erzeugnisse ausgenommen, deren Bereitstellung oder Inverkehrbringen auf dem nationalen Markt einer ministeriellen Genehmigung unterliegt und die im Vorfeld Ihrer (sic) Vermarktung oder Einfuhr einer Melde- oder Eintragungspflicht unterliegen.
    Dieser Absatz gilt nicht für Erzeugnisse die aus statistischen Gründen einer Meldung bei Ministerien unterliegen, sowie auch nicht für Erzeugnisse die verpflichtend oder fakultativ den Bewertungen einer “Konformitätsbewertungstabelle” nach Art. 2, Absatz 13 der Verordnung 765/2008/EG unterzogen werden.

    Im Brief von Michl Ebner ist davon die Rede, dass »sich eine ungleiche Behandlung der zwei Sprachen« offenbart.

    Die ausschließlich in deutscher Sprache gekennzeichneten und für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben eines Großteils der Bevölkerung besonders wichtigen Produkte werden von Seiten der Kontrollorgane systematisch beschlagnahmt und beanstandet.

    Die Interventionen der Kontrollorgane gegen die ausschließliche Verwendung der deutschen Sprache unterminieren das Ziel der Erreichung eines hohen Standards an Sicherheit für die Verbraucher deutscher Muttersprache.

    Selbst wenn der Vorstoß des Handelskammerpräsidenten möglicherweise auf die Schädigung seines eigenen Unternehmens zurückzuführen ist, begrüßt , dass dieses seit Jahren bekannte Problem endlich in Angriff genommen wird und hofft, dass es einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden kann.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08



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  • Leitfaden zum EU-Ausschluss.

    In der gesamtspanischen Onlinezeitung El diario ist vorgestern ein vielbeachteter satirischer Leitfaden zum EU-Ausschluss Kataloniens erschienen, auf Spanisch und Katalanisch.

    von Antonio Baños

    Es ist eine Tatsache. Sie werfen uns raus. Ach, wie schade. Wie ungemütlich. Schwarz gekleidete Männer werden von Haus zu Haus gehen und uns die wenigen Euros wegnehmen, die wir unter der Matratze horten. Rektoren werden, mit einem Holzknüppel bewaffnet, katalanische Erasmusstudenten aus Europa werfen. Zypern? Burundi? Schlimmer! Unsere spanischen Geschwister werden uns, zu unserem Wohle, an einen noch unheimlicheren und noch obskureren Ort schicken: das europäische Somalia. Gott sei Dank ist Katalonien ein Land von Entwicklungshelfern, dann können wir uns die NGOs gleich selbst schicken.

    Aus einem ehrlichen Dienstempfinden und zur Information des von den Lügen eines exkludierenden, ratten- und grastötenden »Nazionalismus« verblendeten (und generell verblödeten, deliranten und verräterischen) katalanischen Publikums habe ich hier einen praktischen und rationalen Leitfaden fürs EU-Ausschlussverfahren zusammengestellt.

    Wir müssen es offen aussprechen: Katalonien auszuschließen, ist sehr einfach (dafür gibt es 2.000 Möglichkeiten, sagte der vielseitige EU-Kommissar Almunia). Was nicht so einfach ist, ist der Rausschmiss der Katalanen.

    Einige sagen, die Katalanen seien auch Menschen und hätten, dementsprechend, gewisse Rechte (selbst wenn sie Artur Mas wählen). Was die Tageszeitungen El Mundo und El País so einfach und biblisch darstellen, wie den katalanischen Exodus, könnte noch einige Schwierigkeiten bereiten.

    Der Tag danach

    Die erste öffentliche Handlung nach der Unabhängigkeit Kataloniens wird ein schrecklich kontroversieller Akt sein. Im Europaparlament werden Sicherheitsbedienstete den eigenen Vizepräsidenten unter den Armen packen und in ein Flugzeug richtung Barcelona stecken: deportiert. Aleix Vidal-Quadras ist, auch wenn er den Unabhängigkeitsprozess nicht befürwortet, Katalane und errang seinen Sitz in Katalonien. Es ist also unvermeidlich, dass der Rauswurf der Katalanen mit einem Sondereffekt beginnt. Was hattet ihr gedacht? Dass nur die Unabhängigkeitsbefürworter ausgeschlossen werden? Wenn Katalonien rausfliegt, fliegen alle Katalanen mit raus, von Jordi Cañas bis Montserrat Caballé. Tut mir sehr leid, meine lieben Borbonenfreunde.

    Bürgerschaft

    Lasst uns zum Schwindel mit den Bürgerrechten kommen. Es gibt keine Möglichkeit, jemandem seine Bürgerschaft zu nehmen. Das sagt sogar die Verfassung, die mit der unauflösbaren staatlichen Einheit. Und mit einem Akt unrechtfertigbarer Gnade gestattete das Königreich Spanien uns Katalanen gleich eine doppelte Bürgerschaft: Die spanische und obendrein noch die europäische. Da letztere komplementär ist, können sie uns die europäische wegnehmen, wenn wir die spanische verlieren. Setzen wir einmal voraus, dass uns Spanien, aus Liebe und im Namen der tausendjährigen Bande, die uns verbinden, niemals eine doppelte Staatsbürgerschaft gewähren würde.

    Es scheint einfach. Doch das Problem ist, wie man angereifte Rechte aberkennt. Das ist in Europa nicht mehr passiert, seit die Deutschen das an einem Teil ihrer Bevölkerung vorexerzierten, den sie dann sogleich als abschiebbar befanden. Um es zu erklären: Jemandem von vornherein zu verbieten, mit dir ins Bett zu gehen ist etwas anderes, als ihn nach einer gemeinsam verbrachten Nacht wieder aus dem Bett zu schmeißen. Der erste Fall (Mazedonien, Kosovo) ist ein Akt der Freiheit und der Prävention innerhalb deiner Intimsphäre. Der zweite (Katalonien) ist einfach nur schlechte Bildung.

    Der Rausschmiss Kataloniens ist ein Vorfall zwischen Staaten, kollektiv. Doch die Rechte sind individuell. Also wird man den Ausschluss Kataloniens an jedem katalanischen Bürger einzeln durchführen müssen. Kein Problem. Spanien und die EU haben überflüssiges Geld, Anwälte, Zeit und Mittel, um sich die erforderliche Zeit lang damit zu befassen. Um es gleich zu sagen: Es würden nicht nur diejenigen ihre Rechte verlieren, die mit “ja” gestimmt haben, sondern auch die, die mit “nein” gestimmt haben, die sich enthalten haben und, was noch schlimmer ist, die Neugeborenen, die noch nicht einmal sprechen können. Das gleicht Hitlers juridischer Wiedererfindung der Sippenhaft, in der nicht nur der Schuldige bestraft wird, sondern seine gesamte Familie.

    Marcel Dutroux, Vergewaltiger, Folterer und Entführer kleiner Mädchen hat seine europäische Bürgerschaft nicht verloren. Josef Fritzl, das Monster von Amstetten, auch nicht. Sogar Hitlers Leutnant Rudolf Hess wurde seine Staatsbürgerschaft nie streitig gemacht. Und jetzt werden die arme Schwester Forcades, Arcadi Oliveras und Pater Manel ganz schnell all ihre Rechte verlieren, nur weil sie mit irgendwelchen illuminierten Referendumsveranstaltern im selben Land leben. Ich gebe zu, dass es der Freifrau Ashton, Chefin der europäischen Diplomatie, nicht leicht fallen wird, dies zu rechtfertigen. Wie kann die EU, Heimat aller Rechte, den Entrechteten Asylgewährende, Quelle aller Freiheit, einfach sieben Millionen Europäer rauswerfen, weil sie an einer Abstimmung teilgenommen haben?

    Wie würden sie die Massenauswanderung nach Australien oder Kanada, allesamt Länder mit diskutablen Staatsformen, rechtfertigen? Mit welchem Mut können sie in Zukunft noch arabische Länder im Namen der Demokratie bombardieren? Werden sie uns mit den Tschetschenen vergleichen? Mit den somalischen Piraten? Nein. Allein die Erklärung, dass wir das sympathische spanische Volk verraten haben, Fußballweltmeister, wird dazu führen, dass auf der ganzen Welt niemand mehr mit uns sprechen will.

    Wer ist Katalane?

    Gut, raus mit den Katalanen. Doch schauen wir mal… wer ist eigentlich Katalane? Ja, ich weiß schon… jeder, der in Katalonien lebt und arbeitet. Dieses Kriterium kann genügen, wenn es um eine Erweiterung der Rechte geht, wie bei der Verleihung der katalanischen Staatsbürgerschaft. Hinzufügen ist einfach, wegnehmen nicht so. Schon während des Kreuzzugs gegen die Katharer hatten die französischen Ritter ihre Schwierigkeiten, über das Lebensrecht der Okzitanen zu richten. “Wie sollen wir wissen, wer ein Ketzer ist?”, fragten sie Simon de Montfort. “Bringt sie alle um, und Gott wird die Seinigen erkennen”, antwortete dieser. Doch dieser Weg scheint eher unwahrscheinlich.

    Die letzten brauchbaren Gesetze zur Aberkennung von Rechten in Europa waren die Nürnberger Rassengesetze von 1935. Und trotz des Eifers in der Ermittlung, wer nun Jude, Halbjude oder Judenfreund sei, hatte man es nicht leicht, die reinen von den unreinen Deutschen zu unterscheiden. Im katalanischen Fall, wo wir die Ethnie aus unserem promiskuitätsfreundlichen Naturell etwas vernachlässigt haben, befinden wir uns wohl vor einem Volk von Mischlingen, Hybriden. Vielleicht werden sie eine Münze zu Boden werfen — und wer sich bückt um sie aufzulesen, wird rausgeworfen [den Katalanen haftet, ähnlich wie den Schotten, den Ladinern und den Juden, das Vorurteil an, geizig zu sein, Anm. d. Ü.]. Oder sie kontaktieren den Rechtsextremisten Josep Anglada, der ja zu wissen scheint, wer Katalane ist und wer nicht.

    Doch auf eine kühlere und europäischere Art haben wir nur zwei Möglichkeiten, um jemandem den Reisepass wegzunehmen, weil er Katalane ist: aufgrund der Geburt oder aufgrund des Wohnorts.

    Wenn wir nicht lang nachdenken und all jenen die Staatsbürgerschaft entziehen würden, die in Katalonien geboren sind, hätten wir die eine oder andere Schwierigkeit: Kiko Veneno, in Figueres geboren, bräuchte ein Visum, um in Barbate ein Konzert zu geben. Noch schlimmer hätte es Manuel Valls. Er ist französischer Innenminister und starker Mann von Hollande. Der Arme wurde in Barcelona geboren und könnte von der eigenen Gendarmerie verhaftet und ausgewiesen werden. Doch all das könnte man ganz einfach lösen: Man weist nur die aus, die in Katalonien geboren sind und einen spanischen Pass haben. Au, nein, auch nicht… in unserer Dexeus-Klinik sind die Kinder von [PP-Chef und Premierminister] Mariano Rajoy geboren… Hmmm, das geht nicht.

    Ob es einfacher ist, wenn wir denen die Rechte entziehen, die in Katalonien wohnen? Schauen wir mal: Bojan, der in Rom lebt, bleibt Europäer; Iniesta, der Held von Südafrika, lebt in Katalonien und fliegt raus. Rivera, der Nette von der unabhängigkeitsfeindlichen Ciutadans-Partei… rausgeschmissen. Ramon Tremosa, Kravatten-Independentist, lebt in Brüssel: Europäer. Carles Francino, Europäer. Die königliche Infantin Cristina… draußen. Nein, auch das klappt nicht. Tausende von Katalanen sind irgendwo geboren oder leben im kosmopolitischen Ausland. Was tun? Krankenpflegerinnen in London, Ingenieure in München, Tänzer in Mailand… die Polizei ganz Europas wird wie in alten Zeiten mit Mantel und Hut vorstellig und entzieht Aufmüpfigen überall ihre spanischen Pässe…

    Es bleibt noch ein vernünftigerer Weg. Abwarten, dass wir die Unabhängigkeit erklären und die erste Volkszählung durchführen. Sie bitten uns um eine Fotokopie und nehmen allen Aufscheinenden die Bürgerschaft weg… Wir hätten, das schon, ein weiteres unangenehmes Phänomen: Die gemischten Ehen. Je nachdem, wie sie das angehen, könnte Oswaldo Washington, ein schwarzer Dominikaner, Europäer bleiben, während seine Frau, Pepeta Puigdevall i Comes, im spanischen Konsulat anstehen muss, um ein Touristenvisum zu bekommen… ein aufregender Prozess voller poetischer Gerechtigkeit und paradoxen Ausländertums!

    Katalonien rauszuwerfen, das leugne ich nicht, ist eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Die Katalanen rauszuschmeißen, ist alleinige Zuständigkeit der spanischen Regierung, welche in irgendeiner Weise die Gültigkeit unserer Reisepässe aberkennen muss. Wenn sie dieses sündhaft teure Opfer bringen (Klagen, Gesuche, Beschwerden, Geld), dann nur, weil sie uns lieben, vergessen wir das nicht.

    Raus aus dem Euro

    Es gibt etwas, was wir verrückten, ignoranten und rassistischen Unabhängigkeitsbefürworter wissen müssen: sie werden uns auch aus dem Euro werfen. Und das, wie geht das vor sich? Gut, das weiß noch niemand so genau. In Wirklichkeit ist es in der Menschheitsgeschichte noch nicht vorgekommen, dass jemandem der Gebrauch einer Währung verboten wurde. Währungen funktionieren wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: dass die Leute sie als solche anerkennen und dass die Regierung sie als als Mittel zur Schuldenbegleichung (einschließlich Steuern) anerkennt. Wie an Universitäten gelehrt wird, kann eigentlich nicht verboten werden, dass die katalanische Regierung den Euro als Zahlungsmittel anerkennt und die Katalanen mit Euros einkaufen und bezahlen. Ecuador (das ist nicht das einzige Land) hat den Dollar als Währung. Das Land nimmt mit dem Erdöl Dollar ein und anstatt es in Pesos zu wechseln operiert es direkt damit. Die Ecuatorianer erkennen den Dollar im Alltag an und Schluss. Bosnien hatte vor dem Euro die D-Mark und Montenegro nutzt den Euro. Ich habe in Lateinamerika und im Mittleren Osten mit Euros bezahlt. Den Euro gibt dir weder der Staat, noch die EZB. Den Euro erwirbt man, wie jede Währung, am Markt. Ein katalanisches Unternehmen verkauft in Perpignan (heute Frankreich) eine halbe Million Mützen. Bezahlt wird in Euro. Dieses Unternehmen zahlt seine Angestellten mit derselben Währung und die wiederum zahlen damit ihr Bier. Alle Betroffenen erkennen den Euro als gültiges Zahlungsmittel an. Das wars, so tritt eine Währung in ein globalisiertes System ein. Die kommerziellen Banken oder die Zentralbanken können sowieso mit jeder beliebigen Devise arbeiten, da sich alle Währungen auf dem Markt befinden und demnach ihr Gebrauch nicht verboten werden kann.

    Doch seien wir nicht bedrückt. [Der spanische Finanzminister] Montoro wird, da die spanische Wirtschaft inzwischen wieder von selbst arbeitet, eine Lücke in seinem Kalender finden, um eine antiliberale, globalisierungsfeindliche, antikapitalistische und dirigistische Methode auszuhecken, die Währung zu kontrollieren. Ganz Europa unterstützt sowjetische Methoden, wenn es darum geht, Rebellen zu bestrafen und vertragstreuen Spaniern zu helfen, wird man in Brüssel sagen.

    Auf dieselbe Art wird der unvermeidliche EU-Ausschluss die Wiederkehr der Zölle bedeuten, die unsere Verarmung bedeuten. Ich weiß schon, dass die EU-Politik der letzten 50 Jahre, in Übereinstimmung mit den WHO-Verträgen, der US-Politik und der kapitalistischen Welt die Zölle auf der ganzen Welt abzuschaffen, aufgehoben werden muss. “Die Globalisierung benötigt das Ende der Zölle”, werden die größten Exportnationen sagen, “doch um Spaniens Ehre zu retten und seine gerechte Rache umzusetzen, werden wir Katalonien Hindernisse in den Weg stellen”. Zum ersten Mal werden sich China, Russland, Europa, die Ayatollahs und die Chavisten verständigen, um den Katalanen nichts mehr zu verkaufen. Das wird interessant.

    “Hinten anstellen”

    Dieses Thema, sich hinten anstellen zu müssen, ist laut Madrider Presse dasjenige, welches im Borbonenreich die größte Freude bereitet. “Katalonien wird nicht nur aus der EU fliegen, es muss sich auch ganz hinten anstellen”. Wie Sie sehen, kehrt “der Letzte in der Schlange” wieder, dieser Ausdruck ist ein reines und zutreffendes Produkt der Urphantasie. Die Idee eines einzigen Schalters, wo der Beamte abwesend oder abgelenkt ist, weshalb sich eine riesige Schlange bildet, ist Teil der rassigen Kosmovision des Königsreichs. Und so stellen sie sich Brüssel wie einen Ort vor, wo Bürokraten mit Schirmmütze und Manschetten sich um eine Schlange von Abgesandten exotischer Staaten kümmern, die in einem kleinen Raum warten und das P.M.-Magazin lesen. “Die Katalanen stellen sich hinten an”, ist die Kondensation des Ausschlussverfahrens. Um diesen Traum zu erfüllen, wird die EU ihre Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamen müssen. Erinnern wir uns, dass am ersten Mai 2004 zehn Länder auf einmal in die EU eintraten. Das heißt, dass entweder jemand die Schlange übersprungen hat, oder dass die EU die unglaubliche Fähigkeit besitzt, mit mehreren Ländern gleichzeitig zu verhandeln.

    Eine Dekade der Verhandlungen

    Unsere spanischen Geschwister haben uns schon gewarnt, dass das Wiederaufnahmeverfahren lange dauern wird. Im katalanischen Fall, da wir kein Balkanland, sondern ein untreues Land sind, wird sich das hinziehen, Jahrzehnte. Wie man weiß, wird verhandelt, um die Übereinstimmung der Gesetzgebung des EU-Kandidaten zu prüfen und zu stärken. Außerdem diskutiert man buchhalterische, makroökonomische und Kompetenzkriterien. Da der glückliche Zufall will, dass Katalonien schon seit über 20 Jahren Teil der EU ist und alle Normen erfüllt, vom Durchmesser der öffentlichen Pissoirs bis zur Zusammensetzung von Keksen, wird dieses Jahrzehnt der Verhandlungen für die Delegierten unheimlich langweilig. Jeden Tag, für zehn Jahre, werden sich Katalanen und Europäer ohne viel Verhandlungsmasse zusammensetzen. Von der Langeweile wird man zur Playstation übergehen. Davon vielleicht zur Zuneigung und dann werden womöglich Ehen aus der paritätischen Kommission hervorgehen. Und so wird es, sobald wir draußen sind, immer einen EU-Funktionär geben, der seinem verarmten Kollegen auf der anderen Seite der militarisierten Jonquera [der katalanische »Brennerpass«] eine Tafel Schokolade reicht.

    Schottland bleibt, wir nicht

    Ein kurioser Fall ist jener Schottlands. Die Briten haben bereits versichert, dass Schottland im Falle der Unabhängigkeit die EU nicht verlassen wird und dass sie nichts unternehmen werden, um ihre Einschreibung im Club zu verhindern. Warum würde Brüssel Schottland zulassen und Katalonien nicht? Die objektiven Gründe sind offensichtlich: Die Schotten sprechen Englisch, trinken Whisky und haben Sean Connery. Die Katalanen (die nur Joel Joan anbieten können) sind eine Gruppe Erleuchteter, die die Ehre des alten Imperiums verletzt haben. Das sind Argumente, die im 21. Jahrhundert niemand wird ausschlagen können.

    Ihr seht also, Katalanen. Es ist vollzogen. Das kostet euch Millionen, Gerichtsverfahren, Probleme, Arbeitsstunden und ein nie dagewesenes Durcheinander. Sie werden in Kauf nehmen, dass Katalonien ein Unternehmer- und Steuerparadies wird. Die Erweiterungspolitik der EU wäre beschädigt, die Union verlöre einige Millionen Steuerzahler und Konsumenten. Doch was ist das schon… für ein Königreich, das Amerika entdeckte? Wenn Spanien es will, wird Europa gehorchen. Au, was für eine Angst, sie werden uns nichts lassen — außer die Freiheit.

    Quelle: El diario.
    Übersetzung:



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  • Schulpflicht zur nationalen Einheit.

    Mit einer Mehrheit von fast 93% (208 dafür, 14 dagegen, 2 Enthaltungen) hat der italienische Senat diese Woche ein Gesetz genehmigt, mit dem an allen Schulen (jeder Schulstufe) das Erlernen der italienischen Nationalhymne zur Pflicht wird* — auch in Südtirol. Außerdem wird der 17. März zum (Schul-)Tag »der nationalen Einheit, der Hymne und der Flagge« erklärt, dessen Ziel es unter anderem ist, »die nationale Einheit zu konsolidieren«.

    Einziges Zugeständnis: Autonome Regionen und Provinzen setzen das Gesetz in Übereinstimmung mit Artikel 6 der italienischen Verfassung um, der da lautet

    Die Republik schützt mit besonderen Bestimmungen die sprachlichen Minderheiten.

    Das kann alles bedeuten — oder nichts. In jedem Fall steht außer Zweifel, dass das Gesetz, Autonomie hin oder her, auch hierzulande umgesetzt werden muss, und dass etwaige Abweichungen vom »nationalen Soll« nur die deutsche und ladinische Schule betreffen.

    Was in Südtirol los wäre, wenn an deutschen Schulen eine italienfeindliche Hymne unterrichtet würde, kann sich jeder ausmalen. Und was es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeuten würde, wenn italienische (und zugewanderte) Schüler im Lande bald Mameli singen und Staatsflaggen hissen müssten, brauche ich wohl ebensowenig auszuführen.

    Cëla enghe: 01 || 01 02

    *) Nationalismus kennt keine Parteigrenzen mehr, daran dürfen sich PD-Sympathisantinnen in Südtirol gerne erinnern, bevor sie dieser angeblichen Linkspartei das nächste Mal ihre Stimme geben. 02



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  • Realitätsänderung.

    Wie auch Thomas Benedikter bei seinem hervorragenden Vortrag in der Cusanus-Akademie erklärte (und bei der Podiumsdiskussion der Grünen wiederholte), ist der »Realismus« im Grunde keine politische Kategorie. Wie wahrscheinlich war es vor 100, 50, ja selbst vor 10 Jahren, dass die Welt heute genauso ist, wie sie ist? Der Wert dürfte gegen null tendieren. Angebliche Gewissheiten werden fortlaufend widerlegt:

    • SVP-Sekretär Philipp Achammer hatte noch vor wenigen Monaten behauptet, London würde Schottland sicher niemals eine Abstimmung über die staatliche Unabhängigkeit gewähren. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Premier David Cameron und First Minister Alex Salmond einigten sich kürzlich auf einen Termin — die schottische Bevölkerung darf 2014 bestimmen, ob sich das Land abspaltet.
    • Noch vor nicht allzu langer Zeit war eines der Lieblingsargumente von Unionisten, man könne in der EU keine Binnengrenzen mehr verschieben. Dass dieser Hinweis heute seltener zu hören ist, verdanken wir ebenfalls den Schotten: Heute scheint niemand mehr anzuzweifeln, dass neue (Verwaltungs-)Grenzen auch innerhalb Europas entstehen können. Jetzt müssen Unabhängigkeitsgegner schon hinzufügen, dass dies — angeblich — nur im Konsens mit dem Zentralstaat geschehen kann. Eine neue Gewissheit.
      Südtirol hat diesen Konsens mit Rom während der letzten Jahrzehnte niemals gesucht. Zugegeben: Dass es jemals einen geben wird, ist äußerst unwahrscheinlich, doch wer nicht spielt, kann nie gewinnen.
    • Als Kataloniens schwierige Wirtschaftslage bekannt wurde, frohlockten zahlreiche Unionisten: Das Land im Nordosten Spaniens habe sich als Vorbild für Separatisten über Jahre »gegessen«, wem der Magen knurre, der habe keine Zeit mehr für »Hirngespinste«. Genau das Gegenteil war, wie hier prognostiziert, der Fall: Am 25. November finden in Katalonien Neuwahlen statt, mit dem Ziel, vom Wähler ein Mandat für die Loslösung von Spanien zu erhalten. Die Katalanen geben sich auch nicht vorauseilend der »Wahrheit« geschlagen, die Unabhängigkeit sei nur im Konsens mit dem Zentralstaat zu erreichen, sondern setzen auf die Kraft eines friedlichen, demokratischen Prozesses.

    Das sind nur wenige Beispiele für eine grundlegende Erkenntnis: Realität ist nicht, sie wird gemacht. Und Politik folgt keinen unveränderlichen Naturgesetzen, sondern von Menschen erschaffenen, sich ständig wandelnden Regeln. Vielleicht setzt sich diese Einsicht irgendwann auch in Südtirol durch.



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  • Ostacoli.
    Quotation

    Credo che ci troviamo nel 21° secolo, e nel 21° secolo la democrazia è sacra. In un processo con queste caratteristiche non si può avanzare con le minacce. Quindi, se c’è un’ampia maggioranza favorevole all’esercizio del diritto all’autodeterminazione, e in Catalogna c’è, sono sicuro che alla fine non ci possa essere nessun problema. Ci saranno degli ostacoli, questo è ovvio, però credo che potremo superarli.

    Joan Herrera, giurista, segretario generale dei Verdi catalani

    Cëla enghe: 01 02 03



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  • »Schweizer Richter sind mehrsprachig.«

    In der Gerichtsbarkeit hat Katalonien — wie Südtirol — noch immer massive Schwierigkeiten, die tatsächliche Gleichberechtigung der Landessprachen zu erreichen. Während Südtirols Politiker und Medien nur selten über die Grenze in die nahe und mehrsprachige Schweiz blicken, führte das katalanische Tagblatt Ara ein Gespräch mit dem soeben in den Ruhestand getretenen Schweizer Bundesrichter Niccolò Raselli. Er sei das lebende Beispiel, dass die Justiz, den nötigen Willen vorausgesetzt, mehrsprachig funktionieren kann. In der viersprachigen Konföderation werde die Verfahrenssprache mit territorialen Kriterien, aber mit einer gewissen Flexibilität und — wenn nötig — positiver Diskriminierung der kleineren Sprachgemeinschaften festgelegt.

    Kann Justiz mehrsprachig sein?

    Raselli: Selbstverständlich! Der Fall der Schweiz beweist es; es ist eine rein technische und keine identitäre oder politische Angelegenheit.

    Wie funktioniert die Schweizer Justiz aus sprachlicher Sicht?

    Man muss unterscheiden, zwischen der Bundesebene mit vier gleichberechtigten Sprachen und den Kantonen, die jeweils ihre Amtssprachen festlegen. Davon gibt es ein-, zwei und dreisprachige, doch in jedem Fall gibt es eine gewisse Flexibilität.

    Welche Sprache wird für die Verfahren benutzt?

    Das ist unterschiedlich. Im Kanton Bern gibt es zwei Amtssprachen, Französisch und Deutsch, und es gibt drei Distrikte, einen deutschsprachigen, einen französischen und einen zweisprachigen. Im deutschen und französischen Distrikt sind das auch die jeweiligen Verfahrenssprachen, und wo zwei Sprachen amtlich sind, können beide Sprachen benutzt werden.

    Wie entscheidet man sich in mehrsprachigen Kantonen für eine Verfahrenssprache?

    Es gibt einige Grundprinzipien, doch auf Bundesebene gibt es keine einheitliche Norm. Im Kanton Freiburg wird etwa immer die Sprache des Verteidigers gewählt.

    Und wenn es keine Einigkeit über die Verfahrenssprache gibt, wer entscheidet dann?

    Zuletzt entscheidet das Gericht, doch dagegen kann Widerspruch eingelegt werden, sowohl auf kantonaler wie auf Bundesebene.

    Und was hat es mit der Flexibilität auf sich, die Sie erwähnten?

    Bei Prozessen vor dem Bundesgericht wird im Prinzip die Verfahrenssprache des angefochtenen Urteils verwendet, doch manchmal werden Ausnahmen gewährt, wenn beide Seiten dieselbe Sprache sprechen. Wenn uns zum Beispiel ein Urteil aus dem Tessin vorliegt, das auf Italienisch verfasst wurde, aber beide Parteien deutscher Sprache sind, können wir den Prozess am Bundesgericht auch auf Deutsch führen. Das bundesgerichtliche Urteil wird dann aber in jedem Fall auf Italienisch verfasst.

    Und das Rätoromanische wird bevorzugt behandelt?

    Ja. Ein Beispiel: Graubünden hat drei Amtssprachen — Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch. Kürzlich wollte eine romanischsprachige Frau einen Prozess in ihrer Muttersprache führen, obschon diese Sprache in ihrer Gemeinde nicht zu den Amtssprachen gehörte. Zwar lehnte das Kantonsgericht diese Bitte zunächst ab, doch das Bundesgericht akzeptierte sie; am Bundesgericht gibt es einen Konsens, die kleineren Sprachen zu bevorzugen.

    Heißt das, dass 99% der Schweizer vor Gericht ihre eigene Sprache benutzen dürfen?

    Ja, und das bereitet keine großen Schwierigkeiten. Es ist ein Prinzip, das in fast jedem Fall respektiert werden kann.

    Und die Schweizer Richter verstehen alle Sprachen?

    Das ist wohl der größte Unterschied zu Spanien. In Spanien ist die Richterschaft auf staatlicher Ebene organisiert, während in der Schweiz die Richter von den Kantonsparlamenten gewählt werden. Nur die Bundesrichter werden vom Parlament in Bern designiert. Das garantiert, dass die in den Kantonen arbeitenden Richter sämtliche Sprachen ihres Zuständigkeitsbereichs beherrschen, weil sie auch in all diesen Sprachen ausgebildet wurden. Bei uns könnte sich zwar ein Genfer Richter am Basler Gericht bewerben, doch in der Praxis geschieht das fast nie.

    Verstehen Sie, dass es in Katalonien ein Sprachproblem mit der Gerichtsbarkeit gibt?

    Ja, da Sie in Katalonien zwar das Recht haben, sich in beiden Sprachen ans Gericht zu wenden, die Leute dort jedoch oft nicht beide Sprachen verstehen. Dass das ein Problem ist, liegt auf der Hand.

    Wie glauben Sie, dass man es lösen könnte?

    Ein möglicher Weg wäre, dass die Richter — oder wenigstens ein großer Teil der Richter — die in Katalonien ernannt werden, aus Katalonien stammen und ihre Ausbildung in beiden Sprachen absolviert haben. Andernfalls wird das Problem bestehen bleiben.

    Quelle: Ara – Übersetzung von mir

    Allein der Umgang mit den Sprachen in der Gerichtsbarkeit zeigt, wie grundlegend anders als in einem Nationalstaat dieses Thema in einem konstitutiv mehrsprachigen Land wie der Schweiz gelöst werden kann.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02 03



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  • Vertragsbruch festgestellt.

    Nach fast einem Jahr seit deren Hinterlegung, hat sich das italienische Verfassungsgericht am 31. Oktober zu den Rekursen mehrerer Regionen (Aoûta/Aosta, Friûl/Friaul-Julien, Sardigna und Sizilien) geäußert, welche ihre Autonomiestatute durch Maßnahmen der Zentralregierung verletzt sahen. Speziell ging es um das Stabilitätsdekret vom 13. August 2011, mittels dessen die Mehreinnahmen aus Steuererhöhungen und neuen Steuern ausschließlich dem Staat vorbehalten wurden, obwohl die Regionalverfassungen vorsehen, dass gewisse Anteile (zwischen 60 und 100%) vor Ort bleiben.

    Die Richter orteten eindeutige Vertragsverletzungen und folgten somit nicht der Verteidigungslinie der Zentralregierung, die sich auf höherstehende Koordinierungsbefugnisse, nationales Interesse oder Sparzwänge berief und zudem behauptete, die Maßnahmen beschnitten die Finanzen der Regionen nicht, da sie nur Einnahmen beträfen, die über die bisherigen hinausgehen.

    In einigen Punkten wies das Gericht die Rekurse der Regionen ab, gab den Einbringern aber de facto auch dort Recht, indem es sich auf Artikel 19 des angefochtenen Dekrets berief: Dort ist festgehalten, dass die Maßnahmen in Einklang mit den jeweiligen Autonomiestatuten anzuwenden seien. Die Richter verzichteten nicht darauf, die Zentralregierung zu belehren, wie die nicht verfassungswidrigen Teile des Dekrets auf die Sonderautonomien anzuwenden seien.

    Die durch das Urteil entstehenden Ansprüche der vier Regionen werden auf mehrere Milliarden geschätzt. Nun bleibt jedoch zu sehen, ob die Zentralregierung einlenkt oder ob sie versucht, das Urteil auszusitzen bzw. zu umgehen. Sie hätte sogar die Möglichkeit, eine einseitige Abänderung der Autonomiestatute in Gang zu setzen, wofür sie wenigstens auf dem Papier die erforderliche Parlamentsmehrheit hätte. Wenn Abgeordnete aus den betroffenen Regionen ausscheren, stehen die Chancen jedoch schlecht.

    Südtirol ist vom Urteil zwar nicht direkt betroffen, der Richterspruch dürfte jedoch bereits das Ergebnis eines ähnlich gelagerten Einspruchs unserer Region vorwegnehmen. Auch in unserem Fall hat die Regierung in Berufung auf das Spardekret Millionen an Mehreinnahmen geschluckt, ohne sie der Regel zu unterziehen, dass 9/10 dem Land zustehen.

    Das Urteil ist zwar beruhigend, es beweist jedoch, wie zerrüttet das Verhältnis Roms zu den Autonomien ist:

    • Der Zentralstaat scheint nicht gewillt, eingegangene Verpflichtungen von sich aus zu respektieren oder gar die Lokalautonomien als gleichberechtigte (Verhandlungs-)Partner zu akzeptieren.
    • Dass politische Gespräche (so sie überhaupt stattfinden) nirgendwo hinführen und ständig Gerichte angerufen werden müssen — nicht um die Auslegung zweifelhafter Normen, sondern die Einhaltung eindeutig formulierter Vorschriften einzufordern — spricht Bände. In der Schweiz oder in Deutschland wäre es unvorstellbar, dass Kantone und Bundesländer gegen den Bund prozessieren müssen, um die Einhaltung ihrer Rechte zu erzwingen.
    • Allein diese Konflikte binden Jahr für Jahr viel politische Energie und kosten den Steuerzahler Millionen.
    • Dass sich derzeit fast alle italienischen Parteien mit zentralistischen Vorstößen überbieten und Mario Montis Vertragsverletzungen größtenteils mittragen, ist äußerst besorgniserregend.
    • Überall dort, wo es keine verfassungsrechtliche Absicherung gibt und Rom am längeren Hebel sitzt, darf für die Zukunft wohl keine institutionelle Rücksicht mehr erwartet werden.
    • Ein zusätzlicher Ausbau der Autonomie, wie er von einigen einheimischen Akteuren gefordert und für notwendig erachtet wird, ist in weite Ferne gerückt. Ohne internationale Absicherung wäre er auch jederzeit wieder rücknehmbar.

    Cëla enghe: 01



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  • Auch laut Westminster bleibt Schottland EU-Mitglied.

    Das Parlament des Vereinigten Königsreichs (Westminster) hat am 17. Oktober ein Gutachten über die EU-Mitgliedschaft Schottlands im Falle der Unabhängigkeit veröffentlicht.

    Verfasser Graham Avery*, der auch an den Verhandlungen zur EU-Osterweiterung beteiligt war, kommt darin zum Schluss, dass Schottland nicht aus der EU ausscheiden und erneut um Mitgliedschaft ansuchen müsste.

    Es sei klar, dass Unabhängigkeitsgegner die mit der EU-Mitgliedschaft verbundenen Schwierigkeiten übertrieben, Befürworter hingegen dazu tendierten, sie kleinzureden. Im Gutachten sei dagegen versucht worden, das Thema möglichst objektiv abzuhandeln.

    Wichtigste Punkte des Dokuments sind folgende:

    • Die EU habe keine Präzedenzfälle für die schottische Unabhängigkeit vorzuweisen. Trotzdem könnten folgende Fälle als relevant betrachtet werden: Der EU-Austritt Grönlands 1989, die deutsche Wiedervereinigung 1990 und die Aufspaltung der Tschechoslowakei 1993. Gerade das Beispiel der DDR sei, obwohl völlig anders gelagert, aus Sicht der Prozeduren wichtig.
      Dies ist auch deshalb interessant, weil in Südtirol stets behauptet wird, Vergleiche mit anderen Prozessen seien unzulässig.
    • Eine Änderung der EU-Verträge sei vor allem nötig, um Schottland die Vertretung in den EU-Institutionen zu gewähren.
    • Aus praktischen Gründen sei der EU-Austritt Schottlands nicht vorstellbar. Er hätte vorübergehend eine drastische Änderung im Verhältnis zu Schottland — etwa Grenzkontrollen — zur Folge. Eine »Anomalie«, an der weder die EU, noch das Vereinigte Königreich und Schottland interessiert sein könnten.
    • Aus politischer Sicht sei Schottland seit 40 Jahren Teil der EU und die Schotten hätten Rechte als EU-Bürgerinnen akquiriert. Wenn sie Teil der EU bleiben wollten, könnten sie schwerlich zum Austritt und zu einem neuen Mitgliedschaftsantrag — als wären sie ein normales Nichtmitglied — gezwungen werden.
    • Die Verhandlungen zum Verbleib Schottlands in der EU müssten mit einem vereinfachten Verfahren zwischen dem Referendum und dem geplanten Unabhängigkeitszeitpunkt stattfinden.

    *) Senior Member of St. Antony’s College, Oxford University, Senior Adviser at the European Policy Centre, Brussels, and Honorary Director-General of the European Commission



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