Autorinnen und Gastbeiträge →

  • Peterlini zur Verfassungsreform.
    Quotation

    Im TAZ-Interview vom 26. Juni findet Oskar Peterlini (SVP) klare Worte für die Verfassungsreform von Premierminister Renzi (PD):

    Zurzeit herrscht großer Neid gegenüber den Regionen mit Sonderstatut. Mit der Reform soll das Rad der Geschichte zurückgedreht werden in Richtung Zentralismus. Die Sonderautonomien würden benachteiligt, weil viele der Zuständigkeiten, die sie durch die Reform von 2001 erhalten haben, verloren gingen. […] Mit der Ausrede, die Regionen hätten versagt, soll vieles wieder rückgängig gemacht werden. Ich hoffe, dass […] unsere politische Vertretung nicht wegen einer kleinen Zusage in Sachen Autonomie zustimmen wird. […] Wenn der Staat zentralistisch ausgerichtet ist, hilft uns die Autonomieschutz-Klausel wenig. In einem föderalistischen System leben wir besser, als wenn es jeden Tag Konfrontationen zwischen Staat und Regionen gibt.

    Peterlini bestätigt hiermit fast haargenau die Einschätzung und die Befürchtungen, die ich schon vor anderthalb Monaten geäußert hatte: Je größer die Asymmetrie zwischen Südtirolautonomie und Regionen mit Normalstatut, desto mehr werden sich Neid und (Rechtfertigungs-)Druck erhöhen — und desto weniger ist ein weiterer Ausbau der Autonomie zu erwarten. Der ehemalige Senator widerspricht damit aber auch seinen Parteikollegen, die die sogenannte Schutzklausel (wenn sie denn kommt) als eine nachhaltige Lösung betrachten. Der angebliche Südtirolfreund Matteo Renzi schickt sich an, unser Land noch mehr in die Ecke zu drängen.

    Siehe auch: 01 02 03



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  • FLNC: Demokratie schafft Frieden.

    Die korsische Untergrundorganisation FLNC hat diesen Mittwoch (25. Juni) überraschend einen endgültigen Waffenstillstand sowie ihre »Demilitarisierung« angekündigt. Damit folgen die bewaffneten Unabhängigkeitskämpfer, die seit Mitte der 1970er Jahre für ihre Ziele kämpften, dem Beispiel von IRA und ETA. Fortan, so die FLNC in einer Mitteilung an die Medien, sollen ihre Ziele ausschließlich auf politischem und demokratischem Wege verfolgt werden.

    Die nordirische IRA war 1997 in den Waffenstillstand eingetreten, die Entwaffnung setzte sich noch bis 2005 fort. Diese Entwicklung mündete schließlich in das sogenannte Karfreitagsabkommen, das Nordirland ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung einräumt.

    Die baskische ETA kündigte 2011 ebenfalls die Abkehr von der Gewalt an. Seitdem konnte der politische Arm der Unabhängigkeitsbewegung, die linke Bildu-Amaiur, die besten Ergebnisse ihrer Geschichte erzielen und zur zweitstärksten politischen Kraft des Baskenlandes aufsteigen. Bei der heurigen Europawahl landete sie sogar an erster Stelle.

    Noch wesentlich interessanter ist jedoch, dass die FLNC ihre Auflösung unter anderem mit den Prozessen in Schottland und Katalonien begründet, die Teil einer größeren »Bewegung« seien, die die Unabhängigkeit auf demokratischem Wege zu erlangen suche — und schlussendlich wohl erreichen werde. Diesem neuen Kurs sollten sich nun auch die Korsen anschließen, nachdem auch auf der Insel ein neuer Wind wehe.

    Darüber hinaus erwähnen die korsischen Separatisten in ihrer Mitteilung auch den Prozess in Kanaky (bzw. Neukaledonien), einer ebenfalls zu Frankreich gehörenden Inselgruppe im Pazifik, der demnächst das Recht auf Selbstbestimmung zuerkannt werden soll.

    All dies belegt einmal mehr, dass nur die Demokratie Wege eröffnet, die jegliche Form der Gewaltanwendung obsolet machen — und umgekehrt, dass Gewalt dort entsteht, wo demokratische Prozesse nicht stattfinden können. Wir von , die wir uns seit jeher gegen jede Form von Gewalt aussprechen, können die europaweite Entwicklung hin zu friedlichen und demokratischen Mitteln nur begrüßen und gutheißen.

    Siehe auch: 01



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  • Parallelen der Selbstbestimmung.

    Vor wenigen Tagen hat das Komitee für Entkolonialisierung der Vereinten Nationen das Recht Puerto Ricos auf Selbstbestimmung bekräftigt. Die seit über 100 Jahren von den USA besetzte Karibikinsel hat seit 1952 den Status eines assoziierten Staates, doch nun wurde Washington dazu aufgerufen, endlich zuzulassen, dass die Bevölkerung Puerto Ricos ihr unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit wahrnimmt.

    Wie wir bereits beschrieben hatten, hat das Selbstbestimmungsrecht während der letzten Jahrzehnte mehrmals tiefgreifende Veränderungen durchgemacht: Nach dem ersten Weltkrieg, dessen Anfang sich heuer zum 100. Mal jährt, hätte es den Völkern ein Instrument sein sollen, neue Grenzziehungen gerechter und demokratischer zu machen. Nach dem zweiten Weltkrieg war es dann die bahnbrechende Resolution der Generalversammlung Nr. 1514, die das Recht auf Selbstbestimmung ausdrücklich auf kolonisierte Völker ausdehnte und somit das Ende einer unheilvollen Ära einleitete.

    Heute beobachten wir eine weitere Bedeutungsverschiebung, da das Selbstbestimmungsrecht sich des Ballasts einer völkischen Sichtweise entledigt und zu einem allgemeinen, inklusivistischen Bürgerrecht aufsteigt. Friedliche Prozesse wie in Schottland oder Katalonien nehmen diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, wie auch einflussreiche Institutionen bestätigen.

    Dabei gibt es durchaus Parallelen zur Bewegung, die dazumal zu einer überraschend schnellen, weitgehenden Entkolonialisierung der Welt geführt hatte.

    Das Recht

    Wie schon damals die Kolonialmächte entschieden, was in den Kolonien Recht war, bestimmen heute die Zentralregierungen und -parlamente nach eigenem Gutdünken, ob sie Regionen die Möglichkeit einräumen, über ihre politische und institutionelle Zukunft frei und demokratisch zu befinden. Manche, wie das Vereinigte Königreich, sind liberaler und demokratischer, während sich andere, wie Spanien, einschränkender und ablehnender verhalten. Genauso, wie in den Kolonien lange Zeit die Loslösung vom Kolonialstaat illegal war, kann auch heute noch die Unabhängigkeit eines Territoriums nach Auffassung des »Mutterlandes« unrechtmäßig sein.

    Die Politik

    Vor allem der politische Druck durch Unabhängigkeitsbewegungen, die sich mit geltendem Recht nicht zufrieden gaben, führte schlussendlich zur Einsicht, dass Kolonien ein Recht auf Selbstbestimmung neu einzuräumen sei. Es war dieser Druck, der nicht nur zur Formulierung von Resolution 1514 führte, sondern auch zur zähneknirschenden Enthaltung der meisten Kolonialmächte in der UN-Generalversammlung: Großbritannien, Frankreich, Spanien, Vereinigte Staaten und einige mehr stimmten dem Papier nicht ausdrücklich zu, mussten sich aber mit seinen Folgen abfinden.

    Es ist daher müßig, sich über den Realismus einer Forderung zu unterhalten, genauso wie es müßig ist, das (Des-)Interesse eines Staates zu erörtern, seinen Regionen die Selbstbestimmung zu gewähren. Wichtig ist vor allem der politische Wille der betreffenden Regionen, eine richtige Entscheidung — wie es die Befragung der Bevölkerung zur eigenen Zukunft ist — herbeizuführen, egal welche rechtlichen Voraussetzungen im Augenblick vorherrschen.

    Eine wunderbare Einsicht, die selbst im heutigen Südtirol noch nicht jeden erreicht hat, wurde schon 1960 in Resolution 1514 gegossen:

    Unzulängliche politische, wirtschaftliche, soziale oder bildungsmäßige Vorbereitung darf niemals ein Vorwand für die Verzögerung der Unabhängigkeit sein.

    Dabei muss festgehalten werden, dass manche Kolonialmächte den Bildungsstand in ihren Kolonien bewusst niedrig hielten, um die rechtliche und politische Emanzipation der betreffenden Bevölkerung zu erschweren. Dass dies in Südtirol nicht der Fall ist, liegt auf der Hand — und trotzdem wird man als Unabhängigkeitsbefürworter immer wieder mit dem (auto-)rassistischen Argument konfrontiert, die Südtiroler seien nicht für die Unabhängigkeit bereit, man könne sie nicht sich selbst überlassen 01 02 03. Manch einem diskriminierenden Reflex — von einigen nach wie vor als Vorwand missbraucht — ist eben auch nach über 50 Jahren nur schwer beizukommen.



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  • Packungsbeilagen: Gesetz als Placebo.

    Seit Jahren beschäftigen wir uns in Südtirol immerfort mit denselben Problemen, zu denen unter anderem die mangelnde Zwei- und Mehrsprachigkeit, die Ortsnamen, die Einschränkung unserer Zuständigkeiten, die Polizei, der miserable Postdienst oder die Packungsbeilagen von Medikamenten gehören. Dies ist ein konkreter, praktischer Beweis dafür, dass es sehr einfache Dinge gibt, die wir mit unserer Autonomie nicht zu regeln und zu lösen imstande sind.

    Nun hat der neue Obmann der Freiheitlichen, Walter Blaas, mittels Landtagsanfrage Interessantes zutage gefördert, was die zweisprachigen Packungsbeilagen von Medikamenten betrifft. Schon öfter hatten wir uns gewundert, wie es möglich ist, dass eine klare gesetzliche Vorschrift von den Pharmakonzernen einfach ignoriert werden kann, während die Mehrsprachigkeit etwa in der Schweiz und in Finnland problemlos funktioniert.

    Nun wissen wir es: Die zuständige Landesrätin Martha Stocker (SVP) hat Herrn Blaas geantwortet, dass die mangelnde Befolgung des einschlägigen Gesetzes insgesamt mit rund 210.000 Euro an Strafen geahndet wurde.

    Sage und schreibe 210.000 Euro! Berücksichtigen wir, dass die Zweisprachigkeitsverpflichtung in diesem Bereich seit rund 25 Jahren gilt, ergibt sich eine durchschnittliche Strafhöhe von jährlich 8.400 Euro — und das für alle Pharmakonzerne zusammen. In der Beantwortung der Landtagsanfrage werden 24 mit Bußgeldern belegte Unternehmen genannt, was auf einen durchschnittlichen Strafwert von 350 Euro pro Jahr und Hersteller schließen lässt.

    Wer die Umsätze dieser Riesen kennt, weiß, dass es sich hierbei sprichwörtlich um Peanuts handelt, die ein solches Unternehmen nie und nimmer dazu überzeugen werden, sich an irgendeine Vorschrift zu halten. Selbst Verkehrsstrafen sind mitunter deutlich höher. Allein die Logistik für die Umsetzung der verpflichtenden Zweisprachigkeit ist mit Sicherheit teurer als diese Strafen, weshalb die Bußgelder für die Konzerne nicht nur keine ernstzunehmende Belastung, sondern wohl sogar noch eine Einsparung bedeuten.

    Wir lassen uns also seit einem Vierteljahrhundert an der Nase herumführen, während das Fehlen der lingua nazionale effizient und mit drakonischen Strafen geahndet wird — auch da, wo die Sinnhaftigkeit infrage gestellt werden darf.

    Siehe auch: 01 02 03 || 01 02 03



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  • Minister Fernández Díaz’ Angstkampagne.

    Was flößt den Menschen besonders viel Angst — also Terror — ein? Wie die Bezeichnung selbst verrät: Der Terrorismus. Eine echte Angstkampagne kann also kaum ohne die Androhung (bzw. die angebliche »Befürchtung«) einer Terrorismusgefahr auskommen, wiewohl eine solche Androhung leicht als Täuschung zu durchschauen ist.

    So hatte die britische Innenministerin Theresa May den Schotten letzten Herbst ausgerichtet, die Aufkündigung der Union mit England könne das Land zum Ziel des internationalen Terrorismus machen:

    Scotland would be more vulnerable to a catastrophic terrorist attack if Alex Salmond succeeds with his bid to break up Britain.

    Wie wir inzwischen wissen, waren die überzogenen Angstargumente der Unionisten bislang nicht besonders erfolgreich, eher im Gegenteil: Seit Monaten zeigen Repräsentativumfragen ausnahmslos, dass das Ja zur schottischen Unabhängigkeit Woche für Woche in der Gunst der Abstimmungsberechtigten zulegt.

    Trotzdem ließ es sich der spanische Kollege von Frau May, Innenminister Jorge Fernández Díaz, nun nicht nehmen, fast genau dasselbe Schreckensszenario Terrorszenario auch für Katalonien an die Wand zu malen. Das Land würde sich im Falle einer Loslösung von Spanien

    in einem politischen und rechtlichen Niemandsland wiederfinden, außerhalb der EU und der NATO und ohne den Schutzschirm der internationalen Agenturen und Dienste, die in einer globalen Welt wie der heutigen die Sicherheit gewährleisten. [Katalonien] wäre also Futter für den Terrorismus und die organisierte Kriminalität in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen.

    Die Drohung allein, dass Katalonien aus der EU fliegen würde, was u.a. mehrere Spitzenkandidatinnen zur EU-Wahl infrage gestellt hatten, reicht also nicht mehr aus. In einem Abstimmungskampf, den es laut spanischer Regierung gar nicht gibt (weil sie die freie und demokratische Abstimmung vom 9. November über den Verbleib Kataloniens bei Spanien verbieten will), erhöht sie die Drohungen immer weiter, obwohl dies — wie erwähnt — bereits den Unionistinnen in Schottland wenig Glück gebracht hat. Positive campaigning scheint den Verfechtern des Status Quo grundsätzlich eher schwerzufallen.



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  • BetterTogether für mehr Autonomie.

    In Südtirol wird regelmäßig behauptet, wenn bei einem Selbstbestimmungsreferendum der Unionismus, also der Verbleib bei Italien gewinnen würde, würde uns Italien wohl die Autonomie streichen, da wir uns ja dann freiwillig zu Italienern erklärt hätten. Gleichzeitig weigert sich die regierende Südtiroler Volkspartei, sich konkret für die Selbstbestimmung einzusetzen, weil sie behauptet, man könne nicht parallel für mehr Autonomie und für die Unabhängigkeit Südtirols von Italien eintreten. Einmal davon abgesehen, dass auch die Volkspartei in diesem Fall Selbstbestimmung und Unabhängigkeit verwechselt (man kann die Selbstbestimmung ja auch als Mittel zur Legitimierung der Autonomie durch den Souverän verstehen), wird die Ansicht, dass der Unabhängigkeitskampf der Autonomie schade, in Schottland Lügen gestraft. hat stets darauf hingewiesen, dass dieser Widerspruch nicht existiert.

    Die Kampagne von BetterTogether, dem Promotorenkomitee der Unionisten, baut weitgehend auf (teils abstruse) Angstargumente, wenn es darum geht, die Schotten zu einem Verbleib im Vereinigten Königreich zu animieren. Dieses negative campaigning haben selbst wichtige Mitglieder des Komitees bemängelt. Doch weil man, um die StimmbürgerInnen für sich zu gewinnen, auch etwas bieten muss, haben sämliche Parteien, die an BetterTogether beteiligt sind, für den Fall eines Verbleibs in der Union auch einen deutlichen Ausbau der schottischen Autonomie in Aussicht gestellt. Die BBC analysierte nun die unterschiedlichen Angebote:

    • Die Labourpartei, deren Mitglieder sich auf YesScotland und BetterTogether verteilen, verspricht Schottland eine Ausweitung der Finanzautonomie und neue Zuständigkeiten im Bereich der sozialen Wohlfahrt. Sowohl im sozialen Wohnbau, als auch in Altersvorsorge und Arbeitslosenunterstützung sollen Schottlands Kompetenzen ausgebaut werden.
    • Die Konservativen stellen Edinburgh sogar die vollständige Übertragung der Einkommensbesteuerung in Aussicht. Die Bereiche der sozialen Wohlfahrt, die sich mit bereits bestehenden Zuständigkeiten des schottischen Parlaments überschneiden (Wohnbau, Fürsorge…) sollen ebenfalls an Schottland übergehen.
    • Die Liberaldemokraten sprechen sich für eine weitgehende Steuerhoheit für Schottland aus. Ausdrücklich sollen nur Wohlfahrt und Pensionen, Verteidigung und Außenpolitik in London bleiben. Der Union Act von 1707, der die Vereinigung von Schottland und England besiegelte, soll durch einen Föderierungsakt ersetzt werden.

    All diese Vorschläge reichen nicht annähernd an das heran, was Schottland an Zuständigkeiten erlangen würde, wenn seine EinwohnerInnen am 18. September für einen unabhängigen Staat votieren. Doch die Angebote unionistischer Parteien legen nahe, dass das Engagement für Unabhängigkeit einer positiven Entwicklung der Autonomie nicht zuwiderläuft. Es schafft vielmehr Freiräume für neue Zugeständnisse.

    Sezessionismus als Antiautonomismus zu bezeichnen, wie in Südtirol manchmal der Fall, hat mit der Realität nicht viel zu tun.

    Siehe auch: 01 02



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  • CNN-Interview mit Artur Mas.

    Aus Anlass der Krönung von Felipe VI: Der katalanische Präsident Artur Mas im CNN-Interview mit Christiane Amanpour zum Thema Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.



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  • Salto: Nationalistische Einblicke.

    Selbst ein angeblich progressives und weltoffenes Portal wie Salto kann sich dem Nationalismus der Fußball-WM nicht entziehen. Das heutige Foto des Tages zeigt einen Mietwohnkomplex in Bozen, an dem viele italienische und auch ein paar deutsche Flaggen prangen. Der vielsagende Bilduntertitel lautet:

    Ecco come si presenta la facciata di un condominio di Bolzano in questi giorni […]. E’ l’eterno derby dell’identità contrapposta, da un lato gli altoatesini, dall’altro i sudtirolesi, o almeno alcuni di loro, sempre meno persuasi di rappresentare la “minoranza austriaca” in Italia e opportunisticamente fieri, invece, di parlare più o meno la lingua in uso in un paese completamente straniero, com’è la Germania, ma almeno sportivamente vincente.

    Dieser Kommentar fasst in wenigen Zeilen einen ganzen Fächer an Vorurteilen und Missverständnissen zusammen:

    • Es wird klar nicht nur nach Sprachgruppe unterschieden, sondern auch noch eine andere (Landes-)Bezeichnung benutzt — wie selbstverständlich leben die einen in A. Adige und die anderen in Sudtirolo.
    • Es wird davon ausgegangen, dass Italienfans alle italienischer Sprache und Deutschlandfans alle deutscher Sprache sind. Während letzteres mit großer Wahrscheinlichkeit zutrifft, ist ersteres immer weniger der Fall. Schon das zeigt ein klares »national(istisch)es« Gefälle: In einer ausgewogenen Situation gäbe es auch Mitbürgerinnen italienischer Zunge, die zu Deutschland halten, doch der Trend geht wohl fast ausschließlich in die andere Richtung.
    • Die Möglichkeit, dass die(se) Deutschlandfans auch Zuwandererinnen aus Deutschland sein könnten, wird nicht einmal in Betracht gezogen.
    • Mitglieder einer deutsch(sprachig)en Minderheit, die zu Deutschland halten, werden pauschal als Opportunistinnen betitelt — als ob es auf der anderen (also »italienischen«) Seite eine direkte Identifikation zwischen Spielerinnen und Fans gäbe. Fakt ist vielmehr: Südtirol ist nicht wirklich ein Fußballland und mit welcher Weltklassemannschaft auch immer man sich identifiziert, es ist Opportunismus.
    • Obwohl es in Europa angeblich keine Grenzen mehr gibt und etwa der Drang nach Unabhängigkeit standardmäßig mit dem Hinweis quittiert wird, dass in Europa ohnehin alles zusammenwächst, ist selbst für ein Portal wie Salto Deutschland ein paese completamente straniero.
    • Dadurch ist im Umkehrschluss auch ersichtlich, dass es eine Normalität gibt, nämlich die, zum (angeblich) »eigenen« Land zu halten; und eine Anomalie, nämlich die, einer anderen Mannschaft die Daumen zu drücken.
    • Nicht erkannt wird hierbei, dass genau dieselbe nationale Logik, die dazu führt, die Unterstützung für die italienische Nationalmannschaft als normal zu betrachten, ein Argument sein kann (aber nicht muss), dass die Südtirolerinnen deutscher Muttersprache, zumindest einige davon, zur deutschen Nationalmannschaft halten: Der nationalen Logik zufolge sind die Südtirolerinnen italienischer Muttersprache (pardon: die Altoatesinerinnen) Teil der italienischen Nation, die Südtirolerinnen deutscher Muttersprache (pardon: die Südtirolerinnen) Teil der deutschen Nation — und eben nicht der österreichischen, die (dieser Logik zufolge) ja nur ein Unfall der Geschichte ist. Genau diese Einstellung aber müssen wir endlich hinter uns lassen.
    • Der Hinweis schließlich, in Südtirol werde nur »più o meno« dieselbe Sprache gesprochen, wie im paese completamente straniero, ist nicht nur eine überflüssige Provokation, sondern darüberhinaus auch noch völlig falsch: Es gibt zwar unterschiedliche Dialekte, doch die Sprache ist unzweifelhaft dieselbe.

    Siehe auch: 01 02 03 04 || 01 02



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