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  • Die vieljährige Staatsbürgerschaftsklausel.

    Gerade in (Vor-)Wahlzeiten wird immer wieder diskutiert, ob die sogenannte vierjährige Ansässigkeitsklausel abgeschafft oder zumindest nach Trentiner Vorbild aufgeweicht (also auf ein Jahr abgesenkt) werden soll.

    Da es sich dabei um eine Minderheitenschutzbestimmung handelt, ist die Provinz Trient allerdings ein nur bedingt brauchbares Modell.

    Doch hier geht es mir um die Blindheit dafür, dass wir auch diesbezüglich schon wieder in »nationalstaatlichen« Kategorien denken. Während nämlich die Ansässigkeitsklausel für Zugewanderte aus dem restlichen italienischen Staatsgebiet relativ häufig debattiert und in Frage gestellt wird, scheint die diesbezügliche Diskriminierung von EU-Bürgerinnen vergleichsweise wenig Interesse zu wecken.

    Die bestehende Regelung ist aber — wie schon angesprochen — eine Minderheitenschutzmaßnahme. Südtirol gehört volens nolens zum italienischen Nationalstaat und Mechanismen wie der Proporz, der Zweisprachigkeitsnachweis oder die Ansässigkeitsklausel sollen die Assimilierung verhindern bzw. hemmen.

    Dass diese Maßnahmen in erster Linie der »nationalen Mehrheit« gegenüber wirken sollen und nicht sosehr gegenüber Zuwandernden aus anderen Ländern, mag zwar aufgrund des vorherrschenden nationalstaatlichen Framings zunächst paradox klingen, ist aber eigentlich völlig logisch.

    Während jedoch neue Mitbürgerinnen, die aus Sizilien oder dem Piemont hierher auswandern, nach wenigen Jahren automatisch wählen dürfen, ist dies bei solchen, die etwa auch nur aus Gries am Brenner oder Sillian (oder eben aus Finnland oder der Slowakei) nach Südtirol ziehen, nicht der Fall: EU-Bürgerinnen mit Hauptwohnsitz in Südtirol dürfen an Landtags- und Parlamentswahlen grundsätzlich nicht teilnehmen, unerheblich ob sie zwei, vier oder vierzig Jahre hier leben.

    Einen Automatismus gibt es nicht. Vielmehr müss(t)en sie — in einem Europa, das einem gewissen Narrativ zufolge »grenzenlos« ist und wo Staatsbürgerschaften angeblich keine Rolle mehr spielen — aktiv die italienische Staatsbürgerschaft beantragen, die entsprechenden Kosten tragen und einen nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand auf sich nehmen. Je nach Herkunftsstaat kann es sogar sein, dass sie ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben müssen.

    Es ist meiner Meinung nach grundsätzlich nicht gut, wenn Menschen (aus Italien, aus der EU oder woandersher), die ihren Lebensmittelpunkt seit Jahren in Südtirol haben, hierzulande nicht wählen dürfen. Das sollte sich bestenfalls ändern.

    Aber speziell aus Sicht des Minderheitenschutzes ist die Tatsache, dass Zugewanderte aus anderen EU-Ländern, einschließlich des deutschen Sprachraums, gegenüber solchen aus Italien benachteiligt sind, sehr problematisch. Die vierjährige Ansässigkeitsklausel stellt diesbezüglich keinen vollständigen Ausgleich dar, mildert diese »nationale Wirkung« aber wenigstens ab. Ihre ersatzlose Streichung (oder Absenkung) zu fordern, ohne die vorherige Gleichstellung von EU-Bürgerinnen zu wollen, würde eine bereits bestehende Asymmetrie, zu Lasten der Vielfalt unseres Landes, weiter verschärfen.

    Blickpunkt Euregio: Für Trentinerinnen gilt in Südtirol eine halbierte Ansässigkeitsfrist von zwei Jahren und einem Tag. Nord- und Osttirolerinnen sind hingegen anderen EU-Bürgerinnen gänzlich gleichgestellt und dürfen in Südtirol nicht wählen, wenn sie nicht die italienische Staatsbürgerschaft annehmen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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  • Hannah Arendt über den Nationalstaat.
    Quotation

    Die Lebensunfähigkeit gerade dieser Staatsform – und die Form scheitert an Fragen des Lebens, denn das sind alle wirtschaftlichen Fragen, wenn Sie sie recht betrachten – in der modernen Welt ist längst erwiesen, und je länger man an ihr festhält, umso böser und rücksichtsloser werden sich die Pervertierungen nicht nur des Nationalstaats, sondern auch des Nationalismus durchsetzen. Man sollte nicht vergessen, dass die totale Herrschaft vor allem auch in der Form des Hitler-Regimes, nicht zuletzt dem Zusammenbruch des Nationalstaats und der Auflösung der nationalen Klassengesellschaft geschuldet war. Es war im Grunde ein Zersetzungsprodukt, wenn man es rein objektiv betrachten will. Der Souveränitätsbegriff des Nationalstaats, der ohnehin aus dem Absolutismus stammt, ist unter heutigen Machtverhältnissen ein gefährlicher Größenwahn. Die für den Nationalstaat typische Fremdenfeindlichkeit ist unter heutigen Verkehrs- und Bevölkerungsbedingungen so provinziell, dass eine bewusst national orientierte Kultur sehr schnell auf den Stand der Folklore und der Heimatkunst herabsinken dürfte. Wirkliche Demokratie aber, und das ist vielleicht in diesem Zusammenhang das Entscheidende, kann es nur geben, wo die Machtzentralisierung des Nationalstaats gebrochen ist und an ihre Stelle die dem föderativen System eigene Diffusion der Macht in viele Machtzentren gesichert ist.

    Hannah Arendt in ihrem Essay »Wir Flüchtlinge«.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02 03



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  • Sie sind nicht wie die anderen!

    Die Tageszeitung hat im Hinblick auf die baldige Landtagswahl den CPI-Vertreter Maurizio Puglisi Ghizzi interviewt. Ich kann und will mich einfach nicht daran gewöhnen, dass man erklärten Faschistinnen eine solche Bühne bietet.

    Im konkreten Fall handelt es sich — anders als beim (ebenfalls problematischen) Salto-Gespräch mit Andrea Bonazza (CPI) und Hannes Obermair (Grüne/LeU) — um ein »widerspruchsloses« Einzelinterview. Umso wichtiger wären eine kritische Interviewführung und beharrliches Nachhaken, speziell da, wo sich Puglisi Ghizzi wieder einmal ungeniert ausdrücklich auf den Faschismus beruft. Stattdessen: Nichts. Mehrmals sogar ein (hoffentlich nicht zustimmend gemeintes) »mhm« vonseiten des Interviewenden, Markus Rufin.

    Dass dem Faschisten sogar noch eingeräumt wird, sich von einem deutschsprachigen Medium auf Italienisch interviewen1Ich meine hier vor allem, dass ihm die Fragen auf Italienisch gestellt wurden. Wenigstens passive Deutschkenntnisse sollte man doch voraussetzen dürfen, wenn jemand von einem deutschsprachigen Medium interviewt werden will. zu lassen, ist dann wohl das Tüpfelchen auf dem i.

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      Ich meine hier vor allem, dass ihm die Fragen auf Italienisch gestellt wurden. Wenigstens passive Deutschkenntnisse sollte man doch voraussetzen dürfen, wenn jemand von einem deutschsprachigen Medium interviewt werden will.


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  • Wahllokal: Mehrsprachige Schule.

    Ich setze hiermit meine Beschäftigung mit der Positionierung der wahlwerbenden Parteien und Listen in Hinblick auf die baldige Landtagswahl fort, wie sie aus dem Wahllokal des Jugendrings hervorgeht.

    Bezüglich der Frage, ob in Südtirol neben den drei bestehenden Schulmodellen zusätzlich mehrsprachige Schulen eingeführt werden sollen, signalisieren neun Kandidaturen eine zustimmende und vier Kandidaturen eine ablehnende Haltung.

    Wobei mir unklar ist, warum hier drei Schulmodelle erwähnt werden, nachdem das ladinische bereits paritätisch gestaltet ist und eine Erhaltung neben einer neuen, zusätzlichen mehrsprachigen Schule wohl kaum Sinn ergäbe.

    Abgelehnt wird das »vierte Schulmodell« von der STF, den Freiheitlichen und der SVP (»sehr wichtig«) sowie von der BürgerUnion (»wichtig«). In der zu Ende gehenden Legislaturperiode stellten diese Parteien 27 von 35 Mandatarinnen.

    Im Sinne der Mehrsprachigkeit als »Wettbewerbsvorteil« befürwortet das Team Köllensperger (TK) ein zusätzliches Schulmodell (»sehr wichtig«), von dem man sich auch eine Entlastung der deutschen Schulen und Kindergärten verspricht.

    Ebenfalls dafür (»sehr wichtig«) sprechen sich — ohne nähere Kommentare — Grüne, PD und die Vereinte Linke aus.

    Lega Nord und Fünfsternebewegung (5SB) beziehen sich bewusst auf das ladinische Schulmodell als Vorbild, wobei der 5SB ein paritätisches Schulmodell in englischer, italienischer und deutscher Sprache vorschwebt. Beiden ist dieses Ziel genauso wie Noi A. A. Südtirol »sehr wichtig«.

    Ohne weiteren Kommentar (»wichtig«) ist auch Forza Italia dafür.

    Zum Thema: Die -Position zur mehrsprachigen Schule kann unter anderem hier nachgelesen werden.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 | 06 07 08 09



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  • Ciudadanos gegen Aufarbeitung.
    Quotation

    Sowohl die konservative Partido Popular (PP) als auch die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) wollen von einer Aufarbeitung der Diktatur nichts wissen. Sie stimmen immer wieder gegen entsprechende Anträge im Parlament. […] Franco gilt ihnen bis heute als der Retter des Vaterlandes vor Kommunismus und Separatismus.

    Die Ciudadanos fordern, dass Katalonien dauerhaft unter Zwangsverwaltung aus Madrid gestellt wird.

    Es ist ein Wettlauf darum, wer am besten das „einheitliche und große Spanien“, wie es einst unter Franco hieß, verteidigt. PP und Cs hoffen damit zumindest außerhalb Kataloniens erfolgreich auf Stimmenfang zu gehen.

    Reiner Wandler, Auslandskorrespondent (Spanien) der Berliner taz, in einem Kommentar für seine Zeitung.

    Mit diesen netten Ciudadanos (für die sich bisweilen auch Südtiroler Selbstbestimmungsgegnerinnen erwärmen) streben Macron und auch Teile der italienischen PD bei den kommenden Europawahlen eine gemeinsame Wahlallianz an.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06



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  • Die Briefwahl-Schlamperei.

    Wie chaotisch die postalische Auslandswahl zum Südtiroler Landtag diesmal ablaufen wird, lässt sich noch nicht genau abschätzen. Inzwischen zeigen sich Symptome mangelnder Sorgfalt bereits auf den dafür vorgesehenen Briefumschlägen:

    Wir bitten für die schlechte Bildqualität um Verzeihung.

    Nicht nur, dass man offenbar nicht imstande war, drei Sätze in englischer Sprache fehlerfrei zu schreiben (»as« statt »is« und fehlendes Leerzeichen zwischen »number.« und »Please«). Es gab aber auch mit Steuerung-C und Steuerung-V offenbar Schwierigkeiten, denn die Internetadresse http://www.upu.int/en/activities/letter-post-developments/ibrs.htm/ ist leider falsch (und somit unbrauchbar).

    Korrekt müsste sie http://www.upu.int/en/activities/letter-post-development/ibrs.html (»development« statt »developments« und »html« statt »htm/«) lauten.

    Über diese Schlamperei kann auch die ansprechend gestaltete Briefwahlinfo nicht hinwegtäuschen, die so aussieht, als habe sie eine unmotivierte Praktikantin in der Mittagspause erstellt.

    Dass Medienberichten zufolge Briefwählerinnen unvollständige Wahlunterlagen zugestellt worden sein sollen, passt da irgendwie ganz gut ins Bild.

    Cëla enghe: 01 02 03 || 01



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  • Packungsbeilagen in Kanada: zweisprachig.

    Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, Québec und Ontario zu bereisen und mir dabei auch ein Bild von der dort herrschenden Sprachpolitik zu machen. Unter anderem habe ich mich hierzu in eine Apotheke begeben und ein Medikament gekauft.

    Zweisprachige Außenverpackung

    Und anders als in Südtirol wird — you guessed it — die gesetzlich vorgeschriebene Mehrsprachigkeit (Englisch-Französisch) selbstverständlich von der Außenverpackung bis zur Packungsbeilage zu 100% eingehalten. Wie in Finnland. Und wie in der Schweiz.

    Zweisprachige Packungsbeilage

    Viel mehr ist dazu auch nicht zu sagen: Ungeachtet der absoluten oder relativen Anzahl an Sprecherinnen funktionieren Mehrsprachigkeitsmodelle weltweit. Nur wo — wie in Italien bzw. in Südtirol — kein politischer Wille besteht, Recht tatsächlich zu exekutieren, haben die Interessen der Stärkeren (also der Pharmariesen) Vorrang vor jenen der Bürgerinnen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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