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  • Europäische Gerichte kippen pauschale Quarantäne.

    Das französische Verfassungsgericht, der Conseil constitutionnel, hat ein Gutachten zu einem neuen Gesetz veröffentlicht, mit dem einerseits der gesundheitliche Notstand im Land verlängert und andererseits Lockerungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die Verfassungsrichterinnen hießen die Vorlage — deren Promulgation noch bevorsteht — ingesamt gut, hatten aber Einwände beim Thema Datenschutz und bei den Vorgaben zur Quarantäne. Insbesondere dürfe die 14 Tage währende Isolation von Menschen, die aus Ländern einreisen, in denen es Infektionsherde gibt, nicht automatisch erfolgen. Werde eine Person gezwungen, über zwölf Stunden pro Tag (in diesem Fall sogar durchgehend für zwei Wochen) zu Hause oder in einer Quarantäneeinrichtung zu verbringen, sei dies als freiheitsberaubend einzustufen. Deshalb bedürfe es bei jedem einzelnen Fall der Bewertung und Zustimmung einer Richterin. Vor seinem Inkrafttreten muss das Gesetz also in diesem Sinne abgeändert werden.

    Gegen eine pauschale Quarantänepflicht für Einreisende aus dem Ausland sprach sich gestern auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) aus. Es gab dem Eilantrag einer Person statt, die aus ihrem Ferienhaus in Schweden zurückgekehrt war. Es sei unverhältnismäßig, Einreisende pauschal als krank oder potenziell ansteckend zu betrachten, um eine Maßnahme zu rechtfertigen, die die Freiheit der Betroffenen in erheblichem Maße beschränkt. Anders als in Frankreich urteilte das OVG jedoch, dass es zulässig sei, spezielle Risikogebiete zu definieren, deren Besuch bei Rückkehr zur Quarantäne verpflichte. Der Entscheid der niedersächsischen Richterinnen ist unanfechtbar, aber nicht bundesweit anwendbar.

    Indes besteht Italien nach wie vor auf eine pauschale 14-tägige Quarantäne bei Einreise aus einem anderen Land. Diese Vorschrift kommt auch in Südtirol weiterhin zur Anwendung. Ausnahmen gibt es nur bei befristeter Einreise aus beruflichen Gründen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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  • Das Corona-Landesgesetz ist in Kraft.

    Gestern Nacht hat der Landtag das Gesetz zur Eindämmung von Corona bei Beendigung des Lockdowns beschlossen, schon am frühen Nachmittag trat es in Kraft. Bei vollzählig zusammengetretenem Parlament stimmten der Vorlage 28 Abgeordnete (80%) zu, sechs enthielten sich und nur einer (Urzì) war dagegen.

    Ohne die epidemiologische Sinnhaftigkeit im Detail bewerten zu können, halte ich das Gesetz auf so vielen Ebenen für wichtig und richtig. Unter anderem

    • auf demokratischer Ebene, weil sie den Ausbruch aus einem System bedeutet, in dem ein Ministerpräsident fast autokratisch per Dekret regiert und seine Entscheide meist am Vortag (in der Nacht) über die sozialen Medien verkündet. An seine Stelle ist die offene Debatte im Landesparlament getreten, die schlussendlich auch noch zu einer breiten Zustimmung geführt hat.
    • auf der Ebene der Grundrechte, weil bislang aufgehobene Freiheiten weitgehend wiederhergestellt werden.
    • auf autonomiepolitischer Ebene, weil der bisherige Ausnahmezustand die Eigenregierung in weiten Teilen außer Kraft gesetzt hatte, ohne dass dafür in der Verfassung oder im Autonomiestatut klare Mechanismen vorgesehen gewesen wären. Es ist sinnvoll, der jeweiligen Situation vor Ort angepasste Maßnahmen treffen zu können.
    • aus Sicht der Gesundheitspolitik, weil anstelle der Ausgangsbeschränkungen strenge Sicherheitsbestimmungen ergriffen wurden. Außerdem sind Mechanismen vorgesehen, um bei erneutem Anstieg der Infektionen schnell reagieren zu können. Dass die Öffnung den Wirtschaftsverbänden nicht schnell und weit genug geht, werte ich als Beweis dafür, dass sich die Landespolitik nicht hat von Interessensvertetungen vor sich hertreiben lassen.
    • aus sozialer Sicht, weil die bisherigen Einschränkungen vielen Menschen nicht mehr zumutbar waren.
    • auf wirtschaftlicher Ebene, weil trotz allem die Möglichkeit geschaffen wurde, unter vorgegebenen Voraussetzungen die Tätigkeit wiederaufzunehmen und somit die zu erwartende Verarmung abzumildern.

    Jetzt wird es unheimlich wichtig sein, verantwortungsvoll mit der neuen Situation umzugehen. Insbesondere müssen wir ein Bewusstsein und eine Sensibilität für die vielen unserer Gesellschaft innewohnenden Abhängigkeitsverhältnisse und Hierarchien entwickeln, die dazu führen, dass Menschen die wiedererlangten Freiheiten als Zwang erfahren könnten. Ob sie sich bestimmten Gefahren aussetzen möchten oder nicht, können viele (etwa Arbeiterinnen) oft nicht frei entscheiden. Also muss neben die vielbeschworene Selbstverantwortung vor allem auch eine große Portion Empathie und Mitverantwortung treten.

    Vielleicht sollte auch allen noch klarer vermittelt werden, dass die Pandemie keineswegs beendet, sondern lediglich eine neue Phase des Umgangs mit ihr eingeleitet wurde. Die erneute Öffnung bedeutet nicht, dass wir alle zu unseren alten Gewohnheiten zurückkehren müssen, solange wir nur die Vorschriften einhalten. Zuhause bleiben ist etwa weiterhin erlaubt, auch wenn es kein Zwang mehr ist.

    Die römische Regierung hat gestern in der kurzen Zeit zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten des Gesetzes bereits angekündigt, für die Arbeitssicherheit relevante Teile davon vor dem Verfassungsgericht anfechten zu wollen. Darauf will ich aber vorerst nicht weiter eingehen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 || 01



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  • Der richtige Umgang mit dem Feind.
    Quotation

    Der Feind ist nicht Rom, sondern das Virus. Das Problem ist nicht Premierminister Giuseppe Conte, sondern der richtige Umgang mit Corona.

    Alexandra Aschbacher im dieswöchigen Leitartikel der ff

    Dieses Zitat als Reaktion auf die Bergfeuer der Schützen und die Kampfansage der SVP mag auf den ersten Blick treffend klingen, ist aber erschreckend hohl. Es folgt einer sehr eigenartigen Logik. Natürlich ist das Virus “der Feind”, wenn man schon unbedingt in Zusammenhang mit einer Gesundheitskrise eine martialische Rhetorik weiter strapazieren muss. Aber die Politik in Rom bzw. die Regierung Conte regeln nun einmal den Umgang mit Corona. Und falls diese Regeln, an die sich alle per Gesetz/Dekret halten müssen, den “richtigen Umgang” verunmöglichen (was ich nicht behaupte, weil mir das Wissen dazu fehlt, um das beurteilen zu können), dann wäre das sehr wohl ein Problem. Die politische Verantwortung für die Regelung unseres Gemeinwesens einfach auszuklammern, ist falsch bis gefährlich. Es macht einen Unterschied, ob eine Regierung vernünftig, ausgewogen und besonnen agiert oder ob sie beispielsweise das Spritzen von Desinfektionsmitteln empfiehlt.

    Es ist ein großes Problem gerade unserer Zeit (vielleicht war es das aber auch schon immer), dass die an sich berechtigte Kritik an Undifferenziertheit (“Die spinnen, die Römer”) oft einfach die undifferenzierte Umkehrung des Kritisierten ist. Auf Undifferenziertheit sollte man jedoch nicht mit Umkehrung, sondern mit Differenziertheit reagieren. Die undifferenzierte Umkehrung gibt dem eingangs Kritisierten nämlich die Möglichkeit, dem Kritisierenden – zurecht – den Vorwurf der Oberflächlichkeit zu machen; also genau jenes Attribut, das Letzterer dem eingangs Kritisierten vorhält. Im Argumentationsniveau ist dann kaum noch ein Unterschied zu erkennen. Undifferenzierte Kritik an der Regierung/an einem System ist analog zum undifferenzierten Blankoscheck für die Regierung/für ein System. Beides entspricht nicht dem Wesen von Demokratie.

    Wir haben uns zum Beispiel die Frage gestellt, ob wir weiter so leben und konsumieren wollen wie bisher. Das Virus hat uns gezwungen, über uns, unsere Rolle in der Welt nachzudenken. Bei allem Leid und bei allen Entbehrungen, war dies auch eine Art von Geschenk. […] Diese Krise ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, und die SVP pflegt nun ihren Anti-Rom-Habitus. Das mag einigen gefallen, auf der Höhe der Zeit ist es nicht.

    Wie Aschbacher richtig erkennt, sind Zäsuren wie diese immer auch Gelegenheiten, Dinge zu hinterfragen. Wir dürfen und sollen alles in Frage stellen. Den Neoliberalismus, den Kapitalismus, die Globalisierung – schlicht sämtliche Gewiss- und Gewohnheiten mit denen wir aufgewachsen sind. “Unsere Rolle in der Welt”, wie es Aschbacher trefflich ausdrückt. Nur wenn es um die Frage der nationalstaatlichen Ordnung geht, hört sich offenbar der Spaß auf. Wenn sich jemand erdreistet, den Status Quo der Organisation unseres Gemeinwesens in Frage zu stellen, ist Schluss mit lustig. Auf die Idee, dass dieser vielleicht auch Mitschuld an so mancher negativen Entwicklung sein könnte, die sich während der Corona-Krise manifestiert hat, kommen Nationalstaatsapologeten nicht.

    Daher ist die Diskussion darüber, wie weit es in einem Notstand zulässig ist, Grundfreiheiten und Verfassungsrechte (Stichwort Autonomiestatut) außer Kraft zu setzen, eine völlig legitime und absolut auf der Höhe der Zeit. Wir dürfen gerne unterschiedlicher Meinung sein, wo diese Linie zwischen Sicherheit und Freiheit gezogen wird. Aber die Diskussion darüber ist demokratiepolitisch essentiell.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Die ladinische Flagge ist 100.

    Es war der 5. Mai 1920, als sich am Frara (Grödner Joch) Verteterinnen der fünf ladinischen Talschaften — Anpezo, Badia, Fascia, Fodom, Gherdëina — einfanden, um das Recht auf Selbstbestimmung einzufordern. Sie zeigten sich vor allem über die Tatsache bestürzt, dass die Ladinerinnen im Pariser Vertrag keinerlei Erwähnung gefunden hatten und forderten die Anerkennung ihrer eigenständigen Sprache und Kultur.

    Zu diesem Anlass wurde erstmals die bis heute bekannte blau-weiß-grüne Flagge gezeigt, die die Einheit der Ladinerinnen Tirols bekräftigen sollte. Eine Einheit, die jedoch schon wenig später vom faschistischen Italien bewusst mit Füßen getreten wurde, um die Minderheit zu majorisieren: Bis heute sind Anpezo und Fodom (gegen ihren Willen) Teil Venetiens, während Fascia zum Trentino, Badia und Gherdëina zu Südtirol gehören.

    Die Flagge, die aus zivilgesellschaftlichem Engagement entstanden und bis heute von der Zivilgesellschaft getragen wird, symbolisiert aber nach wie vor den Wunsch nach Zusammengehörigkeit. In ihren Farben spiegeln sich das Blau des Himmels, das Weiß des Schnees und der Dolomiten sowie das saftige Grün der Bergwiesen.

    In der ursprünglichen Gestaltung prangte in der Mitte ein Edelweiß, das heute meist fehlt. Stattdessen ziert sie oftmals der rote Landesadler, der die Verbundenheit mit Tirol zum Ausdruck bringt.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 || 01 02



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  • Der Übersetzer des Ministers.

    Der italienische Regionenminister Francesco Boccia (PD) war heute kurz in Bozen, um mit LH Arno Kompatscher (SVP) über den geplanten Südtiroler Alleingang bei der Lockerung der Pandemiemaßnahmen zu diskutieren. Soeben ist die entsprechende virtuelle Medienkonferenz von Landeshauptmann und Minister zu Ende gegangen, die zwar mit großer Verspätung gestartet war, aber keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gebracht hat. Wie Francesco Boccia mitteilte, könnte es zu einer vorläufigen Reduzierung oder Einstellung der Zahlungen Südtirols an den Staat zur Beteiligung an der Schuldenlast geben. Mit dem geplanten Landesgesetz wird sich hingegen das Ministerium befassen — soll vermutlich heißen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Verfassungsgericht angefochten wird, wenn es (wie geplant) den Verfügungen der Zentralregierung widerspricht.

    Erstaunlich war für mich vor allem, wie die Sprachen der Provincia zugunsten der Sprache des Impero weichen mussten: ein Wort in deutscher oder ladinischer Zunge war dem — durchaus eiligen — Minister offenbar nicht zumutbar, weder im Vor- noch im Nachwort des Landeshauptmanns. Erst nachdem das römische Regierungsmitglied den Pressesaal verlassen hatte, gab es vom LH eine Zusammenfassung und Übersetzung des zuvor — von beiden — Gesagten. Arno Kompatscher kam also auch noch die Rolle des Übersetzers von Boccia zu.

    Aber man kann es auch in Zeiteinheiten ausdrücken: über 20 Minuten in italienischer, rund 7 Minuten in deutscher Sprache.

    Das Ganze kann hier nachgesehen werden.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01 02 03 04



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