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  • Bozen und die demokratische Verantwortung.

    Vorgestern war die anberaumte Bozner Gemeinderatssitzung daran gescheitert, dass die rechte Mehrheit nicht vollzählig war und die Opposition nicht einspringen wollte, um ihr die Beschlussfähigkeit zu garantieren. Einen Tag später hat es dann gestern Abend doch geklappt — dank politischer Minderheit, denn die Mehrheit wäre andernfalls erneut gescheitert.

    Nach dem Debakel vom Mittwoch hatten die Rechten der Opposition mangelnde demokratische Verantwortung vorgeworfen.

    Das finde ich spannend. Nicht nur, weil die Rechtskoalition ausgesprochen demokratiefeindliche Subjekte umfasst.

    Vielmehr war die geringe Anzahl anwesender Mehrheitsvertreterinnen selbst die Folge eines fragwürdigen Demokratieverständnisses: Einige Gemeinderätinnen sollen in Urlaub sein, einer war wegen eines Goebbels-Zitats (immerhin) zurückgetreten und zwei hatten ihr Amt bereits wieder niedergelegt, weil ihre Kandidatur ganz offensichtlich nichts als Wählerinnentäuschung war. Die für Anna Scarafoni (FdI) und Roberto Zanin (Oltre/Weiter) Nachrückenden waren aber noch nicht vereidigt.

    Hätte sich die politische Minderheit auf Fundamentalopposition gegen diese nach rechts offene Koalition geeinigt, wäre Bürgermeister Claudio Corrarati wohl bereits Geschichte. Ob der Verzicht auf ein derartiges Vorgehen als »demokratisch verantwortlich« eingestuft werden kann, weiß ich jetzt ehrlich gesagt auch nicht.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05



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  • Sollen jetzt Schutzhütten umbenannt werden?
    AVS-Vorschlag

    Ein im Magazin des Alpenvereins Südtirol (AVS), Berge erleben, vom Juni auf Seite 58f. erschienener Kommentar von AVS-Vizepräsidentin Ingrid Beikircher hat hohe Wellen geschlagen. Sie regt darin eine Umbenennung zahlreicher Schutzhütten im Lande an, deren heutige Namen keinen direkten Bezug zu Südtirol bzw. zu ihrer unmittelbaren Umgebung haben. Dabei handelt es sich nicht um Hütten des AVS, sondern um Häuser des Landes Südtirol, des Club Alpino Italiano (CAI) und um private Schutzhäuser, denn die des AVS tragen schon alle einen Namen mit Ortsbezug, wie auch eine Karte auf S. 16f. des Magazins veranschaulicht.

    In dem Beitrag wird unterstrichen, dass es bereits Kontakte zwischen dem AVS und dem CAI in dieser Angelegenheit gegeben habe und somit suggeriert, dass den Umbenennungen nur noch wenig im Wege steht.

    Woher kommt der Vorschlag und wie wird er begründet? Direkt im Untertitel des Kommentars von Ingrid Beikircher wird auf die uneinheitliche Benennung in deutscher und italienischer Sprache (am Beispiel Kasseler Hütte / Rifugio Roma) hingewiesen. Zudem werden Marketing- und Sicherheitsargumente angeführt, die ich persönlich für etwas unpassend bzw. weit hergeholt einstufen würde.

    Sonst ist der AVS ja auch gegen eine immer stärkere Vermarktung der Berge, und dass es leichter sei, sich eine Hochgall- als eine Kasseler Hütte zu merken, finde ich nicht schlüssig.

    In dem Beitrag wird klar, dass es hauptsächlich um Schutzhütten geht, die nach deutschen oder ehemals deutschen Städten benannt sind. In fast all diesen Fällen gehen die Bezeichnungen darauf zurück, dass es die Sektionen dieser Städte im Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) waren, die die Hütten ursprünglich erbaut haben.

    Nach der Annexion unseres Landes durch Italien wurden alle Hütten des DÖAV von den Faschisten enteignet, der Verein verboten. Natürlich durften die Hütten, die meist irgendwelchen CAI-Sektionen in Italien zugewiesen wurden, auch nicht mehr ihren ursprünglichen Namen tragen. So benannte die römische CAI-Sektion das ihr zugeteilte Raubgut in Rifugio Vedrette Giganti und dann in Rifugio Roma um.

    Wollte man einfach nur mit dem Chaos zwischen deutschen und italienischen Bezeichnungen aufräumen, was wohl ein Hauptanliegen sein dürfte, könnte man auch fordern, die Kolonialbezeichnungen — die mit dem ausdrücklichen Zweck der Assimilierung und Entnationalisierung eingeführt worden waren — wieder zurückzunehmen und die historisch gewachsenen Namen beizubehalten.

    Dass heute meist kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen den DAV- und ÖAV-Sektionen und den nach ihnen benannten Hütten besteht, wie Frau Beikircher zu bedenken gibt, geht auf den gewaltsamen Akt eines totalitären Regimes zurück. Die geforderten Umbenennungen damit zu begründen, wäre eine nachträgliche symbolische Legitimierung eines Unrechts.

    Ich unterstelle aber — nicht ohne Indizien dafür zu haben —, dass der Vorschlag, die ursprünglichen Hüttenbezeichnungen zu beseitigen, nichts anderes ist als der Weg des geringeren Widerstands: Der italienische Alpinclub CAI ist leider für seine chauvinistischen Positionen und seine mangelnde Einsicht in Bezug auf historisches Unrecht bekannt (vgl. 01 02 03) und würde einem einseitigen Verzicht auf die Kolonialbezeichnungen bei gleichzeitiger Beibehaltung der bestehenden deutschen Namen kaum zustimmen. Also versucht man beim AVS, dem CAI die Abkehr von faschistischem Unrecht (einschließlich höchst belasteter Namen wie dem Rifugio Locatelli) durch die gleichzeitige Abkehr von historisch gewachsenen Bezeichnungen schmackhaft zu machen, die einen Bezug zum übrigen deutschen Sprachraum und zur Geschichte vor der Annexion herstellen.

    Es ließe sich natürlich argumentieren, dass auch die Errichtung von Schutzhütten durch »landesfremde« DÖAV-Sektionen in Tirol —  so wie die »Eroberung« der Alpen durch Bergsteiger aus dem Flachland im Allgemeinen — etwas in gewissem Maße Koloniales an sich hatte. Und doch wäre es meiner Meinung nach grundfalsch, dieses den gesamten Alpenraum betreffende Phänomen mit der aggressiven Enteigungs- und Assimilierungspolitik der Faschisten auf eine Stufe zu stellen.

    Sich der historisch gewachsenen Hüttenbezeichnungen zu entledigen muss nicht notwendigerweise falsch sein, so man sie als problematisch einstuft. Nach meinem Dafürhalten gibt es diesbezüglich aber keinen Grund für einen Südtiroler Alleingang, eher im Gegenteil. Wennschon könnte man eine grenzüberschreitende Debatte anregen und gegebenenfalls gesamtalpine Lösungen finden.

    Bezüglich der angedachten Neubenennungen beruft sich Frau Beikircher übrigens auf das sogenannte Durnwalder-Fitto-Abkommen (vgl. 01 02), mit dem sich der AVS das (proto-)faschistische Ortsnamenverzeichnis von Ettore Tolomei hat aufzwingen lassen. Demnach würde man Schutzhäuser gerne nach Orten in der unmittelbaren Umgebung benennen und für die »italienische« Bezeichnung ohne jegliche Not faschistische Erfindungen übernehmen. Wenn man aber Tolomeis Fälschungswerk freiwillig sogar auf neue Elemente wie die Schutzhütten anwendet, legitimiert man auch dieses nachträglich und verleiht ihm zusätzliche Sichtbarkeit.

    Eine Bezugnahme auf das Durnwalder-Fitto-Abkommen, das unter massivem nationalistischem Druck zustandegekommen ist, halte ich sowieso für höchst fragwürdig. Immerhin hätte die Übereinkunft auch den Verzicht auf einige Erfindungen des sogenannten Prontuario vorgesehen, doch dazu kam es nie. Angewandt wird nur der Teil, der eine flächendeckende Reitalianisierung der Berge bewirkt.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08



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  • Calenda will Regionen eliminieren.

    Auf die Pläne der italienischen Regierung von Giorgia Meloni (FdI), neben einer — bedenklichen — Stärkung der Regierungschefin auch die Aufwertung der Regionen umzusetzen, reagierten italienische Mittelinksparteien mit pathetischen Bekenntnissen zur nationalen Einheit und symbolischen Gesten wie dem Schwenken der Nationalflagge und dem Absingen der Nationalhymne im Parlament. Dabei war die Möglichkeit, Regionen mit Normalstatut mehr Zuständigkeiten zu übertragen, im Jahr 2001 von Mittelinks per Verfassungsreform eingeführt worden.

    Jetzt aber treibt die Partei Azione, die schon länger mit den Rechten liebäugelt, den Zentralismus auf die Spitze, indem sie nichts weniger als die vollständige Abschaffung der Regionen fordert. Laut dem Parteigründer und -vorsitzenden Carlo Calenda (ehemals PD) habe der Regionalismus Italien zerstört. Konkrete Beweise bleibt er schuldig.

    Vor wenigen Jahren bereits hatte Calenda die Absicht der Region Venetien, die venetische Sprache an öffentlichen Schulen zu unterrichten, scharf kritisiert und gefordert, man möge in den Schulen stattdessen den Flaggensalut einführen.

    Übersteigerter Nationalismus, radikaler Zentralismus und Minderheitenfeindlichkeit sind in Italien leider in allen politischen Lagern salonfähig.

    Übrigens sind die Regionen ebenso in der italienischen Verfassung festgeschrieben wie die Unteilbarkeit des Staates. Müsste Calendas Vorstoß dann theoretisch nicht mit ähnlicher Empörung aufgenommen werden wie Sezessionsvorschläge?

    Mit dem Subsidiaritätsprinzip der EU ließe sich eine Abschaffung der Regionen nur schwer vereinbaren.

    Bei der letztjährigen Europawahl war Paul Köllensperger (Team K) auf der Liste von Azione angetreten, einer Partei, die übrigens auch die Errichtung mehrerer Atomkraftwerke in Italien fordert.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Pride – vom Fluss bis zum Meer?

    Gestern hat in Bozen die erste Pride Südtirols stattgefunden — und sie war ein richtig großer, schöner Erfolg. Tausende Teilnehmende, gute Stimmung, mehrsprachiges Umfeld und keine wahrnehmbaren homophoben Gegenproteste. Auch den Namen der Veranstaltung, Südtirolo Pride, der aufgrund einer Reflexion über hegemoniale Verhältnisse und Kolonialismus bewusst gewählt wurde, fand und finde ich großartig.

    Einen leider groben Misston habe ich jedoch wahrgenommen und möchte ihn hier benennen, da ich glaube, dass Kritik — wo sie nötig ist — von »Innen«, bestenfalls von der queeren Community selbst, aber zumindest wie in unserem Fall nicht von queerfeindlichen, sondern auch von ausgesprochen queerfreundlichen Menschen kommen sollte.

    Gegenüber der gestrigen Tagesschau von Rai Südtirol hat eine Veranstalterin folgendes gesagt:

    [Anmoderation: Den Vorwurf des Antisemitismus aber lassen die Veranstalter nicht gelten.]

    Wenn wir sagen, dass wir für Palästina sind, dann heißt das wir sind gegen Genozid, wir sind gegen Gewalt und das ganz unabhängig [davon], von wem sie kommt. Es gibt genauso Personen, die jüdisch und queer sind, so wie es Personen gibt, die muslimisch und queer sind.

    Tagesschau vom 28. Juni 2025, Transkription und Übersetzung (aus dem Dialekt) von mir

    Vermutlich über den gesamten Verlauf des Marsches, sicher jedoch ab dem Mazziniplatz und bis zu den Talferwiesen, wo ich es selbst beobachtet und dokumentiert habe, sind jedoch nicht nur viele Personen mit palästinensichen Flaggen mitgelaufen, sondern auch eine gut sicht- und hörbare Gruppe mit dem Banner No Pride in Genocide (der auch in der Tagesschau zu sehen war).

    Eine von ihnen skandierte über ein Megaphon (!) fast ununterbrochen folgenden Spruch:

    Le frocie lo sanno, da che parte stare: Palestina libera dal fiume fino al mare.

    Übersetzung: »Die Lesben wissen, auf welcher Seite sie stehen: ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer.«

    From the river to the sea also. Während man das Gemetzel, das der israelische Staat derzeit in Gaza veranstaltet, mit harschen Tönen kritisieren soll und darf — wiewohl man nicht vergessen sollte, dass noch immer unschuldige israelische Geiseln in den Händen der klerikalfaschistischen Hamas sind —, ist From the river to the sea krass antisemitisch und gegen das Existenzrecht Israels gerichtet.

    Damit fordert man übrigens, den einzigen Staat im Nahen Osten zu eliminieren, in dem queere Menschen Rechte genießen und nicht verfolgt werden.

    So wie von anderen Kundgebungen richtigerweise verlangt wird, dass sie zum Beispiel rechtsextreme Teilnehmende aussondern, hätte — allein schon aus Gründen der Kohärenz — diese Gruppe von der Pride-Organisation sofort gestoppt und der Veranstaltung verwiesen werden müssen.

    Wo bitte sollen die queeren Jüdinnen leben, von denen oben die Rede war, wenn man Israel auslöschen will? Mir ist klar, dass Jüdinnen nicht automatisch Israelinnen sind, doch die meisten queeren Jüdinnen dürften wohl in Israel leben.

    Da jede Domination relativ ist, wie schon Albert Memmi sagte, sind natürlich auch (sexuelle, sprachliche und andere) Minderheiten nicht davor gefeit, wiederum andere zu diskriminieren. Das wissen wir in Südtirol nur allzu gut und sollte auch für die queere Community bedeuten, dass sie sich selbstkritisch mit Antisemitismus befasst, anstatt den Vorwurf einfach von sich zu weisen.

    Dass von der offiziellen Bühne am Alexander-Langer-Platz aus in eine Palästinaflagge gehüllte Rednerinnen Palästina, Myanmar und sogar Iran (!) ihre Solidarität ausgesprochen haben, aber kein Wort über die israelischen Geiseln oder die Ukraine verloren haben, hinterlässt zumindest einen fahlen Beigeschmack.

    Mich persönlich hat es dazu veranlasst, nicht länger dort zu verweilen, sondern die Veranstaltung frühzeitig zu verlassen. Aber auch alle anderen Bekannten, die ich beim Marsch getroffen habe — queere und nichtqueere — haben die einseitige propalästinensische Ausrichtung und die vielen Palästinaflaggen kritisiert, noch bevor ich es ansprechen konnte. Wirklich alle.

    Ich schreibe nur ungern diesen spielverderberischen Beitrag, doch so, wie ich inzwischen fast täglich die unsäglichen Tabubrüche der Faschos benenne, will und kann ich auch hierzu nicht schweigen.

    Noch einmal: Gratuliere zur insgesamt höchst gelungenen, überfälligen Veranstaltung für die queere Community in Südtirol, aber verschließt bitte eure Augen nicht vor eurem Antisemitismus.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01



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