Autorinnen und Gastbeiträge →

  • Kultur als Waffe.
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    11 Comentârs → on Kultur als Waffe.
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    Immaginano il terrore, noi rispondiamo con la cultura.

    — Matteo Renzi

    Italiens Premier Matteo Renzi (PD) hat als Reaktion auf die Attentate in Paris angekündigt, je eine Milliarde Euro in Kultur und Sicherheit zu investieren – mit Fokus auf heruntergekommene Vorstädte und Jugendliche. Für 18-Jährige soll es eine “Kultur-Bonus-Card” im Wert von 500 Euro geben, mit der sie Theatervorstellungen, archäologische Stätten und ähnliches besuchen können. Die italienische Regierung widersteht dem Kriegsreflex und denkt langfristig. Schön, dass es das noch gibt.

    Siehe auch: 01



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  • Sollen Ortsnamen »übersetzt« werden?

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    9 Comentârs → on Sollen Ortsnamen »übersetzt« werden?

    Das neue Sprachbarometer des Landesstatistikinstitutes (Astat) bietet interessante Einblicke nicht nur in sprachliche Thematiken im engeren Sinne, sondern zum Beispiel auch in die Einschätzung der Südtirolerinnen zum leidigen Thema der sogenannten »zwei- oder dreisprachigen Ortsnamen«. Dabei ist es ja eigentlich ein Missverständnis, dass Namen eine Sprache »haben«, mal davon abgesehen, dass die italienischen Ortsbezeichnungen zum allergrößten Teil Erfindungen eines Protofaschisten sind — aber das wurde hier im Blog schon oft genug durchgekaut.

    Das Astat hat unter anderem erhoben, ob die Befragten der Auffassung sind, dass

    • alle Orts- und Flurnamen zwei- bzw. dreisprachig sein
    • neu entstehende Ortschaften eine zwei- bzw. dreisprachige Benennung bekommen

    sollten, was ich in den beiden Diagrammen zusammengefasst habe, die diesen Beitrag begleiten. Wenig erstaunlich ist, dass vor allem die Mitglieder der deutschen Sprachgruppe die geringste Zustimmung zur Übersetzung von Orts- und Flurnamen zeigen. Das Ausmaß überrascht dann aber trotzdem, schließlich pflichten den beiden oben genannten Postulaten jeweils über 70% bzw. über 60% nicht bei.

    Ortsnamen 1 (2004-2014).

    Auffallend und begrüßenswert ist meiner Auffassung nach jedoch vor allem, dass die Forderung nach »zwei- und dreisprachigen Orts- und Flurnamen« (unabhängig davon, ob im Fall von bestehenden oder »neuen« Ortschaften) bei den Südtiroleinnen jeglicher Muttersprache rückläufig ist. Zwischen 2004 und 2014 kann also im Trend von einer Abkehr von der Forderung nach flächendeckender Übersetzung von Toponymen gesprochen werden.

    Ortsnamen 2 (2004-2014).

    Die deutsche Sprachgruppe ist dabei die einzige, die sich eher mit der Übersetzung von Bezeichnungen neuer Ortschaften anfreunden könnte, als mit der Beibehaltung der (tolomeischen) Übersetzungen bestehender Orts- und Flurnamen.

    Wiewohl Südtirolerinnen italienischer Muttersprache eine deutlich größere Zustimmung zur flächendeckenden Übersetzung von Toponymen zeigen, stimmen immerhin zwischen einem guten Viertel (27,8%) und einem knappen Drittel (32,9%) von ihnen nicht mehr mit dieser Forderung überein. Das ist deutlich mehr, als man vermutlich erwartet hätte — und bedeutet einen klaren Fortschritt im Vergleich zur Erhebung von 2004.

    Die (relativ hohen) Zustimmungswerte der Ladinerinnen zur Übersetzung von Ortsbezeichnungen könnten meiner Meinung nach wenigstens teilweise mit einem möglichen Missverständnis zusammenhängen: Deutlich öfter als im restlichen Südtirol sind in Ladinien mehrere, manchmal alle drei Ortsbezeichnungen historisch gewachsen. Die Abkehr von Übersetzungen könnte hier die Unsicherheit befeuern, ob am Ende tatsächlich das ladinische Endonym erhalten bliebe — und nicht gerade dieses zugunsten der deutschen bzw. italienischen Bezeichnung aufgegeben werden müsste. Hätte die Frage also deutlich zum Ausdruck gebracht, dass in Ladinien (wennschon) die »deutschen« und die »italienischen« Toponyme wegfallen würden, hätte hier das Umfrageergebnis möglicherweise anders ausgesehen. Aber das sind Spekulationen.

    Für mich wenig überraschend ist die Tatsache, dass Südtirolerinnen mit einer anderen Muttersprache (als Deutsch, Italienisch oder Ladinisch) relativ wenig mit zwei- und dreisprachigen Orts- und Flurnamen anfangen können, ihre Zustimmung zu »Übersetzungen« also nur von der deutschen Sprachgruppe unterboten wird. Die flächendeckende »Übersetzung« von Toponymen ist als unbeseitigtes Überbleibsel einer totalitären Diktatur quasi ein weltweites Unikum, auf das Außenstehende häufig mit Verwirrung und Unverständnis reagieren. Besonders dann, wenn sie die historischen Hintergründe kennen.

    In Summe sprechen sich laut Sprachbarometer nur noch 41,9% der Südtirolerinnen dafür aus, dass alle Orts- und Flurnamen zwei- oder dreisprachig sein sollten. Die Zustimmung zur zwei- oder dreisprachigen Benennung neuer Ortschaften ist mit 45,7% etwas höher, aber im Gegensatz zu 2004 ebenfalls nicht mehr mehrheitsfähig.

    Siehe auch: 01 02 03 04 05 06 07 || 01



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  • Rai: PD »eliminiert« Sardisch und Friaulisch.

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    17 Comentârs → on Rai: PD »eliminiert« Sardisch und Friaulisch.

    Renzi-Regierung und PD treiben im römischen Parlament gerade eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks voran, in deren Zuge sämtliche Minderheiten außen vor gelassen wurden, die nicht auf den externen Schutz durch einen anderen Staat verweisen können. Während Deutsch und Ladinisch (Südtirol/Österreich), Französisch (Aoûta/Frankreich) und Slowenisch (Friaul-JV/Slowenien) im Gesetzestext ausdrücklich erwähnt wurden, bleibt allen anderen anerkannten Minderheitensprachen die Anerkennung verwehrt. Dies schließt die beiden größten nichtitalienischen Sprachgemeinschaften des Landes, die sardische (über 1 Mio. SprecherInnen) und die friaulische (über eine halbe Mio. SprecherInnen) mit ein. Bis dato sind die meisten anerkannten Minderheitensprachen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk — allerdings häufig mit vernachlässigbaren Sendezeiten — vertreten.

    Selbst im Vergleich zur bereits heute unzureichenden Situation wäre das neue Gesetz ein Rückschritt.

    Bislang zeigt sich der PD selbst gegenüber Forderungen aus den eigenen Reihen völlig unsensibel. Ein Abänderungsantrag mehrerer friaulischer PD-Parlamentsabgeordneter wurde ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Widerstand aus Sardinien und Friaul wird erst gar nicht zur Kenntnis genommen.

    Die Provinz Udine hat bereits angekündigt, sich nach der zu erwartenden Verabschiedung des Gesetzes an die Hohe Kommissärin für nationale Minderheiten der OSZE und an das italienische Verfassungsgericht (wegen Verletzung von Artikel 6) wenden zu wollen.

    Der PD, der sich in Südtirol gern als plurilinguale und interethnische Partei aufspielt, bereitet sich in Rom also darauf vor, den ungeschützteren (und bereits heute vor sich hin vegetierenden) Minderheitensprachen ein (mediales) Ende zu bereiten. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die einen effektiven Schutz vor derartiger Willkür bieten könnte, wurde von Italien nie ratifiziert — und ist somit nicht anwendbar.

    Siehe auch: 01 02 03 04 || 01



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  • VGH: Nationale Einheit ist ewig!

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    28 Comentârs → on VGH: Nationale Einheit ist ewig!

    Vor wenigen Monaten hatte sich das italienische Verfassungsgericht mit den Gesetzen der Region Venetien befasst, die die Einberufung zweier nicht bindender Volksbefragungen vorsahen. Damit wollte die Region in Erfahrung bringen, ob sich die Bürgerinnen und Bürger eine Autonomie (oder zumindest gewisse Formen von Autonomie), eine Neuverhandlung der Finanzen mit dem Zentralstaat oder aber die Schaffung eines unabhängigen Staates wünschen. Nachdem die Befragungen nicht bindend gewesen wären, möchte man davon ausgehen, dass sie in einem demokratischen Land möglich sein müssten — schließlich wollten der regionale Gesetzgeber und die Regionalregierung nichts anderes, als eine demokratisch einwandfrei zustandegekommene Rückmeldung über politische Zielvorstellungen der Bevölkerung.

    Das römische Verfassungsgericht machte jedoch beiden Gesetzen den Garaus:

    • Die Befragung zur Eigenstaatlichkeit verstoße gegen das Prinzip der nationalen Einheit, das in der Verfassung festgeschrieben ist;
    • Zur Autonomie dürfe man die Bevölkerung nicht befragen, weil für die Verleihung dieses Sonderstatusses eine Verfassungsänderung nötig wäre. Zu Themen aber, zu deren Umsetzung eine Verfassungsänderung erforderlich wäre, dürfe Venetien — so die Verfassungsrichter — die Bevölkerung nicht befragen;
    • Eine Befragung über die Neuverhandlung der Finanzen sei vom Autonomiestatut der Region Venetien nicht vorgesehen, weshalb auch diese hinfällig sei;
    • Lediglich über die Verleihung beschränkter Formen von Autonomie — die kein Sonderstatut erfordern — dürfe die Region Venetien ihre Bürgerinnen und Bürger befragen.

    Aus demokratischer Sicht ist eine derart restriktive Auslegung von beratenden Mitentscheidungsinstrumenten bedenklich.

    Es kommt aber noch wesentlich schlimmer: Wie das Verfassungsgericht im Urteil festschrieb, sei die Einheit der Republik eines jener essentiellen Bestandteile der Verfassungsordnung, die der Möglichkeit einer Verfassungsrevision entzogen seien. Die Richter legten somit eigenmächtig — auf dem Weg der Interpretation und ohne demokratische Zustimmung des Parlaments — eine Ewigkeitsklausel über das Prinzip der staatlichen Unteilbarkeit, ein Prinzip, das selbst der Landeshauptmann als undemokratisch bezeichnet hatte.

    Im Falle Kataloniens argumentiert der Zentralstaat mitunter damit, dass die Auflösung der staatlichen Einheit eine Verfassungsänderung erfordert, sich die KatalanInnen aber auf diesem legalen Weg für ihre staatliche Unabhängigkeit einsetzen könnten. Auch das spanische Verfassungsgericht sah das so. Die Verfassungsänderung ist ein theoretischer Weg, der nationalen Minderheiten offensteht, aufgrund ihrer Minderheitensituation aber faktisch einem verfassungsrechtlichen Gefängnis gleichkommt, da sie in Zentralparlamenten zahlenmäßig nicht ausreichend vertreten sind. Auf diese Problematik machte bei einer Tagung in Innsbruck ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des spanischen Verfassungsgerichts aufmerksam.

    In Italien jedoch steht nach dem oben erwähnten Urteil nicht einmal mehr die theoretische Möglichkeit einer Verfassungsänderung offen, da eine handvoll Richter das Prinzip der nationalen Einheit jeglichem demokratischen Zugriff entzogen haben. Als wäre es gottgegeben. Selbst bei einer — nicht zu erwartenden — Zustimmung von 100% des italienischen Parlaments ließe sich die Unteilbarkeit des Staates nicht aufheben.

    Um etwa die Loslösung Südtirols von Italien zu erreichen stehen demnach keinerlei legale und demokratische Mittel zur Verfügung; zumindest nach italienischem Recht befinden wir uns auf immer und ewig in einer unauflösbaren Zwangsehe mit diesem Staat. Höchstens internationales Recht kann hier noch helfen — oder ziviler Ungehorsam.

    Demokratie sieht jedenfalls anders aus. Wenn Verfassungsvorschriften nach Gutdünken weniger, nicht gewählter Personen, der Entscheidung des Souveräns und dem Widerstreit der Staatsgewalten entzogen wird, erinnert dies immer mehr an einen autoritären Staat.

    Siehe auch: 01 02 03 04



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  • Achtung Falle.
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    121 Comentârs → on Achtung Falle.
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    “Ach”, sagte die Maus, “die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.” – “Du mußt nur die Laufrichtung ändern”, sagte die Katze und fraß sie.

    — Franz Kafka

    Terrorismus führt zwangsläufig in eine Dilemma-Situation. Die Überreaktion des Provozierten gehört zum terroristischen Kalkül. Gleichzeitig ist ein Ignorieren des Aggressors aufgrund der Ungeheuerlichkeit der Tat nahezu unmöglich. Und würde man es doch schaffen, würde der Terrorist den Schockierungsgrad so lange steigern, bis schlussendlich doch die Überreaktion eintritt.

    Der IS hat Letzteres mit seinem Pariser Anschlag offenbar bereits erreicht. Präsident Francois Holland sprach noch am selben Tag von “Krieg” und vom Papst abwärts ist vom “3. Weltkrieg” die Rede, (obgleich Franziskus das ganze noch am differenziertesten und metaphorischsten sieht). Das deutsche Handelsblatt titele gar “Weltkrieg III.” und dessen ehemaliger Chefedakteur Gabor Steingart schreibt: “Wer Terroranschlag sagt, will verharmlosen. Der Westen befindet sich in einem weltweit geführten Krieg mit radikalisierten Islamisten.” In Südtirol darf Joseph Zoderer in der Tageszeitung die Apokalypse verkünden:

    Es ist kein Weltkrieg, wie man ihn seit dem Zweiten Weltkrieg kennt, weil es keine Fronten zwischen Ländern gibt. Aber was soll es anderes sein als Krieg, wenn man sich an keinem Ort der Welt mehr sicher fühlen kann? Das ist ein noch größerer Krieg als was wir uns bisher darunter vorgestellt haben. Die Welt steht in Flammen und insofern ist es ein Dritter Weltkrieg. Ein ganz teuflischer, weil es keine Fronten gibt. Wir sind überall von Angreifern umgeben.

    Die Anschläge von Paris (Beirut, Sinai, Ankara, Yola  usw.) sind grauenvoll, begangen von gott-, hirn- und herzlosen Verbrechern, oder wie John Oliver es ausdrückte: “gigantic, fucking assholes, unconscionable, flaming assholes.” Und dennoch sind wohl das letzte, was wir jetzt brauchen, Panik, Angst und Rachegefühl. Genau das hieße, dass das terroristische Kalkül aufgeht. Der IS mag überdurchschnittlich brutal, vermögend und vernetzt sein. Aber im Endeffekt sind diese paar tausend Idioten eine hundsnormale Terrororganisation, wie es schon etliche vorher gab und die es bestimmt nicht schaffen (sollte), eine Gemeinschaft von 7 Milliarden Menschen zu destabilisieren und in einen globalen Krieg zu jagen. Terrorismusforscher Peter Waldmann schrieb 2002 ein kurzes Papier unter dem Titel “Das terroristische Kalkül und seine Erfolgsaussichten”, aus dem ich ein paar Absätze zitieren möchte, die dies belegen und die uns hoffentlich wieder zur Besinnung bringen.

    Der Dreiersequenz bei Vollzug und Wirkung terroristischer Aktionen entsprechen drei Personengruppen, die in das Geschehen einbezogen sind. Das sind zum ersten die Gewaltakteure selbst, von denen der terroristische »Prozeß« seinen Ausgang nimmt, zweitens die Opfer der Gewaltanschläge und drittens die eigentlichen Zielgruppen, um deren emotionale Beeinflussung und entsprechende Verhaltensreaktionen es in erster Linie geht. Hier wiederum ist zu unterscheiden zwischen jenen, die als Angegriffene und potentielle Opfer weitere Verluste zu befürchten haben, und der Gegenseite anvisierter Sympathisanten, denen die Terroristen mit ihren Anschlägen Mut zu machen und die sie für ihren Kampf zu mobilisieren trachten.

    Von einer allgemeineren Warte läßt sich Terrorismus als ein Spezialfall des Handlungsprinzips »Provokation« interpretieren, dem wir in zahlreichen Machtkonstellationen begegnen. Bezeichnend für eine Provokation ist im Regelfall die Herausforderung eines Starken durch einen Schwächeren.

    Der Soziologe Rainer Paris [Anm.: der heißt wirklich so] hat sie definiert als »einen absichtlich herbeigeführten, überraschenden Normbruch, der den anderen in einen offenen Konflikt hineinziehen und zu einer Reaktion veranlassen soll, die ihn, zumal in den Augen Dritter, moralisch diskreditiert und entlarvt«.

    Der Angriff muß, soll er seinen Provokationseffekt nicht verfehlen, überraschend, sozusagen aus heiterem Himmel, erfolgen. Dies entspricht genau den Momenten der Unberechenbarkeit, Unwägbarkeit und Willkür terroristischer Anschläge, durch die Verwirrung und Furcht gestiftet werden sollen.

    Bezüglich der Verwendung des Wortes “Krieg” statt “Terror” schreibt Waldmann:

    Man sollte sich bei der strukturellen Klärung der Frage nicht ohne weiteres von dem oft taktisch bedingten Gebrauch leiten lassen, den die am terroristischen »Prozeß« beteiligten Akteure selbst von der Kriegsformel machen.

    Ob und inwieweit eine Gewaltbotschaft vernommen wird, hängt vom allgemeinen Gewaltpegel in einer Gesellschaft ab. Es liegt auf der Hand, daß in Ländern, in denen Guerillagruppen einen Teil des Territoriums besetzt halten oder bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen (aktuelles Beispiel: Kolumbien), terroristische Anschläge keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen. Das ist es, was für Terroristen die gewaltfreien westlichen Demokratien als Operationsfeld so attraktiv erscheinen lassen, wo eine überraschende, brutale Gewalttat auf Anhieb großer allgemeiner Aufmerksamkeit sicher sein kann.

    [Es bedarf] zweier zusätzlicher Handlungssequenzen, damit das terroristische Kalkül aufgeht: Erstens muß der angegriffene Staat überreagieren, das heißt die Fassade von Recht und Rechtsstaatlichkeit fallenlassen und sich als der wahre Angreifer entpuppen; und zweitens muß diese Überreaktion die Masse der lauen und stillen Sympathisanten der Terroristen aus ihrer Reserve locken, aus passivem Widerstand eine offene Rebellion werden lassen, die schließlich zum Sieg der Aufständischen führt.

    Aus zwei Gründen sollte man den unmittelbaren Zerstörungs- und den mittelbaren Abschreckungseffekt, der von militärischen Exempeln ausgeht, wie soeben eines in Afghanistan statuiert wurde, nicht überschätzen. Zum einen bedarf es nur minimaler infrastruktureller Voraussetzungen, um ein oder mehrere Lager, wie sie in diesem Lande existierten, an anderer Stelle wieder zu errichten. Dies gilt zumindest für den islamischen Radikalismus, dem ein riesiger, von Nordafrika bis nach Zentralasien reichender geographischer Raum für die Anlage bzw. den Ausbau vergleichbarer Schutzlager zur Verfügung steht. Als Warnung und Abschreckung kann die Invasion Afghanistans zudem nur jenen islamischen Herrschern dienen, welche über die Mittel und Möglichkeiten verfügen, die Entstehung eines Oppositionszentrums radikaler Islamisten auf ihrem Territorium zu verhindern, die also das Gewaltmonopol innerhalb ihres Staates ausüben.

    Es kann nicht genug betont werden, daß die Denkweise von Terroristen nur begrenzt den Gesetzen militärischer Logik folgt. Mag auch die von ihnen angestrebte umfassende Konfrontation, etwa der heilige Krieg (Djihad), nicht zustande kommen, so bedeutet das keineswegs, daß sie in ihrer Wut und Opferbereitschaft nachlassen werden. Im Falle Afghanistans dürfte sowohl die kriegerische Einmischung der USA in innerafghanische Angelegenheiten, also der neokoloniale Zug des militärischen Strafzugs, als auch die Tatsache, daß viele Kämpfer von Al Quaida dabei ihr Leben lassen mußten und somit den Märtyrertod starben, dazu beitragen, die Verbitterung und den Haß der Islamisten noch zusätzlich zu schüren. Terroristen sind von einem bestimmten Punkt des Engagements ab nicht mehr bereit, Niederlagen zu akzeptieren. Rückschläge wie auch Zugeständnisse, die ihnen gemacht werden, werden stets in positive Stimuli, ihre kämpferischen Anstrengungen zu verstärken, umgesetzt.

    Zu den eigentümlichen Zügen terroristischer Gruppen gehört ein der modernen Welt und insbesondere den modernen Demokratien fremder Zeitbegriff. Dies gilt sowohl für die Entstehung dieser Gruppen als auch für die Realisierung der von ihnen angestrebten Ziele. Sie sind nicht auf rasche, definitive Erfolge angewiesen, sondern denken und planen in längerfristigen, unter Umständen ganze Generationen umfassenden Zeitperioden. Darin liegt ein klarer Vorteil gegenüber für eine begrenzte Regierungszeit gewählten politischen Führern, die schnell spürbare und sichtbare Fortschritte bei der Bekämpfung der terroristischen Bedrohung vorweisen müssen.

    Zwar gelingt es ihnen häufig, den öffentlichen Raum und das kollektive Denken mit spektakulären Anschlägen zu besetzen und nicht allein die Gegenseite zu heftigen militärischen Überreaktionen zu veranlassen, sondern die Wahrung der öffentlichen Sicherheit zu einem allgemeinen Trauma und Dauerthema werden zu lassen. Doch der entscheidende Erfolg im Sinne einer Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung sowie eines an ihrem Ende stehenden Machtumschwungs bleibt ihnen im Regelfall versagt.

    Dem IS muss man kurz- und langfristig begegnen. Sich jetzt auf einen Luft- und eventuell einen Bodenkrieg zu konzentrieren ist aber die teuerste, ineffizienteste und zugleich am wenigsten erfolgversprechende Methode, da sie eben oben angesprochenes Kalkül bedient.

    Beispielsweise hat der “War on Terror” seit 9/11 allein im Irak laut einer Berechnung der Brown University 370.000 unmittelbare Kriegstote gefordert und den USA 4,4 Billionen (4,000.000,000.000) Dollar gekostet. Wirklich beendet wurde das Terrorproblem dadurch nicht. Weder im Irak noch anderswo. Sogar aus den USA verortet man mittlerweile andere als die gewohnten Töne.

    Ein paar Ideen, wie man 4,4 Billionen Dollar (4.400 Milliarden) eventuell besser einsetzen könnte und gleichzeitig ein paar Hunderttausend Leben schont.

    • Kriminalistische Verfolgung der Täter und Hinterleute im Rahmen unseres Rechtssystems.
    • Ausbau der EU-weiten polizeilichen Zusammenarbeit
    • Kommunikationswege des IS unterbinden (Internet, Mobilfunk usw.).
    • Verstärkte Investitionen in den Cyberwar. Das Internet ist das wichtigste Rekrutierungsinstrument des IS. Online-Kanäle (Youtube, Facebook usw.) kappen.
    • IS-Konten einfrieren.
    • Waffenexporte einstellen.
    • Diplomatische Bemühungen ausbauen.
    • Druck auf Unterstützer ausüben (anstatt ihnen Fußballweltmeisterschaften zuzuschanzen).
    • Materielle Versorgungswege des IS abschneiden.
    • IS Geschäfte (Öl- und Antiquitätenverkauf usw.) verunmöglichen.
    • Verzicht der Medien, IS-Propagandavideos öffentlich auszustrahlen. Konzentration auf den reinen Nachrichtenwert.
    • Massiver Ausbau von Streetwork-, Bildungs- und Infrastrukturprogrammen in den “Hotspots” europäischer Großstädte. (Für ein paar Milliarden Euro, die man jetzt locker und ohne mit der Wimper zu zucken in Kriegsgerät investiert, ginge da schon ein bisschen was).
    • Europäische Verpflichtung, Imame vor Ort auszubilden und Verbot außereuropäischer Finanzierung.
    • Schärfer gegen Paralleljustiz in Problemvierteln vorgehen.
    • usw.

    Und wir müssen uns damit anfreunden, dass zumindest auf kurze bis mittlere Sicht einige von uns (immer noch verhältnismäßig sehr sehr wenige) in diesem Kampf für und um die Freiheit ihr Leben werden lassen müssen. Aber:

    Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.

    — Benjamin Franklin



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  • Barcelona geht gegen Italien vor.

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    0 Comentârs → on Barcelona geht gegen Italien vor.

    In einer Pressekonferenz teilte heute die Stadtregierung von Barcelona mit, die Mehrheit im Gemeinderat habe sich auf mehrere antifaschistische und antifranquistische Maßnahmen verständigt (Pressemitteilung). So werde sich die Stadt in ein Verfahren einlassen, das vor einem argentinischen Gericht gegen den spanischen Staat als Rechtsnachfolger der franquistischen Diktatur, gegen die spanischen Könige Juan Carlos I und Felipe VI und gegen den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy angestrengt wurde.

    Ebenfalls werde man ein Verfahren gegen den italienischen Staat unterstützen, das vor einem katalanischen Gericht geführt wird. Die Stadt verstehe sich als Opfer italienischer Luftangriffe, die zwischen dem 13. Februar 1937 und dem 29. Jänner 1939 mehrere tausend Einwohnerinnen das Leben gekostet haben, über 1.800 Bauwerke zerstörten und in deren Verlauf rund 1.000 Tonnen Sprengstoff über der Stadt abgeworfen wurden.

    Ziel des Verfahrens, das von italienischen Behörden systematisch behindert wird, sei es, dass sich Italien offiziell bei den Einwohnerinnen der Stadt entschuldige.

    Darüberhinaus verurteilte die Stadtregierung von Barcelona die jüngsten Vorkommnisse, bei denen italienische Behörden die Unterstützung Francisco Francos durch faschistische »Freiwilligenverbände« feierten und glorifizierten.

    Siehe auch: 01 || 01 02 03



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