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  • CasaPound-Aktion an Bozner Schule.
    Galateos Glaubwürdigkeit

    Mit einem großen Blatt Papier, auf dem Antifascismo = Mafia stand, ließ sich ein Schüler der Bozner Galileo-Galilei-Oberschule in einem Klassenraum ablichten. Anschließend wurde das Bild vom Blocco Studentesco, der Schüler- und Studentinnenorganisation der neofaschistischen CasaPound (CPI), im Internet geteilt — nicht ohne zuvor das Gesicht des mutigen Jungfaschisten unkenntlich gemacht zu haben.

    Der Vorfall ist Teil einer ganzen Reihe solcher Schändungen, die der Blocco auch in Italien an zahlreichen Schulen auf ähnliche Weise durchgeführt hat. Nicht nur die Schuldirektorin, Paola Burzacca, verurteilte die Aktion, sondern unter anderem auch der zuständige Landesrat Marco Galateo von den neofaschistischen Fratelli d’Italia. Von der Tageszeitung A. Adige wird er heute mit der Aussage zitiert, es handle sich um eine »sehr schlimme Geste, besonders weil sie in einer Schule stattgefunden hat«.1Übersetzung von mir – Original: Un gesto molto grave, soprattutto perché compiuto all’interno di una scuola.

    Stimmt. Wäre es zum Beispiel an der Wassermauerpromenade oder direkt am Sitz von CasaPound gewesen, hätte sich Galateo vermutlich gerne selbst daran beteiligt.

    Es ist ja auch wirklich sagenhaft: Die Faschokinder vom Blocco werden von einem Landesrat verurteilt, dem genau jetzt eine (milde) Schelte der SVP — pardon: ein »klärendes Gespräch« — für seine eigenen Auftritte mit CPI bevorsteht.

    Cëla enghe: 01 || 01 02

    • 1
      Übersetzung von mir – Original: Un gesto molto grave, soprattutto perché compiuto all’interno di una scuola.


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  • Eigenstaatlichkeit: Wutausbruch von Urzì an der TFO.
    Denkverbote

    Am Realgymnasium der TFO Meran hat am Montag eine Tagung über die Südtirolautonomie stattgefunden: Senatorin Julia Unterberger (SVP), der frühere Senator Oskar Peterlini (SVP), Senator Luigi Spagnolli (PD) und der Abgeordnete Alessandro Urzì von den neofaschistischen Fratelli d’Italia diskutierten dabei gemeinsam mit den Schülerinnen Linda Siebenförcher und Alexander Kiem mit den angehenden Maturantinnen.

    Als es kurz auch um die Möglichkeit der Eigenstaatlichkeit — und um das Buch Kann Südtirol Staat? — ging, triggerte das Urzì wieder einmal so sehr, dass er hoch emotional eine Erklärung von seinem Handy ablas, in der er die Loslösung von Italien wiederholt als »kriminell« bezeichnete.

    Eine demokratisch völlig legitime Idee wird von dem Rechtsaußen also, noch dazu in einer Diskussion mit Schülerinnen, kriminalisiert. Eine Aussage von Urzì, wonach der auch in seiner eigenen Partei präsente (Neo-)Faschismus »kriminell« sei, ist mir merkwürdigerweise nicht bekannt.

    Sein Verständnis von »kriminell« bezieht sich also eindeutig nicht auf die demokratische Grundordnung, sondern ausschließlich auf die italienische Nation. Nicht was erstere, sondern nur was zweitere in Frage stellt, hält er für unzulässig. So sehr sogar, dass er es offenbar normal findet, gegen die Freiheit, über eine Zukunft ohne Italien auch nur nachzudenken, antidemokratische Denkverbote zu verhängen.

    Stellt sich mir noch die Frage, warum Vertreterinnen solcher Parteien überhaupt an Südtirols Schulen eingeladen werden.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01



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  • Zweites spanisches Fernsehen nur noch auf Katalanisch.
    (in Katalonien)

    Die Corporació Catalana de Mitjans Audiovisuals (CCMA) der Generalitat de Catalunya betreibt derzeit sechs öffentlich-rechtliche Fernsehkanäle1TV3, El 33, TV3CAT, 3/24, SX3 und Esport3, vier Radiosender2Catalunya Ràdio, Catalunya Música, Catalunya Informació und iCat und zwei Streamingplattformen3EVA und 3Cat, wovon eine für Kinder und Jugendliche gedacht ist.

    All diese Angebote sind in katalanischer Sprache. Zudem hält die CCMA einen 30-prozentigen Anteil an der öffentlichen Nachrichtenagentur Agència Catalana de Noticies (ACN) und betreibt gemeinsam mit den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der Balearen (IB3) und des País Valencià (À Punt) den grenzüberschreitenden katalanischsprachigen Sender Bon Dia TV. Die Gemeinde Barcelona hat mit betevé einen städtischen Fernsehsender, der ebenfalls ausschließlich auf Katalanisch sendet.

    Doch auch der staatliche Rundfunk RTVE sendet — von Sant Cugat del Vallès bei Barcelona aus — täglich mehrere Fernsehstunden in katalanischer Sprache, die von den staatsweiten Sendern La 1, La 2 und 24 horas in Entkoppelung vom gesamtspanischen Programm gezeigt werden. Der Sender Ràdio 4 sowie die Webportale von RTVE Catalunya und Ràdio 4 sind vollständig auf Katalanisch.

    Nun wurde jedoch angekündigt, dass die öffentliche spanische Sendeanstalt den zweiten Kanal (La 2) in Katalonien im Laufe der kommenden zwei Jahre vollständig auf Katalanisch umstellen wird. Rund 20 Prozent seines Gesamtbudgets will RTVE dauerhaft in der Region investieren. Dies ist Teil einer neuen Einigung zwischen Junts und der spanischen Regierungspartei PSOE.

    Südtirol

    In Katalonien werden den Zuseherinnen dann acht vollwertige Fernsehsender der öffentlich-rechtlichen regionalen und staatlichen Anbieter in ihrer Landessprache zur Verfügung stehen — ein riesiger Unterschied zu Südtirol.

    Bei uns gibt es auf Landesebene keine öffentliche Sendeanstalt. Den Vorschlag, eine zu schaffen, hat der Landtag vor wenigen Jahren versenkt. Der örtliche Ableger des italienischen Staatsfernsehens Rai sendet — in Entkoppelung vom staatsweiten Programm — nur wenige Stunden täglich in deutscher und ladinischer Sprache. Auch einen vollwertigen öffentlich-rechtlichen Radiosender in deutscher oder ladinischer Sprache gibt es für Südtirol nicht.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08

    • 1
      TV3, El 33, TV3CAT, 3/24, SX3 und Esport3
    • 2
      Catalunya Ràdio, Catalunya Música, Catalunya Informació und iCat
    • 3
      EVA und 3Cat


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  • Der SSW bleibt im Bundestag.
    Rekordergebnis

    Bei der Bundestagswahl von 2021 hatte der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) sensationell den Wiedereinzug ins deutsche Parlament geschafft, und zwar zum ersten Mal seit 1949. Da die Partei der dänischen und friesischen Minderheit von der bundesweiten 5-Prozent-Sperrklausel befreit ist, muss sie nur die für einen einzelnen Sitz notwendigen Stimmen erreichen, um in den Bundestag zu kommen. Doch auch das ist bei weitem kein Selbstläufer.

    Wenige Monate später erzielte der SSW auch bei der Wahl in Schleswig-Holstein (2022) ein Traumergebnis, mit 5,7 Prozent das beste aller Zeiten. Seitdem stellt sie im Kieler Landtag vier von 69 Abgeordneten.

    Bei der gestrigen Bundestagswahl brach der SSW nun einen weiteren Rekord: Mit über 76.000 Listenstimmen wurde nicht nur das bereits sehr gute Ergebnis von 2021 (55.000 Stimmen) deutlich übertroffen, sondern auch das bislang beste von 1949 (gut 75.000 Stimmen). Erstmals konnte der Wählerverband der Minderheiten im Norden auch ein bereits errungenes Bundestagsmandat verteidigen. Stefan Seidler, der selbst zur dänischen Minderheit gehört, wird also auch weiterhin im deutschen Parlament sitzen und dort die Interessen der Däninnen und Friesinnen repräsentieren.



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  • Kann Südtirol etwa doch nicht Staat?

    In der Freitagsausgabe der TAZ ist ein zweiseitiger Gastbeitrag des ehemaligen Oberschuldirektors Gottlieb Pomella erschienen, in dem er sich mit Kann Südtirol Staat? von Noiland Südtirol-Sudtirolo befasst.

    Dass knapp zwei Jahre nach seinem Erscheinen noch ein so ausführlicher Beitrag in einem Tagblatt abgedruckt wird, spricht für die anhaltende Aktualität des Buches und des darin behandelten Themas. Obschon ich mit seinem Befund nicht einverstanden bin, freut mich Pomellas Stellungnahme außerordentlich, denn ein zentrales Anliegen der Publikation, an der ich auch mitgewirkt habe, war es, eine sachliche Debatte jenseits der üblichen Vorurteile anzuregen. Ich möchte ihm daher an dieser Stelle danken.

    Trotz des knackigen Titels (Südtirol kann nicht Staat), den die Tageszeitung ihm verpasst hat, weist der Autor in seinem Beitrag nicht nach, dass Südtirol nicht Staat könne, sondern stellt mehrere Aspekte und vor allem die Opportunität eines solchen Anliegens in Frage.

    Auf einige der von Pomella vorgebrachten Argumente möchte ich im Folgenden antworten, wobei ich vorausschicke, dass mein Beitrag weder inhaltlich mit Noiland Südtirol-Sudtirolo abgestimmt wurde noch in irgendeiner Weise als Stellungnahme des Vereins zu verstehen ist.1vgl. jedoch Hinweis vom 29.03. weiter unten


    In Bezug auf die im Buch genannten Kleinstaaten Island, Malta, Estland, Lettland und Litauen schreibt Pomella:

    Bei allen drei beschriebenen Beispielen [Island, Malta, Baltikum] handelt es sich um geographisch klar umgrenzte Gebiete und um eine Bevölkerung mit gemeinsamer geschichtlicher, kultureller und sprachlicher Identität. Dies trifft im Falle von Südtirol aufgrund seiner geschichtlichen Entwicklung und des Vorhandenseins dreier verschiedener Sprachgruppen so nicht zu.

    – Gottlieb Pomella

    In dem Buch wird klar gesagt, dass Südtirol nicht einen sprachlich und kulturell homogenen Nationalstaat anstreben sollte, sondern (wie Pomella in der Folge selbst einräumt) eine mehrsprachige Willensgemeinschaft, wie die Schweiz eine ist.2S. 26ff.

    Die Grenzen Südtirols sind zwar selbstredend nicht so eindeutig wie die der Inselstaaten Island und Malta, werden aber auch von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Wie wir alle wissen, sind die meisten Staaten der Erde keine Inseln und haben dementsprechend meist auch keine so eindeutigen Grenzen, doch das steht ihrer Staatlichkeit nicht entgegen.

    Die von Pomella ins Feld geführten baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) sind sogar sehr gute Gegenbeispiele. Denn anders als er schreibt, haben sie sich im Laufe der Jahrhunderte (einschließlich des 20. Jahrhunderts) sowohl territorial als auch sprachlich-kulturell teils sehr stark (vgl. z.B. 01) verändert. Noch heute sind sie sehr heterogen und beherbergen größere Sprachminderheiten, insbesondere russische und polnische.

    Auch der geographisch klar umrissene Inselstaat Malta ist übrigens sprachlich alles andere als homogen. Hier werden neben Maltesisch die Kolonialsprache Englisch und Italienisch gesprochen. Island war vor der staatlichen Unabhängigkeit auf dem Weg zur Dänisierung.

    Bezüglich des nötigen Einvernehmens zwischen den Sprachgruppen in Südtirol führt Pomella ins Feld, dass dies beim Südtirolkonvent nicht gelungen sei:

    Bei einem ersten zaghaften Versuch einer gemeinsamen Willensbildung anlässlich des Südtiroler Autonomiekonvents in den Jahren 2016-2017 konnte sich die sogenannte 33-Gruppe jedoch zu keiner mehrheitsfähigen Position in diesem Sinne durchringen.

    – Gottlieb Pomella

    Der partizipative Prozess des Konvents war zwar dafür gedacht, wo möglich einen Konsens zu erarbeiten, es war aber weder das Ziel, zu einer einheitlichen Position aller Teilnehmenden zu gelangen, noch, irgendwelche Mehrheiten zu ermitteln. Ganz im Gegenteil sollten die verschiedenen Sensibilitäten auch im Schlussdokument Platz finden. Daher kann er nicht als Beleg für die angebliche Unfähigkeit zur gemeinsamen Willensbildung dienen. Meines Wissens verliefen die Hauptbruchlinien auch keineswegs immer zwischen den Sprachgemeinschaften.

    Nicht zuletzt war es nicht die Aufgabe des Autonomiekonvents, eine Position im Sinne der staatlichen Unabhängigkeit zu erarbeiten, weshalb das Thema (trotz gegenteiligen Drucks einiger Mitglieder) nur am Rande behandelt wurde.

    Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Heterogenität der in Südtirol lebenden Bevölkerung kann nach Meinung der Autoren nur ein mehrsprachiges Staatsmodell angestrebt werden. Wie aber kann man den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung getrennt nach Sprachgruppen erheben? Und welche Mehrheit müsste dafür festgelegt werden? Eine einfache? Eine absolute? Eine qualifizierte? Weder im staatlichen noch im regionalen bzw. Landeswahlrecht ist eine Abstimmung getrennt nach Sprachgruppen vorgesehen.

    – Gottlieb Pomella

    Dieser Frage ist im Buch ein ganzes Kapitel (S. 70ff.) gewidmet. Es werden eine Reihe von Möglichkeiten aufgezeigt und Vergleiche gezogen, ohne eine Entscheidung vorwegzunehmen, die den Autorinnen nicht zusteht. Vor einer nach Sprachgruppen getrennten Abstimmung würde ich persönlich warnen, da sie demokratiepolitisch höchst problematisch ist. Ein im Buch aufgezeigter Ansatz ist aber die sogenannte »Sprachgruppensensibilität«:

    Die Konsequenz der Sprachgruppensensibilität: Bei einer solchen Volksabstimmung bedarf es für einen positiven Ausgang einer doppelten Mehrheit, d. h. einer einfachen Mehrheit der Abstimmenden, und zusätzlich einer einfachen Mehrheit in jenen Gemeinden, wo die betreffende Sprachgruppe die Bevölkerungsmehrheit bildet. Die sprachgruppenübergreifende Zustimmung ist für die Legitimität und Akzeptanz einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von grundlegender Bedeutung.

    – Kann Südtirol Staat? (S. 74)

    Das Hauptproblem sieht Pomella jedoch beim italienischen Nationalstaat:

    [D]as ist das eigentliche Problem an der ganzen Sache. Solange es den Menschen in Südtirol nicht schlecht genug geht, als dass sie die Schutzmacht Österreich anrufen und vor dem Europäischen Gerichtshof die Einhaltung der Menschenrechte einklagen könnten, bleibt nur der Weg des Dialogs und des demokratischen Verhandelns. Ist es schon schwer, eine Mehrheit für die Gründung eines eigenständigen Staates Südtirol innerhalb aller drei hier lebenden Sprachgruppen zu finden, so dürfte der Konsens seitens des zentralistisehen Nationalstaates Italien noch viel schwerer zu erreichen sein.

    – Gottlieb Pomella

    Wenn Schwierigkeiten ein Grund sind, von einem gegebenenfalls erwünschten Ziel Abstand zu nehmen, hätte Herr Pomella natürlich Recht. Da wir jedoch in einer Demokratie leben, bin ich der Meinung, dass politische Projekte formuliert und Visionen zum Ausdruck gebracht werden dürfen und sollen. Gibt es einen entsprechenden Willen vonseiten der Bevölkerung, wird sich auch das zentralistische Italien — und wird sich die internationale Gemeinschaft — über kurz oder lang nicht gänzlich verweigern können.

    Auch London hätte Schottland das Selbstbestimmungsreferendum von 2014 verweigern können, doch es ist anders gekommen. Und zahlreiche der heute unabhängigen Staaten sind von einer Ausgangsposition gestartet, die vielen aussichtslos schien.

    In turbulenten Zeiten wie diesen, mit einem US-amerikanischen Präsidenten, der die Palästinenser gegen ihren Willen aus ihrem Land aussiedeln will, der den von Russland angezettelten Ukraine-Krieg über die Köpfe Kiews hinweg und unter Ausschluss Europas zu inakzeptablen Bedingungen im Einvernehmen mit Putin zu beenden verspricht, der Kanada als 51. US-Bundesstaat annektieren und die Kontrolle über Grönland übernehmen möchte, finde ich die Beibehaltung des Status quo für Südtirol insgesamt zielführender als die unvermeidliche Eröffnung eines neuen internationalen Konfliktherdes.

    – Gottlieb Pomella

    Das ist Pomellas persönliche Meinung, die ich so nicht teile. Er zählt gegenwärtige Entwicklungen auf, deren Ausgang noch völlig offen ist und begründet damit, dass Südtirol auf seine Weiterentwicklung verzichten sollte, selbst wenn sie erwünscht wäre. Erfahrungsgemäß sind gerade in schweren Krisen (oder als deren Folge) neue Staaten entstanden — denken wir an die beiden Weltkriege oder an den Zerfall der Sowjetunion. Hätten Kolonien aus Respekt vor dem großen Leid, das der Zweite Weltkrieg verursacht hat, auf ihre Forderungen verzichtet, stünden sie wohl noch heute unter dem Joch der Kolonialstaaten.

    Eine weitere „Atomisierung” des so schon zersplitterten, häufig uneinigen und deshalb schwer handlungsfähigen Europa durch die Gründung eines neuen Kleinstaates würde Europas Position gegenüber den Großmächten Russland, China und den USA bestimmt nicht stärken und für Südtirol selbst nicht von Nutzen sein.

    – Gottlieb Pomella

    Das sehe ich sogar genau andersherum, auch wenn es vielen zunächst kontraintuitiv erscheinen mag. Kleine Staaten sind an politischer Kooperation und Integration viel interessierter — und auch viel mehr darauf angewiesen — als größere Staaten. Nicht Luxemburg oder Malta haben die EU verlassen und somit die europäische Position geopolitisch geschwächt, sondern das relativ große und starke Vereinigte Königreich.

    Die wesentlichen Bereiche unseres Lebens werden zusehends mehr durch die Europäische Union als durch die nationale Gesetzgebung des derzeitigen Zugehörigkeitsstaates Italien geregelt. Somit muss uns vermehrt an einer Stärkung Europas gelegen sein als an einer Einigelung in eine Alpenrepublik.

    – Gottlieb Pomella

    Von einer Einigelung könnte wohl nicht die Rede sein, weil eben kleine Staaten sehr offen und kooperativ sein müssen. Es geht mehr darum, auf internationaler europäischer Ebene mehr Mitspracherechte zu haben und nach innen Lösungen finden zu können, die die vielschichtige Realität unseres Landes besser berücksichtigen, als sich in irgendeiner Weise abzuschotten.

    Eine solche Abkapselung würde außerdem weder den Zustrom von Migranten wirkungsvoll eindämmen, noch dem vielfach beklagten „brain drain” entgegenwirken. Gut ausgebildete Südtiroler, egal welcher Sprache, die im Ausland um mehr Geld eine bessere Arbeit finden, werden durch eine zusätzliche Grenzziehung nicht gerade animiert ihr Wirkungsfeld in die Heimat zu verlegen.

    – Gottlieb Pomella

    Bezüglich Migration sehe ich das ähnlich wie Herr Pomella. Allerdings halte ich das persönlich auch nicht für eine Priorität. Er jedoch widerspricht sich in dem Absatz selbst: Warum sollte eine Grenze, die den Zustrom von Migrantinnen nicht einschränken kann, ausgerechnet Südtirolerinnen davon abhalten, in ihre Heimat zurückzuziehen? Einiges spricht für das Gegenteil: Gehälter wären in einem unabhängigen Staat eher an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten angepasst als heute, wo Löhne (im öffentlichen Dienst oder per Kollektivvertrag) oft auf zentralstaatlicher Ebene festgelegt werden. Die Verwaltung eines Staates würde die Schaffung attraktiver Arbeitsplätze mit sich bringen, die es heute nur außerhalb Südtirols gibt. Und schließlich verhindert die restriktive italienische Anerkennungspolitik von Studienabschlüssen (01 02) bei vielen, dass sie nach dem Studium im Ausland überhaupt zurückkehren können. Ob sie am Brenner eine Grenze zwischen Österreich und Italien oder eine zwischen Österreich und Südtirol überschreiten, dürfte hingegen den meisten egal sein.

    Für hochqualifizerte und international vernetzte Menschen ist ein starkes, oftenes Europa als Betätigungsfeld wohl attraktiver als ein kleiner Alpenstaat.

    – Gottlieb Pomella

    Diese Dichotomie halte ich wie schon gesagt für einen Fehlschluss. Tatsache ist, dass in kleinen EU-Staaten mitunter die diverseste, internationalste Bevölkerung anzutreffen ist.

    Und schließlich: Hätten wir für die Führung und Verwaltung eines eigenständigen Staates Südtirol das notwendige qualifizierte “Personal”?

    Wenn ich an die vielen misslungenen Ausschreibungen öffentlicher Dienste, an die annullierten Wettbewerbe zur Besetzung von Führungspositionen, an die mangelhafte Vernetzung innerhalb des Sanitätsbereichs und schließlich an die drohende Annullierung der Ausschreibung der Brennerautobahn-Konzession denke, an der unsere Volksvertreter jahrelang mit Rom herumgefeilscht haben, dann habe ich große Bedenken. Solange derlei Missgeschicke in einer, wenn auch, autonomen Provinz passieren, bleiben es Provinzpossen. Würde Südtirol Staat, wären es Staatsaffären.

    – Gottlieb Pomella

    Mir ist ehrlich gesagt kein Staat der Erde bekannt, der aufgrund von Personalmangel nicht funktionstüchtig wäre. Wie gesagt, würden die neu geschaffenen Stellen voraussichtlich einige hoch qualifizierte Südtirolerinnen ins Land zurückkehren lassen, die heute beispielsweise in Wien oder Rom arbeiten. Genauso wäre es wohl möglich, mit passenden Löhnen und Perspektiven Menschen aus dem Ausland anzulocken. Nicht zuletzt die Südtiroler Universität zeigt, dass es möglich ist, gut ausgebildete Fachleute hierher anzuziehen.

    Einige der von Pomella aufgezählten »Missgeschicke« sind durch die überaus bürokratische und widersprüchliche staatliche Gesetzgebung überhaupt erst passiert. Andere beruhen darauf, dass die italienische Rechtslage nicht für föderale Lösungen gedacht ist und sich auch das autonome Südtirol nur bedingt davon ausklinken kann. Das wäre in einem unabhängigen Staat anders.

    Völlig affären- oder skandalfreie Staaten gibt es aber nicht, das sollte also auch nicht unser Anspruch sein. Gerade Italien ist doch alles andere als ein Beispiel für Perfektion, Südtirol hätte also genug Spielraum, es zumindest deutlich besser zu machen. Dass dies gelingen könnte, legen unter anderem die Daten nahe, die unserem Land in sehr vielen Belangen eine im Vergleich mit Italien überdurchschnittliche Performance bescheinigen.

    Auf die Rezeption der italienischen Ausgabe [von Kann Südtirol Staat?] seitens der italienischsprachigen Südtiroler*innen können wir gespannt sein und auf diese kommt es im Endeffekt auch an. Eine pure Übersetzung des vorliegenden Textes ins Italienische dürfte der Konsensfindung nicht genügen. Zu deutlich ist in manchen Teilen der Abhandlung, allen Bemühungen der Autoren zum Trotz, die Position aus der Perspektive der deutschsprachigen Südtiroler.

    – Gottlieb Pomella

    Die italienische Fassung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein hinreichender Beitrag zur Konsensfindung sein, das sehe ich genauso. Allerdings ist es ein erstes Angebot dieser Art, bei dem sich mehrere Autorinnen ernsthaft mit der Angelegenheit auseinandergesetzt haben. So gesehen stellt es zumindest eine Grundlage für einen möglichen Dialog aller hier lebenden Menschen unabhängig von ihrer Sprache dar. Mehr will das Buch zumindest aus meiner Sicht nicht sein, doch das ist schon viel mehr, als es bisher gab.

    Insgesamt kann man sagen, dass viele der von Pomella aufgeworfenen Fragen bereits im Buch beantwortet werden, weshalb ich allen, die das Thema interessiert, die Lektüre nur empfehlen kann.


    Hinweis vom 29. März 2025: Dieser Beitrag ist in leicht abgeänderter Form als Antwort des Vereins Noiland Südtirol-Sudtirolo in der TAZ vom 28. März 2025 erschienen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 | 06

    • 1
      vgl. jedoch Hinweis vom 29.03. weiter unten
    • 2
      S. 26ff.


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  • Der CAI rückt Raubgut nicht heraus.

    Für die vorletzte ff-Ausgabe (Nr. 6/2025) hat Andrej Werth in Bezug auf den italienischen Alpinclub CAI einen Fall nachgezeichnet, den ich als veritablen Skandal bezeichnen würde.

    Im Jahr 1923 war der Bozner Alpenverein von den Faschisten aufgelöst worden, kurz darauf wurden »eine umfangreiche Alpinbibliothek sowie verschiedene Korrespondenzen, Schriftstücke und Dokumente aus dem ehemaligen Vereinssitz« (ff) an den CAI übergeben. Seitdem streift die Nutznießer dieses historischen Unrechts der Gedanke offenbar nicht im entferntesten, den enteigneten Bestand an seine rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Ganz im Gegenteil: Obschon der nach dem Zweiten Weltkrieg als Nachfolger des aufgelösten Alpenvereins gegründete AVS nachweislich seit spätestens 1991 die Rückgabe fordert, weigert sich der CAI angeblich beharrlich, das Raubgut herauszurücken.

    Sogar von einer Erpressung berichtet Werth in seinem Bericht: Im Jahr 2007 soll der CAI mitgeteilt haben, dass er die Bibliothek zurückgeben würde, wenn der AVS nicht mehr ausschließlich deutschsprachige Schilder aufstelle. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Das Eigentum eines von den Faschisten zum Zwecke der sprachlich-kulturellen Assimilierung verbotenen Vereins wird als Faustpfand missbraucht, um die Enteigneten dazu zu zwingen, gegen ihren Willen Ortsbezeichnungen zu gebrauchen, die von den Faschisten zu ebendiesem Zweck erfunden und aufoktroyiert wurden. Sowas kann man sich noch nicht einmal ausdenken.

    Jetzt, wo der AVS sich dem faschistischen Erbe ohnedies gebeugt hat, soll der Präsident des Bozner CAI, Maurizio Veronese, dem Alpenverein im Jahr 2024 höhnisch mitgeteilt haben, dass die geraubten Bestände mit jenen des italienischen Alpinclubs ein »einheitliches und untrennbares Kulturgut« darstellen würden.

    Hier fehlt nicht nur jegliches Schuldbewusstsein, die Früchte der Zusammenarbeit mit dem faschistischen Regime — zu denen bis heute auch enteignete Hütten gehören — werden vielmehr sogar noch selbstbewusst zur Schau getragen und als Grundlage für weitere Forderungen benutzt.

    Das sagt viel über den CAI, aber auch über unsere Autonomie aus, die nach wie vor in Teilen auf dem Fundament steht, das vor 1945 errichtet wurde.

    Zur Tatsache, dass Maurizio Veronese weder mit der ff reden noch ihre schriftliche Fragen beantworten wollte, erübrigt sich wohl jeder Kommentar.

    (Und dieser kolonialistische Verein wurde erst kürzlich mit offenen Armen in den Dachverband für Natur- und Umweltschutz aufgenommen.)

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 | 07 08 | 09 | 10



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  • Espresso cancellato.
    ESC: Lega goes woke

    Falls es vor mir noch niemand gesagt hat — ich glaube, die Satire ist tot. Ein aktuelles Beispiel: Der estnische Rapper Tomas Tammemets (aka Tommy Cash) erdreistet sich in seinem ESC-Song Espresso Macchiato, einen englischen Text mit klischeehaften italienischen Brocken (Spaghetti, Mafia… Stresso) zu vermischen. Weckt vage Erinnerungen an die EAV.

    Solch eine »Unverfrorenheit« ruft unverzüglich die italienische Regierungsmehrheit auf den Plan: Rechtsradikale Politiker, selbst nie um eine rassistische, misogyne oder queerfeindliche Wortmeldung verlegen, fordern — humorlos und wehleidig wie sie sind — allen Ernstes, der Song möge vom nächsten ESC ausgeschlossen werden.

    Wenn es um die eigene, ach so überlegene Nazione geht, sind Wokeness und Cancel Culture auch für Machos wie Vize-Senatspräsident Gian Marco Centinaio von der Lega plötzlich kein Tabu mehr.

    Berufskomödianten sollten sich spätestens jetzt nach einem neuen Job umsehen.

    Cëla enghe: 01 | 02 | 03



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  • Bozen: Der LVH mit FdI und Lega.

    Der Landesverband der Handwerker (LVH) gilt traditionell als politische Vorfeldorganisation der SVP. Wenn er einmal ausnahmsweise einen Kandidaten einer anderen Partei unterstützt, ist das dementsprechend ein besonders auffälliges Signal. Genau das tut er jetzt in Hinblick auf die anstehenden Gemeinderatswahlen in der Landeshauptstadt, indem er sich Claudio Corrarati regelrecht um den Hals wirft.

    »Wir werden ihn unterstützen, weil er der ideale Kandidat für Bozen ist und wichtige Themen vorantreiben kann«, erklärt lvh-Präsident Martin Haller.

    LVH-Pressemitteilung

    Den erst heute offiziell bestätigten Bürgermeisterkandidaten einer rechten italienischen Koalition, die weit in den Radikalismus und in den Extremismus hineinreicht, unterstützt man beim LVH geradezu enthusiastisch, während Stephan Konder (SVP) fast schon plakativ links liegen gelassen wird. Für den Handwerksverband scheint nur zu zählen, dass Corrarati selbst ein Unternehmer ist — wiewohl er nicht dem LVH angehört. Diese Eigenschaft allein macht ihn offenbar zum perfekten Kandidaten und lässt jegliche Bedenken verfliegen.

    »Wir habe[n] die Chance, einen wirtschaftsnahen Kandidaten für Bozen zu unterstützen, und wir werden sie ergreifen«, betont Hannes Mussak, lvh-Vizepräsident und Obmann des lvh-Bezirks Bozen Stadt.

    – LVH-Pressemitteilung

    Themen wie Zusammenleben, Minderheitenschutz, Ausländerfeindlichkeit, Klimakrise — um nur einige zu nennen — sind für Handwerkerinnen wohl unerheblich.

    Geradezu absurd ist die uneingeschränkte Empfehlung von Corrarati aber auch, da der Kandidat des Bündnisses, das den scheidenden Bürgermeister stellt, noch gar nicht feststeht. Er oder sie könnte also noch so gute Ideen haben, der LVH hat sich aber jetzt schon für die andere Seite entschieden — zu der auch die neofaschistischen Fratelli d’Italia zählen.

    Cëla enghe: 01 || 01 02



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