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  • Grenzänderung als Lösung.
    Boxing Pandora

    Das katalanische Nachrichtenportal Vilaweb hat kürzlich ein Interview dem Autor des Buches Boxing Pandora (Yale University Press), Timothy William Waters, geführt. Der frühere Mitarbeiter des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien ist heute Professor und Forscher an der Maurer School of Law und stellvertretender Direktor des Center for Constitutional Democracy. In seinem Buch plädiert er für die Änderung von Grenzen und die Gründung neuer Staaten.

    Status Quo und Gewalt

    Die Büchse der Pandora zu öffnen sei gefährlich. Viele brächten Unabhängigkeitsbestrebungen mit Chaos und Gewalt in Verbindung. Waters’ These: das extakte Gegenteil ist der Fall. Die Beharrlichkeit, mit der die Büchse verschlossen, die heutigen Staaten unverändert gelassen werden, sei der wahre Grund für die Gewalt. Ließe man zu, dass sich Gemeinschaften friedlich umorganisieren, würden sich Chaos und Gewalt verringern. Das aktuelle System, wonach Grenzen nicht angerührt werden dürfen, sei zu hinterfragen, genauso wie die Auffassung, dass deren unveränderliche Beibehaltung die Welt stabilisiere.

    In seinem Werk, so Waters im Interview, vertrete er den Standpunkt, dass die Unabhängigkeit nicht das Problem, sondern die Lösung sei. Natürlich gebe es eine Korrelation zwischen Independentismus und Gewalt — doch ersterer sei nicht die Ursache für zweitere. Das Problem sei hingegen der gewaltsame Widerstand gegen die Unabhängigkeit. Da wo es — wie in Kanada, Schottland oder Tschechoslowakei — ein Einvernehmen gegeben hat, sei es zu keiner Gewalt gekommen, obschon die Unabhängigkeit genauso wie andernorts im Raum stand. In Katalonien und anderswo sei es hingegen der Staat gewesen, der für Gewalt gesorgt habe. Im Kosovo seien die Unabhängigkeitsbefürworter:innen lange Zeit fast »ghandianisch« vorgegangen — in den 1980er Jahren. Gewalttätig seien sie wegen des Widerstands des Staates geworden.

    Vorklassische und klassische Welt

    Die heutige Welt (ab 1945) bezeichnet Waters als »klassisch«, jene von Woodrow Wilson als »vorklassisch«. Wilson habe noch die Ansicht vertreten, Grenzen sollten sich nach der Identität, nach der Ethnie richten. Seit dem Zweiten Weltkrieg herrsche hingegen die Auffassung vor, dass die Grenzen fix sind. Selbstbestimmen dürfe sich demnach nur die Bevölkerung der bereits existierenden Staaten. Im Jahr 1945 sei das noch revolutionär gewesen, weil damit die Entkolonialisierung ermöglicht wurde — wobei jedoch die kolonialen Grenzziehungen beibehalten wurden. Wie radikal das auch ausgesehen haben möge, es sei sehr konservativ gewesen, da die Menschen nicht gefragt wurden, ob sie in den zuvor aufgezwungenen Grenzen zusammenleben wollen.

    Die ursprüngliche Idee von Wilson (und auch Lenin) sei es gewesen, dass eine Gemeinschaft, die eine »Nation« darstellt, einen eigenen Staat haben darf. Das sei kompliziert, weil es auf dem Konzept der Ethnizität oder der »Rasse« beruhe. Die heute vorherrschende Idee — Selbstregierung im Rahmen bestehender Grenzen — sei aber das exakte Gegenteil von dem, was einst mit Selbstbestimmung gemeint war.

    Remedial secession

    Am Verständnis der Sezession als Notwehrrecht im Fall von schwerer Diskriminierung oder Unterdrückung kritisiert Waters, dass es nicht nur selten zur Anwendung kommt, sondern in der Regel auch »zu spät kommt« und »perverse Anreize« schafft. Gemeinschaften sollten nicht erst unabhängig werden dürfen, wenn es zuvor Tote oder Krieg gegeben hat.

    Ghandis Weg sei intelligent und human gewesen, habe jedoch auf die Tatsache setzen können, dass das britische Empire zwar in vielerlei Hinsicht brutal, die damalige britische Gesellschaft aber offen, human und liberal war und keine gewaltsamen Konflikte wollte.

    Mögliche Lösung

    Waters schlägt vor, das derzeitige, viel zu starre Modell zu überwinden. Eine Rückkehr zu Wilson sei nicht sinnvoll, denn der politische Wille solle wichtiger sein als die Ethnie. Seiner Meinung nach wären deshalb Referenda die ideale Lösung. Außerdem empfiehlt er eine pragmatische Schwelle von einer Million Einwohner:innen — »es könnten aber auch zwei, fünf oder eine halbe Million sein« — um absurden Forderungen von Einzelpersonen, die unabhängig werden wollen, vorzubeugen. Eine Mehrheit von über 50% könnte reichen, um einen neuen Staat zu gründen, eine »Supermehrheit« von 70% wäre aber selbstverständlich besser.

    Kaskadenreferenda

    Teile einer Region, die unabhängig wird, könnten wiederum Gegenabstimmungen abhalten, um beim alten Staat zu verbleiben. Und Teile von Gebieten, die beim alten Staat verbleiben wollen, könnten dann erneut Abstimmen, um sich doch dem neuen Staat anzuschließen. Damit, so Waters, käme es zu Grenzziehungen, die der Realität besser entsprechen. An den Grenzen zwischen Deutschland und Polen sowie Österreich und Jugoslawien habe es so etwas in Ansätzen bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegeben.

    Ausblick

    Kurz- und mittelfristig, denkt Waters, werde es auf breiter Ebene nicht zu den erwünschten Änderungen kommen. Die Vereinten Nationen würden sich seinen Vorschlag wohl (noch) nicht zueigen machen. Es gehe aber darum, die Debatte zu führen und den demokratischen Willen der Menschen zu respektieren. Um solche Grundwerte gehe es und man müsse Druck ausüben, damit die etablierten Staaten demokratische Wünsche ernster nehmen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01 02 03



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  • L’Istria aperta e il Sudtirolo chiuso.

    Il giornalista Massimiliano Boschi è stato in Istria, nella parte sotto giurisdizione slovena, e in seguito ha scritto un pezzo sulla minoranza italiana ivi residente per il settimanale sudtirolese ff.

    Nell’Istria slovena sembrano, innanzitutto, rendersi conto che difficilmente sarà il mondo ad adattarsi a comunità piccole e di confine e che rinunciare a utilizzare il passato come una clava e scegliere di dialogare invece che recriminare, migliora la qualità della vita ancor prima che della convivenza.

    – Massimiliano Boschi (ff n. 19/23)

    Ritengo che quella appena citata sia la frase dell’articolo che meglio riassume il Boschi-pensiero:

    • Primo, la minoranza italiana in Istria è «realista» e «buona», perché arrendevole; essa ha capito che non bisogna aspettarsi troppo, che il mondo se ne frega delle minoranze e —ritornello — non si adatterà certo alle realtà plurilingui.
    • Secondo, i sudtirolesi di lingua tedesca (e ladina, forse) invece sono ottusi, non vogliono dialogare e utilizzano il passato come una clava, mentre sarebbe ora di finirla, di rinunciare e far finta di nulla.

    Altrimenti detto: un membro della maggioranza nazionale italiana, tutelata al 100%, su un settimanale in lingua tedesca scrive — liberamente dialogando, e in italiano — che la minoranza nazionale tedesca non è disposta a dialogare, e che invece sarebbe meglio se la smettesse di rompere le scatole.

    Come d’altronde pare facciano gli italiani in Istria, ammesso e non concesso che sia vero.

    [P]er due mandati consecutivi, tra il 2010 [e] il 2018, è stato eletto sindaco di Pirano Peter Bossmann, nato in Ghana con il nome Kweku. È stato il primo sindaco nero dell’intera Slovenia. Quando potrà capitare anche in Alto Adige?

    – Massimiliano Boschi (ff n. 19/23)

    Domanda retorica, alla quale c’è un’unica risposta: mai, perché i sudtirolesi sono arretrati, chiusi e razzisti.

    Il suo giudizio positivo sulla convivenza tra lingue diverse in Istria, Boschi lo motiva citando una conversazione tra due signore in un locale di Izola/Isola, che passano senza problemi dallo sloveno al veneto e viceversa. Come se questo in Sudtirolo, col tedesco e l’italiano, non fosse all’ordine del giorno.

    E come già nei suoi articoli sull’Ostbelgien, poi, anche in questo caso fa notare con una certa insistenza che la toponomastica in Istria è bilingue. Fingendo di non capire (o non capendo davvero) che praticamente nessuno in Sudtirolo si oppone alla toponomastica bilingue nei casi in cui, come in Istria, entrambe le versioni sono storicamente fondate, ma solo dove quella «italianeggiante» è stata inventata da Ettore Tolomei e imposta dai fascisti.

    Infine, presumibilmente per sottolineare il pragmatismo istriano, cita il caso dei poliziotti del territorio monolingue sloveno che, in quanto «possono sorgere problemi di comunicazione», si sono «attrezzati per fare in modo che chi parla italiano possa spiegarsi nella sua lingua potendo sempre comunicare via radio con un operatore in centrale in grado di tradurre».

    Forse sbagliando deduco che:

    • i poliziotti del territorio bilingue in Istria sono veramente bilingui, cosa che in Sudtirolo non è per nulla garantito;
    • in Slovenia perfino i poliziotti del territorio monolingue si attrezzano per garantire il bilinguismo, pura fantascienza in Italia fuori dal Sudtirolo (se non eventualmente per i turisti);
    • in Istria, diversamente dal Sudtirolo, si è capito che nonostante il bilinguismo diffuso degli istriani di lingua italiana, descritto da Boschi, l’eventuale monolinguismo della polizia può creare difficoltà.

    Ma io che ne so, probabilmente starò usando l’Istria come una clava. E me ne scuso.

    Ad ogni modo, mentre en passant riferisce che (nonostante l’apertura mentale) anche in Istria le scuole sono separate per lingua e che gli sloveni di lingua italiana, per eleggere rappresentanti italiani, devono iscriversi in apposite liste (qui da noi si griderebbe alla schedatura etnica), Massimiliano Boschi «dimentica» che gli italiani di Slovenia hanno diritto alla doppia cittadinanza (qui da noi si griderebbe alle opzioni), dispongono di passaporti sloveni in lingua italiana e godono di servizi statali plurilingui che i sudtirolesi si sognano.

    Sono comunque già curioso di sapere quale minoranza molto più aperta e avanzata della nostra (praticamente tutte) Boschi sceglierà la prossima volta per dimostrare quanto arretrati siamo.

    Cëla enghe: 01 02 || 01



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  • Zweisprachige Carabinieri. Und Mossos d’Esquadra.

    Bei einem staatsweiten Wettbewerb zur Rekrutierung 3.763 neuer Carabinieri sind 32 Plätze auch für zweisprachige Anwärterinnen vorgesehen, die ihren Dienst in Südtirol oder bei Stellen mit regionaler Zuständigkeit verrichten sollen. Dies gab das Landespresseamt jüngst bekannt. Verlangt wird das B1-Sprachniveau (nach GERS).

    Die zur Erlangung dieses Niveaus (»Mittelstufe«) erforderlichen Fähigkeiten werden so beschrieben:

    Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

    – Quelle: Goethe-Institut

    Zum Vergleich: Katalonien hat seine eigene vollwertige Polizei (Mossos d’Esquadra), die — wie in deutschen Bundesländern — einem autonomen Landesinnenministerium unterstellt ist.

    Derzeit läuft ein Auswahlverfahren für 850 neue einfache Mossas, wovon mindestens 340 Plätze Frauen vorbehalten sind. Zu den Aufnahmekriterien gehören Katalanischkenntnisse auf C1-Niveau:

    Auszug aus der Wettbewerbsbeschreibung

    C1 ist das zweithöchste Niveau der GERS-Skala und liegt zwei Stufen über dem, was die »Südtiroler« Carabinieri nachweisen müssen. Es wird folgendermaßen beschrieben:

    Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.

    – Quelle: Goethe-Institut

    Wir halten fest: in Katalonien brauchen alle Mossas Kenntnisse der Landessprache auf dem höheren C1-Niveau. In Südtirol (Vorzeigeautonomie!) gibt es für staatliche Polizeikräfte hingegen gar kein vorgeschriebenes Niveau, lediglich der Dienst muss (bzw. müsste) theoretisch so organisiert sein, dass er zweisprachig abläuft. Dafür werden einige Beamte mit Sprachkenntnissen auf dem — im Vergleich mit Katalonien zwei Stufen niedrigeren — B1-Sprachniveau aufgenommen.

    Überdies zählen zu den  Voraussetzungen für die Aufnahme in den Dienst als Mossa Kenntnisse in folgenden Themenfeldern, die beim Wettbewerb geprüft werden: Geschichte Kataloniens (Teil 1 und Teil 2); Geschichte der katalanischen Polizei; soziolinguistisches Umfeld; Geographie Kataloniens; gesellschaftliches Umfeld in Katalonien; Informationstechnologien des 21. Jahrhunderts; das Autonomiestatut; politische Institutionen Kataloniens; das staatliche Rechtsgefüge; Menschen- und Grundrechte; politische Institutionen des Staates; Justiz; territoriale Organisation des Staates; Europäische Union; Sicherheitszuständigkeiten der Generalitat; das katalanische Innenministerium; Polizeikoordination; Gesetzeslage im Sicherheitsbereich; Polizeideontologie; politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld.

    Damit wird sichergestellt, dass die Polizeikräfte mit der besonderen Lage in Katalonien vertraut sind — was man von den Carabinieri, mit oder ohne Zweisprachigkeitsnachweis, so wohl nicht erwarten kann.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01



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  • Verdrossen oder zufrieden?
    Quotation

    Überall in Europa nimmt die Wahlbeteiligung ab und die Politikverdrossenheit zu. Woran krankt die Politik?
    Ich würde das eine nicht mit dem anderen vermischen. Eine geringe Wahlbeteiligung ist nicht zwingend gleichbedeutend mit Politikverdrossenheit. Sie kann — ganz im Gegenteil — auch bedeuten, dass die Menschen zufrieden sind mit dem Status quo. Zufriedene sind erfahrungsgemäß schwieriger zu mobilisieren als Unzufriedene.

    Wer nicht wählen geht, ist tendenziell zufrieden?
    Nein, so lässt sich das auch nicht sagen. Menschen können die Wahlurnen aus Zufriedenheit genauso fernbleiben wie aus Verdrossenheit. Die Wahlbeteiligung taugt nicht als Qualitätsmerkmal einer Demokratie. Ich halte eine Wahlenthaltung von bis zu einem Drittel für nicht problematisch, unter einer Bedingung: Sie darf sich nicht stark nach sozio-demografischen Gruppen unterscheiden.

    Die jüngeren Generationen sind nicht weniger politisch, suchen sich aber andere Wege. Zum Beispiel protestieren sie auf der Straße, weil sie davon ausgehen, so mehr bewirken zu können.

    Auszüge aus einem Interview von SWZ-Chefredakteur Christian Pfeifer mit der Politik- und Rechtswissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle (erschienen in Ausgabe Nr. 17/23).



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  • Französisch-Polynesien wählt Sezessionistinnen.

    Bei Wahlen, die am 16. und 30. April stattgefunden haben, konnte die separatistische Linke Tāvini Huiraʻatira in Französisch-Polynesien (Pōrīnetia Farāni) 38 von 57 Sitzen in der Territorialversammlung erringen. Dank diesem Erdrutschsieg verfügt die Partei im eigenen Landesparlament erstmals über eine eigene, solide Mehrheit. Zum Vergleich: Bei der vorhergehenden Wahl (2018) hatten die Unabängigkeitsbefürworterinnen nur acht Sitze errungen. Das jetzige Ergebnis bedeutet also nahezu eine Verfünffachung.

    Schon seit 2022 stellt die Partei im französischen Parlament sämtliche Polynesien zustehenden Abgeordneten (vgl. 01).

    Es wird nun erwartet, dass das Parlament von Pōrīnetia Farāni den Kandidaten von Tāvini Huiraʻatira, Moetai Brotherson, zum neuen Präsidenten wählt. Der will dann mit Frankreich über die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums verhandeln. Im Vorfeld der Wahl hatte Tāvini Huiraʻatira den Urnengang zu einem De-Facto-Referendum über die Loslösung von Frankreich erklärt — und war damit erfolgreich. Dementsprechend versteht die Partei den Wahlsieg als Auftrag, den Bürgerinnen des Südpazifikstaats die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Kaum Deutsch vor Gericht.

    In einem Land, in dem knapp 70% der Bevölkerung der deutschen Sprachgruppe angehören, werden 80% bis 90% der Strafverfahren in der Staatssprache Italienisch geführt. Dies berichtet Rai Südtirol unter dem Titel Deutsch ist vor Gericht eine Seltenheit — in Berufung auf Stefan Tappeiner, Präsident der Strafsektion am Bozner Landesgericht.

    Genauere Daten, wie sie für eine seriöse Sprachpolitik erforderlich wären, gibt es wohl auch in diesem Bereich nicht.

    Jahrzehntelang war die Mehrheitssprache der Südtirolerinnen auch aus diesem sensiblen Feld ausgeschlossen.

    Anlass für die Berichterstattung von Rai Südtirol ist, dass hierzulande (erst) seit dreißig Jahren — also fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs — wieder Prozesse in deutscher Sprache möglich sind.

    Zudem gestalte[n] sich die Übersetzungen vieler Begriffe laut Richter Tappeiner oft als schwierig. “Bestimmte Nuancen werden vielleicht nicht ganz korrekt übersetzt. Gerade deswegen versuchen wir immer Prozesse so abzuwickeln, dass jeder in seiner Muttersprache aussagen kann und dass dann auf eine Übersetzung verzichtet werden kann.”

    – Rai Südtirol

    In konstitutiv mehrsprachigen Staaten mit mehrsprachig abgefassten Gesetzen und speziell geschultem Personal1z.B. Schweiz, Kanada, Belgien, Finnland…, wie auch Südtirol einer sein könnte, stellen derartige Herausforderungen keine besonderen Probleme dar. Auch die internationale Gerichtsbarkeit (EGMR, EuGH etc.) funktioniert völlig normal in mehreren Sprachen.

    Dass die überwältigende Mehrheit der Strafprozesse hierzulande noch drei Jahrzehnte nach Wiedereinführung der deutschen Sprache auf Italienisch abgehalten wird, ist jedoch ein klares Symptom der fortdauernden Minorisierung der deutschen Sprache (vgl. 01 02).

    Laut Astat-Sprachbarometer2in der aktuellsten Fassung von 2014 gaben 9,2% der Deutschsprachigen an, dass ihnen in den zwölf Monaten vor der Befragung das Recht auf Gebrauch der Muttersprache vor Gericht verwehrt worden sei. Wenn man berücksichtigt, dass gar nicht so viele Menschen überhaupt je mit Gerichten in Berührung kommen, mutet dieser Anteil enorm an.

    Vor einigen Jahren hatte es der frühere Gerichtspräsident Heinrich Zanon folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Trotz Zweisprachigkeitsnachweis seien viele Richterinnen gar nicht imstande, ein Urteil auf Deutsch zu verfassen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02 03

    • 1
      z.B. Schweiz, Kanada, Belgien, Finnland…
    • 2
      in der aktuellsten Fassung von 2014


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  • Il pionierismo razzista dei fascisti in Sudtirolo.
    Quotation · Francesco Filippi

    Tutti gli europei all’inizio del Ventesimo secolo sono razzisti. La differenza tra Mussolini e gli altri rappresentanti del continente bianco è che lui è il primo leader che tematizza e costruisce a livello politico l’idea del razzismo e lo fa con politiche dirette alla costruzione di una apartheid di fatto. Come negli anni ’20 lungo il confine orientale, quando prende il potere e inizia le operazioni di deslavizzazione delle terre a Est. O quando, negli stessi anni, avvia la brutale repressione dell’elemento tedesco nelle nuove terre dell’Alto Adige. La nazionalizzazione di quei territori era già stata avviata dai governi liberali, ma lui opera in maniera scientifica, sistematizzando il razzismo di Stato a partire dalla chiusura delle scuole, dall’eliminazione della lingua e della cultura, fino alla cancellazione dell’identità con l’italianizzazione di nomi e cognomi.

    Francesco Filippi, storico e autore di libri sul fascismo, intervistato dal Fatto Quotidiano (stralcio). Enfasi ripresa dall’originale.

    Serie I II

    Cëla enghe: 01 02 || 01



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  • DFB zur Wettbewerbssprache.
    Proporzumgehung

    Am 4. Mai hat die rechtsrechte Regierung von Giorgia Meloni (FdI) ihre ersten beiden Durchführungsbestimmungen (DFB) zum regionalen Autonomiestatut genehmigt, wovon eine speziell Südtirol und den Minderheitenschutz betrifft. Die »Brüder Italiens« bringen sich damit weiterhin als künftige Partner der SVP nach der nächsten Landtagswahl in Position.

    Aufgrund der jetzt erfolgten Abänderung müssen Kandidatinnen fortan zumindest eine der allfälligen schriftlichen und in jedem Fall die mündliche Prüfung zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst in jener Sprache (Deutsch oder Italienisch) ablegen, der sie sich zugehörig erklärt bzw. zugeordnet haben — und für deren Gruppe sie die Stelle besetzen möchten.

    Damit soll insbesondere die Praxis erschwert werden, dass Bewerberinnen aus reinem Opportunismus jene Sprachgruppe wählen, die ihnen bei Wettbewerben aufgrund des Proporzes bessere Erfolgsaussichten verspricht (vgl. 01), ohne die jeweilige Sprache auch tatsächlich zumindest so gut zu beherrschen, dass sie damit eine Prüfung bestehen könnten.

    Bislang konnte auf diesem Weg der Minderheitenschutz ad absurdum geführt werden, indem Stellen besetzt wurden, die eigentlich der anderen Sprachgruppe zustehen würden.

    Es ist zu sagen, dass diese DFB schon 2021 von der Sechserkommission verabschiedet worden war. Sie führt nicht zu einem Ausbau der Autonomie, sondern lediglich zu einer (durchaus wichtigen) Präzisierung von Minderheitenschutzmaßnahmen. Außerdem liegt die Norm durchaus im Interesse der italienischen Rechten, da sie nebenbei auch sicherstellt, dass das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen nicht durch »Scheinerklärungen« zu Lasten der italienischen Sprachgruppe verfälscht wird.

    Ein Beitrag zur Wiederherstellung der Autonomie, wie sie Rechtsrechts in Aussicht gestellt hatte, ist diese DFB also jedenfalls nicht.

    Cëla enghe: 01 || 01 02 03



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