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  • Tito und die Cancel Culture.

    Der Regionalrat von Südtirol und Trentino hat Ende Jänner nahezu einstimmig einen Begehrensantrag (Nr. 12/2021) von Forza Italia, PATT und Autonomisti Popolari – Fassa genehmigt, mit dem die italienische Regierung aufgefordert wird, den an Tito (Josip Broz) verliehenen Verdienstorden der Italienischen Republik zu widerrufen.

    In der Debatte machte der faschistische Abgeordnete Marco Galateo (FdI) darauf aufmerksam, dass Tito ein Kommunist war, der Italienerinnen habe umbringen lassen, weil sie Italienerinnen waren. Was nicht stimmt — er ließ sie nicht aufgrund ihrer Ethnie, sondern aufgrund ihrer faschistischen Ideologie und der vom Faschismus verübten Verbrechen verfolgen, so wie er auch deutsche und slawische Faschistinnen jagte. Galateo war jedenfalls der Auffassung, dass in dieser Angelegenheit selbst eine Enthaltung inakzeptabel wäre (und erinnerte hierfür an den neofaschistischen Gedenktag). Dieses Engagement für Geschichtsaufarbeitung ist sonderbar, da sich seine Partei und ihre Verbündeten regelmäßig winden und fadenscheinigste Argumente1wie das dümmliche »die Geschichte kann man nicht auslöschen« bemühen, wenn es zum Beispiel darum geht, Mussolini eine Ehrenbürgerschaft zu entziehen. Oder ein faschistisches Schandmal auch nur zu historisieren — geschweige denn zu schleifen. Von Cancel Culture schwafelte hingegen Ignazio Benito La Russa neulich, als es darum ging, ein Bild des faschistischen Diktators aus der Ehrengalerie in einem Ministerium zu entfernen.

    Mit 34 Stimmen zu null bei nur zwei Enthaltungen wurde der Antrag schlussendlich genehmigt, 17 Abgeordnete nahmen an der Abstimmung nicht teil. Vielleicht richtet der Regionalrat demnächst ja sogar eine Aufforderung an Rom, auch Benito Mussolini seine Auszeichnung zu entziehen.

    Wohl eher nicht.

    Cëla enghe: 01 02

    • 1
      wie das dümmliche »die Geschichte kann man nicht auslöschen«


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  • EU-Kommission gegen Italien.
    Whistleblowing

    Einmal mehr sieht sich die EU-Kommission gezwungen, Italien vor den EuGH zu zerren. Diesmal ist der Grund, dass das Land die Vorgaben zum Schutz von Whistleblowerinnen in der öffentlichen Verwaltung nicht umgesetzt hat. Die entsprechenden Maßnahmen waren 2019 vorgegeben worden und hätten bis Ende 2021 in staatliches Recht umgewandelt werden müssen. Die Regierungen von Giuseppe Conte (5SB), Mario Draghi und Giorgia Meloni (FdI) haben dies verabsäumt. Die Richtlinie sieht vor, dass Personen, die aus dem Inneren einer Verwaltung auf Missstände hinweisen, angemessen geschützt werden.

    Darüber hinaus muss sich Italien einem weiteren Verfahren stellen, weil die EU-Kommission die zehnjährige Aufenthaltsdauer als Voraussetzung für das Bürgergeld für eine unnötige Diskriminierung hält.

    Ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren droht dem Staat aber auch aufgrund des heute von der Regierung Meloni gefassten Beschlusses, die Konzessionen für den Betrieb von Strandbädern ohne Ausschreibung zu verlängern.

    Italien ist traditionell eines der Länder, die am häufigsten gegen EU-Recht verstoßen. Eine sehr teure Gepflogenheit, die sich in naher Zukunft wohl nicht ändern wird.



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  • Berlusconi hetzt gegen die Ukraine.

    Wenn er Regierungschef gewesen wäre, hätte er niemals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen, diktierte FI-Chef Silvio Berlusconi Journalistinnen heute ins Mikrofon. Einleuchtende Begründung: Dessen Land werde zerstört, seine Soldatinnen und Zivilistinnen massenweise getötet.

    Dass das auf den brutalen Angriffskrieg zurückzuführen ist, den sein persönlicher Freund Wladimir Putin vor nahezu einem Jahr entfesselt hat, blendet der Chef einer Partei, die die italienische Regierung von Giorgia Meloni (FdI) stützt — und zudem mit der SVP verbündet ist —, einfach aus.

    »Sehr, sehr negativ« bewertet Berlusconi nur Selenskyj, denn es hätte seiner Meinung nach gereicht, die Angriffe auf die mit russischer Unterstützung abgetrennten Volksrepubliken einzustellen, um den russischen Überfall zu vermeiden. Täter-Opfer-Umkehr wie aus dem Bilderbuch.

    Konsequenterweise legt der ehemalige italienische Ministerpräsident US-Präsident Joe Biden nahe, Selenskyj einen milliardenschweren Marshallplan in Aussicht zu stellen, wenn der im Gegenzug vor Russland kapituliert. Waffenlieferungen seien selbstverständlich unverzüglich einzustellen.

    Wem Berlusconis Marshallplan, den die USA bezahlen sollen, dienen soll, ist dabei unklar. Denn wenn das Aggressionsopfer einseitig den Krieg beendet, wird sein Land anschließend wohl nicht mehr existieren. Aber vermutlich wäre es dem FI-Chef ja recht, wenn der amerikanische Wiederaufbauplan neu annektierten russischen Provinzen zugute käme.

    Andernfalls würde er ja vielleicht seinen Kumpel Putin zur Seite nehmen und zum Rückzug drängen. Geht aber nicht, denn der ist ja Opfer von Selenskyj und hat leider keinerlei Handlungsspielraum.

    Cëla enghe: 01 || 01 02



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  • Krankenhauspufferzonen.
    Schottland

    In Schottland sollen in der Umgebung von Krankenhäusern und einigen anderen medizinischen Einreichtungen schon bald sogenannte Pufferzonen eingerichtet werden, in deren Radius (voraussichtlich 150 Meter) gewisse Kundgebungen grundsätzlich verboten werden. Dadurch sollen insbesondere Frauen, die sich zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs in eine solche Einrichtung begeben, vor Einschüchterungen oder gar Übergriffen geschützt werden.

    Mitglieder militanter Gruppierungen stellen sich regelmäßig vor Krankenhäusern auf, um auf Betroffene nicht nur psychologischen Druck auszuüben. Das gibt es auch in Bozen.

    Erst kürzlich hatte der Supreme Court des Vereinigten Königreichs ein ähnliches Vorhaben in Nordirland gebilligt, wodurch die bereits in Gang befindliche Debatte in Schottland deutlich Fahrt aufgenommen hat. Die schottische Gesundheitsministerin, Maree Todd (SNP), kündigte an, die Regierung werde eine einschlägige Gesetzesinitiative der Grünen im schottischen Parlament unterstützen.

    Eine repräsentative Umfrage hatte vor rund einem Jahr ergeben, dass rund 72% der Schottinnen eine derartige Reglementierung befürworten würden, während sich nur 7% dagegen aussprachen.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Transparenz auf die Speisekarte.

    Auf Initiative von Manfred Vallazza (SVP) und mit Unterstützung unter anderem von Brigitte Foppa (Grüne) könnte in Südtirol bald die Pflicht zur Herkunftsangabe einiger Hauptzutaten wie Fleisch oder Eier in der Gastronomie eingeführt werden. Interessensverbände wie der HGV oder die Handelskammer laufen gegen die geplante Maßnahme sosehr Sturm, dass sich die Frage fast von selbst aufdrängt, was es denn zu verbergen gibt. Das von der Bürokratisierung scheint mir jedenfalls ein vorgeschobenes oder zumindest stark übertriebenes Argument zu sein.

    In der nahen Schweiz gibt es die Kennzeichnungspflicht schon lange, vor wenigen Jahren wurde sie ausgedehnt (etwa auf Fisch) und ich muss sagen, dass ich diese Transparenz stets als sehr angenehm empfinde. Sie ist ein Beitrag zur bewussten Ernährung, zu Regionalität und Klimaschutz sowie indirekt zu mehr Qualität.

    Dass auch in Südtirol sehr viele wissen möchten, was ihnen in Kantinen und Restaurants serviert wird, zeigt die gerade veröffentlichte, im Auftrag des Bauernbundes durchgeführte Apollis-Umfrage, der zufolge 92% der Befragten eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht befürworten.155% sehr dafür, 37% eher dafür, 6% dagegen — Durchführungszeitraum September 2022

    Den Vorschlag, auf Freiwilligkeit zu setzen, halte ich hingegen für eine unverschämte Verarschung. Freiwillig kann jede:r alles machen, was nicht verboten ist — die Herkunftsangabe ist »freiwillig« schon heute möglich, es würde sich also gar nichts ändern. Transparenz gäbe es weiterhin höchstens dort, wo es dem Gastbetrieb (und nicht dem Gast) nützt und Intransparenz da, wo es etwas zu verbergen gibt.

    Die Kennzeichnungspflicht kann hingegen dazu führen, dass Angebote umgestellt, wenn nötig Speisekarten verkleinert, aber sorgfältiger gestaltet werden. Interessant wäre übrigens auch — nach Schweizer Vorbild — Angaben wie »Hühnerfleisch aus in der Schweiz verbotener Käfighaltung« verpflichtend zu machen. Aber das Gesetz könnte freilich zu einem späteren Zeitpunkt dahingehend ergänzt werden.

    Cëla enghe: 01 02

    • 1
      55% sehr dafür, 37% eher dafür, 6% dagegen — Durchführungszeitraum September 2022


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  • Man wird doch wohl noch homophob sein dürfen.

    Am kommenden Freitag (10. Februar) wird ab 19.00 Uhr im Anne-Frank-Saal des Bozner Stadtviertels Gries Quirein eine Veranstaltung mit dem Titel Si potrà ancora dire mamma e papà?1Wird man noch Mutter und Vater sagen dürfen? stattfinden, die von Pro Vita & Famiglia organisiert wird. Dabei handelt es sich um eine italienische Vereinigung militanter, trans-homophober Abtreibungsgegnerinnen, die auch gegen die angebliche Genderideologie kämpft.

    Wie sowohl Elisa Brunelli auf Salto als auch il Dolomiti berichten, sind als Diskussionsteilnehmer ausschließlich Männer angekündigt, und zwar:

    • Antonio Brandi, staatsweiter Vorsitzender von Pro Vita & Famiglia
    • Matteo Gazzini (Lega), EU-Abgeordneter aus Leifers
    • Giuliano Vettorato (Lega), Landesrat und LH-Stellvertreter
    • Roberto Selle (Lega), Fraktionschef im Bozner Gemeinderat
    • Stephan Konder (SVP), Bozner Gemeinderatspräsident
    • Marco Galateo (FdI), Landtagsabgeordneter
    • Andreas Leiter Reber (F), Landtagsabgeordneter

    Die Moderation übernimmt Dr. Francesco Avanzini von Pro Vita & Famiglia Bozen, HNO-Arzt am öffentlichen Krankenhaus der Landeshauptstadt.

    Hochbrisant ist jedoch insbesondere die Anwesenheit von Giuliano Vettorato und Stephan Konder, deren Teilnahme von dem Verein sogar ausdrücklich unter Angabe ihrer institutionellen Rolle (Landeshauptmannstellvertreter und Gemeinderatspräsident) angekündigt wurde.

    Auf Druck des Team K soll aber zumindest Konder inzwischen seine Zusage wieder zurückgezogen haben.

    Der Landesbeirat für Chancengleichheit will die Angelegenheit — laut Vizepräsidentin Donatella Califano, die von il Dolomiti interviewt wurde — »vertiefen«, sei aber über die Teilnahme eines Vertreters der Landesregierung »perplex«. Es seien ausschließlich Männer, die politisch rechts und mitterechts2die Mitte kommt allerdings mit der kolportierten Absage von Konder abhanden einzuordnen sind, ausgesucht worden, um unter einem provokanten und aufwieglerischen Titel über das Thema der Elternschaft zu diskutieren. Wobei es vermutlich wenig zu diskutieren gibt, wenn zu diesem Thema wohl alle ähnlich denken.

    Der Titel der Veranstaltung impliziert bereits die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Eltern, deren Berücksichtigung im amtlichen Gebrauch bisweilen durch die Begriffe Elternteil 1 und Elternteil 2 erzielt wird — wovon insbesondere die Rechten den wohl bewussten Trugschluss ableiten, dass man in Zukunft nicht mehr Mutter und Vater sagen dürfe.

    Nachtrag: Schlussendlich hat auch Landesrat Vettorato seine Teilnahme an der Veranstaltung abgesagt.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06

    • 1
      Wird man noch Mutter und Vater sagen dürfen?
    • 2
      die Mitte kommt allerdings mit der kolportierten Absage von Konder abhanden


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  • Leifers und die Märtyrerinnen.
    Karsthöhlen

    Auch Leifers will am Karsthöhlen-Revisionismus teilhaben, der am 10. Februar, dem sogenannten Tag der Erinnerung, seinen jährlichen Höhepunkt erreicht. Daher wird in der Stadt heute Abend um 19.30 Uhr feierlich ein neues, öffentlich finanziertes Denkmal für die »Märtyrer« der Karsthöhlen enthüllt. Mit dabei wird auch der Präsident der Vertriebenenvereinigung für Julien und Dalmatien sein — der ehemalige Bozner Bürgermeisterkandidat von CasaPound Giovanni Benussi.

    Interessant ist, dass die Opfer der Karsthöhlen als Märtyrerinnen bezeichnet werden. Das ist kein Leiferer Spezifikum. Laut Duden sind Märtyrerinnen Menschen, die entweder für den christlichen Glauben oder für eine Überzeugung Verfolgungen auf sich nehmen. Da es ersteres nicht sein kann, muss zweiteres gemeint sein, und da bleibt relativ wenig Interpretationsspielraum: Es wird offiziell — wenngleich nicht offen — anerkannt, dass hier Menschen geehrt werden, die für ihre faschistischen und nationalsozialistischen Überzeugungen verfolgt wurden.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01



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  • Komplexität als Schutz vor dem Verfassungsgericht.

    Die rechtsrechte Regierung von Giorgia Meloni (FdI) will Südtirol angeblich die in Vergangenheit vom Verfassungsgericht beschnittenen autonomen Zuständigkeiten zurückgeben. LH Arno Kompatscher und Landesrat Philipp Achammer (beide SVP) haben sich zu diesem Zweck mit der Neofaschistin kürzlich auf die Einrichtung eines Arbeitstisches mit Vertreterinnen von Staat und Land geeinigt.

    Wie Rai Südtirol berichtet, fordert der Verfassungsrechtler Francesco Palermo in diesem Zusammenhang

    klarere, komplexere und unmissverständliche Formulierungen.

    – Rai Südtirol

    Das kann dann auch zur Folge haben, dass die Texte nicht nur länger, sondern auch komplexer werden.

    – Francesco Palermo

    In modernen Demokratien wird grundsätzlich versucht, Gesetzestexte klar, aber auch so einfach wie möglich zu formulieren1vgl. z.B. § 42 Absatz 5 Satz 1 GGO in Deutschland, sodass sie möglichst nicht nur von Juristinnen verstanden werden. In Italien und speziell im Kontext der Autonomie ist aber offenbar das Gegenteil erforderlich: Da das Verfassungsgericht in Vergangenheit bewiesen hat, dass es nicht versucht, loyal dem Geist von Bestimmungen, also der Intention der Gesetzgebenden, zu folgen, sondern jeden Interpretationsspielraum nutzt und sich gar Neuerungen (wie die Querschnittkompetenzen) aus den Fingern saugt, um den Zentralstaat zu stärken und die Autonomien zu schwächen, sind nun »längere« und »komplexere« Formulierungen nötig.

    Was aber ist eine Autonomie wert, die nach Punkt und Beistrich nicht nur gegen die Zentralregierungen, sondern auch gegen den Schiedsrichter verteidigt werden muss? Man wird Autonomiebestimmungen wohl nie so komplex formulieren können, dass Richterinnen mit einer politischen Agenda sie nicht wider ihren eigentlichen Sinn auslegen können. Und: Je komplexer und detaillierter das Autonomiestatut verfasst sein muss, desto weniger wird es auf künftige (rechtliche, gesellschaftliche, technologische) Entwicklungen vorbereitet sein, die heute noch nicht vorhersehbar sind.

    Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit, dem Verfassungsgericht die Zuständigkeit für das Autonomiestatut weitgehend zu entziehen und sie einem eigenen Gericht zu übergeben.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01

    • 1
      vgl. z.B. § 42 Absatz 5 Satz 1 GGO in Deutschland


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