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  • Gefährliche Urnen.

    Die katalanische Regierung hat die Lieferung von Wahlurnen ausgeschrieben. Da vermutet wird, dass diese Urnen zur Durchführung des geplanten Unabhängigkeitsreferendums angeschafft werden, hat die spanische Zentralregierung Unternehmen, die an der Ausschreibung teilnehmen, mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht.

    Dies wiederum hat in der abtrünnigen Region die Frage aufgeworfen, ob man dann irgendwann sogar gegen Waffenexporteure strafrechtlich vorgehen wird.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Roco/ÖBB: Nationalistisches Fettnäpfchen.

    Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die in Kooperation mit der Deutschen Bahn (DB) schon seit Jahren mit Trikolore-Lok durch Südtirol nach Italien fahren, erliegen schon wieder der nationalstaatlichen Logik: Die Sonderlok zum 150. Jubiläum der (damals übrigens zur Gänze auf österreichischem Gebiet liegenden) Brennerbahn ist nicht nur mit viel rot-weiß-rot und grün-weiß-rot verziert, man liest darauf auch die Namen größerer Stationen zwischen Innsbruck und Bozen — fein säuberlich nach nationalstaatlicher Zugehörigkeit getrennt. Auf Innsbruck und Matrei folgen so Brennero, Bressanone und Bolzano, als ob Brenner, Brixen und Bozen nicht ebenfalls offizielle Stationsnamen wären. Außer in der Südtiroler Landeshauptstadt ist zudem in allen angeführten Ortschaften die deutsche Sprachgruppe in der Mehrheit.

    Die SüdtirolerInnen haben sich Jahrzehntelang für die Gleichstellung der im Faschismus verbotenen »deutschen« Ortsbezeichnungen eingesetzt, weshalb sich ein solcher Fauxpas (noch dazu, wenn er aus dem deutschen Sprachraum kommt) für viele wie eine ordentliche Watsch’n anfühlen dürfte.

    Wie eine rasche Internetrecherche ergeben hat, existieren von der Sonderlok bereits Eisenbahnmodelle, weshalb es das ärgerliche Fettnäpfchen auch noch in zahlreiche Haushalte und Sammlungen schaffen wird.

    Foto: R. Köthe/Fa. Roco.cc (via W. Schmidt GmbH)

    Für diese außerordentliche »Sensibilität« möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den ÖBB und der Firma Roco (s. Nachtrag) bedanken.

    Nachtrag: Offenbar wurde das Design vom österreichischen Modelleisenbahnhersteller Roco in Auftrag gegeben und finanziert (orangefarbenes Logo beidseitig links auf der Lok), der damit ein eigenes Sondermodell »rechtfertigen« will. Auch Roco gebührt somit ein Dankeschön!

    Cëla enghe: 01 02



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  • Will the Italian language be outlawed?

    [In] what other part of the world would it be possible to outlaw the language of the state?

    This question of Alessandro Urzì, post-fascist member of South Tyrolean Landtag (parliament), quoted by the BBC, is an interesting one, since it can be answered at different levels:

    • Urzì refers to South Tyrol, where nobody even thinks of outlawing the “language of the state” — neither fully nor partially.
    • However, many propose to withdraw officiality from — some or all — place names invented and imposed by a totalitarian regime, and that’s what we (and the BBC) are talking about.
    • We could also question the concept of a (unique) “language of the state”, since there are many states in the world which have more than one official language without any hierarchy.
    • If we reword Urzì’s question in a more consistent way (i.e. “in what other part of the world would it be possible to withdraw officiality from [imposed] place names [in the language of the state]?”) we could list

    See also: 01 02



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  • Alles Spalter.

    Eine der Grundvoraussetzungen für Demokratie ist, dass ich die freie Wahl zwischen zumindest zwei Optionen habe. Ohne diese Wahlmöglichkeit gibt es keinen Meinungspluralismus. Ein solcher wiederum ist Wesensmerkmal einer Demokratie.

    Man möchte also meinen, dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse, bei denen sich die Menschen auf Basis ihrer politischen Überzeugungen mittels ihrer Stimme einem Lager zuordnen, Teil eines völlig normalen demokratischen Prozesses seien. Doch wenn man sich die Schlagzeilen nach Urnengängen in letzter Zeit so ansieht, könnte man glauben, dass so ziemlich jede demokratische Entscheidung das apokalyptische Potential hat, ein Land zu spalten oder gar zu zerreißen. Was immer das auch heißen mag.

    • Österreich ist gespalten, weil sich bei einer Stichwahl, bei der natürgemäß zwei (!) Kandidaten zur Auswahl standen, circa 50 Prozent für den einen und 50 Prozent für den anderen entschieden haben. Wäre es denn demokratiepolitisch so viel besser gewesen, wenn einer der Kandidaten in Putinschem Ausmaß gewonnen hätte? “Einiges Österreich”?
    • Großbritannien ist gespalten, weil rund die Hälfte der Bevölkerung bei einer Abstimmung jeweils eine der beiden Optionen gewählt hat. Angelegenheiten, die ohnehin als “common ground” empfunden werden, unterziehen wir jedoch recht selten einer Abstimmung, da eine solche sinnlos erscheinen würde.
    • Frankreich – unabhängig davon wie die heutige Stichwahl ausgeht – ist laut Medien bereits nach dem ersten Wahlgang gespalten, da sich jeweils rund 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler für einen der vier erfolgreichsten Kandidaten entschieden haben. Wie hätte denn das Ergebnis des ersten Wahlganges ausfallen müssen, dass Frankreich nach Ansicht der Medien nicht gespalten gewesen wäre?
    • Die USA sind nach der Wahl Trumps gespalten, obwohl sie seit ihrer Gründung ein Mehrheits- statt eines Verhältniswahlrechtes haben, das die Entstehung zweier großer Blöcke begünstigt und seit 1853 immer entweder einen Republikaner oder einen Demokraten ins Weiße Haus gebracht hat. Nur vier Präsidenten schafften seit damals ein Ergebnis von mehr als 60 Prozent der Stimmen bei der Volkswahl.
    • Die Türkei ist gespalten, da sich bei einem Referendum die Cleavages, die in diesem Land – wie auch in den meisten anderen – seit jeher existieren (Stadt vs. Land, Jung vs. Alt, Gebildet vs. Ungebildet, Männer vs. Frauen, Arm vs. Reich usw.), wieder einmal offen gezeigt haben.

    Es mag sein, dass in jüngster Zeit die politische Mitte bei Urnengängen unter die Räder gekommen ist und sich die Menschen zwischen extremeren respektive weiter entfernten Alternativen entscheiden mussten. Dennoch, Demokratie lebt vom Diskurs, vom Meinungspluralismus und vom friedlichen Machtwechsel. Knappe Wahl- und Abstimmungsergebnisse bedeuten nicht notwendigerweise Spaltung oder Zerrissenheit, sondern sind mitunter Ausdruck einer lebendigen und funktionierenden Demokratie. Die Absolutsetzung der eigenen Ansicht stellt hingegen eine Gefahr dar. Eine Abkehr von der Harmoniesucht und ein entspannterer Umgang mit knappen Entscheidungen wären angebracht. Eine Gesellschaft ist nicht immer gespalten oder zerrissen, nur weil sie sich in einer Sach- oder Personalfrage zu ungefähr gleichen Teilen für eine der beiden Optionen entscheidet. Wir sollten akzeptieren, dass selbst Menschen, die sich ideologisch nahe stehen, niemals in allen Fragen konform gehen.

    If you agree with me on nine out of 12 issues, vote for me. If you agree with me on 12 out of 12 issues, see a psychiatrist.

    – Ed Koch, ehemaliger Bürgermeister New Yorks

    Geradezu bizarre Ausmaße nimmt das Harmoniebedürfnis bzw. das Heraufbeschwören von Zerrissenheit bei Nichterfüllung desselben regelmäßig bei der Berichterstattung über Parteitage an. Dort scheint nämlich die demokratische Normalität zu sein, dass sich nur ein Kandidat der Wahl für einen Posten stellt und derjenige diese “Wahl” dann auch noch mit mindestens 90 Prozent der Stimmen gewinnen muss. Die 77 Prozent Zustimmung für Bürgermeister Michael Häupl beim Wiener SPÖ-Parteitag unlängst waren ziemlich einhelliger Meinung nach eine “Watsch’n”.

    Wenn eine Partei diskutiert, schreibt die deutsche Presse, die Partei ist zerstritten. Wenn für einen Parteiposten zwei kandidieren, nennt die deutsche Presse das eine Kampfkandidatur. Tritt nur einer an, ist es eine Wahl.

    – Volker Pispers, deutscher Kabarettist

    Zumindest neu scheint das Spalter-Phänomen nicht zu sein, wie folgender Das-Leben-des-Brian-Dialog aus dem Jahre 33 n. Chr. belegt.

    Reg
    Hör zu. Es gibt Typen, die wir noch mehr hassen als die Römer:
    diese verfluchten Judäischen Volksfrontmistkerle.

    Alle
    Ja! Spalter.

    Francis
    Und die Judäische Populäre Volksfront.

    Alle
    Ah, ja! Spalter, Mistkerle, Pisser.

    Loretta
    Und die Volksfront von Judäa!

    Francis
    Ja! Alles Spalter.

    Reg
    Was?

    Loretta
    Die Volksfront von Judäa. Spalter.

    Reg
    Wir sind die Volksfront von Judäa.

    Loretta
    Oh. Ich dachte, wir wären die Populäre Front.

    Reg
    Mann, Volksfront.

    Francis
    Was ist eigentlich aus der Populären Front geworden?

    Reg
    Die sitzt da drüben.

    Alle
    SPALTER!

    Nachtrag:
    Nach der Spaltung folgt freilich die Einigung.

    Cëla enghe: 01 || 01 02 03 04



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  • Separatismus als Zeichen von Stärke.

    Rick Noack, in London lebender Reporter der Washington Post, stellt in einem Kommentar für das us-amerikanische Blatt die These auf, der europäische Separatismus sei kein Zeichen der Uneinigkeit, sondern eins der Stärke.

    Beispielhaft nennt er drei Regionen, in denen er baldige Unabhängigkeitsreferenda für wahrscheinlich hält: Färöer, Katalonien und Schottland.

    Auf den zu Dänemark gehörenden Färöer-Inseln, die derzeit nicht zur EU gehören, wolle man im kommenden Jahr über eine neue Verfassung abstimmen, die den Weg zur Selbstbestimmung ebnen würde. Die Färinger möchten, so Noack, ihr Verhältnis zur EU als unabhängiger Staat neu verhandeln. Ihre Zugehörigkeit zu Dänemark habe dies bislang behindert.

    Die Katalaninnen gehörten zu den loyalsten EU-Befürworterinnen. Rund 200.000 Menschen hätten kürzlich in Barcelona für die Übernahme von Flüchtlingen demonstriert, da Spanien die europäischen Quoten nicht erfüllt. Demonstrativ sprächen sich UnabhängigkeitsbefürworterInnen zudem für Katalonien als neuen Staat in Europa aus. Und der stark pro-europäisch gesinnte Regionalpräsident Puigdemont hoffe, nach der Unabhängigkeit nicht mehr den Umweg über Madrid nehmen zu müssen, um Einfluss auf die gesamteuropäische Politik zu nehmen.

    Die Tatsache, dass Schottland ein zweites Unabhängigkeitsreferendum plant, sei schließlich primär auf den Wunsch zurückzuführen, die EU nicht zu verlassen. Im Jahr 2014 haben sich die SchottInnen zwar gegen die Eigenstaatlichkeit entschieden, doch damals hatte London noch vor einem EU-Ausschluss gewarnt. Inzwischen ist das Königreich auf dem Weg des Austritts, während Schottland klar gegen den Brexit gestimmt hat.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01



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  • Antwort an den Landesbeirat der Schülerinnen.

    In der dieswöchigen ff (Nr. 18/2017) ist ein — von Jasmine Rouimi und Max Ebensberger unterschriebener — Gastkommentar des Landesbeirats der Schülerinnen und Schüler zum Thema Mehrsprachigkeit erschienen, den ich hier auszugsweise kommentieren will:

    Dürfen Politiker, Parteien, Vereine und Verbände mit ihren oft persönlichen und populistischen Meinungen Einfluss auf die schulische Ausbildung nehmen und damit mögliche Erfolgswege der Südtiroler Jugendlichen lang- und kurzfristig verbauen?

    Ich glaube, das ist es, was wir »Demokratie« und »Mitbestimmung« nennen. Das Schulsystem betrifft zwar die SchülerInnen am unmittelbarsten, doch es hat kaum zu überschätzende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Was gelernt wird und was nicht gelernt wird beeinflusst, wie wir uns und die anderen sehen oder welches Wissen und welche Fähigkeiten wir als Gesellschaft für so wichtig halten, dass sie von allen beherrscht werden sollten.

    Wir haben ein öffentlich finanziertes, allen offenstehendes Bildungssystem, an dessen Ausrichtung die Allgemeinheit ebenso mitwirken soll und kann, wie Verteidigungspolitik nicht nur vom Militär, Wirtschaftspolitik nicht nur von Wirtschaftstreibenden und Gesundheitspolitik nicht nur von Ärzten gemacht wird. Wer sich am Einfluss von Politikern, Parteien, Vereinen und Verbänden stört, hat die Möglichkeit, eine private Schule zu besuchen.

    Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse auswärtiger Sprachwissenschaftler (wo sind unsere eigenen?) deuten in eine klare Richtung: Mehrsprachigkeit fördert kognitive sowie soziale Fähigkeiten und vereinfacht Austausch und Toleranz. Die Freie Universität Bozen wartet hierzu bereits mit einem Forschungsbereich auf: “Sprachen und Ausdrucksformen in der multikulturellen und mehrsprachigen Gesellschaft”. Wen meinen die? Uns? Multikulturell und mehrsprachlich [sic]?

    • Es stimmt nicht, dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse auswärtiger Sprachwissenschaftlerinnen in eine Richtung weisen.
    • Wo unsere eigenen Sprachwissenschaftlerinnen sind?
      • Sie, die die Situation in Südtirol kennen, klagen zum Beispiel darüber, dass es hierzulande meist um »möglichst früh, möglichst alles, möglichst schnell« gehe. Sie differenzieren und bringen Verständnis für die speziellen Probleme einer Minderheit im Nationalstaat auf.
      • Außerdem warten sie mit einem Forschungsbereich auf, der den SchülervertreterInnen offenbar gut gefällt. Und natürlich meinen sie (auch) uns: Wer behauptet, Südtirol sei nicht multikulturell und mehrsprachig, sieht die Realität vermutlich durch eine dunkle Brille.

    Wir beherrschen nur eine Sprache wirklich gut: unsere Muttersprache, also den jeweiligen Dialekt. Bei unserem “Hochdeutsch” wird es meist peinlich, beim Italienischen sind wir oft beim Lächerlichen.

    Unser Hochdeutsch (Stichwort Diglossie — ganz ähnlich wie in der deutschsprachigen Schweiz) mag holprig sein, einschlägige Studien (Eurac, Pisa-Test) konnten aber bislang keine gröberen Mängel feststellen. Doch selbstverständlich ist es deshalb auch umso wichtiger, die Standardsprache in der Schule gut zu erlernen und zu üben.

    Dass die Italienischkenntnisse der deutschsprachigen Südtirolerinnen »lächerlich« wären — ich weiß ehrlich gesagt nicht, auf welchen objektiven Befunden diese Feststellung fußt. Auch hier spricht das, was uns vorliegt, dagegen: Die Zweitsprachkenntnisse der Deutschsprachigen sind besser, als jene der Italienischsprachigen — und in beiden Sprachgruppen nehmen sie zu.

    Ein Armutszeugnis, da Südtirol zu Italien gehört und es somit unser Recht als Bürgerinnen und Bürger ist, die Landessprache Italienisch durch die Schulbildung in ausreichender Menge und Qualität vermittelt zu bekommen. Italienisch ist keine Fremdsprache, sondern eine Zweitsprache.

    Hier unterwerfen sich Rouimi und Ebensberger dem nationalstaatlichen Prinzip, das in seinem Selbstverständnis nicht einer Logik von Mehr-, sondern einer von Einsprachigkeit gehorcht, wiewohl es den Autoren vielleicht nicht bewusst ist. Italienisch sollten — und das ist glaube ich ziemlich unstrittig — in Südtirol alle in ausreichender Menge und Qualität vermittelt bekommen; aber nicht, weil wir Teil des Nationalstaats Italien sind, sondern weil es sich um eine wichtige Landessprache handelt. Das ist auch der Grund, warum wir Italienisch gerne als »Zweitsprache« bezeichnen können, auch wenn es sich bei »Fremdsprache« eher um einen (manchmal missbrauchten) didaktischen Begriff handelt: Mitunter hört man in Südtirol, Schülerinnen hätten mit Englisch weniger Schwierigkeiten, als mit Italienisch, weil die englische Sprache mit einer moderneren Didaktik unterrichtet werde. In diesem Zusammenhang wird manchmal die Forderung laut, von einer Zweitsprachendidaktik zu einer Fremdsprachendidaktik überzugehen.

    Wem der Zweit- oder Fremdsprachunterricht in der deutschsprachigen Schule nicht mehr ausreicht, der hat hierzulande die Möglichkeit für eines oder mehrere Jahre an eine italienischsprachige Schule zu wechseln. Meinetwegen auch, um seinen Durst nach Nationalstaat zu stillen.

    Der Weg von der Ein- hin zur Mehrsprachigkeit liegt in unserem Nationalstaat Italien offen, das damit verbundene Umdenken wollen wir auch an den Schulen Südtirols verbreitet wissen.

    Italien ist — obschon die Südtirolerinnen dazu nie befragt wurden — unser Staat, aber mit Sicherheit nicht unser Nationalstaat. Unser Land genießt genau deshalb eine Autonomie, weil es sich aus »nationaler« Sicht vom Nationalstaat unterscheidet. Wenn uns das nicht mehr wichtig ist, öffnen wir nicht der Mehrsprachigkeit, sondern der nach unten nivellierenden, einsprachigen Logik des Nationalstaats Tür und Tor — die Italien übrigens mit allen anderen Nationalstaaten gemein hat.

    Ein Stillstand im Bildungsapparat, bei der Weiterentwicklung und Änderung des Unterrichts wird die Zukunftschancen der Südtiroler Jugendlichen zerstören.

    Vieles kann man dem Südtiroler Bildungswesen vorwerfen, nur keinen Stillstand. Vielmehr wird — auch und gerade bei der Sprachvermittlung — ständig herumexperimentiert und angepasst, mitunter ziemlich leichtfertig und ohne die wünschenswerte Sorgfalt.

    Um ein guter Südtiroler zu sein, braucht man niemanden zu verachten.

    Diesem Satz ist zuzustimmen — doch ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass das derzeitige Schulsystem irgendetwas mit der Verachtung anderer zu tun hat.

    Wir setzen uns klar für einen mehrsprachigen Unterricht an Südtiroler Schulen ein. Die geeigneten Methoden dafür, die optimale Didaktik, die Qualifizierung des Lehrpersonals müssen von Politikern und Schulämtern gemeinsam mit Forschungsinstitutionen erarbeitet und eingeführt werden. Das sind ihre Aufgaben in der neuen, modernen Schulpolitik, die wir einfordern.

    Wenn ich das — im Kontext mit dem ersten Absatz — richtig verstehe, sollen Politiker und Schulämter »Befehlsempfänger« von Forschungsinstitutionen sein. Forderungen (zum Beispiel die nach mehrsprachigem Unterricht) kann man in einer Demokratie natürlich jederzeit erheben, wer die Politik jedoch der Wissenschaft unterordnen will, ist auf dem Weg in die Technokratie.

    Spätestens dann stellt sich außerdem die Frage: Welche Wissenschaft? Kaum eine Meinung — auch nicht jene zur Sprachvermittlung — ist in der Wissenschaft unumstritten.

    Es gibt Kinder auch aus Nicht-EU-Ländern, diese lernen ihre Muttersprache familienintern, in der Schule lernen sie Deutsch, Italienisch und Englisch, und auf dem Schulhof oder im Umgang mit uns Einheimischen auch noch den Dialekt.

    Interessant: Die Südtiroler Schülerinnen werden angeblich nicht in die Lage versetzt, eine zweite Sprache ausreichend zu lernen, während Zuwandererkinder neben ihrer Muttersprache — an denselben Schulen — drei Sprachen und (mindestens) einen Dialekt lernen? Wenn das bloß kein Widerspruch ist, in den sich Rouimi und Ebensberger verstrickt haben, um das nächste Argument einzuführen:

    Bis heute ist kein Fall bekannt, bei dem ein Jugendlicher durch diesen Sprachenmix und -austausch Schaden genommen hätte. Doch die Botschaft des Austausches ist in den Köpfen vieler Südtirolerinnen und Südtiroler noch nicht zur Gänze angekommen. So zum Beispiel in der deutschen Schule. Sie will deutsch bleiben. Ist dies zukunftsweisend?

    Meines Wissens kann etwa CLIL sehr wohl negativen Einfluss auf den Erwerb von Fachwissen haben, wenn gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Auch nach den »modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen«. Dies auszublenden bringt weder BefürworterInnen noch Gegnerinnen etwas.

    Doch noch grundsätzlicher: Hier wird so getan, als wäre die deutschsprachige Schule monolingual und als widersetze sie sich der Vermittlung anderer Sprachen. Wahr ist hingegen, dass wir es in Südtirol mit einem funktionierenden, leistungsfähigen, inklusiven und anderen Sprachen gegenüber offenen Schulsystem zu tun haben und dass es in (fast) allen einschlägigen Diskussionen um das wie und nicht um das ob des Spracherwerbs geht.

    Wer sich nicht anpasst, wer nicht im Fluss der Entwicklungen bleibt und stattdessen auf unveränderbaren Traditionen beharrt, stirbt.

    Ziemlich apokalyptisch, was uns da aufgetischt wird.

    Unsere Vision ist es, dass Südtirol im internationalen Vergleich der Mehrsprachigkeit nicht zurückbleibt, sondern seine idealen Grundvoraussetzungen für das Erlernen einer Zweit- und Drittsprache erkennt und damit Vorteile für Südtiroler Schülerinnen und Schüler ausschöpft, denn ohne gut ausgebildete Jugend hat das Land keine Zukunft.

    Das sind edle Gründe, doch man sollte im Anpassungsdrang — wie eingangs erwähnt — nicht die gesamtgesellschaftliche Komponente außer Acht lassen. Und die fehlt auch in diesem Aufruf wieder vollständig: Außer an bestmöglichem Spracherwerb, den in Südtirol fast niemand mehr in Frage stellt, sollten wir uns auch an einer nachhaltigen Entwicklung orientieren, die nicht nur die jetzige Jugend, sondern die Gesellschaft als Ganzes im Blick hat.

    Warum wird Immersion in Ländern wie Kanada (wo sie erfunden wurde) und Finnland nur sehr selten in der staatlichen Mehrheitssprache angeboten — auch dort, wo (wie in Québec) die Minderheitensprache regional in einer Mehrheitssituation ist? Nur Zufall oder hat das gute Gründe? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht… wissen es Rouimi und Ebensberger?

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01



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  • Workshop mit Jim und Jean Rough.

    Das soziale Unternehmen Blufink und die Cusanus Akademie kündigen — schon jetzt — für den 20.-22. November ein Treffen mit Jim und Jean Rough in Brixen an.

    Jim Rough hat die Methode Dynamic Facilitation und den Beteiligungsprozess des Bürgerrats entwickelt. […] Hier haben Sie die Möglichkeit, das Format selbst zu erleben und sich mit dem Entwickler direkt über seine Erfahrungen auszutauschen.

    — Bluefink

    Die Workshops sind dreisprachig (Deutsch/Italienisch/Englisch) und finden in den Räumlichkeiten der Cusanus Akademie statt.



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