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  • Besser kein Einvernehmen als dieses.

    Salto-Chefredakteur Fabio Gobbato und Elena Mancini haben mit Alessandro Urzì von den neofaschistischen Fratelli d’Italia ein Interview geführt, in dessen Verlauf sie den soeben bestätigten Vorsitzenden der Sechserkommission mit Verweis auf Aussagen von Francesco Palermo und Karl Zeller (SVP) regelrecht dazu drängen, von wichtigen Teilen des Autonomieausbaus Abstand zu nehmen.

    Interessanterweise behaupten sie sogar, dass die detaillierte Aufzählung der Landeszuständigkeiten im Statut angeblich einer Entmachtung des Verfassungsgerichts entspreche, was aber Palermo so nicht gesagt hat. Seine Kritik galt hauptsächlich der Aufwertung der Durchführungsbestimmungen, eine Maßnahme, die Südtirol seiner Meinung nach quasi in ein »gallisches Dorf« verwandeln würde — ein Vergleich, den ich für eine Autonomie als herabwürdigend empfinde.

    Mir ist auch völlig schleierhaft, warum es plötzlich schlimm sein sollte, die Zuständigkeiten im Autonomiestatut (also in der Landesverfassung) zu verschriftlichen. Müsste die Festlegung der Autonomie nicht eine durch unf durch politische Angelegenheit und der Gang zum Verfassungsgericht (VfG) eine absolute Ausnahme sein, auf die nur dann zurückgegriffen wird, wenn die Interpretation von Normen oder die Aufteilung der Zuständigkeiten unklar (bzw. strittig) ist?

    Palermo selbst hatte jedenfalls vor einiger Zeit für möglichst detaillierte Formulierungen plädiert, um die enorme Anzahl an Streitfällen vor dem VfG zu reduzieren und dessen Kreativität bei der Einschränkung autonomer Befugnisse einen Riegel vorzuschieben.

    In dem Interview mit Urzì ist aber meiner Meinung nach vor allem dieser Passus von Bedeutung:

    Kann man sich […] vorstellen, dass das Parlament über alles Gesetze erlassen kann, außer über ein Thema [die Autonomie, Anm.]? Also muss für das Einvernehmen eine möglichst elastische Definition gefunden werden, die die objektiven Interessen der im Land vertetenen Gruppen, also auch das unterschiedliche Gewicht der Sprachgruppen, berücksichtigt. Ich denke zum Beispiel daran, was bereits unter bestimmten Voraussetzungen für die nach Sprachgruppen getrennte Abstimmung [im Landtag/Regionalrat1vgl. Art. 56 des Autonomiestatuts] vorgesehen ist, weil dies die Sprachgruppen explizit als konstituierende Gruppen des Autonomiesystems anerkennt. Etwas zu ersinnen, das das Einvernehmen auch auf diese Ebene bringt, kann fundiert und vernünftig sein. Bislang wurde betont, dass in dieser Angelegenheit eine einfache Mehrheit nicht ausreichen kann, sondern eine »sehr« qualifizierte Mehrheit nötig ist, die der Einbindung von Landtagsabgeordneten mehrerer Sprachgruppen bedarf. Das ist ein Thema, das die Verfassungsordnung betrifft, die Souveränität des Parlaments und wird natürlich eines der wichtigsten Themen sein, die am politischen Verhandlungstisch zu diskutieren sind. So wie der Text vom Landeshauptmann vorgelegt wurde, unterstellt er alles dem ausschließlichen Willen einer einzigen, nämlich der mehrheitlichen [= der deutschen, Anm.] Sprachgruppe, weshalb ich denke, dass er überarbeitet werden muss.

    – Alessandro Urzì

    Übersetzung von mir (Original anzeigen)

    D’altro canto si può immaginare che il Parlamento possa legiferare su tutto tranne che su un aspetto? Ecco che allora forse va prevista una definizione di intesa la più elastica possibile, che tenga conto degli interessi oggettivi delle rappresentanze sul territorio, e quindi anche dei diversi pesi dei gruppi linguistici. Penso ad esempio a quanto già previsto in certe circostanze per il voto separato per gruppi linguistici perché riconosce esplicitamente i gruppi linguistici come gruppi costituenti del sistema dell’autonomia. Immaginare qualcosa che proietti l’intesa anche in questa dimensione può avere una sua fondatezza e ragionevolezza. Finora se ne è parlato evidenziando che in questa materia non può bastare una maggioranza semplice, ma serve una maggioranza “molto” qualificata che preveda la partecipazione dei consiglieri di più gruppi linguistici. Questo è un tema che riguarda l’assetto costituzionale, la sovranità del Parlamento, e ovviamente sarà uno dei principali temi da discutere al tavolo politico. Il testo così come è stato presentato dal Presidente subordina il tutto alla volontà esclusiva di un gruppo linguistico, quello maggioritario, e quindi credo vada rivisto.

    – Alessandro Urzì

    Was Urzì also vorschwebt, ist die Interpretation des Einvernehmens als ein reines Vetorecht — mit möglichst hohen Hürden. Insbesondere wäre dann, um bei einer einseitigen Abänderung des Autonomiestatuts tatsächlich ein Veto einlegen zu können, die Zustimmung der Abgeordneten aller Sprachgruppen (zumindest aber der deutschen und der italienischen) nötig.

    Wenn das so käme, wäre es aus Sicht des Minderheitenschutzes geradezu eine Perversion des Einvernehmensgrundsatzes: eine Mehrheit der politischen Vertreterinnen der italienischen Sprachgruppe in Südtirol hätte es dann in der Hand, Änderungen am Autonomiestatut zu gestatten (bzw. nicht zu untersagen), die der italienische Staat gegebenenfalls einseitig durchsetzen möchte. Die Vertreterinnen der staatlichen Mehrheitsbevölkerung in Südtirol hätten ein Vetorecht über das Vetorecht des Landes — womit auf gesamtstaatlicher und auf Südtiroler Seite in letzter Instanz alle Macht bei der Titularnation läge. Wenn wir berücksichtigen, dass die Autonomie als solche dem Schutz der deutschen und der ladinischen Minderheit im fremdnationalen Staat dient und dass vom Vetorecht des Landes insbesondere auch Minderheitenschutzbestimmungen betroffen sein könnten, ist das Ansinnen von Urzì (das aber auch von Palermo gefordert wurde) regelrecht perfide. Wir brauchen uns nur vor Augen zu führen, wie autonomie- und insbesondere minderheitenfeindlich rechte und linke Parteien des italienischen Spektrums in Südtirol sehr oft sind, um ihre Unterstützung beim allfälligen Einsatz der Einvernehmensklausel als reine Illusion zu entlarven.

    Wer tatsächlich gedacht hatte, der ultranationalistische Wolf habe sich mehr als nur einen Schafspelz umgelegt, wird wohl enttäuscht sein. Eine derartige Regelung wäre aber nicht nur kein Fort-, sondern ein klarer Rückschritt: Im Zweifel könnte der Zentralstaat dann behaupten, über das Einvernehmen zu verfügen, auch wenn eigentlich bloß kein Veto zustande gekommen ist, weil die Vertreterinnen der Titularnation im Landtag es verhindert haben.

    Cëla enghe: 01 || 01 02 03 04

    • 1
      vgl. Art. 56 des Autonomiestatuts


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  • Südtirolfeindlicher Rassismus im Senat.

    Erst vorgestern hatte ich erläutert, warum ich die Beziehung zwischen Italien und Südtirol mitunter als »kolonial« bezeichne. Jetzt kommt bereits eine neue Episode dazu, die die koloniale Mentalität in diesem Staat perfekt zum Ausdruck bringt: Wie Christoph Franceschini auf Salto berichtet, wurde Julia Unterberger (SVP) gestern im italienischen Senat von neofaschistischen Kollegen angepöbelt, sie solle doch Italienisch lernen, bevor sie sich zu Wort meldet. Zuerst soll es sich dabei um einen Zwischenruf von Francesco Zaffini (FdI) gehandelt haben. Doch nachdem sich Unterberger vergeblich bei Senatspräsident Ignazio Benito La Russa (FdI) beschwert hatte (der angab, den Zwischenruf nicht gehört zu haben), soll Alberto Balboni (FdI) die diskriminierende Attacke sogar wiederholt haben.

    Während also

    wird auf Staatsebene kontinuierlich auf Südtiroler Politikerinnen eingedroschen, weil sie neben Italienisch auch Deutsch sprechen (01 02 03) oder — wie in diesem Fall —, weil sie Italienisch nicht akzentfrei sprechen.

    Die Intoleranz der neofaschistischen Mobber, mit denen die SVP zu allem Überfluss in Südtirol regiert, darf nicht einfach hingenommen werden.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 || 01 02 03 04 05



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  • Le fioriere antisecessione.

    Oggi sull’inserto sudtirolese del Corriere è apparso un articolo di Marco Angelucci nel quale analizza l’esito delle elezioni comunali a Leifers, Lana e St. Martin in Passeier, poco incoraggiante per i partiti «italiani». Dopo aver ripetuto la verità alternativa degli italiani che avrebbero «progressivamente lasciato le valli» ha anche banalizzato la politica a livello comunale affermando che:

    Quando si tratta di decidere quali strade rattoppare o quali fioriere cambiare, essere di destra o di sinistra non fa differenza: allora perchè presentare ben tre liste a Lana di cui due non fanno nemmeno un eletto? In gioco c’è l’interesse di una comunità o le velleità di protagonismo dei singoli?

    – Marco Angelucci

    Come se nei comuni non ci si occupasse di politica sociale, di accoglienza o di urbanistica. Ad ogni modo sembra strano che non faccia differenza essere di destra o di sinistra, mentre par di capire che, per rattoppare le strade, essere italiano o tedesco lo sia.

    Se invece gli italiani usciranno definitivamente di scena dalle amministrazioni locali allora non c’è da stupirsi se nella popolazione sudtirolese aumenterà la voglia di secessione. In fin dei conti se gli italiani non portano nulla che senso ha rimanere in Italia?

    – Marco Angelucci

    Non fa una grinza. Tutti sanno infatti che la ragione principale per non chiedere la secessione è il fondamentale apporto dei consiglieri comunali italiani quando si tratta di decidere quali fioriere sostituire. Senza questo sostegno — e senza il costante impegno di alcuni per la pacifica convivenza (cfr. 01 02) — veramente rimanere in Italia perderebbe senso.

    (Per chi se lo fosse perso, Angelucci comunque aveva già avvertito che anche dare ai medici di lingua tedesca gli stessi diritti che hanno quelli di lingua italiana avrebbe favorito la secessione. Non c’è da scherzare, la sacra unità nazionale è costantemente in pericolo).



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  • Darum kolonial.

    Von einer Person, die sich selbst unter anderem mit Postcolonial Studies befasst und zum Beispiel auch mit der Forschung von Mia Fuller vertraut ist, wurde ich letzte Woche gefragt, warum bzw. inwiefern ich in Bezug auf jene zwischen Südtirol und Italien desöfteren von einer kolonialen Beziehung spreche.

    Da diese Frage meiner Meinung nach für das Verständnis von bedeutend ist, möchte ich sie hier — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — öffentlich beantworten:

    • Die Analysen und die Argumente von Wissenschafterinnen wie Mia Fuller (01) und Roberta Pergher (02), die den Umgang des italienischen Staates mit Südtirol — zumindest im Faschismus — als kolonialistisch einstufen, finde ich einleuchtend und überzeugend.
    • Von ihren Erkenntnissen leitet sich ab, dass das Verhältnis zwischen dem italienischen Staat und Südtirol heute entweder weiterhin als kolonial oder als postkolonial einzuordnen sein müsste. Letzteres wäre der Fall, wenn eine »vollständige« Entkolonialisierung stattgefunden hätte, was meines Erachtens nicht der Fall ist. Bestenfalls ist es also, wenn überhaupt, eine Mischung aus kolonialen und postkolonialen Elementen.
    • Dass es nach dem Zweiten Weltkrieg, auch nach Entstehung der italienischen Republik, zunächst keinen klaren Schnitt (im Sinne einer »Entkolonialisierung«) gegeben hat, ist bekannt. Im Gegenteil: Die Majorisierungspolitik wurde eifrig fortgesetzt, die Umsetzung des Pariser Vertrages bewusst hintertrieben, selbst noch die Fertigstellung faschistisch-imperialistischer Denkmäler in Südtirol vorangetrieben.1Das Mussolini-Relief am Gerichtsplatz wurde in den 1950er Jahren fertiggestellt. Das Ende der Diktatur kann also nicht als das Ende der kolonialen Beziehung angesehen werden.
    • Bis heute hatten die Südtirolerinnen keine Möglichkeit, frei und demokratisch über den Verbleib bei Italien zu befinden. Der italienische Staat und seine Vertreterinnen haben sich aber darüber hinaus auch noch nie offiziell für Annexion, brutale Assimilierung und Option entschuldigt (01).
    • Auch eine vollumfängliche (geschweige denn eine großzügige) Wiedergutmachung und Rückgabe enteigneter Güter hat nicht stattgefunden. (01 02 03)
    • Nicht nur die staatliche Zugehörigkeit unseres Landes durfte nie auf demokratischem Wege geklärt werden, bis heute ist Südtirol sogar ungefragt ins Korsett einer Region gezwungen, in der die deutsche und die ladinische Sprachgruppe in der Minderheit sind und die dem Land nach dem Zweiten Weltkrieg übergestülpt wurde, um das Autonomieversprechen ad absurdum zu führen. Die Abschaffung der Region wäre zwar rechtlich möglich, darf aber nicht von Südtirol selbst entschieden werden.
    • Nicht unwesentlich ist auch, dass große Teile von Südtirol — das ganze Land mit Ausnahme einiger Gemeinden des Unterlandes, die damals zum Trentino gehörten — weder beim Referendum über die Einführung der Republik, noch an den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung teilnehmen konnten. Obwohl das nicht vom Willen des italienischen Staates abhing, da der völkerrechtliche Status Südtirols damals noch nicht vollständig geklärt war, wurde auch in der Folge weder formal noch substantiell versucht, für eine demokratische Legitimierung zu sorgen.
    • Obschon sie sich in offiziellen Referenda großmehrheitlich dafür ausgesprochen haben, verweigert der Staat ladinischen Gemeinden, die von den Faschisten zum Zweck der besseren Assimilierung von Südtirol abgetrennt wurden, beharrlich die Wiedervereinigung, indem er sich die Argumente des Faschismus zueigen macht.
    • Als der Pariser Vertrag letztendlich doch noch (rechtlich) umgesetzt wurde, hat dies nicht freiwillig und aus Einsicht stattgefunden, sondern musste — gegen Italien — mithilfe der Schutzmacht Österreich vor der UNO erkämpft werden.
    • Die heutige Teilautonomie hat einiges entschärft, manches auch ganz aus dem Weg geräumt. Dennoch herrscht nach wie vor ein klares Machtgefälle vor: Von einem Verhältnis auf Augenhöhe kann nicht die Rede sein. Dies hat zum Beispiel zu tun mit
      • dem Vorrang der staatlichen Gesetzgebung selbst auf Gebieten, auf denen Südtirol primäre Befugnisse hätte (01 02);
      • Bereichen, die einer autonomen Ausgestaltung ganz entzogen sind oder
      • dem beharrlich autonomiefeindlichen Gebaren der Verfassungsgerichtsbarkeit (im Zusammenspiel mit den unzähligen Anfechtungen durch Regierungen jeder Couleur).
    • Wenn übrigens davon die Rede ist, dass die jetzige Autonomie die Umsetzung der »inneren Selbstbestimmung« sei, muss in Bezug auf den allgemeinen Kolonialismusbegriff darauf hingewiesen werden, dass unter den Regionen und Ländern, die auf der offiziellen Liste der noch zu entkolonialisierenden Gebiete aufscheinen, mehrere sind, deren Eigenregierung gegenüber der jeweiligen Kolonialmacht schon heute deutlich ausgeprägter ist als die von Südtirol gegenüber Italien. Das mindert ihren Anspruch auf (externe) Selbstbestimmung nicht.
    • Gar einiges, was in der Zeit des Faschismus aufgezwungen wurde, wirkt bis heute (ohne Zustimmung der Südtirolerinnen) unverändert fort. Insbesondere wurde auch die Ortsnamensfrage, damals eine wichtige Kolonialisierungsmaßnahme, nie gelöst, weil die nationalstaatliche Mehrheitsgemeinschaft verbissen und kleinlich an der vollständigen Beibehaltung erfundener, aufoktroyierter Bezeichnungen festhält. Selbst ein dürftiger Kompromiss auf Landesebene, dem auch die italienischen Abgeordneten der Mehrheit zugestimmt hatten, wurde vom Zentralstaat vor dem Verfassungsgericht angefochten, bis er letztendlich zurückgenommen werden musste, um einen Präzedenzfall zu vermeiden. Wo es sich äußern konnte, urteilte das Verfassungsgericht diesbezüglich höchst restriktiv. (01)
    • Das militärkartographische Institut, das für die offizielle Landeskarte zuständig ist, hat die deutschen und ladinischen Ortsnamen bis heute nicht übernommen, was sich negativ auf deren Amtlichkeit und internationale Verbreitung und Verwendung auswirkt. Nach wie vor sind ausschließlich die faschistischen Dekrete ausschlaggebend, die im Rahmen der Entnationalisierungspolitik erlassen worden waren. Eine Situation, die in diesem Ausmaß weltweit einzigartig sein dürfte.
    • Erst vor wenigen Jahren hat ein nationalistischer Alpenverein, der von den Enteignungen im Faschismus profitiert hat, im Zusammenspiel mit der Zentralregierung, die selbst mit Zwangsmaßnahmen (einschließlich der Entsendung des Militärs) gedroht hatte, die erneute volle Durchsetzung der faschistischen Ortsnamen bis zur letzten Alm (als eine Art Rekolonialisierung) erwirkt, deren Folgen bis heute währen. (01 02 03)
    • Sogar bei aggressiven und belastenden Bezeichnungen wie der des Bozner Siegesplatzes oder des Klockerkarkopfs2bis heute Vetta d’Italia lehnt die nationalstaatliche Mehrheitsgemeinschaft in Südtirol beharrlich eine Umbenennung ab.
    • Vielsagend ist auch, dass faschistische Denkmäler in Südtirol nicht in die Obhut der autonomen Institutionen gegeben, sondern als einzige einem externen, staatlichen Amt anvertraut wurden. Ihre teilweise Historisierung und Kontextualisierung wurde erst sehr spät und nur auf Druck aus Südtirol ermöglicht und niemals auf Initiative des Staates. Gegen den demokratischen Wunsch der Südtirolerinnen wird nach wie vor Geld in die Renovierung dieser beleidigenden Bauwerke investiert.
    • An anderen sogenannten faschistischen Relikten hat der Staat Historisierungsmaßnahmen sogar ausdrücklich untersagt, pflegt sie bis heute mit Steuergeldern und lässt dort militärische Ehrenveranstaltungen abhalten.
    • Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden natürliche Ressourcen, insbesondere die Wasserkraft, von staatlichen Firmen Jahrzehnte lang ausgebeutet. Der Reschenstausee mit der Flutung des Dorfes Graun wurde 1947-1949 auch aufgrund faschistischer Enteignungen umgesetzt. Die Bevölkerung wurde hinters Licht geführt, vor vollendete Tatsachen gestellt und bekam keinen Anspruch auf gleichwertigen Ersatz. Rund 70% der früheren Einwohnerinnen entschieden sich für die Abwanderung.
    • Die Verheißung der rechtlichen Gleichheit von italienischer und deutscher Sprache wurde nicht erfüllt. So hat bei Gesetzestexten der italienische Wortlaut grundsätzlich Vorrang. Und wie spätestens die Angelegenheit mit der sprachlichen Gleichberechtigung einsprachiger Ärztinnen gezeigt hat, ist das im Autonomiestatut enthaltene Prinzip der Sprachgleichstellung nur eine Grundsatzdeklaration: Im Einzelfall muss sie jedes Mal von zentralstaatlichen Institutionen beschlossen und freigegeben werden. Eine allgemeine und umfassende Umsetzung ist nicht vorgesehen.
    • Auch dort wo die Zweisprachigkeit rechtlich bereits umgesetzt wäre, wird sie von staatlichen, aber auch von manchen der autonomen Stellen3einschließlich jenen der größeren Städte systematisch und einseitig zu Lasten der deutschen Sprache verweigert. Das gilt auch für wichtige Dienste wie die Polizei, die sogar vor Beleidigungen nicht zurückschreckt.
    • Die Autonomie wird vom Staat bis heute restriktiv und dogmatisch, nicht sinngemäß und großzügig ausgelegt oder gar im Geiste der ursprünglichen Intention an gegenwärtige Bedürfnisse (Beispiel Digitalisierung) und Maßstäbe angepasst. Alles muss immer wieder von neuem äußerst mühsam erkämpft werden.
    • Gegen den ausdrücklichen Wunsch des Südtiroler Landtags wurde die Präfektur, der »Wachhund« Roms in Südtirol, niemals abgeschafft, obwohl es mit Aosta sogar bereits eine autonome Region gibt, die ohne diese zentralistische Behörde funktioniert. (01)
    • Während der Südtirolautonomie bis heute wichtige Bestandteile fehlen und andere, die bereits vorgesehen wären, nicht umgesetzt wurden, belegen auch wissenschaftliche Studien (01 02) eindrücklich, dass erhebliche Teile dessen, was 1992 von Österreich als Umsetzung des sogenannten Paketes anerkannt wurde, hauptsächlich durch die zentralistische Arbeit des Verfassungsgerichts wieder rückgängig gemacht und ausgehöhlt wurde.
    • Durch die Verfassungsgerichtsbarkeit wird der Anschein einer neutralen Rechtmäßigkeit vorgetäuscht, die so nicht existiert, da Ermessensspielräume konsequent (und oft sogar »kreativ«4das Verfassungsgericht hat sich zum Beispiel sogenannte Querschnittkompetenzen ausgedacht) zugunsten des Zentralstaats genutzt werden. Ein Landesverfassungsgericht, wie es Sizilien bereits hatte, existiert hingegen nicht. (01 02)
    • Bis heute halten staatliche Institutionen daran fest, Südtirolerinnen ungefragt kollektiv als Mitglieder der nationalen Gemeinschaft zu vereinnahmen (01 02 03) und die entsprechende Loyalität einzufordern — insbesondere auch im Sport (01 02).
    • Eine Bilingualisierung findet einseitig in Südtirol und nicht auch auf Staatsebene statt. Während zum Beispiel andere Länder allmählich die zentralstaatlichen Parlamente für die Sprachen öffnen (01 02), die auf dem Staatsgebiet gesprochen werden, ist dies in Italien nicht der Fall. (01 02)
    • Als sich der Kriegseintritt Italiens gegen Österreich-Ungarn 2015 zum 100. Mal jährte, war dies für das offizielle Italien kein Anlass für eine Entschuldigung. Ganz im Gegenteil: Das Regierungskommissariat wies die Südtiroler Gemeinden sogar an, zur Feier die italienische Flagge zu hissen.
    • Ganz allgemein hält sich der Zentralstaat mit dem Aufzwingen seiner nationalen Symbolik nicht zurück. So muss die Staatsflagge auch in Südtirol auf öffentlichen Gebäuden gehisst werden und selbst massive Äußerungen von Nationalismus werden ungefragt oktroyiert.
    • Die Streitkräfte wurden nie zurückgezogen, sondern tragen sogar nach wie vor aktiv zur Assimilierung bei. Zwar ist die Wehrpflicht in Italien derzeit ausgesetzt, davon ausgenommen sind die Südtirolerinnen aber nicht: Sollte sie reaktiviert werden, müssten auch sie den Dienst an der Waffe ableisten, wie dies schon Jahrzehnte lang der Fall war.
    • Medien, auch öffentlich-rechtliche, reproduzieren immer wieder entwürdigende und pauschalisierende Stereotype gegenüber Südtirol oder machen Stimmung gegen die Überwindung kolonialer Relikte. (01)
    • Auch wissenschaftliche Publikationen argumentieren mit der Notwendigkeit, Südtirol noch näher zu kontrollieren und keinesfalls aus der nationalen Bevormundung zu entlassen oder tragen zur Desinformation bei, um die Annexion reinzuwaschen.
    • Nicht zuletzt lassen sich auch private und öffentliche Organisationen von antiautonomistischen, kolonialen Reflexen leiten. (01 02 03 04 05)
    • Das italienische Schulsystem, teilweise sogar das italienischsprachige in Südtirol, vermittelt kaum Wissen über unser Land und dessen Geschichte, weshalb auch keine gesellschaftliche Aufarbeitung stattfinden kann. Dies führt nebenbei zu Unverständnis und zu einem ständigen Rechtfertigungsdruck.

    All diese Einsichten sind mit der Zeit gereift. Noch vor einigen Jahren hätte ich es nicht gewagt, den Begriff »Kolonialismus« für die Beziehung zwischen Südtirol und Italien zu bemühen. Doch je mehr ich das Thema vertieft habe, desto mehr bin ich zum Schluss gekommen, dass er wohl zutrifft.


    Mir wurde außerdem die Frage gestellt, wie es sich mit dem wirtschaftlichen Wohlstand verhält, der in Südtirol inzwischen größer sei als im restlichen Italien.5Es müssen aber auch die deutlich höheren Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Auch diesbezüglich ist zu sagen, dass zahlreiche Kolonialgebiete (z.B. Bermuda, Kaimaninseln oder bis 1997 Hong Kong) ein höheres Pro-Kopf-BIP aufweisen als die Kolonialmächte, denen sie unterworfen sind. Wohlstand ist per se weder ein hinreichender Indikator für das Vorhandensein oder die Abwesenheit einer kolonialen Beziehung noch ein Ersatz für Entkolonialisierung.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 10 11 || 01 02 03 04 05

    • 1
      Das Mussolini-Relief am Gerichtsplatz wurde in den 1950er Jahren fertiggestellt.
    • 2
      bis heute Vetta d’Italia
    • 3
      einschließlich jenen der größeren Städte
    • 4
      das Verfassungsgericht hat sich zum Beispiel sogenannte Querschnittkompetenzen ausgedacht
    • 5
      Es müssen aber auch die deutlich höheren Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden.


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  • Das Anti-Ohio auf Staatsebene.
    Repräsentanz

    Die italienische Faktenchecker-Plattform Pagella Politica (Mitglied des European Fact-Checking Standards Network) hat überprüft, in welcher Region des italienischen Staatsgebiets bei allen Parlamentswahlen seit 1948 und allen Europawahlen seit 1979 dem staatsweiten Gesamtergebnis am ähnlichsten gewählt wurde. Ohio war lange Zeit der US-amerikanische Bundesstaat, der für das Gesamtergebnis auf US-Ebene am repräsentativsten war, weshalb bei solchen Analysen immer wieder der Vergleich mit Ohio bemüht wird.

    Sowohl bei den Parlamentswahlen als auch bei den Europawahlen ist »das Ohio von Italien«, wenn man so will, das Piemont. Es folgen jeweils Ligurien und das Latium. Die Wahlergebnisse dieser drei Regionen waren dem gesamtstaatlichen Ergebnis durchschnittlich am nächsten, wiewohl es keine Region gibt, deren Bevölkerung regelmäßig gleich oder sehr ähnlich wie Italien als Ganzes gewählt hat.

    Was es aber schon gibt, sind zwei Regionen, die sehr konsequent anders gewählt haben — und das sind wenig überraschend Aosta und Trentino-Südtirol. Leider wurde Südtirol nicht (wie sonst manchmal bei solchen Untersuchungen) gesondert ausgewertet.

    Unter den 20 Regionen des italienischen Staates lag Trentino-Südtirol bei den 18 Parlamentswahlen seit 1948 laut Pagella Politica einmal auf dem letzten Rang (20)11948, 16 Mal auf dem vorletzten Rang (19) und einmal auf Rang 17.21996 Im Durchschnitt landet die Region damit vor Aosta auf dem 19. Platz, bei den Europawahlen sogar auf Platz 20.

    Gut möglich, dass Südtirol, wenn es allein gewertet worden wäre, in beiden Fällen hinter Aosta läge, denn das Trentino wählt eher als Südtirol gesamtstaatliche Parteien.

    Wie dem auch sei: Das Ergebnis der Untersuchung bedeutet, dass die Übereinstimmung zwischen dem, was in Südtirol gewählt wird und den Parteien, die tatsächlich in Rom regiert haben, seit jeher äußerst gering ist. Aus demokratischer Sicht ist die schwache Legitimation, die die jeweiligen Mehrheiten auf staatlicher Ebene in Südtirol erfahren, problematisch. Sie zeugt davon, dass sich eine große Mehrheit der hiesigen Bevölkerung durchwegs nicht direkt mit der Politik identifiziert, die in Rom gemacht wird.

    Natürlich ist das nichts Neues, aber es ist eine fundierte Bestätigung. In anderen Gebieten — etwa in Schottland — stellt die geringe Übereinstimmung zwischen den Parteien, die vor Ort gewählt werden und denen, die dann tatsächlich den Staat regieren, ein wichtiges Argument für das Streben nach Eigenstaatlichkeit dar. Im Gegensatz zum Piemont, aber auch fast allen anderen Regionen, die zumindest ab und an mehrheitlich Parteien wählen, die schlussendlich regieren, gilt für Aosta und Südtirol, dass sie von den Mehrheiten in Rom noch nie repräsentiert wurden.

    Man könnte es auch umgekehrt formulieren: Dass die Parteien, die in Rom regiert haben, es nie auch nur annähernd geschafft haben, eine große Anzahl Wählerinnen in diesen beiden Regionen von sich und für sich zu überzeugen, macht deutlich, dass es hier ein massives Problem der politischen Repräsentanz gibt.

    In Bezug auf die Europawahlen ist die Diskrepanz hingegen kaum von Bedeutung, da die nicht vorhandene Übereinstimmung mit dem Wahlergebnis auf Ebene des Staates wenig darüber aussagt, wer schlussendlich in Brüssel das Sagen hat.

    Cëla enghe: 01

    • 1
      1948
    • 2
      1996


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  • Ladinerinnen doch EU-tauglich?

    In einem kürzlich auf Salto erschienenen Artikel mit dem Titel Ladiner:innen nicht EU-tauglich argumentiert Politologe Günther Pallaver, dass in Südtirol »kein Ladiner gewählt werden« könne, da »[d]ie Ausnahmeregelung zugunsten ethnischer Minderheiten« nur für die französische, slowenische und deutsche Minderheit gelte. Ich wage hiermit vorsichtig zu widersprechen.

    Es sei vorausgeschickt: Dass die Ausnahmeregelung nur für die sogenannten Kin-State-Minderheiten (also Minderheiten mit einer Schutzmacht) gilt, ist ungerecht und entbehrt jeder Logik. Auch ich bin der Meinung, dass das nicht sein darf und dringend geändert werden müsste.

    Wenn es mir nur um die Falsifizierung von Pallavers Aussage ginge, dass in Südtirol »kein Ladiner gewählt werden« kann, würde es reichen, festzustellen, dass eine ladinische Kandidatin sehr wohl ins EU-Parlament entsandt werden kann — und zwar zu denselben Bedingungen wie eine beliebige andere Anwärterin im Wahlkreis Nordostitalien.

    Doch das ist ganz offensichtlich nicht die Frage. Natürlich muss es darum gehen, ob eine ladinische Kandidatin unter den vereinfachten Voraussetzungen gewählt werden kann, die laut Wahlgesetz nur der französischen, slowenischen und deutschen Minderheit zur Verfügung stehen.

    Im Staatsgesetz Nr. 18/1979 in geltender Fassung, das die EU-Wahl auf italienischem Staatsgebiet regelt, ist (in Art. 12) von »Kandidatenlisten, die eventuell von den Parteien oder politischen Gruppierungen vorgelegt werden, die Ausdruck der französischsprachigen Minderheit in Aosta, der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol und der slowenischsprachigen Minderheit in Friaul-Julien sind.« Diese Listen von Kandidatinnen kommen in den Genuss der Vorzugsregelungen, die für besagte Minderheiten vorgesehen sind.

    Daniel Alfreider, Florian Mussner oder Elide Mussner könnten über das geltende Minderheitengesetz nicht ins EU-Parlament gewählt werden, weil sie von einer Kandidatur ausgeschlossen sind.

    – Günther Pallaver (auf Salto)

    Doch nirgends steht geschrieben, dass jede einzelne Kandidatin (einschließlich der Spitzenkandidatin) dieser Listen, die von den Parteien und politischen Gruppierungen der drei Minderheiten vorgelegt werden, französischer, deutscher bzw. slowenischer Muttersprache sein müssen. Genausowenig wird meines Wissens verlangt, die Zugehörigkeit der einzelnen Kandidatinnen zu diesen Minderheiten in irgendeiner Form (zum Beispiel: mittels Sprachgruppenerklärung) nachzuweisen.

    So gesehen könnte eine Liste, die von der SVP oder von anderen Parteien und politischen Gruppierungen der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol vorgelegt würde, sehr wohl auch ladinische Kandidatinnen beinhalten. Die Diskriminierung bestünde demnach darin, dass die Liste von einer der drei Kin-State-Minderheiten vorgelegt werden muss, aber nicht darin, dass — wie Pallaver schreibt — in Südtirol »kein Ladiner [mit der Vorzugsregel] gewählt werden« kann.

    Ist das praxisferne Haarspalterei? Könnte sein. Andererseits kandidieren auf der Minderheitenliste der SVP neben Mitgliedern der Slovenska Skupnost (Partei der slowenischen Minderheit) auch Mitglieder des Trentiner PATT, die ganz sicher nicht der deutschen oder der slowenischen Minderheit angehören. Diesmal ist das zum Beispiel Roberta Bergamo, vor fünf Jahren war es Claudia Segnana. Von den zuständigen Wahlbehörden wurden diese Kandidatinnen nie beanstandet und es ist natürlich auch davon auszugehen, dass sie ins EU-Parlament gewählt werden können, wenn sie die nötigen Stimmen erhalten.

    Und was ist der Sinn dieser meiner Ausführungen? Es wäre schade, wenn auch nur eine Ladinerin bei künftigen EU-Wahlen — falls die Regeln nicht geändert werden — von einer Kandidatur absehen würde, weil sie der Meinung ist, dass die Sonderregeln laut Artikel 12 des Wahlgesetzes auf sie nicht zutreffen. Dazu könnte Pallavers Artikel ungewollt beitragen. Es bedürfte also zumindest einer Klärung, ob meine hier vorgebrachten Überlegungen richtig oder falsch sind.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05



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  • ›Die Sorben und die AfD: Ein notwendiger Widerstand.‹

    von Jan Diedrichsen

    Wenn selbst die Dänische Volkspartei und Marine Le Pen in Frankreich die Alternative für Deutschland (AfD) für zu extrem halten, wie am Mittwoch im Europaparlament mit Blick auf den AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah geschehen, sollten wir alle innehalten und nachdenken. Es ist alarmierend, wenn Parteien, die selbst am rechten Rand des politischen Spektrums stehen, sich von der AfD distanzieren. Was sagt das über die politische Landschaft in Deutschland aus?

    Alarmierende Entwicklungen

    Besorgniserregend ist die Situation auch in Sachsen und Brandenburg. In Sachsen, wo demnächst Landtagswahlen anstehen, könnte die AfD laut Umfragen stärkste Kraft werden. Der Verfassungsschutz stuft die Partei als rechtsextremistisch ein. Auch in Brandenburg wird ein erheblicher Teil der AfD-Landtagsfraktion als rechtsextrem eingestuft. Für die Sorbinnen und Sorben, die in der Lausitz und damit in beiden Bundesländern leben, sind diese Entwicklungen alarmierend.
    Der Dachverband der Lausitzer Sorben, die Domowina, verdeutlicht die Dringlichkeit der Situation und äußert ihre tiefe Besorgnis über das Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Tendenzen in Deutschland. Diese Stellungnahme ist wichtig, denn es geht nicht nur um die politische Landschaft, sondern auch um den Alltag und das Sicherheitsgefühl der Menschen vor Ort. Es geht um die Frage, in welchen Gesellschaften wir in Zukunft leben wollen und was diese Entwicklung für Minderheiten bedeutet.

    Übergriffe auf Jugendliche

    Ein weiterer, zutiefst beunruhigender Aspekt sind direkte Übergriffe auf sorbische Jugendliche. Berichte belegen, dass Jugendliche der sorbischen Gemeinschaft in den Regionen um Kamenz, Bautzen und Hoyerswerda immer wieder Ziel rassistisch motivierter Übergriffe werden. Diese reichen von verbalen Bedrohungen bis hin zu körperlichen Übergriffen und schweren Körperverletzungen. Das Sicherheitsgefühl dieser Jugendlichen hat sich dramatisch verschlechtert. Traditionelle Feste in sorbischen Dörfern werden immer wieder von rechtsextremen Gruppen gestört, die nicht nur durch ihre typische schwarze Kleidung und bestimmte Haarschnitte auffallen, sondern vor allem durch ihr aggressives und provokatives Auftreten gegenüber Sorbinnen und Sorben.

    Alltag von Rassismus geprägt

    Diese Gruppen fordern sorbischsprachige Menschen auf, Deutsch zu sprechen, verbunden mit der Drohung: »In Deutschland spricht man Deutsch.« Solche Vorfälle spiegeln einen Alltag wider, der von einem Rassismus geprägt ist, der durch Parteien wie die AfD salonfähig gemacht wird. Schülerinnen und Schüler des sorbischen Gymnasiums in Bautzen zum Beispiel erleben immer wieder rassistische Beleidigungen. Sie müssen sich etwa mit rechtsextremen Aufklebern und der herabwürdigenden Botschaft »Scheiß Sorben« an den Wänden auseinandersetzen.

    Diese Entwicklungen sind alarmierende Signale, die zeigen, wie tief Hass und Intoleranz in Teilen der Gesellschaft verwurzelt sind. Sie zeigen auch, wie dringend es ist, zusammenzustehen und diesen destruktiven und spaltenden Kräften entschieden entgegenzutreten.

    Es steht viel auf dem Spiel

    Wir dürfen diese Entwicklungen nicht als normale politische Verschiebungen abtun. Es steht viel auf dem Spiel – die Grundwerte unserer Demokratie, der Schutz von Minderheiten und der Erhalt einer offenen und toleranten Gesellschaft. Das Erstarken der AfD und anderer rechtsextremer und autoritärer Kräfte in Europa ist ein Weckruf für uns alle. Es geht nicht nur um Wahlpräferenzen, sondern um eine klare Auseinandersetzung mit Ideologien, die unsere Gesellschaft spalten und Menschen abwerten.

    Minderheiten und ihre Unterstützer müssen gemeinsam gegen Tendenzen Front machen, die uns in eine gefährliche Richtung führen könnten. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass rechtsextreme Machtergreifungen nicht freiwillig beendet werden. Es ist an der Zeit, aufzustehen, klare Grenzen zu ziehen. Seien wir nicht naiv – wehren wir uns!

    Dieser Beitrag ist auch auf Voices erschienen.



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